BT-Drucksache 18/12559

Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement - Gemeinnützigkeit braucht klare Regeln

Vom 31. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12559
18. Wahlperiode 31.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, Kerstin
Andreae, Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Volker Beck (Köln), Ekin
Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Dieter Janecek, Sven-Christian Kindler,
Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Tabea Rößner,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Corinna Rüffer, Elisabeth Scharfenberg,
Ulle Schauws und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement ‒ Gemeinnützigkeit
braucht klare Regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Gemeinnützigkeitsrecht bedarf der Anpassung und Modernisierung, um eine an-
gemessene Rechtssicherheit und die Gleichbehandlung verschiedener zivilgesell-
schaftlicher Akteure sicherzustellen. Der geltende rechtliche Rahmen und die wenig
konkretisierten Vorgaben zur Auslegung der Regelungen sind ursächlich dafür, dass
Akteure mit gleichen oder ähnlichen Aktivitäten in dem einen Finanzamt bzw. Bun-
desland als gemeinnützig gelten, in einem anderen hingegen nicht. Eine Ungleichbe-
handlung besteht zudem darin, dass den steuerbegünstigten Berufsverbänden die Be-
einflussung der politischen Willensbildung ohne Beschränkung erlaubt ist, während
gemeinnützige Organisationen bei politischen Äußerungen Gefahr laufen, ihren Ge-
meinnützigkeitsstatus aberkannt zu bekommen. Eine Aberkennung des Gemeinnützig-
keitsstatus vonseiten eines Finanzamts hat einschneidende Folgen, die in vielen Fällen
das Aus für eine Organisation bedeuten können. Mit einer modernen und pluralisti-
schen Gesellschaft, in der die Beteiligung aller am politischen Prozess gerade er-
wünscht ist, ist ein solches Gemeinnützigkeitsrecht nicht in Einklang zu bringen
Politische Tätigkeiten von gemeinnützigen Organisationen im Sinne der Beeinflus-
sung der politischen Willensbildung sind nach heutigem Recht dann mit dem Gemein-
nützigkeitsstatus vereinbar, „wenn eine gemeinnützige Tätigkeit nach den Verhältnis-
sen zwangsläufig mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist und die unmittelbare
Einwirkung auf die politischen Parteien und die staatliche Willensbildung gegenüber
der Förderung des gemeinnützigen Zwecks weit in den Hintergrund tritt.“ So wird es
den Steuerbehörden im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (Ziff. 15 zu § 52 AO)
vorgegeben. Eine Umsetzung dieser Vorgaben obliegt den jeweils zuständigen Finanz-
ämtern. Nicht enthalten sind qualitative oder quantitativ messbare Kriterien, an denen
sich alle Beteiligte orientieren können. Das sorgt für Rechtsunsicherheit. Die Möglich-
keit, Rechtsmittel gegen eine Entscheidung eines Finanzamts einzulegen, steht zwar
grundsätzlich jeder Organisation offen. Praktisch ist das aber nur ein Weg für Organi-
sationen, die jahrelang ohne den Status der Gemeinnützigkeit prozessieren können.

Drucksache 18/12559 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Zur Rechtsunsicherheit trägt auch der Katalog an gemeinnützigen Zwecken (§ 52 Ab-
satz 2 Abgabenordnung) bei. Viele zivilgesellschaftliche Themen werden darin nicht
berücksichtigt. Einrichtungen, die sich z. B. für Frieden, Menschenrechte und für die
Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen einsetzen, müssen sich andere Zwe-
cke aus der Abgabenordnung zu eigen machen, um als gemeinnützig anerkannt zu
werden.
Darüber hinaus stellt der Bundestag fest, dass das Informationsinteresse der Bürgerin-
nen und Bürger hinsichtlich der Tätigkeiten von gemeinnützigen Organisationen stark
zunimmt. Einheitliche und umfassende Publizitäts- und Transparenzvorschriften feh-
len bislang. Bürgerinnen und Bürger haben ein berechtigtes Interesse daran, nachzu-
vollziehen wie eine steuerbegünstigte Organisation ihre Mittel tatsächlich verwendet.
Es braucht deshalb mehr Transparenz und Publizität im gemeinnützigen Sektor, auch
um dem Anschein entgegenzutreten, gemeinnützige Organisationen könnten ihre Fi-
nanzmittel, wie z. B. entgegengenommene Spenden, missbräuchlich verwenden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1) zur Verminderung der bestehenden Rechtsunsicherheiten sicherzustellen, dass
politische Äußerungen von Vertretern gemeinnütziger Organisationen im Rah-
men des verfolgten gemeinnützigen Zweckes grundsätzlich erlaubt sind. Zudem
ist eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass bei der Mittelverwendung
eine Bagatellgrenze (prozentual und absolut) für politische Tätigkeiten im Sinne
der Beeinflussung der politischen Willensbildung festgelegt wird. Die Unterstüt-
zung von politischen Parteien bleibt weiterhin verboten;

2) den Zweckkatalog nach § 52 Abs. 2 AO grundsätzlich entsprechend der sich im
Zeitablauf gewandelten Gegebenheiten zu überarbeiten, zumindest aber um die
Zwecke der Förderung der Gleichberechtigung von Lebenspartnerschaften und
Trans- wie Intersexueller, von Frieden, Menschenrechten, Demokratie sowie
auch der Einrichtung und Unterhaltung des Freifunks (BR-Drs. 107/17) zu ergän-
zen;

3) die Bildung einer Bundesbehörde, vergleichbar mit der „Charity Commission“ in
Großbritannien, zu prüfen, die der Zivilgesellschaft beratend unter anderem bei
der Frage nach zulässigen politischen Tätigkeiten zur Seite steht, aber auch über
die An- und Aberkennung der Gemeinnützigkeit entscheidet;

4) zur weiteren Erhöhung der Transparenz und Publizität zudem eine gesetzliche
Grundlage für ein öffentlich einsehbares Gemeinnützigkeitsregister zu schaffen,
das von der neuen Bundesbehörde betrieben wird. Bestehende Selbstverpflich-
tungsinitiativen und Transparenzregelungen für den dritten Sektor sollen unter
Berücksichtigung der Größenklassen gemeinnütziger Organisationen vereinheit-
licht und um grundlegende, verpflichtende Publizitätspflichten ergänzt werden;

5) zur verbesserten Rechenschaftspflicht von zivilgesellschaftlichen Organisatio-
nen, deren Wirkungsweise und Projekten verstärkt zu erforschen, die öffentliche
Förderung an klaren und transparenten Kriterien auszurichten und sich für einen
einheitlichen EU-Rahmen für europäische Non-Profit-Organisationen einzuset-
zen;

6) Spenderinnen und Spender vor unseriösen Haus- und Straßensammlungen zu
schützen, indem gemeinsam mit den Bundesländern am Aufbau einer bürokratie-
und personalarmen Sammlungsaufsicht wie in Rheinland-Pfalz gearbeitet wird.

Berlin, den 30. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12559
Begründung

Viele gemeinnützige Organisationen in Deutschland sehen sich widersprüchlichen Entscheidungen des Finanz-
amtes ausgeliefert. Deshalb haben sich so unterschiedliche Organisationen wie „Amnesty international“, „Brot
für die Welt“, „terre des hommes“ und 60 andere in einer Allianz zusammengeschlossen, um für mehr Rechtssi-
cherheit zu werben.
Die Rechtsunsicherheit besteht für die Organisationen zum einen darin, dass sie nicht explizit politisch tätig sein
dürften. Konkret bedeutet das, dass sie auch nach sorgfältiger Überprüfung der geltenden Rechtslage nicht sicher
sein können, dass die Unterstützung einer in ihrem Satzungsbereich inhaltlich verankerten politischen Kampagne
ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht gefährdet. Nicht nur „Attac“ hat wegen dieses Vorwurfs zeitweise seine
Gemeinnützigkeit verloren, auch beispielsweise der „BUND“ in Hamburg oder die Prostituierten-Beratungsor-
ganisation „Dona Carmen“. Andere Organisationen äußern sich dagegen seit Jahren politisch, ohne dass sie mit
der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bedroht wurden. So beispielsweise die „Stiftung Familienunternehmen“,
die seit Jahren Lobbyarbeit gegen die Wiedereinführung der Vermögensteuer und gegen eine wirksame Erb-
schaftsteuer macht.
Das zweite Problem besteht darin, dass die Definition von gemeinnütziger Tätigkeit offensichtlich von Finanzamt
zu Finanzamt unterschiedlich ausgelegt wird. So wird ein Sozialkaufhaus von einem Finanzamt in Harburg prob-
lemlos als gemeinnützig anerkannt, ein anderes nur wenige Kilometer weiter dagegen nur mit Schwierigkeiten.
Für das zweite Sozialkaufhaus ist nämlich ein anderes Finanzamt zuständig. Das spricht dafür, dass die Finanz-
beamtinnen und Finanzbeamten für die Auslegung des Gemeinnützigkeitsrechtes genauere Anwendungsregeln
brauchen.
Zum dritten gibt es Zwecke, die in der Abgabenordnung noch nicht vorgesehen sind. Beispielsweise haben Ver-
eine, die sich für die Durchsetzung der Rechte und die Beratung von homo-, trans- oder intersexuellen Menschen
einsetzen, regelmäßig Schwierigkeiten mit der Anerkennung als gemeinnützig. Es hängt wieder am einzelnen
Finanzamt oder am einzelnen Finanzbeamten, ob dieser Zweck als gemeinnützig anerkannt wird, da klare Regeln
dazu in der Abgabenordnung oder im Anwendungserlass fehlen.
Die gemeinnützigen Organisationen verdienen Rechtssicherheit; sie sind ein Rückgrat des bürgerschaftlichen
Engagements in Deutschland. Es ist den Vereinen nicht zuzumuten, langjährige Prozesse auf sich zu nehmen,
um ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu klären. Die Annahme, dass politische Tätigkeit nur im Rahmen von Parteien
stattfindet, ist überholt und zudem nicht wünschenswert. Eine lebendige Zivilgesellschaft braucht unterschiedli-
che Akteure.
Neben Klarheit braucht es aber auch erweiterte Transparenz- und Publizitätsregelungen im Gemeinnützigkeits-
recht. Die gegenwärtigen Regelungen basieren hauptsächlich auf Selbstverpflichtungsinitiativen und Veröffent-
lichungspflichten gegenüber den Finanzämtern in den unterschiedlichen Bundesländern. Ein einheitliches For-
mat, wie beispielsweise in England und den USA üblich, existiert in vielen Fällen nicht, was die Vergleichbarkeit
erheblich erschwert. Der Status der Gemeinnützigkeit und der Geschäftsbericht zum Nachweis derselben sind
sowohl nicht öffentlich zugänglich als auch über die derzeit 640 Amtsgerichte in Deutschland verteilt.
Wer umfangreiche steuerliche Privilegien in Anspruch nehmen will, muss seine Gemeinnützigkeit auch nach-
weisen. Der Status der Gemeinnützigkeit sollte nicht zweckentfremdet werden können oder Missbrauch Vor-
schub leisten. Es sollte gewährleistet sein, dass weder Vereine mit großen kommerziellen Bereichen, wie der
DFB oder der ADAC, noch andere Organisationen mit überwiegend wirtschaftlichen Interessen, sich auf diese
Weise steuerliche Vorteile bzw. vorteilhafte Offenlegungspflichten sichern.
Um zu kontrollieren, dass der Gemeinnützigkeitsstatus nicht zum Steuerbetrug genutzt wird, ist ein Gemeinnüt-
zigkeitsregister ein guter Weg. Dort sollte für jeden einsehbar sein, welche Organisation als gemeinnützig aner-
kannt ist und zu welchem Zweck. Ab einer gewissen Größenordnung sollten Jahres- und Finanzberichte der
Organisationen in das Register eingestellt werden.
Das würde den Spenderinnen und Spendern mehr Information und damit mehr Sicherheit geben, wen sie mit
ihren Spenden unterstützen wollen. Spenderinnen und Spender sollten auch vor unseriösen Haus- und Straßen-
sammlungen geschützt werden. Durch den Abbau der Landessammlungsgesetze müssen diese nicht mehr ange-
meldet werden und unterliegen keiner Überprüfung. Deshalb sollte gemeinsam mit den Bundesländern am Auf-
bau einer bürokratie- und personalarmen Sammlungsaufsicht wie in Rheinland-Pfalz gearbeitet werden.

Drucksache 18/12559 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die Antrag stellende Fraktion findet es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen sich selbstständig be-
mühen, Standards zu setzen. In England beispielsweise müssen Non-Profit-Organisationen bereits standardisierte
Fragen über Sinn und Zweck ihrer Arbeit stellen und diese auf ihrer Homepage veröffentlichen. Solche Standards
zur besseren Vergleichbarkeit machen Sinn, solange sie den Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Organisati-
onen Rechnung tragen. Prominentes Beispiel wären Maßstäbe, wie sie das Deutsche Zentralinstitut für soziale
Fragen mit seinem Siegel setzt. Die Transparenz der Arbeitsweise zivilgesellschaftlicher Organisationen wäre
auch eine sinnvolle Grundlage, die Mechanismen und Wirkungsweisen im Dritten Sektor besser zu erforschen.
Auch die öffentliche Fördermittelvergabe an gemeinnützige Organisationen ist sehr undurchsichtig. Sie führt
häufig zu Fehlförderung. Um sie zu verhindern, braucht es einen verlässlichen Förderkriterienkatalog. Dieser
sollte im Dialog zwischen öffentlicher Hand und zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt werden, wie
dies beispielsweise in Schweden geschehen ist.
Damit zivilgesellschaftliche Organisationen auf europäischer Ebene kooperieren können, sollte ein einheitlicher
EU-Rahmen geschaffen werden. Der deutsche Gemeinnützigkeitsstatus ist beispielsweise ein Konzept, das auch
auf EU-Ebene Vorbildcharakter haben kann. Gleichzeitig können Transparenzvorschriften aus den Niederlanden
ein Vorbild sein. Ziel sollte es sein, europäische Non-Profit-Organisationen in einem zentralen EU-Register zu
führen.

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