BT-Drucksache 18/13392

Bekämpfung von Schleusern vor der libyschen Küste und die Rolle der libyschen Küstenwache

Vom 21. August 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13392
18. Wahlperiode 21.08.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Dr. Franziska Brantner,
Luise Amtsberg, Dr. Frithjof Schmidt, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck (Bremen), Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner,
Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Jürgen Trittin,
Doris Wagner, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Irene Mihalic,
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bekämpfung von Schleusern vor der libyschen Küste und die Rolle der libyschen
Küstenwache

Die Europäische Union versucht mit der Mission EUNAVFOR MED, die Tätig-
keit von Schleusern zu bekämpfen, die von Libyen aus operieren.
Dennoch steigt die Zahl der Menschen, die mit Schleppern das Mittelmeer über-
queren stetig an, um 14 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2017 im Vergleich zum
Vorjahr (vgl. Report von Amnesty International „A perfect storm“). Nur im Juli
2017 war ein Rückgang zu verzeichnen.
Um die Arbeit der Operation EUNAVFOR MED zu effektivieren, wurde deren
Operationsgebiet nunmehr auch auf die libyschen Küstengewässer ausgeweitet.
Ergänzend dazu hat Italien nunmehr eine eigenständige Unterstützungsmission,
die nicht nur in libyschen Territorialgewässern, sondern auch bereits an Land ope-
rieren soll (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/italiens-marine-kaempft-in-libyen-
gegen-schleuser-15134024.html).
Richtig ist: Insgesamt wurden durch Einheiten der Operation EUNAVFOR MED
in über 250 Einsätzen mehr als 39 000 Menschen aus Seenot gerettet – davon
mehr als die Hälfte (nämlich über 21 000 Menschen) durch Schiffe der Bundes-
wehr (www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/start/aktuelle_einsaetze/
eunavformed/dereinsatzimmittelmeer/!ut/p/z1/).
Richtig ist aber auch, dass aktuell nur noch 15 Prozent der Bootsflüchtlinge von
Schiffen der Operation EUNAVFOR MED bzw. von Frontex aufgenommen wer-
den – genauso viele, wie von privaten Handelsschiffen – während der Großteil
(70 Prozent) – zu gleichen Teilen – inzwischen von der italienische Küstenwache
und Marine bzw. von humanitären Organisationen gerettet werden (Die Welt,
3. Juli 2017).
Der Ausbau von zivilen Kapazitäten der Seenotrettung ist daher dringend erfor-
derlich. Die weitgehend unwirksame und riskante militärische Schlepperbekämp-
fung ist jedoch der Kernauftrag von EUNAVFOR MED. Dem Problem der
Schlepperkriminalität, die nach Angaben der Bundesregierung „schwerpunktmä-
ßig an Land“ operiert (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11102, Antwort zu
Frage 1), ist dadurch nicht beizukommen.

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Zudem gelingt die Strafverfolgung von Schleppern – aufgrund mangelnder Kennt-
nisse und Ausrüstung der Strafverfolger – nur selten, wie jüngst der Fall eines
vermeintlichen eritreischen Schleppers in Italien zeigt (vgl. „How not to solve the
refugee crisis“, THE NEW YORKER vom 31. Juli 2017).
Ein weiterer Teil der Militärmission EUNAVFOR MED ist auch die Ausbildung
der libyschen Küstenwache, die selbst gegen Schlepper vorgehen soll. Es liegen
aber Berichte vor, dass die libysche Küstenwache sich nicht an die Regeln des
internationalen Seerechts hält und aggressiv gegen Flüchtlingsboote vorgeht. So
gibt es Berichte über gefährliche Abdrängmanöver gegen Flüchtlingsboote und
den Gebrauch von Schusswaffen gegen Geflüchtete (vgl. „Gegen die Helfer zu
Wasser und an Land“, DER TAGESSPIEGEL vom 11. August 2017).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie erklärt die Bundesregierung, dass immer weniger Bootsflüchtlinge von

Schiffen der „EUNAVFOR MED“-Mission bzw. von Frontex gerettet wer-
den?

2. Wäre es vor diesem Hintergrund aus Sicht der Bundesregierung nicht sach-
gerecht, die Seenotrettung als Aufgabe im Mandat EUNAVFOR MED fest-
zuschreiben, und wenn nein, warum nicht?

3. Von welchen Abschnitten der libyschen Küsten aus, legen – nach Kenntnis
der Bundesregierung – die meisten Schiffe mit Bootsflüchtlingen ab, und un-
ter wessen Kontrolle liegen diese Abschnitte?

4. Wie sehen die Regelungen im neuen EU-Mandat der Operation EUNAVFOR
MED aus, wie mit Bootsflüchtlingen verfahren werden soll, die im Rahmen
dieser Mission in libyschen Küstengewässern aus Seenot gerettet werden?
a) Dürfen diese durch die Schiffe der Operation EUNAVFOR MED auch an

der libyschen Küste an Land gesetzt werden?
b) Dürfen sie der libyschen Küstenwache übergeben werden, damit diese

Bootsflüchtlinge in einen libyschen Hafen transportiert werden oder
sind die Schiffe der Operation gehalten, diese Bootsflüchtlinge – mit
Blick auf das Non-Refoulement-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention
(GFK) – in den sicheren Hafen eines Mitgliedstaates zu fahren?

5. Inwiefern ist die jetzt begonnene italienische Militärmission, die ja auch in
libyschen Territorialgewässern sowie an Land aktiv tätig werden soll, mit
dem Vorgehen der Mission EUNAVFOR MED koordiniert, und wie sehen
hier – nach Kenntnis der Bundesregierung – die italienischen Regelungen
aus, wie mit Bootsflüchtlingen verfahren werden soll, die die italienische
Marine in libyschen Küstengewässern aus Seenot rettet?

6. Wie sieht – nach Kenntnis der Bundesregierung – der Beratungsstand inner-
halb der Europäischen Union bezüglich des Vorstoßes der damaligen malte-
sischen EU-Präsidentschaft aus, den sog. Non Refoulement-Grundsatz der
GFK künftig „unter Berücksichtigung der besonderen Krisenumstände“ vor
der libyschen Küste neu auslegen zu wollen (zit. nach: Malta Summit – Ex-
ternal aspects of migration“)?

7. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung oder nach Kenntnis
der Bundesregierung die Europäische Union jenseits der Missionen auf See
unternommen, um „das Geschäftsmodell von Schleusern zu bekämpfen“
(vgl. Antwort zu Frage 2d, Bundestagsdrucksache 18/11102)?

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8. Welche konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Fahndung nach und
Strafverfolgung von Schleppern hat die Bundesregierung alleine oder in Ver-
bund mit ihren europäischen Partnern in den letzten zwei Jahren umgesetzt,
welche Schlussfolgerung zieht sie aus den Problemen der italienischen Straf-
verfolgungsbehörden bei der Fahndung nach und Strafverfolgung von
Schleppern (vgl. „How not to solve the refugee crisis“, THE NEW YORKER
vom 31. Juli 2017), und inwiefern betrachtet sie die Verfolgung von Schlep-
pern als gesamteuropäische Aufgabe?

9. Wie misst bzw. quantifiziert die Bundesregierung die „Abschreckungs- und
Signalwirkung“ durch das Vorgehen gegen Schleuser auf See, die sie zur
Grundlage für die Bewertung der Operation EUNAVFOR MED macht
(siehe Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 18/9116), und wie beurteilt sie in diesem
Kontext die Tatsache, dass die Zahl der Mittelmeerüberquerungen trotz der
Militärmission weiter gestiegen ist?

10. Welche Kooperation findet im Einzelnen zwischen der EU-geführten
Operation EUNAVFOR MED „Sophia“ und der NATO-Operation SEA
GUARDIAN insbesondere hinsichtlich
a) der Bekämpfung des Schlepperwesens,
b) der Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen
c) und der Aufklärung der Seeräume vor und in Libyen statt?

11. An wie vielen Tagen wurden seit Beginn der NATO-Operation SEA
GUARDIAN seegehende Einheiten der Deutschen Marine in die EU-ge-
führte Operation EUNAVFOR MED „Sophia“ eingemeldet und für jeweils
welche Zeiträume unter EU-Kommando gestellt (bitte nach seegehender Ein-
heit, Operation und Dauer der jeweiligen Unterstellung aufschlüsseln)?

12. Wie wird den unterschiedlichen Einsatzregeln der EU-geführten Operation
EUNAVFOR MED „Sophia“ und der NATO-Operation SEA GUARDIAN
an Bord seegehender Einheiten im Allgemeinen bzw. Booten und Schiffen
der Deutschen Marine im Besonderen Rechnung getragen, bspw. bei der See-
raumüberwachung und der damit einhergehenden unterschiedlichen Einsatz-
gebiete?

13. Auf welche Weise hat die Europäische Union nach Kenntnis der Bundesre-
gierung vor dem Beginn des Trainingsprogramms für die libysche Küsten-
wache die politischen Netzwerke der Menschenschmuggler analysiert, um
eine ungewollte Zusammenarbeit mit ihnen durch strukturelle oder individu-
elle Verbindungen zwischen Schleusernetzwerken und der libyschen Küs-
tenwache auszuschließen?

14. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für ihre Zusammenarbeit
bzw. die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der libyschen Küs-
tenwache aus den im Bericht der Vereinten Nationen (VN) zitierten Meldun-
gen, dass Angehörige der libyschen Küstenwache die von ihnen aufgegriffe-
nen Menschen in Libyen schwersten Misshandlungen aussetzen (vgl. VN-
Bericht S/2017/466, S. 41)?
a) Liegen der Bundesregierung eigene Erkenntnisse über rechtliches (Fehl-)

Verhalten der libyschen Küstenwache im Umgang mit Schutzsuchenden
bzw. mit Seenotrettungsaktivistinnen und -aktivisten vor?
Wenn ja, welche?
Wenn nein, warum sieht die Bundesregierung von einer genauen Be-
obachtung des Agierens der lybischen Küstenwache ab?

Drucksache 18/13392 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für ihre Zusammenar-
beit bzw. die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der libyschen
Küstenwache aus Berichten, dass die libysche Küstenwache sich nicht an
seemännische Regeln hält, beispielsweise zu nah an Flüchtlingsboote auf-
fährt, und bereits mehrfach Schusswaffen gegen Geflüchtete eingesetzt
hat?

15. Wie genau verläuft die Auswahl der Auszubildenden der libyschen Küsten-
wache, nach welchem Standard erfolgt die Sicherheitsüberprüfung der Teil-
nehmenden, wie wird die grenzüberschreitende Abgleichung der Personen-
daten sichergestellt, und nach welchen Kriterien wird über die Aufnahmen
in die Ausbildung entschieden?
a) Inwiefern sind nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Kandidaten für

die Aufnahme in das Ausbildungsprogramm zurückgewiesen worden?
b) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die regionale und eth-

nische Herkunft der Auszubildenden vor (Antwort auf die Kleine An-
frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksa-
che 18/9116, Antworten zu den Fragen 22 bis 23)?

c) Wie viele Kandidaten waren bislang für die Ausbildung vorgesehen, und
wie viele haben die Kurse tatsächlich absolviert?

16. Mit welchen Einheiten werden nach Kenntnis der Bundesregierung Verein-
barungen über die Ausbildung getroffen, wie erklären sich die vom VN-Pa-
nel aufgezählten Ungereimtheiten in den Angaben der Europäischen Union,
und wieso wurde das Expertenpanel der VN nicht über die Ausbildung in-
formiert (vgl. VN-Bericht S/2017/466, S. 41)?

17. Inwiefern liegen der Bundesregierung Verbleibsinformationen über die Ab-
solventen der Ausbildung für die Küstenwache vor, wie viele Personen sind
nach Kenntnis der Bundesregierung nach Abschluss der Ausbildung für die
Küstenwache tätig, und welcher Tätigkeit gehen diejenigen nach, die nicht
(mehr) für die Küstenwache tätig sind?
Falls keine Informationen durch die Bundesregierung oder die Europäische
Union erhoben werden, warum wird davon im Sinne der Bewertung des Wir-
kungsgrades der Ausbildungsbemühungen abgesehen?

18. Wie stellt die Europäische Union nach Kenntnis der Bundesregierung sicher,
dass die Ausgebildeten nicht Teil der Schlepper/Schmuggler-Netzwerke
werden bzw. durch Korruption deren Arbeit ermöglichen, und wie stellt sie
sicher dass sie nicht angesichts des „Fehlen[s] eines staatlichen Gewaltmo-
nopols [welches] eine strukturelle Verflechtung von Kriminalität, regionalen
Schmuggelnetzwerken für Drogen, Waffen und Menschen sowie Terroris-
mus [begünstigt]“ anderweitig kriminellen Tätigkeiten nachgehen (Antwort
auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundes-
tagsdrucksache 18/9116, Antwort zu Frage 16)?

Berlin, den 21. August 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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