Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2015, Az. 1 BvR 2553/11

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2015, 9124

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des Eigentumsrechts (Art 14 Abs 1 GG) und der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) durch Widerruf einer Frequenzzuteilung bei Nichterfüllung von Versorgungsverpflichtungen - kein Anspruch auf Erstattung des Zuschlagspreises - Widerruf setzt keinen konkreten Frequenzbedarf voraus


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Entscheidung des [X.] zum Widerruf telekommunikationsrechtlicher Lizenz- und Frequenzzuteilungen.

2

1. Der Rechtsvorgängerin der [X.]eschwerdeführerin wurde im Jahr 2000 eine Lizenz zum [X.]etrieb von Mobilfunk für einen Nutzungszeitraum bis zum 31. Dezember 2020 zugeteilt, nachdem sie bei der vorangegangenen Versteigerung für Gebote von insgesamt rund 8,5 Mrd. € den Zuschlag in [X.]ezug auf zwei Frequenzblöcke erhalten hatte.

3

Die Lizenz enthielt in Teil [X.] unter anderem folgende [X.]estimmungen:

"4.1 [X.] ist verpflichtet, für das Angebot von [X.]/IMT-2000-Mobilfunkdienstleistungen einen Versorgungsgrad der [X.]evölkerung von mindestens 25 % bis zum 31.12.2003 und von mindestens 50 % bis zum 31.12.2005 herzustellen."

4

Mit [X.]escheid vom Juni 2002 wurden der [X.]eschwerdeführerin schließlich die betreffenden Frequenzen zugeteilt. In der zweiten Jahreshälfte 2002 beendete die [X.]eschwerdeführerin ihre Kooperation mit einem anderen Mobilfunkunternehmen über den Aufbau einer gemeinsamen [X.]-Infrastruktur, gab ihre Tätigkeit als Diensteanbieterin auf und entließ den größten Teil ihrer [X.]elegschaft.

5

Nachdem die [X.]eschwerdeführerin bis zum 31. Dezember 2003 und auch danach keine Versorgungsaktivität entwickelt hatte, widerrief die Regulierungsbehörde im Dezember 2004 die der [X.]eschwerdeführerin erteilten Lizenzrechte und den Frequenzzuteilungsbescheid. Widerspruch, Klage und [X.]erufung der [X.]eschwerdeführerin hiergegen blieben erfolglos.

6

2. Mit dem angegriffenen Urteil wies das [X.]undesverwaltungsgericht die Revision der [X.]eschwerdeführerin zurück.

7

Der Widerruf der Lizenzrechte und des [X.] finde seine Grundlage in § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 des [X.] vom 22. Juni 2004 in der bis zum 9. Mai 2012 geltenden Fassung ([X.]), wonach die Frequenzzuteilung widerrufen werden könne, wenn einer daraus resultierenden Verpflichtung trotz wiederholter Aufforderung nicht nachgekommen werde.

8

Zwar enthalte Art. 10 der Richtlinie 2002/20/[X.] vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie <[X.]>, A[X.]l. [X.] Nr. L 108, [X.]) weitergehende Anforderungen, welche die nationale Regulierungsbehörde zu beachten habe, wenn sie feststelle, dass ein Unternehmen [X.]edingungen nicht erfülle, die an Frequenznutzungsrechte geknüpft seien. Diesen zusätzlichen formalen Anforderungen sei nicht entsprochen worden. Sie einzuhalten habe sich aber ausnahmsweise als entbehrlich erwiesen. Das Oberverwaltungsgericht habe festgestellt, dass die Nichterfüllung der Versorgungsverpflichtung bereits endgültig festgestanden habe, weil die [X.]eschwerdeführerin weder zum Stichtag noch danach irgendeine Versorgungsaktivität entfaltet habe. Dass Art. 10 Abs. 2, 3 [X.] unter derartigen Umständen keine Geltung beanspruche, sei offensichtlich und bedürfe nicht einer Vorabentscheidung durch den [X.].

9

Grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der [X.]eschwerdeführerin stünden dem Widerruf nicht entgegen. Die auf der [X.]-Lizenz beruhenden Frequenznutzungsrechte der [X.]eschwerdeführerin bildeten zwar Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG. Diese [X.] sei jedoch in [X.]ezug auf die Lizenz- und Frequenznutzungsrechte durch die wirksame und in [X.]estandskraft erwachsene Versorgungsverpflichtung belastet. Mit Rücksicht auf die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung diene der Widerruf dem Gemeinwohl und sei auch ohne Entschädigung verhältnismäßig.

Die [X.]eschwerdeführerin habe gegen die [X.]eklagte auch sonst keinen Anspruch auf Rückzahlung des von ihr entrichteten Zuschlagspreises. Als Anspruchsgrundlage für den Zahlungsanspruch komme nur der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in [X.]etracht. Dessen Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die [X.]eschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Das angegriffene Urteil verletze sie in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, indem es bei der Überprüfung der behördlichen Ermessensausübung beim Widerruf Inhalt und Reichweite des Eigentumsschutzes verkenne. Insbesondere habe der Widerruf nur gegen Gewährung einer Ausgleichszahlung erfolgen dürfen.

Soweit man einen Ausgleichsanspruch durch § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 in Verbindung mit § 63 Abs. 4 TKG a.F. für ausgeschlossen halte, verstoße schon die Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf für sich genommen gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

Dass die [X.]eschwerdeführerin durch den Entzug der Nutzungsrechte an einer Fortführung ihres Geschäftsbetriebs gehindert werde, verletze sie darüber hinaus in ihrem Grundrecht auf freie [X.]erufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Durch den entschädigungslosen Widerruf sei außerdem das [X.] zwischen den von der [X.]eschwerdeführerin und vom Staat erbrachten Leistungen unzumutbar gestört. Von der [X.]eschwerdeführerin würden mit dem Widerruf der Frequenznutzungsrechte letztlich Abgaben voraussetzungslos erhoben. Die [X.]eschwerdeführerin werde dadurch in ihren insgesamt die Freiheit von Abgaben schützenden Grundrechten verletzt.

Schließlich sei die [X.]eschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das [X.]undesverwaltungsgericht habe es unionsrechtswidrig unterlassen, die Frage nach Inhalt und Reichweite der sich aus Art. 10 Abs. 2, 3 und 5 [X.] ergebenden Verpflichtung, vor einem Widerruf bestimmte Verfahrensschritte einzuhalten, vorab dem [X.] zur Entscheidung vorzulegen.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.]VerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche [X.]edeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der [X.]eschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Der von der [X.]eschwerdeführerin gerügte Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich nicht feststellen. Dabei kann offen bleiben, ob die ersteigerten Lizenzrechte und die Frequenzzuteilungen überhaupt Eigentumsschutz genießen. Selbst wenn dies zugunsten der [X.]eschwerdeführerin unterstellt wird, verletzt der Widerruf der Lizenz- und Frequenznutzungsrechte nicht Art. 14 Abs. 1 GG.

a) Die hier zur Anwendung gekommene Widerrufsermächtigung in § 63 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 TKG a.F. ist jedenfalls eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung, sofern es sich bei den Lizenz- und Frequenznutzungsrechten um Eigentum handelt. Die Möglichkeit, die Zuteilung einer Lizenz beziehungsweise Frequenz zu widerrufen, wenn damit verbundene Versorgungsverpflichtungen nicht erfüllt werden, verfolgt das legitime Ziel der effizienten und störungsfreien Frequenznutzung. Dieses allgemein schon in § 2 Abs. 2 Nr. 7 TKG zum Ausdruck kommende Regulierungsziel, steht bei der Frequenzverwaltung in besonderem Maße im Vordergrund (§ 55 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4, § 61 Abs. 3 Satz 1 TKG).

Die Widerrufsermächtigung ist sowohl geeignet als auch erforderlich, um dieses Ziel zu fördern, wenn ein [X.]erechtigter seinen Versorgungspflichten nicht nachkommt.

Die Ermächtigung zum Widerruf ist auch angemessen. Ein Telekommunikationsanbieter erwirbt Nutzungsrechte in Kenntnis dieser besonderen Versorgungspflichten, kann die mit dem Erwerb einhergehenden [X.]elastungen also in seinem Geschäftskonzept berücksichtigen, insbesondere seine Kalkulation darauf ausrichten und zudem - vor Erwerb eines Nutzungsrechts - prüfen, ob er die mit dem Erwerb verbundenen Verpflichtungen und [X.]elastungen tragen kann. Entscheidet er sich für den Erwerb und kommt dann seiner Versorgungspflicht nicht nach, ist es nicht unverhältnismäßig, wenn der Staat die Zuteilung an ihn widerrufen kann, um das mit der Frequenzvergabe verfolgte Ziel der effizienten Frequenznutzung durch Vergabe an andere Marktteilnehmer zu erreichen. Selbst wenn es sich bei den Lizenz- und Frequenznutzungsrechten um Eigentum handelt, ist dieses von vornherein mit der Widerrufsmöglichkeit für den Fall ungenügender Pflichterfüllung belastet. Ein Fall ausnahmsweise ausgleichspflichtiger, weil sonst unverhältnismäßiger Inhalts- und Schrankenbestimmung (vgl. dazu [X.]VerfGE 100, 226 <244 ff.> m.w.N.) von Eigentum liegt bei einem solchen Widerruf nicht vor. Die Rückzahlung des Zuschlagspreises war nach der vom Gesetzgeber gewählten [X.] schon deshalb ausgeschlossen, weil ein Unternehmen ansonsten, ohne ein finanzielles Risiko einzugehen, Konkurrenten im [X.] überbieten und am Marktzutritt hindern könnte, ohne selbst ernsthaft die Versorgung zu beabsichtigen. Die Versorgung der [X.]evölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen ließe sich so nicht sicherstellen.

b) Die [X.]undesnetzagentur hat von den ihr zur Verfügung stehenden Widerrufsermächtigungen im Ergebnis in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Weder die von der [X.]eschwerdeführerin vorgetragenen [X.] von Verfahrensfehlern noch die gerichtliche [X.]estätigung der behördlichen Ermessensausübung, in die eine [X.] der [X.]eschwerdeführerin eingestellt wurde, verletzen Verfassungsrecht (vgl. [X.]VerfGE 18, 85 <92 f.>; stRspr).

Mit dem Vortrag, die [X.]undesnetzagentur habe den Widerruf ausgesprochen, ohne zuvor bestimmte Verfahrensschritte durchzuführen, insbesondere weitere Fristen zu setzen, hat die [X.]eschwerdeführerin eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert gerügt. Die [X.]eschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern ihr etwa die Einräumung einer weiteren Frist ermöglicht hätte, ihren mit Erwerb der Lizenz beziehungsweise Frequenz eingegangenen und bestandskräftig gewordenen Versorgungsverpflichtungen nachzukommen. Die [X.]eschwerdeführerin hatte im Zeitpunkt des Widerrufs ihren Geschäftsbetrieb bereits eingestellt und einen Großteil ihrer [X.]elegschaft entlassen.

2. Sofern der Widerruf der Lizenz- und Frequenznutzungsrechte auch oder ausschließlich an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen wäre, ergäbe sich daraus nichts anderes. Die [X.]erufsfreiheit stellt hier in der Sache keine höheren Anforderungen als der Eigentumsschutz.

3. Die von der [X.]eschwerdeführerin erhobene Rüge einer Verletzung der grundrechtlich geschützten Freiheit vor ungerechtfertigten Abgaben ist unsubstantiiert. Die [X.]eschwerdeführerin setzt sich insbesondere nicht hinreichend mit den in diesem Zusammenhang stehenden Ausführungen des [X.] auseinander.

4. Auch die Rüge einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen einer unterlassenden Vorlage an den [X.] bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder die von der [X.]eschwerdeführerin geltend gemachte grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht noch die Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des [X.]s vor (vgl. [X.]VerfGE 126, 286 <316 f.>).

Das [X.]undesverwaltungsgericht ist insbesondere anhand der Rechtsprechung des [X.]s jedenfalls vertretbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die [X.]eschwerdeführerin sich auf die geltend gemachten Verfahrensrechte nicht berufen kann. Es ist nicht zu erkennen, dass die Ansicht der [X.]eschwerdeführerin, die entsprechenden Verfahrensschritte seien nur im Falle eines drohenden [X.] verzichtbar, gegenüber der vom Gericht vertretenen Ansicht eindeutig vorzuziehen wäre, wonach ein unmittelbarer Widerruf keinen aktuellen konkreten Frequenzbedarf voraussetzt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2553/11

25.06.2015

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerwG, 17. August 2011, Az: 6 C 9/10, Urteil

Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 903 S 1 BGB, Art 10 Abs 2 EGRL 20/2002, Art 10 Abs 3 EGRL 20/2002, § 2 Abs 2 Nr 7 TKG 2004, § 55 Abs 5 S 1 Nr 4 TKG 2004, § 61 Abs 3 S 1 TKG 2004, § 63 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 TKG 2004 vom 18.02.2007

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2015, Az. 1 BvR 2553/11 (REWIS RS 2015, 9124)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9124


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2553/11

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2553/11, 25.06.2015.


Az. 6 C 9/10

Bundesverwaltungsgericht, 6 C 9/10, 17.08.2011.


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