Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.07.2011, Az. IX B 47/11

9. Senat | REWIS RS 2011, 4317

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Grob schuldhaftes Handeln i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO - Keine grundsätzliche Bedeutung bei Einzelfallwürdigung - Verfahrensmängel)


Leitsatz

1. NV: Die (Tat-)Frage, ob ein Beteiligter grob schuldhaft gehandelt hat, ist vom FG als Tatsacheninstanz anhand der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Die Würdigung solcher Einzelfallumstände ist nicht grundsätzlich bedeutsam .

2. NV: Der Steuerpflichtige handelt grob schuldhaft i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, sich auf einen bestimmten Vorgang beziehende Frage nicht oder nur unvollständig beantwortet. Insoweit sind Fehlvorstellungen oder Irrtümer unbeachtlich .

3. NV: Zu verschiedenen Verfahrensmängeln .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

2

1. Die von den Klägern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegt nicht vor. Die aufgeworfene Rechtsfrage nach einer Konkretisierung des Begriffs des groben Verschuldens in § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung stellt sich im Streitfall nicht. Denn zum einen ist der Begriff des groben Verschuldens höchstrichterlich geklärt (z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 23. Januar 2001 [X.]/00, [X.], 9, [X.] 2001, 379; vom 20. November 2008 [X.]/06, [X.], 545); zum anderen ist die Frage, ob ein Beteiligter grob schuldhaft gehandelt hat, vom Finanzgericht ([X.]) als Tatsacheninstanz anhand der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. [X.] vom 31. Januar 2005 [X.], [X.], 1212; [X.]-Urteile vom 19. Dezember 2006 [X.], [X.] 2007, 866, und in [X.], 545). Die Würdigung der Einzelfallumstände ist aber nicht grundsätzlich bedeutsam (vgl. [X.] vom 23. Dezember 2009 IX B 72/09, [X.] 2010, 932; vom 22. März 2011 [X.]/10, [X.] 2011, 1165). Daher bedarf es auch keiner Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts.

3

2. Eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O) ist nicht erforderlich. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn das [X.] bei einem gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalt in einer bestimmten entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der --dieselbe Rechtsfrage betreffenden-- Rechtsauffassung eines anderen Gerichts abweicht (z.B. [X.] vom 15. Dezember 2005 [X.], [X.] 2006, 768; vom 14. Oktober 2009 [X.]/09, [X.] 2010, 443). Erforderlich ist eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ([X.] in [X.] 2010, 443; vom 19. November 2007 VIII B 70/07, [X.] 2008, 380).

4

Im Streitfall ist eine solche Divergenz nicht gegeben. Es ist schon zweifelhaft, ob das [X.] die vom Kläger behaupteten Rechtssätze implizit aufgestellt hat; jedenfalls ist es nicht von den [X.]-Urteilen vom 30. Oktober 1986 [X.]/82 ([X.]E 148, 208, [X.] 1987, 161), vom 26. August 1987 [X.] ([X.]E 151, 299, [X.] 1988, 109), vom 10. August 1988 IX R 219/84 ([X.]E 154, 481, [X.] 1989, 131), vom 22. Mai 1992 VI R 17/91 ([X.]E 168, 221, [X.] 1993, 80) und vom [X.] vom 17. Februar 2005 [X.]/03 ([X.], 1121) abgewichen. Vielmehr hat das [X.] auf der Basis der einschlägigen [X.]-Rechtsprechung und in Würdigung der Umstände des Einzelfalles (hinsichtlich der aus privat gewährten Darlehen resultierenden Schuldzinsen) es als grob schuldhaft angesehen, dass die Kläger die im [X.] ausdrücklich gestellte, sich auf einen bestimmten Vorgang (so der bezuggenommene Einspruchsbescheid S. 3) beziehende Frage nur unvollständig beantwortet haben, obwohl sie andere Schuldzinsen dort angegeben hatten. Insoweit sind auch Fehlvorstellungen oder Irrtümer (hinsichtlich der Frage, ob es sich bei den Zahlungen um Schuldzinsen handelte oder in welchem Zusammenhang zur Einkünfteerzielung diese gestanden haben) unbeachtlich (vgl. [X.] vom 10. Dezember 2009 [X.]/09, [X.] 2010, 598, und [X.]-Urteil in [X.] 2007, 866, m.w.N.).

5

Im Übrigen rügen die Kläger mit einer (vermeintlich) unzutreffenden Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie einer (vermeintlich) fehlerhaften Rechtsanwendung materiell-rechtliche Fehler; damit kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden, zumal ein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht nicht dargetan ist (vgl. [X.] vom 17. Januar 2006 [X.]/05, [X.] 2006, 799; vom 30. Januar 2007 [X.], [X.] 2007, 1146).

6

3. Die geltend gemachten Verfahrensfehler sind nicht gegeben.

7

a) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Zwar obliegt es dem Gericht nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (§ 96 Abs. 2 [X.]O u.a.), den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (z.B. [X.] vom 6. September 2007 [X.], [X.] 2007, 2327, m.w.N.). Das [X.] ist aber weder zu einem [X.] noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet, was vorliegend gleichwohl in beiden mündlichen Verhandlungen geschehen ist. Die Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt vom Gericht aber nicht, der von einem Beteiligten vertretenen Ansicht zu folgen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2008  2 BvR 2062/07, [X.], 1056). Im Übrigen hat ein --wie hier fachkundig vertretener-- Beteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen und seinen Vortrag darauf einzurichten (z.B. [X.] vom 7. Dezember 2006 [X.]/06, [X.] 2007, 1135, m.w.N.). Dazu hatten die Kläger in den beiden mündlichen Verhandlungen hinreichend Gelegenheit.

8

b) Soweit die Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O durch Übergehen eines Beweisantrages oder durch Unterlassen einer Amtsermittlung (zu den [X.] vgl. [X.] vom 27. August 2008 IX [X.]/07, [X.] 2008, 2022, unter 4.a, m.w.N.) rügen, ist dieser Verstoß jedenfalls nicht gegeben. Ausweislich des [X.] (zu dessen Beweiskraft s. § 94 [X.]O i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) wurde "der Sach- und Streitstand ... mit den Beteiligten eingehend erörtert", ohne dass ein Beweisantrag gestellt oder seitens der Kläger auf ihn (der Zeuge war --nach Aussage des Prozessbevollmächtigten der [X.] anwesend) oder andere Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt wurde; zudem war spätestens aufgrund der Ladung erkennbar, dass das [X.] eine mögliche Beweiserhebung (durch Vernehmung eines Zeugen) oder weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht durchzuführen beabsichtigte. Gleichwohl haben die --in beiden mündlichen Verhandlungen vor dem [X.] fachkundig vertretenen-- Kläger dazu [X.] zur Sache verhandelt und damit ihr [X.] durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO; vgl. [X.] in [X.] 2008, 2022, m.w.N.).

9

c) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O hat das [X.] bei seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Beteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Indes gebietet § 96 Abs. 1 [X.]O nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern; im Allgemeinen ist vielmehr davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt und Vortrag in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (vgl. [X.] vom 19. Dezember 2007 [X.]/07, [X.] 2008, 599). Danach ist ein solcher Verfahrensmangel vorliegend nicht gegeben. Denn nach dem maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkt des [X.] (vgl. [X.] vom 25. Februar 2005 [X.]/04, [X.], 1065, und in [X.] 2010, 443) waren bestimmte Einwendungen der Kläger für die Frage des groben Verschuldens rechtlich unbeachtlich.

Meta

IX B 47/11

28.07.2011

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 26. November 2010, Az: 12 K 58/10 E, Urteil

§ 173 Abs 1 Nr 2 AO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 165 ZPO, § 295 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.07.2011, Az. IX B 47/11 (REWIS RS 2011, 4317)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4317

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII R 37/12 (Bundesfinanzhof)

Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen hinsichtlich einzelner, konkret angestrebter Kapitalanlagen - Kein …


IX R 4/17 (Bundesfinanzhof)

Abzug nachträglicher Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach Veräußerung des …


IX B 57/12 (Bundesfinanzhof)

Bloße Literatur-Hinweise bei grundsätzlicher Bedeutung; Vorfälligkeitsentschädigung im Veräußerungsfall; Darlegung der Vorgreiflichkeit für Verfahrens-Aussetzung


VIII B 110/11 (Bundesfinanzhof)

(Überraschungsentscheidung, Anwendung von § 4 Abs. 4a EStG)


IX B 125/11 (Bundesfinanzhof)

Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage - Darlegung einer Divergenz - Nichtberücksichtigung von Beweisanträgen - Sachaufklärungsrüge


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.