BT-Drucksache 18/10639

Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen

Vom 14. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10639
18. Wahlperiode 14.12.2016
Antrag
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Anja Hajduk, Annalena
Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen
Trittin, Doris Wagner, Kai Gehring, Sven-Christian Kindler, Markus Kurth,
Corinna Rüffer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds
wirksam schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Immer wieder geraten Staaten in Schwierigkeiten, ihre Schulden zu bedienen. Nicht
nur, aber überwiegend trifft dies auf Entwicklungs- und Schwellenländer zu. Aktuell
weisen 108 Länder gemäß dem Schuldenreport der Nichtregierungsorganisation er-
lassjahr.de und MISEREOR einen, mehrere oder alle Indikatoren im kritischen Be-
reich auf. Der IWF weist vierteljährlich eine beständig zunehmende Zahl von Ländern
als Staaten mit „hohem“ oder „mittlerem“ Überschuldungsrisiko aus.
Das internationale Recht sieht bislang jedoch keine Insolvenzen von Staaten oder gar
einen verrechtlichen Mechanismus zum Umgang damit vor. Ein globales Staateninsol-
venzregime, wie es im Herbst 2015 durch die Generalsversammlung der Vereinten
Nationen mit großer Mehrheit gefordert wurde – gegen die Stimme Deutschlands –
wartet weiter auf seine Umsetzung. Im Fall von drohender oder bereits eingetretener
Zahlungsunfähigkeit von Staaten sind Gläubiger und Schuldner auf Ad-hoc-Verhand-
lungslösungen ohne allgemein und global gültigen Rechtsrahmen – wie er national mit
Insolvenzordnungen gegeben ist – angewiesen.
Findige Investoren, so genannte Geierfonds, nutzen diesen Umstand zu ihren Gunsten
aus. Aufsehenerregend gelang dies dem Fonds NML Capital vor einem New Yorker
Gericht im Streit mit dem Staat Argentinien im Jahr 2014. Im Grunde bereicherte sich
der Geierfonds am Steuergeld der Gläubigerländer, darunter Deutschlands, die zuvor
auf einen Teil ihrer Forderungen gegenüber Argentinien verzichtet hatten. Am Sekun-
därmarkt können so genannte Geierfonds Staatsanleihen weit unter dem Nennwert er-
werben, weil ein Staat absehbar oder akut in Zahlungsschwierigkeiten kommt. Das
Ziel ist, gerade anlässlich der Zahlungskrise die volle Befriedigung der Anleihe in
Form des vollen Nennwertes und der Zinsen zu verlangen – und ggf. gerichtlich durch-
zusetzen.

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Obgleich oft viele oder fast alle der Gläubiger sich im Rahmen von Verhandlungen
auf einen teilweisen Erlass der Schulden des Staates verständigen und diese so auf das
ökonomisch und sozial Leistbare verringert werden, klagen diese Fonds – in vollem
Bewusstsein um die negativen Auswirkungen auf die Staaten und deren Bürgerinnen
und Bürger – vor Gerichten verschiedener Jurisdiktionen auf den de jure bestehenden
Rückzahlungsanspruch. Solange ein wirksamer Rechtsrahmen zur Begrenzung dieses
Anspruches auf das tatsächlich Leistbare fehlt, sind Gerichte gezwungen diese An-
sprüche zu bestätigen. Damit sind jedoch Verhandlungslösungen, die die Rückzahlung
begrenzen, erschwert. Nur wenn alle Gläubiger das Verhandlungsergebnis akzeptie-
ren, ist es tragfähig. Je diversifizierter die Gläubigerstruktur ist, desto unwahrscheinli-
cher wird das.
Großbritannien und Belgien haben daher in den vergangenen Jahren entsprechend ge-
setzliche Regelungen erlassen, um dieses fragwürdige Geschäftsmodell zu unterbin-
den und den Rückzahlungsanspruch der Geierfonds zu begrenzen. Die Begrenzung
orientiert sich dabei an
a) einer auf dem Verhandlungsweg zwischen Gläubigern gefundenen Höhe des Ab-

schlags auf den Nennwert und/oder
b) dem am Sekundärmarkt durch den klagenden Gläubiger gezahlten Kaufpreis der

Anleihe.
Dringlichkeit erhält solch eine Regelung, da zu erwarten steht, dass ohne regulatori-
sche Eingriffe das Modell der Geierfonds an Attraktivität gewinnt und entsprechend
multilaterale Umschuldungen erschwert werden. Als Folge der so genannten HIPC-
Entschuldung, die nach 1996 sukzessive die Kreditwürdigkeit einiger beteiligter Län-
der (wieder) hergestellt hat, sowie des aktuellen Anlagenotstands infolge der historisch
niedrigen Zinssätze in Europa und den USA sind Anleihen von Schwellen- und Ent-
wicklungsländern attraktiv geworden. In den letzten zwei Jahren hat der Preisverfall
zahlreicher Exportprodukte der betroffenen Länder deren Schuldentragfähigkeit er-
neut in Frage gestellt. In einer solchen Situation ist es für immer mehr Anleger und
Kreditgeber attraktiv, Forderungen mit erheblichen Abschlägen an Geierfonds zu ver-
kaufen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) dem Deutschen Bundestag zeitnah einen an Vorbildern aus anderen Staaten (ins-
besondere aus den EU-Mitgliedern Belgien und Großbritannien) orientierten Ge-
setzentwurf vorzulegen, der Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen so
genannter Geierfonds wirksam schützt,

b) im Rahmen der G7, der G20, des Pariser Clubs und der OECD für eine entspre-
chende Regelung zu werben und auf EU-Ebene neben dem Werben für entspre-
chende nationalstaatliche Regelungen auf eine entsprechende EU-Regulierung
hinzuwirken,

c) die bei den Vereinten Nationen laufenden Prozesse zum Thema Staateninsolvenz-
regime und die Umsetzung der auf der Entwicklungsfinanzierungskonferenz in
Addis Abeba 2015 getroffenen Beschlüsse als auch die vereinbarten Folgekonfe-
renz im Sinne dieses Antrags konstruktiv zu begleiten.

Berlin, den 13. Dezember 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10639
Begründung

Einige spekulative Investmentfonds betreiben ein hoch umstrittenes Geschäft zu Lasten von Staaten und ihren
Bürgerinnen und Bürgern sowie der übrigen Gläubiger von Entwicklungs- und Schwellenländern. Am Sekun-
därmarkt erwerben diese Geierfonds Staatsanleihen weit unter dem Nennwert, wenn ein Staat absehbar oder
bereits eingetreten in Zahlungsschwierigkeiten kommt. Obgleich oft viele oder fast alle der Gläubiger sich im
Rahmen von Verhandlungen auf einen teilweisen Erlass der Schulden verständigen, klagen diese Fonds – in
vollem Bewusstsein um die negativen Auswirkungen auf die Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger – vor
Gerichten verschiedener Jurisdiktionen auf den de jure bestehenden Rückzahlungsanspruch samt Zinsen und
Zinseszinsen. Aufsehenerregend glückte dies erfolgreich dem Fonds NML Capital in einem Verfahren gegen den
Staat Argentinien vor einem New Yorker Gericht im Jahr 2014.
Die Geierfonds profitierten dabei von dem Umstand, dass – anders als innerhalb von Staaten für natürliche und
juristische Personen – kein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten existiert. Solange Forderungen an Staaten
– insbesondere jene von Entwicklungsländern – von multilateralen Institutionen, anderen Staaten oder wenigen
großen Finanzinvestoren oder global operierenden Banken gehalten wurden, waren Ad-hoc-Verhandlungslösun-
gen, wie im Pariser Club, ein hinlängliches, wenn auch willkürliches und vor allem nicht verrechtlichtes Mittel,
Zahlungsproblemen staatlicher Gläubiger zu begegnen. Mit dem Aufkommen eines breiten Sekundärmarktes von
Staatsanleihen in den 1980ern betraten aber neue Akteure das Spielfeld: Im Vergleich zu den bisherigen Akteuren
kleinere und vor allem nicht an langfristigen Investitionen in die Entwicklung der betroffenen Länder orientier-
ten, sondern allein dem kurzfristigen Gewinn ihrer Anteilseigner verpflichteten Investmentfonds, besser bekannt
als Geierfonds. Diese Fonds fordern nicht trotz sondern gerade wegen der Zahlungsprobleme und der Bereitschaft
vieler, auf einen Teil ihrer Ansprüche zu verzichten, den vollen Nennwert ein.
Solange aber auch nur ein einziger Gläubiger einen mühsam gefundenen Kompromiss zur Umstrukturierung von
Schulden torpediert, indem er erfolgreich vor Gerichten mehr für sich herausholt, steht zu befürchten, dass kein
Gläubiger künftig zu Umschuldungen bereit sein wird. Die internationale Gemeinschaft präferiert als primäre
Lösung für diese Herausforderung die so genannten Collective Action Clauses (CACs): Klauseln in den Anlei-
hebedingungen, die alle Gläubiger auf die Anerkennung einer mit bestimmten Mehrheiten gefundenen Verhand-
lungslösung im Fall eines Zahlungsausfalles verpflichten. Eine allgemeingültige gesetzliche Lösung wird abge-
lehnt und damit auch die Möglichkeit preisgegeben, die vielen noch ohne CACs im Markt befindlichen Anleihen
sowie oftmals gerade nicht in Form von Anleihen existierenden Staatsschulden und ihre Rückzahlung ebenfalls
zu regulieren. Ebenfalls nicht adressiert wird die Gefahr, dass Geierfonds auch bei vorhandenen CACs Verhand-
lungslösungen unterlaufen können, wenn sie genug Anteile an den einzelnen Serien erwerben. Bei den dem Ge-
schäftsmodell zu Grunde liegenden stark gesunkenen Preisen an den Sekundärmärkten erscheint dies durchaus
möglich.
Belgien reagierte 2015 mit einem Gesetz (Loi du 12.7.2015 relative à la lutte contre les activités des fonds vau-
tours) genau auf diese Leerstelle der CACs und begrenzte den Anspruch auf Rückzahlung eines Gläubigers, der
am Sekundärmarkt gekauft hat, auf den tatsächlich für die Staatsanleihen gezahlten Preis, wenn der Gläubiger
einen „illegitimen Vorteil“ anstrebt. Ein solcher „illegitimer Vorteil“ gilt als angestrebt, wenn ein „offenkundiges
Missverhältnis“ zwischen dem gezahlten Kaufpreis der Schulden und dem Nennwert oder dem vor Gericht ein-
geforderten Wert liegt. Zusätzlich müssen eine oder mehrere Bedingungen erfüllt sein: 1) Der Staat ist zahlungs-
unfähig oder das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit muss unmittelbar zum Zeitpunkt des Kaufs der Anleihe be-
standen haben. 2) Der Gläubiger hat seinen Sitz in einer Steueroase (definiert durch Verweis auf die offiziellen
schwarzen Listen der Financial Action Task Force, der OECD und Belgiens). 3) Der Gläubiger hat den Ruf,
wiederholt Rechtsstreitigkeiten ausgelöst zu haben. 4) Der Gläubiger hat seine Beteiligung an Umschuldungs-
vereinbarungen verweigert. 5) Der Gläubiger hat die Schwäche des Schuldners ausgenutzt, um ein offenkundig
unfaires Abkommen über die Schuldenrückzahlung auszuhandeln. 6) Die volle Rückzahlung des Gläubigeran-
spruchs hätte beachtlichen Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen des Staates und könnte einen negativen
Effekt auf das ökonomische und soziale Wohlergehen seiner Bevölkerung haben.
Bereits vor dem belgischen „Anti-Geier-Gesetz“ hatte Großbritannien für seine verschiedenen Finanzjurisdikti-
onen ein Gesetz erlassen, welches von britischen Gerichten zugesprochene Zahlungen auf diejenigen Beträge
begrenzt, die der klagende Gläubiger erhalten hätte, wenn er sich an einer multilateralen Umschuldung beteiligt

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hätte. Eine solche rechtliche Absicherung multilateraler Vereinbarungen ist ein wichtiger Baustein einer interna-
tionalen Insolvenzordnung. Leider beschränkt sich das britische Gesetz auf HIPC-Länder und die entsprechenden
Vereinbarungen unter der HIPC-Initiative aus dem Jahr 1996.
Die 3. UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2015 in Addis Abeba bemerkte dazu: „Wir sind besorgt
über die Fähigkeit von nichtkooperativen Minderheitsanleihegläubigern, den Willen der großen Mehrheit der
Anleihegläubiger, die der Restrukturierung der Zahlungsverpflichtungen eines Landes in der Schuldenkrise zu-
stimmen, zu unterlaufen. Wir nehmen die gesetzgeberischen Schritte, die einige Länder zur Vermeidung dieser
Aktivitäten ergriffen haben, zur Kenntnis und ermutigen alle Regierungen gegebenenfalls zu handeln.“
Die Bundesrepublik Deutschland ist – bislang – kein bedeutender Finanzplatz, auf dem die hier beschriebenen
Geierfonds aktiv sind, weder als Ort, an dem entsprechende Klagen geführt werden, noch als Sitz von entspre-
chenden Investmentgesellschaften. Dennoch traten auch hier im Zuge der Zahlungsausfälle bzw. der Zahlungs-
verweigerung Argentiniens Probleme zu Tage. Gläubiger mit vollstreckbaren Titeln gegen Argentinien waren
bestrebt, argentinisches Staatseigentum zu beschlagnahmen. Kein Wertgegenstand schien sicher zu sein: Aus-
stattung von Messeständen, das Flugzeug der Präsidentin, die Geschäftskonten der argentinischen Botschaft.
Letztlich kam es zu keiner Pfändung, weil in Ad-hoc-Entscheidungen das diplomatische Interesse über das fi-
nanzielle der privaten Gläubiger gestellt wurde. Ob dies künftig so bleibt, ist offen. Der Bundesrepublik Deutsch-
land kommt jedoch als bevölkerungsreichstem und wirtschaftsstärkstem Mitgliedstaat der Europäischen Union
sowie in seiner Funktion als Mitglied der G7, der G20, des Pariser Clubs und der OECD eine Führungsrolle und
Verantwortung zu, die über die unmittelbare und konkrete Betroffenheit hinausreicht. Es ist daher – insbesondere
als Signal an die globale Finanzwelt – entscheidend, dass auch von Deutschland das Signal ausgeht, das illegitime
Geschäftsmodell der so genannten Geierfonds nicht länger zu dulden.
Ein solches „Anti-Geier-Gesetz“ stellt einen notwendigen Zwischenschritt dar, der im nationalen bzw. europäi-
schen Rahmen gegangen werden muss, ehe es zu einem global implementierten Staateninsolvenzverfahren
kommt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3916).

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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