BT-Drucksache 18/3915

Für ein modernes Einwanderungsgesetz

Vom 4. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3915
18. Wahlperiode 04.02.2015
Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Kai
Gehring, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, Katja Keul, Renate Künast, Monika
Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein modernes Einwanderungsgesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gestaltung unserer Einwanderungsgesellschaft, von Einwanderung, gleichbe-
rechtigter Teilhabe und Integration aller gehört zu den großen Zukunftsaufgaben.
Darüber muss ein intensiver Diskurs geführt und ein möglichst breiter Konsens zwi-
schen den Fraktionen und allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen angestrebt
werden. Die Bundesregierung sollte daher den Austausch mit allen anderen Akteu-
ren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften, Verwaltung, gesellschaftli-
chen Gruppen, insbesondere auch aus MigrantInnenorganisationen, suchen.

Immer mehr Menschen erleben die Internationalisierung aller Bereiche des wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in ihrem Alltag, im eigenen Arbeitsleben
oder sogar im Familienleben, das sich immer häufiger über Grenzen und sogar Kon-
tinente spannt. Die rechtlichen Regelungen vieler zentraler Lebensbereiche engen
diese Lebenswirklichkeiten noch zu oft ein, statt sie zu erleichtern und zu unterstüt-
zen.

Die Bundesrepublik Deutschland braucht ein Gesetz, das Einwanderung in ihrem
wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interesse ermöglicht und zugleich ihrer
menschenrechtlichen Verantwortung gerecht wird. Dabei darf Einwanderungspoli-
tik nicht gegen das Gebot des Flüchtlingsschutzes ausgespielt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

spätestens bis Jahresende 2015 den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorzule-
gen. Dieses Gesetz soll insbesondere folgende Bereiche regeln:
1. Die Vorschriften zur Arbeitsmigration werden systematisiert, liberalisiert und

unbürokratisch ausgestaltet. Sie werden durch ein System der kriteriengesteuer-
ten Arbeitsmigration ergänzt, das nach Auswertung vergleichbarer Arbeitsmig-
rationsmodelle in anderen Staaten entwickelt wird. Auf dieser Grundlage wer-
den Bundestag und Bundesrat eine jährliche Aufnahmezahl für den Bereich der
Arbeitsmigration festlegen, um den Bedarfen des Arbeitsmarkts Rechnung zu
tragen. Zur Erarbeitung eines kriteriengesteuerten Einwanderungsmodells wird
eine Kommission einberufen, die Sachverständige aus Wissenschaft, Wirtschaft

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und Gewerkschaften, Verwaltung, gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere
auch aus MigrantInnenorganisationen, umfasst und die auch die Fraktionen des
Deutschen Bundestages beteiligt.

2. Die internationale Mobilität von Migrantinnen und Migranten wird gefördert,
indem ihnen auch nach längeren Aufenthalten im Ausland eine Wiederkehr nach
Deutschland ohne Verlust erworbener Rechtspositionen ermöglicht wird („zir-
kuläre Migration“). Die Visumsverfahren werden spürbar vereinfacht. Die Mög-
lichkeit der Geltendmachung erworbener sozialversicherungsrechtlicher An-
sprüche auch im Ausland wird ausgebaut („Portabilität“).

3. Grund- und menschenrechtliche Schutzpositionen werden verwirklicht, insbe-
sondere beim Familiennachzug und auf weiteren Gebieten des Schutzes von Pri-
vat- und Familienleben. Kinder ausländischer Eltern erwerben mit Geburt im
Inland ohne weiteres die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn sich mindestens
ein Elternteil rechtmäßig in Deutschland aufhält. Damit wird die rechtliche Vo-
raussetzung für ein gleichberechtigtes Leben in Deutschland geschaffen.

4. Auch die Potenziale von Menschen, die sich bereits im Inland befinden, sollen
genutzt werden können. Sofern sie die Einwanderungskriterien erfüllen, können
insbesondere Studierende, Auszubildende, Asylbewerberinnen, Asylbewerber
und Geduldete ihren aufenthaltsrechtlichen Status wechseln („Statuswechsel“).
Ihnen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt ohne weitere Voraussetzungen eröff-
net. Dabei muss gewährleistet werden, dass dies nicht zu Beeinträchtigungen
des Flüchtlingsschutzes führt.

5. Integration und Partizipation werden durch den Ausbau der Integrationskurse
und berufsbezogenen Deutschkurse sowie der Angebote zur Qualifizierung und
Weiterbildung gefördert. Zu den Voraussetzungen für ein gleichberechtigtes Le-
ben in Deutschland gehört der diskriminierungsfreie Zugang zu guter Bildung.
Die Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse wird, auch in
Zusammenarbeit mit den Ländern, entbürokratisiert, beschleunigt und verein-
facht. Dort wo Nachqualifizierungen notwendig sind, müssen hinreichende An-
gebote zur Verfügung stehen und deren Finanzierung gesichert werden. Der
Schutz vor Diskriminierung insbesondere bei der Ausbildung und in der Arbeits-
welt wird intensiviert. Die Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung
wird für alle in Deutschland lebenden Menschen ermöglicht. Die Einbürgerung
wird erleichtert und Mehrstaatigkeit wird generell zugelassen.

Berlin, den 3. Februar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

In der politischen Debatte mehren sich die Stimmen für ein Einwanderungsgesetz. Sie kommen aus allen Frak-
tionen des Deutschen Bundestages. Dieser Antrag will dazu einladen, die Diskussion über ein zukunftsfähiges
Konzept für Einwanderung, Integration und Partizipation gemeinsam zu führen und dazu auch einen breiten
gesellschaftlichen Diskurs zu initiieren.

Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und zahlreiche Forschungsinstitute fordern seit langem ein kriterienge-
stütztes Einwanderungsrecht, ebenso wie Expertengremien wie die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“

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(„Süssmuth-Kommission“), der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration sowie
die parteiübergreifend zusammengesetzte „Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung“.

Ohne kompensatorische Maßnahmen wird nicht nur die allgemeine Bevölkerungszahl in Deutschland signifi-
kant sinken, sondern auch die Zahl derjenigen Menschen, die in der Lage sind, Sozialversicherungsbeiträge zu
entrichten. Neben der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren, der Förderung und Qualifi-
zierung von Arbeitslosen, einer familien- und kinderfreundlichen Politik, der Förderung einer lebenslangen
Bildungsbeteiligung und der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen für Menschen, die schon in
Deutschland leben, kann die gezielte Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften einen Beitrag zur Abmil-
derung der Folgen des absehbaren Alterungsprozesses unserer Gesellschaft leisten.

Ein kriteriengesteuertes Einwanderungsmodell soll sich nicht allein an formalen Berufsqualifikationen orien-
tieren, sondern muss tatsächliche Fähigkeiten und Erfahrungen sowie soziale Kompetenzen berücksichtigen
und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Über eine Verknüpfung der Variablen „Berufsqualifikation“ und
„Herkunftsland“ kann das Recht der Herkunftsländer auf Wahrung ihrer Entwicklungschancen berücksichtigt
werden, indem vermieden wird, dass durch eine aktive Einwanderungspolitik – ohne Rücksicht auf das Gebot
der Nachhaltigkeit – Fachkräfte aus Entwicklungsländern massiv abgeworben werden.

Den Belangen der Herkunftsländer kann auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die freiwillige Wei-
terwanderung, Rückkehr und Wiederkehr nach Deutschland erleichtert wird, beispielsweise dadurch, dass ein-
mal erlangte aufenthaltsrechtliche Rechtspositionen auch bei längeren Aufenthalten außerhalb der Bundesre-
publik Deutschland nicht verloren gehen. So können Fachkräfte, die nach Deutschland kommen, einen Beitrag
zur hiesigen Gesellschaft und Wirtschaft leisten, aber zugleich Erfahrungen sammeln, die sie nach einer ge-
wissen Zeit an anderer Stelle – etwa auch im Herkunftsland – wieder einbringen können. Visumsverfahren
werden vereinfacht und beschleunigt. Attraktiver wird die dadurch ermöglichte internationale Mobilität durch
einen Ausbau der Portabilität sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche.

Weil hier gesamtgesellschaftliche Anliegen verhandelt und operationalisiert werden sollen, ist es notwendig,
dass über die Einführung und Umsetzung eines kriteriengesteuerten Einwanderungsmodells nicht allein die
Exekutive (Regierung und Verwaltung) entscheidet, sondern dass dies in einem transparenten Verfahren in
Bundestag und Bundesrat offen diskutiert und entschieden wird.

Dabei dürfen arbeitsmarktpolitische Interessen nicht gegen das Gebot des Flüchtlingsschutzes und die Einhal-
tung humanitärer Verpflichtungen ausgespielt werden. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen dürfen wirtschaft-
liche Gesichtspunkte keine Rolle spielen. Dies schließt aber nicht aus, dass die gesellschaftliche, berufliche
und wirtschaftliche Integration von Asylsuchenden und Geduldeten ermöglicht und vereinfacht wird. Es liegt
gleichermaßen im Interesse der Asylsuchenden und Geduldeten wie der Gesamtgesellschaft, ihren Zugang zum
Arbeitsmarkt zu erweitern.

Auch die Ermöglichung eines aufenthaltsrechtlichen Statuswechsels in den Fällen, in denen die Voraussetzun-
gen für die Erteilung anderer Aufenthaltstitel erfüllt sind, liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse, da auf
diese Weise die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt reibungsloser gelingen kann. Dies gilt für alle
Menschen, denen der Statuswechsel bislang verwehrt oder nur schwer möglich ist, so Studierende, Auszubil-
dende, Asylsuchende und Geduldete. Dabei muss gewährleistet werden, dass ein Statuswechsel nicht zur Be-
einträchtigung des Schutzes führt, auf den etwa Flüchtlinge Anspruch haben. Nicht abgeschlossene Asylver-
fahren sollen daher während der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels, der aufgrund eines Statuswechsels er-
teilt wird, ruhen und uneingeschränkt weitergeführt werden können, falls die Voraussetzungen des anderen
Aufenthaltstitels wegfallen.

Zur Einwanderungspolitik gehört auch ein breiter Diskurs, wie das Zusammenleben in Deutschlands vielfälti-
ger Gesellschaft gemeinsam gestaltet wird. Integration und Partizipation der hier lebenden Menschen muss
ermöglicht und gefördert werden. Zu den Voraussetzungen für ein gleichberechtigtes Leben in Deutschland
gehört unter anderem der diskriminierungsfreie Zugang zu guter Bildung, unabhängig vom Zeitpunkt der An-
kunft in Deutschland. Dafür müssen flächendeckende Sprachbildungsangebote von der frühkindlichen Bildung
über die Schule bis in die Ausbildung geschaffen werden. Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, Geduldeten
sowie Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern sollte ein Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs
(Sprach- und Orientierungskurs) eingeräumt werden. Die Integration in den Arbeitsmarkt sollte durch die Ver-
einfachung der Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse und die Beschleunigung der An-
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

Drucksache 18/3915 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
erkennungsverfahren sowie den Ausbau von Angeboten der Qualifizierung und Weiterbildung erleichtert wer-
den. Die Anerkennungsbehörden sollten personell besser ausgestattet und die Gebühren für Anerkennungsver-
fahren sozialverträglich reduziert und bundesweit vereinheitlicht werden. Stipendienprogramme für internati-
onale Studierende und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sollten ausgeweitet und die
Rechtssicherheit für internationale Studierende beim Zugang zu Hochschulen hierzulande erhöht werden. Maß-
nahmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte insbesondere bei Ausbildung und
Berufszugang sollten intensiviert werden.

Hinsichtlich des Familiennachzugs sowie zum Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer hat die
Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits Gesetzentwürfe vorgelegt (Bundestagsdrucksachen
18/3268, 18/2088).

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