BT-Drucksache 18/6278

Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus

Vom 8. Oktober 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6278
18. Wahlperiode 08.10.2015

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Britta Haßelmann, Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Tom Koenigs,
Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan
Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Lisa Paus,
Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Ulle Schauws, Hans-Christian
Ströbele, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer
Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus

A. Problem

Die Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus wird
durch die deutsche Rechtslage behindert. Mitteilungs- und Unterrichtungspflich-
ten öffentlicher Stellen an die Ausländerbehörden halten die Betroffenen davon
ab, öffentliche Einrichtungen aufzusuchen, da sie aufenthaltsbeendigende Maß-
nahmen befürchten.

B. Lösung

Aufenthaltsrechtliche Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten dürfen nicht zur
faktischen Beschränkung der Gewährleistung sozialer Rechte führen. Daher wer-
den diese Pflichten auf Behörden beschränkt, die für die Gefahrenabwehr und die
Strafrechtspflege zuständig sind. Entsprechende Übermittlungspflichten im Asyl-
bewerberleistungsgesetz, Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und im SGB III und
VII werden eingeschränkt, sofern sie die Wahrnehmung sozialer Rechte behin-
dern. Davon unberührt bleibt die zwischenbehördliche Kooperation bei der Be-
kämpfung von Schwarzarbeit.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Durch die erleichterte Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen insbesondere im
Bereich Gesundheit und Bildung entstehen den öffentlichen Leistungsträgern
Kosten. Der Kostenumfang ist angesichts der unbekannten Zahl potenzieller Leis-
tungsempfänger nicht prognostizierbar. Der erleichterte Zugang zu den Arbeits-
gerichten lässt hingegen eine Abnahme der Schwarzarbeit und einen entsprechen-
den Anstieg des Sozialversicherungsbeitrags- und Steueraufkommens erwarten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6278

Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer
Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBL. I S. 162), das
durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2439) geändert worden ist, wird wie folgt
geändert:

1. § 87 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 werden die Wörter „Öffentliche Stellen mit Ausnahme von Schulen sowie Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen“ durch die Wörter „Behörden, die für die Abwehr von Gefahren für die öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Strafrechtspflege zuständig sind,“ ersetzt.

b) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Behörden, die für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie
die Strafrechtspflege zuständig sind, haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unter-
richten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben von

1. dem Aufenthalt eines Ausländers, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen
Abschiebung nicht ausgesetzt ist, oder

2. dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden oder besonders
schwerwiegenden Ausweisungsinteresses

Kenntnis erlangen.“

c) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

„(3) Auf Ersuchen übermitteln die Auslandsvertretungen der zuständigen Ausländerbehörde per-
sonenbezogene Daten eines Ausländers, die geeignet sind, dessen Identität oder Staatsangehörigkeit
festzustellen, wenn die Daten für die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht gegenüber dem
Ausländer gegenwärtig von Bedeutung sein können.“

d) Absatz 6 wird aufgehoben.

2. § 88 Absatz 2 wird aufgehoben.

3. In § 99 Absatz 1 Nummer 14 werden nach den Wörtern „Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende“
die Wörter „nach Maßgabe des § 87“ eingefügt.

Artikel 2

Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Nach § 11 Absatz 3 Satz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I
S. 2439) geändert worden ist, wird folgender Satz eingefügt:

„Die Übermittlung ist unzulässig, wenn einem Leistungsberechtigten im Sinne von § 1 Absatz 1 Nummer 5 oder
seinem Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährigen Kind Leistungen gemäß § 4 oder § 6 gewährt werden.“

Drucksache 18/6278 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Artikel 3

Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung

Dem § 13 Absatz 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S 184), das zuletzt
durch Artikel 2 des Gesetzes vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1922) geändert worden ist, wird folgender Satz
angefügt:

„In Verfahren über Ansprüche von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern dürfen Zivil- und Arbeitsgerichte
personenbezogene Daten des Ausländers nicht übermitteln.“

Artikel 4

Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung

Nach § 405 Absatz 6 Satz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (Artikel 1 des Geset-
zes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594, 595), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014
(BGBl. I S. 2475) geändert worden ist, wird folgender Satz eingefügt:

„In Verfahren über Ansprüche von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern dürfen Zivil- und Arbeitsgerichte
personenbezogene Daten des Ausländers nicht übermitteln.“

Artikel 5

Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung

In § 211 Satz 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (Artikel 1 des
Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Dezember
2014 (BGBl. I S. 2462) geändert worden ist, werden am Satzanfang die Wörter „Personenbezogene Daten von
vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern sowie“ eingefügt.

Artikel 6

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 29. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/6278
Begründung

A. Allgemeiner Teil

„Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von allen und
in jeder Situation respektiert werden müssen.“ Dies hat Papst Benedikt XVI in der Enzyklika Caritas in Veritate
von 2009 zutreffend festgestellt. Bereits 1995 erklärte Papst Johannes Paul II. zum Welttag der Migranten: „Der
Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit unveräußerlichen
Rechten versehen ist, die weder verletzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen.“ Diese Äußerung hat bis heute
nichts von ihrer Richtigkeit und Aktualität eingebüßt.

Bei den hier lebenden Menschen ohne Aufenthaltsstatus handelt es sich um eine äußerst heterogene Gruppe.
Manche sind ohne das erforderliche Visum nach Deutschland eingereist, andere haben trotz Ablehnung eines
Asylantrags oder nach Ablauf der Gültigkeit eines Aufenthaltstitels Deutschland nicht verlassen. Menschen ohne
Aufenthaltsstatus können auch Drittstaatsangehörige sein, die in Besitz eines Aufenthaltstitels eines anderen Mit-
gliedstaates der Europäischen Union sind und sich daher für Kurzaufenthalte nach Deutschland begeben dürfen,
dann allerdings länger als erlaubt in Deutschland bleiben. Viele Menschen ohne Aufenthaltsstatus leben seit Jah-
ren in Deutschland – unter ihnen eine große Zahl von Kindern. Dies spiegelt sich auch in konkurrierenden Be-
grifflichkeiten zur Beschreibung dieser Gruppe wieder. Dieser Gesetzentwurf hält an dem eingeführten Begriff
„Menschen ohne Aufenthaltsstatus“ fest, ohne dass dies als Ablehnung von Begriffen wie „undokumentierte Mig-
rantinnen und Migranten“, „Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität“ oder „Illegalisierte“ zu verstehen
ist.

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Leider wird auch heute der Schutz von Leib und Leben von Menschen ohne Aufenthaltsstatus zu oft beeinträch-
tigt, weil ihnen der Zugang zu grundlegenden Leistungen der Daseinsvorsorge faktisch verwehrt wird. In Deutsch-
land tragen Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten öffentlicher Stellen gegenüber den Ausländerbehörden dazu
bei, dass Menschen ohne Aufenthaltsstatus Leistungen, die ihnen nach deutschem Recht eigentlich zustehen, nicht
in Anspruch nehmen, weil sie befürchten, infolgedessen zur Ausreise aufgefordert und unter Umständen abge-
schoben zu werden. Die faktische Beeinträchtigung des Zugangs von Menschen ohne Aufenthaltsstatus zu grund-
legenden Leistungen der Daseinsvorsorge ist vor dem Hintergrund des unabhängig von migrationspolitischen
Erwägungen jedem Menschen in Deutschland zustehenden Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzmi-
nimum (BVerfG, Urt. v. 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) äußerst problematisch. Der Staat hat insbesondere
die Pflicht, das Leben und die Gesundheit aller seiner Gewalt unterliegenden Menschen zu schützen.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Wie bereits in der 17. Wahlperiode (BT-Drs. 17/6167) schlägt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine
Änderung der Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes vor, um den Kreis der unterrichtungspflichtigen Stellen auf
Behörden, die für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Strafrechts-
pflege zuständig sind, zu beschränken. Davon unberührt bleibt die zwischenbehördliche Kooperation bei der Be-
kämpfung von Schwarzarbeit. Bei der Schwarzarbeitsbekämpfung bedarf es mehr Anstrengungen und einer bes-
seren Ausstattung der zuständigen Behörden in finanzieller und personeller Hinsicht.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält an der Forderung fest, dass die humanitär motivierte Beihilfe zum
unrechtmäßigen Aufenthalt nicht strafrechtlich geahndet werden sollte. Über den Regelungsvorschlag in dem
vorbezeichneten Gesetzentwurf hinaus sollten jedoch alle ausländerrechtlichen Strafvorschriften in Hinblick da-
rauf überprüft werden, ob sie dem strafrechtlichen Ultima-Ratio-Grundsatz entsprechen oder ob nicht vielmehr
die bestehenden verwaltungsrechtlichen Instrumente zur Durchsetzung der ausländerrechtlichen Vorschriften aus-
reichen. Hinsichtlich der Regelungsvorschläge des vorbezeichneten Gesetzentwurfs zum aufenthaltsrechtlichen
Status von Opfern von Menschenhandel wird auf den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland (BT-Drs. 18/3256) verwiesen.

Drucksache 18/6278 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

III. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht

Die vorgeschlagenen Regelungen tragen zur Verwirklichung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrt-
heit bzw. Gesundheit (Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion, Artikel 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Sozialpakt), des
Rechts auf Bildung (Artikel 13 des Sozialpaktes), der Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes (Artikel 19 Ab-
satz 4 des Grundgesetzes, Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Artikel 14 des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte), des Rechts jedes Kindes auf Eintragung seiner Geburt und eine
Identität (Artikel 7 und 8 der UN-Kinderrechtskonvention), der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls
(Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention) und des Sozialstaatsprinzips (Artikel 20 Absatz 1 des Grund-
gesetzes) bei. Eine Pflicht zur Regelung umfassender Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten gegenüber den
Ausländerbehörden ergibt sich nicht aus höherrangigem Recht. Vielmehr ergeben sich aus datenschutzrechtlichen
Vorgaben des Rechts der Europäischen Union Schranken für eine solche Regelung.

Einige Regelungsvorschläge dienen darüber hinaus der Umsetzung der Vorgaben von Artikel 6 Absatz 2 der
Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für
Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmä-
ßigen Aufenthalt beschäftigen.

IV. Gesetzesfolgen

Durch die erleichterte Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen insbesondere im Bereich Gesundheit und Bil-
dung entstehen den öffentlichen Leistungsträgern Kosten. Der Kostenumfang ist angesichts der unbekannten Zahl
potenzieller Leistungsempfänger nicht prognostizierbar. Der erleichterte Zugang zu den Arbeitsgerichten lässt
hingegen eine Abnahme der Schwarzarbeit und einen entsprechenden Anstieg des Sozialversicherungsbeitrags-
und Steueraufkommens erwarten.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (AufenthG)

Zu Nummer 1 (§ 87)

Zu Buchstaben a und b (Absatz 1 und 2)

Der Gesetzentwurf begrenzt die Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten gemäß § 87 des Aufenthaltsgesetzes
auf Behörden, die für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Strafrechts-
pflege zuständig sind. Dadurch soll insbesondere öffentlichen Stellen, deren Kernaufgabe die Gewährung sozialer
Rechte ist, die Datenübermittlung untersagt werden, denn die Übermittlung der personenbezogenen Daten von
Menschen ohne Aufenthaltsstatus steht der Erfüllung ihrer Aufgaben entgegen. Da jede Übermittlung personen-
bezogener Daten aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einer Rechtsgrundlage bedarf (vgl.
BT-Drs. 18/4886, S. 3), wird durch die Neuregelung die Datenübermittlung verhindert.

Dies ist insbesondere für den effektiven Zugang zur medizinischen Versorgung relevant. Aus Ziffer 88.2.4.0. der
allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz ergibt sich zwar ein verlängerter Geheimnisschutz, der
es auch jetzt schon Krankenhäusern und den Abrechnungsstellen der Sozialämter untersagt, personenbezogene
Patientendaten an die Ausländerbehörden weiterzugeben. Die vorgeschlagene Neuregelung würde dies jedoch
auch ausdrücklich im Gesetz verankern und dadurch den Schutz von Patienten bundesweit einheitlich und rechts-
sicher ausgestalten. Damit dürften die Betroffenen nicht mehr veranlasst sein, auf die Inanspruchnahme notwen-
diger präventiver und therapeutischer Maßnahmen zu verzichten, auf die sie gemäß § 1 Nr. 5 des Asylbewerber-
leitungsgesetzes einen Anspruch haben. So kann oftmals ein schwerer und langer Krankheitsverlauf, die Chroni-
fizierung der Beschwerden und die damit einhergehende Verursachung höherer Kosten verhindert werden.

Gleiches gilt in Hinblick auf die effektive Gewährleistung der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes.
Bislang sehen Menschen ohne Aufenthaltsstatus oftmals von der Durchsetzung schadensersatzrechtlicher, arbeits-
vertraglicher oder sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ab, weil sie zu Recht befürchten, dass im laufenden
Verfahren ihr Aufenthalt den Ausländerbehörden mitgeteilt wird. Durch die Änderung wird ihre Position etwa

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/6278
gegenüber ausbeuterischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gestärkt. Dies dient auch dem Interesse der Ge-
samtheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften und der Ver-
hinderung von wettbewerbsverzerrenden Ausbeutungsverhältnissen.

Durch die Änderung wird ebenfalls gewährleistet, dass jedes Kind entsprechend der Vorgaben der Kinderrechts-
konvention eine Geburtsurkunde erhält, ohne die Abschiebung befürchten zu müssen. Die bisherige Praxis der
Standesämter ist bei der Ausstellung von Geburtsurkunden nicht einheitlich.

Zu Buchstabe c (Absatz 3)

Die eigenständige Regelung einer besonderen Übermittlungspflicht der Auslandsvertretungen ist erforderlich, da
es sich hierbei nicht um Behörden handelt, die für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung oder die Strafrechtpflege zuständig sind. Die Auslandsvertretungen sind jedoch auch nicht im Bereich
der Daseinsvorsorge tätig, sodass Erwägungen zur tatsächlichen Gewährleistung sozialer Menschenrechte der
Übermittlungspflicht nicht entgegenstehen.

Zu Buchstabe d (Absatz 6)

Die Mitteilungspflicht ist aufzuheben, da sie sich nur auf die Fälle der behördlichen Vaterschaftsanfechtung be-
zieht. Die Rechtsgrundlage der behördlichen Vaterschaftsanfechtung wurde jedoch vom Bundesverfassungsge-
richt für nichtig erklärt (BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013, 1 BvL 6/10).

Zu Nummer 2 (§ 88)

Folgeänderung zu Nummer 1.

Zu Nummer 3 (§ 99)

Mit dieser Folgeänderung zu Nummer 1 geht der Auftrag an den Verordnungsgeber einher, die Aufenthaltsver-
ordnung den geänderten Vorgaben in der zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage anzupassen.

Zu Artikel 2 (AsylbLG)

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält an der Forderung nach einer Aufhebung des Asylbewerberleis-
tungsgesetzes fest, da dieses Gesetz diskriminierende Wirkungen entfaltet, die zu dem in der Menschenwürde
wurzelnden Grundrecht auf ein Existenzminimum und dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes in einem un-
auflösbarem Spannungsverhältnis stehen. Mit der Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes würden die
Leistungsberechtigten nach diesem Gesetz in die Regelsysteme der sozialen Sicherheit eingegliedert. Solange die
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht erreicht wird, gilt es gesetzesimmanent die unerträglichsten
Regelungen dieses Gesetzes zu beseitigen. Dafür setzt sich die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch mit
diesem Gesetzentwurf ein.

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird den Sozialämtern untersagt, personenbezogene Daten von Menschen
ohne Aufenthaltsstatus, die Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4) oder sonstige Leistun-
gen, die im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich bzw. zur Deckung
besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sind (§ 6), in Anspruch nehmen, an die Ausländerbehörde zu über-
mitteln. Menschen ohne Aufenthaltsstatus und ihre Familienangehörigen sind leistungsberechtigt nach § 1 Absatz
1 Nummer 5 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Inanspruchnahme der ihnen zustehenden Leistungen
wird jedoch faktisch dadurch verhindert, dass das zuständige Sozialamt sie betreffende Daten an die zuständige
Ausländerbehörde übermitteln muss. Die Ausführungen zum verlängerten Geheimnisschutz in Ziffer 88.2.4.0.
der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz sind – jedenfalls nach Auffassung der Bundesre-
gierung – nicht ohne weiteres auf die Übermittlungspflicht in § 11 Absatz 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes
übertragbar (vgl. BT-Drs. 18/4886, S. 4 f.). Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur Achtung das Sozial-
staatsprinzips und des Schutzes von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit. Besonders problema-
tisch ist dies hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung, wenn kein Notfall vorliegt. Dann müssen
die Betroffenen nämlich in aller Regel vor der Behandlung beim Sozialamt die Kostenübernahme beantragen. Die
drohende Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen hält sie jedoch vor diesem Schritt oftmals ab.

Von einem sprunghaften Anstieg der Inanspruchnahme von Leistungen ist nicht auszugehen. Die Leistungsbe-
hörden sind in der Lage auf etwaige Versuche der doppelten Inanspruchnahme von Leistungen zu reagieren. Im
Bereich der Gesundheitsversorgung haben zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen seit Jahren Kon-
zepte zur Einführung eines anonymen Krankenscheins entwickelt, die mittlerweile auch von den Ländern (z. B.

Drucksache 18/6278 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Niedersachsen) aufgegriffen wurden. In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind vergleichbare Kon-
zepte seit Jahren erprobt, sodass Erfahrungen aus diesen Staaten auch in Deutschland fruchtbar gemacht werden
können (vgl. zur „Aide médicale de l’État“ gemäß article L251-1 du Code de l’action sociale et des familles in
Frankreich: http://vosdroits.service-public.fr/particuliers/F3079.xhtml, Stand 10.06.2015).

Zu Artikel 3 (SchwarzArbG)

Mit der Änderung wird den Zivil- und Arbeitsgerichten die Übermittlung personenbezogener Daten von Men-
schen ohne Aufenthaltsstatus in Verfahren, die ihre Ansprüche betreffen, untersagt. Die bestehende Übermitt-
lungsbefugnis hält die Betroffenen davon ab, Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis oder anderweitige zivil-
rechtliche Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Daraus entstehen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, aber
auch im Rahmen von Mietverhältnissen, Anreize für die Ausbeutung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Aus-
beutung wirkt sich letztendlich nachteilig auf das gesamtgesellschaftliche Gefüge aus, insbesondere auf die Situ-
ation der Arbeitnehmerschaft. Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein Lohnanspruch aus einem Arbeitsver-
hältnis unabhängig davon ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet war bzw. ist. Auch zivilrechtliche
Ansprüche entstehen unabhängig von dem Aufenthaltsstatus einer Person. Nach Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie
2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen
und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen
(„Sanktionsrichtlinie“) müssen die Mitgliedstaaten wirksame Verfahren für die Geltendmachung von Lohnan-
sprüchen durch Menschen ohne Aufenthaltsstatus sicherstellen. Die bestehende Übermittlungsbefugnis der Ar-
beitsgerichte steht der Wirksamkeit des arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes entgegen und soll daher beseitigt
werden.

Die zwischenbehördliche Kooperation bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit bleibt von dieser Regelung unbe-
rührt. Insbesondere werden die Aufgaben und Befugnisse der Behörden der Zollverwaltung, der Staatsanwalt-
schaften und der Strafgerichte nicht tangiert. Eine wirksame Schwarzarbeitsbekämpfung setzt jedoch voraus, dass
die zuständigen Behörden in finanzieller und personeller Hinsicht besser ausgestattet werden. Dafür haben der
Bund und die Länder Sorge zu tragen.

Zu Artikel 4 (SGB III)

Mit der Änderung wird den Zivil- und Arbeitsgerichten die Übermittlung personenbezogener Daten von Men-
schen ohne Aufenthaltsstatus in Verfahren, die ihre Ansprüche betreffen, untersagt. Die bestehende Übermitt-
lungsbefugnis hält die Betroffenen davon ab, Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis oder anderweitige zivil-
rechtliche Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Daraus entstehen Anreize für die Ausbeutung von Menschen
ohne Aufenthaltsstatus, die sich nachteilig auf das gesamtgesellschaftliche Gefüge auswirken. Auch diese Rege-
lung dient der Umsetzung der Vorgaben von Artikel 6 Absatz 2 der Sanktionsrichtlinie.

Zu Artikel 5 (SGB VII)

Mit der Änderung wird die Übermittlungspflicht der Unfallversicherungsträger eingeschränkt. Beschäftigte ge-
nießen nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 SGB VII den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, unabhängig davon,
ob ihr Aufenthalt und ihre Beschäftigung in Deutschland erlaubt sind. Auch andere Personen wie Kinder während
des Besuchs von Tageseinrichtungen, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende werden von dem Versiche-
rungsschutz erfasst. Dadurch werden nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Allgemeinheit geschützt.
Es ist sachgerecht zu gewährleisten, dass die Ausländerbehörden im Versicherungsfall nicht vom Aufenthalt von
Menschen ohne Aufenthaltsstatus Kenntnis erlangen, da ansonsten als mittelbare Folge der Inanspruchnahme
sozialer Menschenrechte die Einleitung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen droht.

Zu Artikel 6

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.