BT-Drucksache 18/11345

Eindämmung von Cum/Cum-Geschäften und weiteren Gestaltungen zur künstlichen Generierung eines Steuervorteils

Vom 16. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11345
18. Wahlperiode 16.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Richard Pitterle, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
Jutta Krellmann, Thomas Lutze, Thomas Nord, Michael Schlecht, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae,
Britta Haßelmann, Lisa Paus, Dieter Janecek, Dr. Tobias Lindner,
Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eindämmung von Cum/Cum-Geschäften und weiteren Gestaltungen zur
künstlichen Generierung eines Steuervorteils

Bei sogenannten Cum/Cum-Geschäften handelt es sich regelmäßig um Wertpa-
pierleihgeschäfte über den Dividendenstichtag. Am Dividendenstichtag wird die
auf eine Aktie zu zahlende Dividende an die Inhaberin oder den Inhaber der Aktie
ausgezahlt. Auf diese Dividende muss Kapitalertragsteuer gezahlt werden, wel-
che u. U. später anrechenbar oder erstattbar sein kann. Das grundlegende Prinzip
des Cum/Cum-Geschäfts besteht darin, dass eine kapitalertragsteuerpflichtige
Person, welche jedoch nicht zur Anrechnung oder Erstattung berechtigt ist, eine
Aktie über den Dividendenstichtag an eine kapitalertragsteuerpflichtige und zur
Anrechnung oder Erstattung berechtigte Person verleiht. Letztere erhält die Divi-
dende und lässt sich die auf die Dividenden abgeführte Kapitalertragsteuer an-
rechnen oder erstatten. Nach dem Dividendenstichtag wird die Aktie samt einer
Leihgebühr wieder an die verleihende Person übertragen. Mit der Leihgebühr
wird der Vorteil der Anrechenbarkeit oder Erstattung der Kapitalertragsteuer von
dem Entleiher an den Verleiher weitergereicht. Diese Praxis ist rechtlich umstrit-
ten. Teilweise werden diese Konstellationen als missbräuchliche Steuergestaltung
im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO) angesehen. Auch der Übergang des
wirtschaftlichen Eigentums im Sinne des § 39 Absatz 2 AO, das für die Anrech-
nungsberechtigung beim Entleiher erforderlich ist, kann im Einzelfall als nicht
gegeben angesehen werden (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 18. Au-
gust 2015, Az. I R 88/13; Finanzgericht – FG – Niedersachsen, Urteil v. 17. No-
vember 2016, Az. 6 K 230/15).
Im Jahr 2016 wurden neue Regeln zum steuerlichen Umgang mit Cum/Cum-Ge-
schäften im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des Investmentsteuerreform-
gesetzes (InvStRefG) implementiert. Der Finanzausschuss des Deutschen Bun-
destages thematisierte in Beschlussempfehlung und Bericht zum InvStRefG
(Bundestagsdrucksache 18/8739, Seite 88 ff.) mögliche offene Regelungsbedarfe
und formulierte eine entsprechende Prüfbitte an die Bundesregierung. Im Dezem-
ber 2016 antwortete das Bundesministerium der Finanzen (BMF) auf die Prüfbitte
des Finanzausschusses, dass ein Neuregelungsbedarf nicht gesehen werde. Am
11. November 2016 veröffentlichte das Bundesministerium der Finanzen ein BMF-

Drucksache 18/11345 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Schreiben (Gz: IV C 6 – S 2134/10/10003-02) zur Anwendung des BFH-Urteils
vom 18. August 2015 (Az. I R 88/13) zur Wertpapierleihe. Dieses BMF-Schrei-
ben wird von Steuerberatern (vgl. Linklaters Tax Alert vom 14. November 2016)
als relevant für den Umgang mit steuerlich noch nicht abschließend gewürdigten
Cum/Cum-Fällen angesehen.
Schätzungen über die Risiken für die öffentlichen Haushalte durch unberechtigte
Steuererstattungen und Steueranrechnungen aus Cum/Cum-Geschäften gehen in
den Milliardenbereich.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Gibt es nach der Gesetzgebung zu Cum/Ex-Geschäften im OGAW-IV-Um-

setzungsgesetz sowie der Gesetzgebung zu Cum/Cum-Geschäften im Invest-
mentsteuergesetz und im Rahmen des Amtshilfe-Richtlinien-Umsetzungsge-
setzes nach Kenntnis der Bundesregierung noch Fälle der Dividendenarbit-
rage bzw. des Dividendenstrippings, die Auswirkungen auf die öffentlichen
Haushalte haben bzw. zu Mindereinnahmen für den deutschen Fiskus füh-
ren?

2. Wurden im Vorfeld der Verabschiedung des Investmentsteuerreformgeset-
zes (InvStRefG) von 2016 Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der in § 36a
des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingeführten Haltefristen zur Eindäm-
mung von Cum/Cum-Geschäften von Personen außerhalb der Finanzverwal-
tung an die Bundesregierung herangetragen?
Wenn ja, welche genau, und von wem, und wie reagierte die Bundesregie-
rung darauf?

3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen hat die Cum/Cum-Regelung des
Investmentsteuerreformgesetzes in dem Sinne unmöglich gemacht, dass sie
bis zur gesetzlichen Regelung genutzt wurden, aber nachher nicht mehr?

4. Welche inländischen oder ausländischen Akteure sind typischerweise an den
in Frage 2 genannten Geschäften beteiligt gewesen?
Welche unterschiedlichen Funktionen nehmen die beteiligten Akteure dabei
wahr?

5. Welche Merkmale grenzen Fälle des Dividendenstrippings von anderen
Steuergestaltungen ab?

6. Wie und seit wann definiert die Bundesregierung die Begriffe Dividenden-
stripping und Cum/Cum-Geschäft?

7. Wann und auf welchem Weg hat die Bundesregierung zum ersten Mal von
unter die Definitionen zur Antwort zu Frage 6 zu subsumierenden Fällen
Kenntnis erlangt?

8. Inwieweit trifft es zu, dass das BMF zumindest noch bis zum Jahr 2011 den
Begriff Dividendenstripping für Dividendengeschäfte um den Dividenden-
stichtag im damaligen Anrechnungsverfahren verwendete, nicht jedoch für
Dividendengeschäfte um den Dividendenstichtag ab dem Jahr 2001?

9. Was unterscheidet sogenannte strukturierte Wertpapierleihen von Wertpa-
pierleihen, bei denen inländische Finanzinstitute Entleiher sind?

10. Sind sogenannte strukturierte Wertpapierleihen einer anderen rechtlichen
Würdigung im Sinne des § 39 Absatz 2 AO und des § 42 AO zu unterziehen
als Wertpapierleihen, bei denen inländische Finanzinstitute Entleiher sind?

Wenn ja, warum?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11345

11. In welchen Fällen geht das wirtschaftliche Eigentum im Sinne des § 39 Ab-

satz 2 AO bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag mit nur kurzzei-
tig übertragenen Aktien nach Ansicht der Bundesregierung auf den Erwerber
oder Entleiher nicht über?

12. In welchen Fällen (siehe Frage 2) liegt nach Ansicht der Bundesregierung
ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO vor?

13. Sieht die Bundesregierung bei der Regelung des § 42 AO Reformbedarf?
14. Hat die Bundesregierung Anregungen zur Reform des § 42 AO in Zusam-

menhang mit der Behandlung von Cum/Cum-Geschäften erhalten, und wenn
ja, welchen Inhalts, und von wem?

15. Welche Formen der Wertpapierleihe mit dem Ziel der Generierung eines
Steuervorteils sind der Bundesregierung bekannt?

16. Wie haben sich die Abgrenzungsmerkmale eines Wertpapierleihe-Geschäf-
tes unter sich entwickelnden rechtlichen Rahmenbedingungen seit dem Jahr
1999 verändert?

17. Welche inländischen oder ausländischen Akteure sind typischerweise an
Wertpapierleihe-Geschäften beteiligt?

18. Welche unterschiedlichen Funktionen nehmen die beteiligten Akteure im
Rahmen von Wertpapierleihe-Geschäften wahr?

19. In welchen Fällen eines typischen Wertpapierleihe-Geschäfts liegt nach An-
sicht der Bundesregierung ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO vor?

20. Hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) oder eine
andere Finanzbehörde eine der Cum/Ex-Abfrage vergleichbare Abfrage zum
Thema Dividendenstripping/Cum/Cum bei inländischen Kreditinstituten
durchgeführt?

Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?
21. Welche Fragen hat die BaFin ggf. im Rahmen einer solchen Dividendenstrip-

ping/Cum/Cum-Abfrage gestellt?
Wie wurden die fraglichen Geschäfte begrifflich abgegrenzt, wonach genau
wurde gefragt?

22. Wie hat die BaFin ggf. die vorgenannte Abfrage gegenüber den angefragten
Instituten begründet bzw. erklärt?

23. Auf wessen Initiative hin hat die BaFin ggf. die Dividendenstripping/
Cum/Cum-Abfrage gestellt?

24. Welche BaFin- und BMF-Referate waren ggf. in die Erstellung der Abfrage
eingebunden?

25. Welche Mitglieder der Leitungsebene des BMF haben die Ergebnisse dieser
Abfrage ggf. wann zur Kenntnis genommen?

26. Gibt es ggf. aufgrund der Abfrageergebnisse Bedenken in Bezug auf die Fi-
nanzstabilität einzelner Kreditinstitute für den Fall, dass für noch nicht ver-
jährte Transaktionen steuerliche Nachzahlungen zu leisten wären?

27. Ergeben sich ggf. aus den Abfrageergebnissen Hinweise darauf, in welcher
Dimension zum Dividendenstripping/Cum/Cum zuzurechnende Transaktio-
nen steuerlichen Prüfungen unterzogen werden und wie viele Kreditinstitute
davon betroffen sind?

Drucksache 18/11345 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

28. Inwieweit trifft es zu, dass der Finanzminister des Landes Nordrhein-West-

falen nach Abschluss der Finanzministerkonferenz am 10. November 2016
einen schriftlichen Vorbehalt gegen die beabsichtigte Veröffentlichung des
BMF-Schreibens vom 11. November 2016 (Gz: IV C 6 – S 2134/10/10003-
02) eingelegt hat und dieser Vorbehalt nur wenige Stunden vor Veröffentli-
chung des BMF-Schreibens am 11. November 2016 vom BMF zurückgewie-
sen worden ist?

29. Inwieweit war die Hess. OFD-Rundverfügung vom 18. November 2016 (Gz:
S 2134 A – 15 – St 210) geeignet, die korrekte Auslegung und Anwendung
des BMF-Schreibens vom 11. November 2016 (Gz: IV C 6 – S 2134/10/
10003-02) zu gewährleisten?

30. Welche Absprachen auf Leitungs- oder Arbeitsebene wurden im Vorfeld und
Nachgang der Hess. OFD-Rundverfügung vom 18. November 2016 (Gz:
S 2134 A – 15 – St 210) zwischen dem BMF und dem Hessischen Ministe-
rium der Finanzen (HMdF) in Bezug auf die OFD-Verfügung und das vo-
rausgegangene BMF-Schreiben vom 11. November 2016 (Gz: IV C 6 –
S 2134/10/10003-02) getroffen?

31. Welche Maßnahmen hat das BMF nach dem 18. November 2016 getroffen,
um eine einheitliche Rechtsanwendung des BMF-Schreibens vom 11. No-
vember 2016 (Gz: IV C 6 – S 2134/10/10003-02) sicherzustellen?

32. Mit welchen Branchenvertretern haben Minister und Staatssekretäre seit Ab-
schluss der Gesetzgebung zu Cum/Cum-Geschäften jeweils über diese Ge-
schäfte gesprochen?

33. Ist die vom Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, im Früh-
jahr 2016 geäußerte Rechtsauffassung zu Cum/Cum-Geschäften, diese seien
„illegitim, aber nicht illegal“, nach Ansicht der Bundesregierung zutreffend?

Was bedeutet „illegal“ in diesem Zusammenhang?
34. Welche Erkenntnisse liegen dem BMF vor, wie das BMF-Schreiben vom

11. November 2016 (Gz: IV C 6 – S 2134/10/10003-02) in den Finanzbehör-
den der Länder bis heute angewendet worden ist bzw. bis die Finanzminis-
terkonferenz am 1. Dezember 2016 beschlossen hat, das BMF-Schreiben zu
ergänzen?

35. Wie wird der im BMF-Schreiben vom 11. November 2016 (Gz: IV C 6 –
S 2134/10/10003-02) verwendete Begriff „positive Vorsteuerrendite“ defi-
niert bzw. konkretisiert?

36. An welcher Stelle und von wem (Gesetz, Finanzrechtsprechung) wird die
rechtliche Zulässigkeit bestimmter Geschäfte von einer „positiven Vorsteu-
errendite“ abhängig gemacht?

Wer verwendete den Begriff erstmals?
Wurden Konzept und Begrifflichkeit von externen Beratern oder Verbänden
übernommen?
Wenn ja, von wem?

37. Soll(te) nach Auffassung der Bundesregierung bei der Auslegung des BMF-
Schreibens vom 11. November 2016 zur Berechnung der „positiven Vorsteu-
errendite“ die Bruttodividende oder die Nettodividende herangezogen wer-
den?

38. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, welchen Anteil an den
in Frage 2 genannten Geschäften solche mit positiver Vorsteuerrendite haben
bzw. bei welchen Fallkonstellationen es typischerweise zu einer positiven
und bei welchen zu einer negativen Vorsteuerrendite kommt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11345

39. Inwieweit kann eine „positive Vorsteuerrendite“ bei Cum/Cum-Geschäften

oder Wertpapierleihe-Geschäften Kennzeichen für einen Übergang des wirt-
schaftlichen Eigentums und/oder gegen einen steuerlichen Gestaltungsmiss-
brauch sein?

40. Stimmt die Bundesregierung mit der Ansicht des Niedersächsischen Finanz-
gerichts (Urteil vom 17. November 2016, Az: 6 K 230/15) überein, dass es
bei Cum/Cum-Geschäften für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums
oder das Vorliegen eines steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs nicht auf das
Erzielen einer positiven Vorsteuerrendite ankommt?
Wenn nein, warum nicht?

41. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Häufigkeit der Fall-
konstellation, die dem genannten Urteil des Niedersächsischen Finanzge-
richts zugrunde liegt?

42. Welche Schätzungen zur möglichen Höhe eines Steuerausfalls aufgrund von
Geschäften nach Frage 3 liegen im BMF vor?

43. Inwieweit kann die Bundesregierung die in einer BMF-Ministervorlage vom
Mai 2015 von der Steuerabteilung geäußerte Auffassung widerlegen, dass
die Schätzung eines aus Cum/Cum-Geschäften resultierenden jährlichen
Steuerausfalls in Höhe von 5 bis 6 Mrd. Euro „nicht unrealistisch hoch“ sei?

44. Wurde diese Einschätzung, dass die genannte Zahl von 5 bis 6 Mrd. Euro
jährlichen Steuerausfalls nicht unrealistisch hoch sei, durch die Bundesregie-
rung an die Finanzbehörden der Länder oder das Bundeszentralamt für Steu-
ern weitergeleitet?
Wenn nein, gab es Überlegungen diese Einschätzung weiterzuleiten, und aus
welchen Gründen wurde dies letztlich nicht veranlasst?

45. Welche Schätzungen zur möglichen Höhe eines Steuerausfalls aufgrund von
Wertpapierleihe-Geschäften liegen im BMF vor?

Berlin, den 16. Februar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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