BT-Drucksache 18/12543

G20-Afrikagipfel - Gleichberechtigte Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung

Vom 30. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12543
18. Wahlperiode 30.05.2017
Antrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Claudia Roth
(Augsburg), Jürgen Trittin, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen),
Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner,
Omid Nouripour, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Doris Wagner, Katharina
Dröge, Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk, Sven-Christian Kindler, Markus
Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Corinna Rüffer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

G20-Afrikagipfel – Gleichberechtigte Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vertiefung der Partnerschaft mit Afrika ist Schwerpunkt der deutschen G20-Prä-
sidentschaft 2017. Der afrikanische Nachbarkontinent ist auch im Zusammenhang mit
einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen verstärkt in den Fokus deutscher und europäi-
scher Zusammenarbeit gerückt. Nachdem die Bundesregierung den afrikanischen
Kontinent jahrelang politisch vernachlässigt hat, verfällt sie jetzt in Aktionismus: Das
Bundesfinanzministerium plant, mit einzelnen afrikanischen Staaten einen sogenann-
ten „Compact with Africa“ abzuschließen; Entwicklungsminister Müller legte Anfang
2017 seinen „Marshallplan mit Afrika“ vor; und nun möchte auch Wirtschaftsministe-
rin Zypries mit der Initiative „Pro! Afrika“ wirtschaftliches Engagement fördern. Auf
dem Papier setzt die Bundesregierung ambitionierte Ziele, doch der gewählte Weg ist
meist falsch. Vor allem die Compacts setzen auf Konzepte, die sich in der Vergangen-
heit bereits als problematisch erwiesen haben, wie etwa Public Private Partnerships,
die hauptsächlich zu Gunsten privater Investoren gestaltet sind. Insgesamt berücksich-
tigt der Compact, abgesehen von allgemeinen Hinweisen zur Agenda 2030, weder
Nachhaltigkeits- noch Menschenrechtsprinzipien.
Am 12. und 13. Juni 2017 findet nun die G20-Afrikakonferenz in Berlin statt, bei der
die Bundesregierung die Förderungen privater Investitionen insbesondere im Bereich
der Infrastruktur ins Zentrum stellt. Zwar können und sollen private Investitionen ei-
nen bedeutenden Beitrag für Entwicklung leisten, doch wirken diese nicht per se im
Sinne nachhaltiger Entwicklung. Im Gegenteil: Die „Compacts with Africa“ drohen
vielmehr, Investitionsabkommen nur mit einzelnen afrikanischen Ländern zu forcie-
ren, eine Deregulierung zu Gunsten von Investoreninteressen sowie die Privatisierung
öffentlicher Infrastruktur voranzutreiben und „investitionsfreundliche“ Steuersysteme
zu fördern, die den Spielraum afrikanischer Länder zum berechtigten Schutz eigener
Wirtschaftsentwicklung zusätzlich einschränken würden. Die Vergangenheit hat ge-
zeigt: Nur mit verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien sowie

Drucksache 18/12543 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Transparenz und ausreichend Kontrollmechanismen können private Investitionen zu
einer verantwortungsvollen Afrikapolitik beitragen. Das gilt auch im Rahmen der G20.
Die nachhaltige Entwicklung in den Ländern des afrikanischen Kontinents beginnt in
den Mitgliedstaaten der G20. Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten müssen
vorangehen und eine umfassende Entwicklungs- und Klimafinanzierung, die Erhö-
hung der humanitären Hilfe und Reformen bei der Finanz- und Steuerpolitik, Handel
und Landwirtschaft sowie eine ambitionierte Agenda für Klima- und Umweltschutz
auf den Weg bringen. Die zahlreichen Konzepte der Bundesregierung haben demge-
genüber eines gemeinsam: Ihnen fehlen finanzielle Ressourcen und der politische
Wille. Die Afrikapolitik der Bundesregierung argumentiert an den Menschenrechten
und einer nachhaltigen Entwicklung vorbei, während unsere eigene Politik auch wei-
terhin zu Ungleichheit, Armut und Raubbau an der Natur im Globalen Süden beitra-
gen. Es steht zu befürchten, dass der G20-Afrikagipfel in dieser Hinsicht keinen Kurs-
wechsel einleiten wird.
Durch Steuer- und Kapitalflucht multinationaler Konzerne geht Afrika deutlich mehr
Geld verloren, als über Entwicklungsgelder zur Verfügung gestellt wird. Daher muss
die G20 endlich die aggressive Steuergestaltung und in der Folge die Steuervermei-
dung multinationaler Konzerne konsequent bekämpfen und umfassende Transparenz
schaffen. Denn die negativen Folgen für die afrikanischen Staaten sind enorm. Die
Schuldenlast afrikanischer Staaten ist erdrückend und lässt ihnen immer weniger
Spielraum für eine nachhaltige und entwicklungsorientierte Haushaltspolitik, insbe-
sondere für die Finanzierung von Investitionen in grüne Infrastruktur. Die nötige Etab-
lierung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens wird zudem von einigen G20-
Mitgliedstaaten blockiert. Geier-Fonds konterkarieren jede Verhandlungslösung und
treiben Staaten in die Pleite. Ein Schuldenerlass kann vor diesem Hintergrund ein pro-
bates Mittel sein, um eine nachhaltige Finanzierung von afrikanischen Staaten zu ge-
währleisten.
Die Hungersnot in weiten Teilen Subsahara-Afrikas ist nicht nur durch andauernde
Konflikte bedingt, sondern verdeutlicht auch, wie anfällig die afrikanische Landwirt-
schaft gegenüber den Folgen des Klimawandels ist. Das verdeutlicht einmal mehr die
Notwendigkeit, eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft in Afrika zu fördern, die
diesen Herausforderungen gewachsen ist. Schädliche Subventionen behindern diese
Entwicklung, während die Exporte der europäischen Agrarindustrie die afrikanischen
Märkte bedrohen. Partnerschaft mit den Ländern des afrikanischen Kontinentes bedeu-
tet nicht zuletzt, die Folgen der Konsum- und Wirtschaftsweise der G20 zu hinterfra-
gen und negativen Auswirkungen, wie in der Agrar- und Handelspolitik, entgegenzu-
wirken. Angesichts der drängenden humanitären Notlagen in weiten Teilen des afrika-
nischen Kontinents gehört auch die Finanzierung humanitärer Hilfsbedarfe der VN auf
die Agenda der G20. Im Jahr 2017 werden weltweit über 20 Milliarden Euro für hu-
manitäre Hilfe benötigt, so viel wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Statt in
Aufrüstung zu investieren, müssen die Bundesregierung und die Länder der G20 ihrer
humanitären Verantwortung für den afrikanischen Kontinent nachkommen.
Gemeinsam mit afrikanischen Partnerinnen und Partnern und unter Respektierung re-
gionaler Wirtschaftsstrukturen gilt es, einen inklusiven, diversifizierten Privatsektor
zu fördern, der Wertschöpfung und menschenwürdige Arbeitsplätze vor Ort schafft.
Hier steht die G20 mit ihrer Wirtschaftsmacht in der Pflicht.
Die stark vernachlässigten ärmsten Länder und fragilen Staaten drohen, noch weiter
marginalisiert zu werden. Die Bundesregierung hat es bis heute nicht geschafft, die
zugesagten 0,2 % des Bruttonationaleinkommens für die am wenigsten entwickelten
Länder zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil: Der deutsche ODA-Anteil an die Län-
der mittleren Einkommens stieg im Vergleich zu den ärmsten Staaten in dieser Legis-
laturperiode sogar an. Auch die in den Compacts und im Marshallplan vorgesehene
Mobilisierung privater Mittel kommt vor allem den Ländern mittleren Einkommens
zu Gute, da die Märkte dort attraktiver und stabiler sind. Diese Umschichtung ist fatal.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12543
Die OECD1 kritisiert seit langem genau diese Ausrichtung der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit. Die Förderung von guter Regierungsführung in fragilen Staaten
und die nachhaltige Entwicklung der am wenigsten entwickelten Länder müssen so-
wohl im Rahmen der G20 als auch insgesamt für die Bundesregierung ins Zentrum
politischen Handelns rücken.
Entwicklungszusammenarbeit wird zunehmend für Fluchtabwehr instrumentalisiert.
Statt der einst mit den Ländern des afrikanischen Kontinentes angestrebten Partner-
schaft auf Augenhöhe rücken die EU-Mitgliedstaaten jetzt die Fluchtabwehr in den
Mittelpunkt. Abschottung und innenpolitische Interessen verdrängen die Menschen-
rechtsorientierung ebenso wie das Ziel der Überwindung von Armut und Ungleichheit.
Hier wird die falsche Ausrichtung der Afrikapolitik der Bundesregierung besonders
deutlich. Länder, die möglichst effektiv und meist unter menschenunwürdigen Bedin-
gungen Flüchtlinge von Europa fernhalten, werden belohnt. Dabei ist man sich nicht
zu schade, mit autoritären Regimen zusammenzuarbeiten, und nimmt die Gefahr billi-
gend in Kauf, sich von Despoten abhängig zu machen. Dies ist ein kurzsichtiger An-
satz, denn damit werden genau die Regime unterstützt, die Menschen in die Flucht
treiben: Die Kooperation mit Despoten ist aber keine Fluchtursachenbekämpfung.
Fluchtursachen zu bekämpfen, heißt vor allem, globale Strukturen im Sinne einer
nachhaltigen Entwicklung zu gestalten und in gute Regierungsführung, Rechtsstaat-
lichkeit, Demokratieförderung und die Zivilgesellschaft zu investieren.
Es braucht eine Abkehr von der kurzfristigen Interessenspolitik hin zu einer übergrei-
fenden Afrikastrategie der Bundesregierung, die sich in eine starke und kohärente EU-
Afrikapartnerschaft integriert, die Agenda 2063 der Afrikanischen Union unterstützt
und eine dialogbasierte Partnerschaft mit afrikanischen Ländern im Rahmen der G20
fördert. Die Politik der G20-Staaten bestimmt wesentlich darüber, ob die nachhaltigen
Entwicklungsziele und das Pariser Klimaabkommen auch in Afrika erreicht werden.
Daher sollten die Auswirkungen der G20-Politiken auf arme Länder und die Entwick-
lungsbelange afrikanischer Staaten konsequent und reformorientiert in allen G20-Ar-
beitsgruppen analysiert, die zugrundeliegenden Fehlentwicklungen in Angriff genom-
men werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für das Format eines institutionalisierten Austausches zwischen der G20 und
afrikanischen Organisationen wie der Afrikanischen Union auf dem G20-Afrika-
gipfel einzusetzen und darüber hinaus dafür zu sorgen, zivilgesellschaftliche Ver-
treterinnen und Vertreter zur Afrikakonferenz einzuladen;

2. auf nationaler Ebene ein einheitliches Afrikakonzept der Bundesregierung zu ent-
wickeln, dass sich am Pariser Klimaabkommen, der Agenda 2030 und den Men-
schenrechten als verbindliche Handlungsrahmen orientiert;

3. sich für ein klares und am Gemeinwohl orientiertes Regelungswerk für durch die
Bundesregierung subventionierte Privatinvestitionen einzusetzen. Das Regel-
werk soll sich an der verbindlichen Einhaltung international anerkannter Men-
schenrechtsabkommen und der ILO-Kernarbeitsnormen ausrichten, ebenso wie
an internationalen Umweltabkommen und der Agenda 2030 für nachhaltige Ent-
wicklung;

4. national und im Rahmen der G20 dem schädlichen, internationalen Steuerwett-
bewerb entschieden entgegenzuwirken durch die Entwicklung von schwarzen
Listen für Steueroasen und eine Harmonisierung der Steuersysteme der einzelnen
1 www.oecd.org/dac/dac-prufbericht-uber-die-entwicklungszusammenarbeit-deutschland-2015-

9789264246157-de.htm

Drucksache 18/12543 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Staaten sowie die Einführung einer gemeinsamen, konsolidierten Körperschaft-
steuerbemessungsgrundlage und eines effektiven Mindeststeuersatzes;

5. aggressive Steuergestaltung und Steuervermeidung von international tätigen Un-
ternehmen zu bekämpfen durch eine grundlegende Reform der Besteuerung (im
Sinne der „unitary taxation“), die Stärkung des Steuervollzugs und substantielle
Transparenzmaßnahmen wie erweiterte Offenlegungspflichten für multinationale
Unternehmen, ein öffentlich einsehbares Transparenzregister für wirtschaftlich
Berechtigte und Anzeigepflichten für Steuersparmodelle;

6. sich im Rahmen der G20 für die Schaffung eines geordneten internationalen
Staatsinsolvenzverfahrens im Sinne zukünftiger Entwicklungschancen und des
Selbstbestimmungsrechts aller Länder einzubringen;

7. sich im Rahmen der G20 für verbindliche Maßnahmen zur Unterstützung einer
nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung afrikanischer Ökonomien einzusetzen, wie
verbindliche Öko- und Sozialstandards und Transparenz in der globalen Liefer-
kette;

8. die Bemühungen der AU zur Schaffung einer kontinentalen Freihandelszone so-
wie die im Aufbau befindlichen regionalen Wirtschaftsstrukturen der afrikani-
schen Staaten zu respektieren und zu unterstützen, um so den regionalen Handel
und die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken;

9. sich im Rahmen der G20 dafür einzusetzen, dass Handels- und Wirtschaftsab-
kommen sowie Investitionspartnerschaften zukünftig transparent verhandelt wer-
den, verbindliche soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards einhal-
ten und der Umsetzung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens als
zentralen Orientierungsrahmen Rechnung tragen;

10. private und öffentliche Mittel als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung nicht
gegeneinander auszuspielen und die ausreichende Bereitstellung öffentlicher Mit-
tel für die Klima- und Entwicklungsfinanzierung getrennt voneinander sicherzu-
stellen;

11. national und im Rahmen der G20 den Abbau klimaschädlicher Subventionen
durchzusetzen. Deutschland soll mit gutem Beispiel vorangehen, keine Investiti-
onen in fossile Energien tätigen oder fördern sowie neue öffentliche, öffentlich-
private Investitionen und Investitionsgarantien im Energiesektor auf erneuerbare
Energieformen ausrichten;

12. keine Entwicklungsgelder zur Aufrüstung von Sicherheitskräften oder für Grenz-
schutzmaßnahmen in Staaten mit problematischer Menschenrechtsbilanz zu ver-
wenden;

13. eine Schwerpunktsetzung der Entwicklungszusammenarbeit auf die fragilen und
ärmsten Staaten vorzunehmen und mittelfristig die Hälfte der ODA-Gelder in die-
sen Staaten einzusetzen;

14. die humanitäre Hilfe bedarfsorientiert weiter deutlich zu erhöhen sowie im Rah-
men der G20 für humanitäre Hilfsbedarfe zu mobilisieren, damit die reichsten
Staaten ihrer Verantwortung nachkommen und ihren fairen Anteil der VN-Bei-
träge frühzeitig und somit planbar übernehmen.

Berlin, den 30. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.