BT-Drucksache 18/4418

Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt

Vom 24. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4418
18. Wahlperiode 24.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Norbert Müller (Potsdam), Klaus Ernst, Sigrid
Hupach, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Susanna
Karawanskij, Katja Kipping, Thomas Lutze, Cornelia Möhring, Thomas Nord,
Harald Petzold, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Petra Sitte, Azize Tank,
Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Dr. Sahra Wagenknecht, Harald Weinberg, Katrin
Werner, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Beschäftigte im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienhilfe, der früh-
kindlichen Bildung und Betreuung und in anderen sozialen Berufen arbeiten unter
schwierigen Beschäftigungsbedingungen und oft mit niedrigem Einkommen. Ihre
Arbeit mit Menschen erfordert ein hohes Wissen und großes Verantwortungsbe-
wusstsein. Sie ist für die Menschen die sie betreuen sowie unterstützen und für die
Gesellschaft unverzichtbar. Ihre Arbeit bedarf durch die Gesellschaft einer deutlich
höheren Wertschätzung. Die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, sind regelmäßig
geprägt durch enorme Belastungen und ein verdichtetes Arbeitsfeld mit der Folge
von Überstunden und Erkrankungen. Die Arbeit wird unterdurchschnittlich bezahlt
und vermehrt in Teilzeit und Befristungen organisiert, zusehends aber auch über
Minijobs, Leiharbeit und Werkverträge. Es besteht dringender Handlungsbedarf,
sollen gravierende Nachteile für die Beschäftigten und die betreuten, oft jungen
Menschen vermieden werden.

Verbesserte Arbeitsbedingungen sind die Grundlage für eine qualitativ hochwertige
soziale Infrastruktur und gute Kinderbetreuung. Seit Beginn des Kitaausbaus warnen
Akteure und Experten und Expertinnen vor einem Fachkräftemangel und einer zu-
nehmenden Belastung der Beschäftigten und mahnen einen Qualitätsausbau in der
Kinderbetreuung an. Obwohl in den vergangenen Jahren vermehrt junge Menschen
eine Erzieher- bzw. und Erzieherinnenausbildung absolviert haben, steigt das Durch-
schnittsalter des Betreuungspersonals. Arbeitsunfälle und psychische Erkrankungen
nehmen zu.

Ein Baustein zur Verbesserung der Situation bieten die anstehenden Tarifverhand-
lungen. Dieses Jahr werden ver.di und GEW der gestiegenen Bedeutung der Sozial-
und Erziehungsberufe für unsere Gesellschaft Rechnung tragen und für eine deutli-
che Aufwertung der geleisteten Arbeit kämpfen. Bessere Bezahlung, höhere Ein-
gruppierung und zeitgemäße Tätigkeitsmerkmale sind ihre Kernforderungen. Neben

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der Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe steht die ungelöste Frage der Hö-
hergruppierung im Zentrum der diesjährigen Tarifrunde. Das gilt für Erzieher und
Erzieherinnen, Kinderpfleger und Kinderpflegerinnen, Sozialassistenten und Sozial-
assistentinnen, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagogen und Sozial-
pädagoginnen, Heilerziehungspfleger und Heilerziehungspflegerinnen sowie für Be-
schäftigte im handwerklichen Erziehungsdienst, in der Behindertenhilfe und für
Heilpädagogen und Heilpädagoginnen. Für den Bereich der Kinderbetreuung ist ein
Kitaqualitätsgesetz ein weiterer wesentlicher Baustein. Der Handlungsbedarf dies-
bezüglich wurde auf einer Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend des Deutschen Bundestages auf seiner 20. Sitzung am 10. November
2014 von zahlreichen Sachverständigen bestätigt.

Erziehungs- und Sozialarbeit wird in dieser reichen Gesellschaft unterbewertet. Die
aktuelle Tarifrunde ist nicht nur ein Kampf für bessere Jobs, sondern setzt auch die
notwendige Aufwertung von bisher weiblich geprägter Arbeit im sozialen Bereich
und in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen auf die Tagesordnung. Gut
funktionierende öffentliche Dienstleistungen sind für eine soziale Gesellschaft es-
sentiell und gute Arbeit hat ihren Preis.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen, die eine Aufwertung der Berufe in den So-
zial- und Erziehungsdiensten unterstützt:

1. Es sind Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu schaffen, dazu ist es dringend
notwendig,
dass das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« ab dem ersten Einsatz-

tag ohne Ausnahme bei der Leiharbeit gesetzlich festgehalten – dies jenseits
eines Flexibilisierungszuschlages von 10 Prozent – und die Einschränkung
von Lohndumping durch die bisherige Vergabepraxis von Werkverträgen
gesetzlich ausgeschlossen wird,

dass die Eindämmung von unfreiwilliger Teilzeitarbeit und die Abschaffung
von sachgrundlosen Befristungen gesetzlich festgeschrieben wird,

dass jede Stunde Arbeit der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen
muss und so geringfügige Beschäftigung nicht weiter durch den Gesetzge-
ber subventioniert werden darf.

2. Es sind Rahmenbedingungen zur Steigerung der Qualität der Arbeit zu definie-
ren, dazu ist es dringend notwendig,
den Betreuungsschlüssel, Fallzahlobergrenzen etc. so anzupassen, dass Ar-

beit in den Bereichen der Sozial- und Erziehungsberufe nicht krank macht
und Erwerbsminderungsrenten eingedämmt werden,

eine Anti-Stress-Verordnung vorzulegen, die Merkmale von kurz- und lang-
fristigen Stressebenen der psychischen Belastungen in sozialer Dienstleis-
tungsarbeit berücksichtigt,

dass die am 29. Oktober 2014 vom Bundeskabinett beschlossene Änderung
der Arbeitsstättenverordnung zur Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit
der Beschäftigten sowie die menschengerechte Gestaltung der Arbeit beim
Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten und der Gesundheitsschutz von
Beschäftigten umgesetzt wird.

3. Einen Kitaqualitätsgesetzentwurf in Zusammenarbeit mit einer einzurichtenden
Sachverständigenkommission bestehend insbesondere aus Vertreterinnen und
Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen, Jugendämtern, Wissenschaft, der
Eltern, Kinderrechtsexpertinnen und -experten, Trägern der Kindertageseinrich-

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tungen und Gewerkschaften zu erarbeiten, in dem verbindliche Mindestquali-
tätsstandards für die öffentliche Kindertagesbetreuung festgelegt werden. Even-
tuell bereits bestehende höhere Standards dürfen damit nicht zur Disposition
gestellt werden. Ebenso ist ein Gestaltungsspielraum für die öffentlichen Träger
der Kinder- und Jugendhilfe zu sichern, der den regionalen Besonderheiten und
Anforderungen Rechnung trägt. Der Geltungsbereich des Gesetzes soll Kinder-
tageseinrichtungen und Kindertagespflege umfassen und die jeweiligen Beson-
derheiten berücksichtigen. Qualitätskriterien sind im Bereich der Beschäftigten
insbesondere für folgende Bereiche zu entwickeln und festzuschreiben:
Fachkraft-Kind-Relation,
Kompetenzprofile, Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung der

Fachkräfte,
Zeit für Vor- und Nachbereitung, Zeit für Führungsaufgaben,
Raumgrößen, Ausstattung und Freiflächen,
Attraktivität des Berufsfeldes, Arbeitsbedingungen und Prävention.

Notwendig ist eine Neuregelung der Lastenverteilung der Kinderbetreuungskos-
ten zwischen Bund und Ländern, die eine stärkere Beteiligung des Bundes und
eine indirekte Entlastung der Kommunen zur Folge hat. In entsprechenden Ver-
einbarungen zwischen Bund und Ländern ist sicherzustellen, dass die Bundes-
mittel tatsächlich bei den Kommunen ankommen.

Berlin, den 24. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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