Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2020, Az. IV ZB 10/20

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11445

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:080720BIVZB10.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB
10/20
vom
8.
Juli 2020
in dem Rechtsstreit

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch den
Richter Felsch, die Richterin [X.], den Richter [X.],
die Richterinnen
Dr.
[X.] und Dr.
Bußmann

am 8.
Juli 2020

beschlossen:

Die
Rechtsbeschwerde des [X.]
gegen den
Beschluss des 9.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.]
vom 23.
Dezember 2019
wird auf seine
Kosten verworfen.

[X.]: 6.115,94

Gründe:

[X.] Der Kläger
erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Frist zur Berufungsbegründung.

Er
hat gegen das seinen
Prozessbevollmächtigten am 6.
Juli 2019
zugestellte Urteil des [X.], mit dem seine Klage abgewiesen
wurde, fristgerecht Berufung eingelegt.
Auf seinen Antrag vom 22.
August 2019
ist die
Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat, d.h. bis Montag, den 7.
Oktober 2019 verlängert worden. Nachdem in-nerhalb dieser Frist keine Berufungsbegründung eingegangen war, hat das
Berufungsgericht den Kläger mit Schreiben vom 14.
Oktober 2019 1
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auf diesen Umstand sowie die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig
hingewiesen.

Der Kläger hat daraufhin mit [X.] seiner Prozessbevoll-mächtigten vom 17.
Oktober 2019, der am selben Tage beim Berufungs-gericht einging,
unter gleichzeitiger Vorlage einer Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.]sfrist beantragt.

Zur Begründung
des Wiedereinsetzungsantrags hat er sich auf ei-ne gleichzeitig vorgelegte eidesstattliche Versicherung einer
Kanzleian-gestellten
bezogen, die folgenden Wortlaut hat:

"das Oberlandesgericht vom [X.] versandt zu haben.

über das Spracherkennungssystem [X.] erstellte Be-rufungsbegründung in 3-facher Ausfertigung ausgedruckt, zur Unterschrift vorgelegt und in den Postausgang überge-ben, wo sie am gleichen Tage über den sich in der Nähe befindlichen Briefkasten zur Post gegeben wurde."

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurück-gewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat es
ausgeführt,
dass der Kläger weder [X.] dargetan noch hinreichend glaubhaft gemacht habe, unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sein.

[X.] sei nur vorgetragen, dass die von seinem Prozess-bevollmächtigten unterschriebene Berufungsbegründung vom 1.
Oktober 3
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4
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2019 von dessen Rechtsanwaltsfachangestellter noch am gleichen Tage zur Post gegeben worden sei. Daraus sei nicht zu entnehmen, wie diese Aufgabe zur Post erfolgt sei; insbesondere sei nicht vorgetragen, dass die Angestellte die Berufungsbegründung persönlich in den Postkasten oder zu einer Poststelle gebracht habe.

Dies ergebe sich auch nicht aus ihrer
eidesstattlichen Versiche-rung.
Diese sei so zu verstehen, dass die Unterzeichnerin die [X.] nur in den Postausgang übergeben, nicht aber selbst zum Briefkasten gebracht und dort eingeworfen habe. Unklar sei schon, was mit "Postausgang"
gemeint sei. Mangels weiterer Angaben dazu, wer für die Weiterbeförderung der abgelegten Schriftstücke aus diesem "Postausgang"
in den Briefkasten zur Post zuständig sei, und wie im Rahmen der Büroorganisation sichergestellt sei, dass im Postausgang befindliche fristwahrende Schriftstücke rechtzeitig bei einer Poststelle zur Versendung aufgegeben oder in den nahe gelegenen Briefkasten verbracht werden, sei nicht auszuschließen, dass ein dem Kläger zuzu-rechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliege, das zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt habe.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

I[X.] Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt weder den Anspruch des Klä-gers
auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf 8
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5
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Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG). Eine Entscheidung des [X.] ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs.
2 Nr.
2 Alt.
1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs.
2 Nr.
2 Alt.
2 ZPO) erforderlich.

1. Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung zutref-fend zugrunde gelegt, dass sich das Wiedereinsetzungsgesuch alleine auf den Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung gestützt
hat, weil darüber hinaus keine weitergehenden
tatsächlichen
Erklärungen im [X.] enthalten sind, und diese eidesstattliche Versicherung
so zu verstehen
ist, dass deren
Unterzeichnerin aus eigenem Wissen lediglich bestätigt, die unterschriebene Berufungsbegründung in den Postausgang gelegt, nicht aber,
diese selbst in den Briefkasten befördert und einge-worfen zu haben.

Letzteres folgt ungeachtet des ersten Satzes im Text der eides-stattlichen Versicherung aus der differenzierenden Formulierung
in der eidesstattlichen Versicherung, in der die Unterzeichnerin das Ausdru-cken der Berufungsbegründung, die Vorlage zur Unterschrift und die Übergabe in den Postausgang in der Ich-Form beschreibt, während die Weitergabe zur Post über den Briefkasten nachfolgend in der Passivform ohne Bezeichnung der handelnden Person geschildert wird. Diese Ab-weichung lässt den Schluss zu, dass dieser Vorgang eben nicht mehr von der die Erklärung abgebenden Kanzleiangestellten
durchgeführt wurde.

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2.
Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Be-rufungsgericht das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes als nicht ausreichend dargelegt angesehen hat.

a)
Wird

wie im Streitfall

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener [X.] sei auf dem Postweg verloren gegangen, ist Wiedereinsetzung nur dann zu gewäh-ren, wenn der Antragsteller auf der Grundlage einer aus sich heraus ver-ständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen [X.]es zur Post (zunächst) darlegt und (dann auch) glaubhaft macht, dass der [X.] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbe-reich der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist. [X.] ist Vortrag zu der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post (oder Verbringung in den Gerichtsbriefkasten), die als letzter
Teil
des Übermittlungsgeschehens noch der Wahrnehmung der [X.] zu-gänglich ist. Die Schilderung muss (mindestens) eine lückenlose Darstel-lung des Weges des konkreten Schriftstücks in den dafür vorgesehenen [X.] als der letzten Station auf dem Weg zum Adressaten enthalten und den hinreichend sicheren Schluss erlauben, dass das Schriftstück nach der Unterschrift durch den Prozessbevollmächtigten nur in das [X.] gelangt sein konnte und nicht unterwegs liegen geblieben, verloren gegangen oder fehlgeleitet worden ist ([X.], Beschluss vom 16.
April
2019

VI ZB 33/17, [X.], 507 Rn.
11 m.w.[X.]).

Es kann somit unter Umständen die Darlegung und [X.] genügen, dass der fristwahrende [X.] in ein Postausgangs-fach des Rechtsanwalts eingelegt worden ist, von wo die abgehende 14
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7
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Post unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen [X.] gebracht wird, das [X.] also "letzte Station"
auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dann ebenso we-nig gefordert wie eine -
meist nicht mögliche -
Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist ([X.], Beschluss vom 12.
April 2011

[X.], [X.], 506 Rn.
7
m.w.[X.]).

Voraussetzung hierfür ist aber, dass das [X.] des Rechtsanwalts "letzte Station"
auf dem Weg zum Adressaten ist. Der fristwahrende [X.] muss "postfertig"
sein, d.h. die Beförderung zu der Stelle, für die der [X.] bestimmt ist, muss organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann ([X.] aaO Rn.
8 m.w.[X.]).

b) Dass diese Voraussetzung
erfüllt ist, ist im Streitfall nicht er-sichtlich.
So ist ein in das [X.] des Rechtsanwalts gelegter [X.] noch nicht postfertig, wenn die dort gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortiert werden müssen, wodurch die Gefahr ent-steht, dass ein [X.] in ein anderes Kuvert gerät, und erst im nächsten Schritt zur Post gebracht werden können (vgl. [X.] aaO Rn.
10 m.w.[X.]). Dazu, ob die in das [X.] gelegten Schriftsätze noch kuvertiert werden mussten, bevor sie zur Post gebracht werden konnten, verhalten sich weder die vorgelegte eidesstattliche Versiche-rung noch
der allein auf deren Inhalt bezugnehmende Wiedereinset-zungsantrag.
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-

3. Zu Unrecht vertritt die Beschwerde die Ansicht, das Berufungs-gericht hätte dem Kläger einen Hinweis auf die unzureichende Glaub-haftmachung seines Vortrages erteilen oder die benannte [X.] auch ohne einen
solchen Hinweis als Zeugin vernehmen müssen.

a) Zwar trifft es zu, dass ein Gericht, das einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, die [X.] zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit ge-ben muss, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten ([X.], Beschlüsse vom 28.
Januar 2020

[X.], NJW-RR 2020, 499 Rn.
18
m.w.[X.]; vom 11.
Juli 2017

[X.], juris Rn.
14; vom 30.
März 2017

III ZB 43/16, juris Rn.
13; st. Rspr.). Auch ist in der Vorlage einer eides-stattlichen Versicherung regelmäßig der Antrag zu sehen, denjenigen, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, als Zeugen zu ver-nehmen ([X.], Beschlüsse vom 22.
November 2017

[X.]/15, [X.] 2018, 281 Rn.
18; vom 18.
Januar 2011

VIII ZB 45/10, [X.], 176 Rn.
9; jeweils m.w.[X.]).

b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht aber entscheidend nicht auf eine ungenügende Glaubhaftmachung des vorgetragenen Wiederein-setzungsgrundes abgestellt, sondern bereits eine schlüssige Darlegung dieses Grundes verneint. Dem Vortrag sei nicht zu entnehmen, dass
im Rahmen der Büroorganisation
bereits mit der Übergabe des Schriftstücks in den Postausgang dessen rechtzeitige Aufgabe in den Briefkasten oder direkt bei einer Poststelle sichergestellt gewesen sei.
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Das betrifft nicht die Glaubhaftigkeit des zur Entschuldigung vorge-tragenen Geschehensablaufs oder die Glaubwürdigkeit der benannten Rechtsanwaltsfachangestellten. Es geht vielmehr bereits um die Ergie-bigkeit der dargestellten Geschehnisse in ihrer Eignung, zumindest [X.] die Absendung des im Streit stehenden [X.]es als überwie-gend wahrscheinlich erscheinen zu lassen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 11.
Juli 2017

[X.], juris Rn.
15).

Felsch
[X.]
[X.]

Dr. [X.]
Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.06.2019 -
10 O 230/18 -

OLG [X.], Entscheidung vom 23.12.2019 -
9 [X.] -

21

Meta

IV ZB 10/20

08.07.2020

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2020, Az. IV ZB 10/20 (REWIS RS 2020, 11445)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11445

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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