BT-Drucksache 18/10418

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/9200, 18/9202, 18/9824, 18/9825, 18/9826 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2017 (Haushaltsgesetz 2017)

Vom 22. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10418
18. Wahlperiode 22.11.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Sven-Christian Kindler, Anja Hajduk, Dr. Tobias
Lindner, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Katja Dörner, Matthias Gastel,
Kai Gehring, Britta Haßelmann, Maria Klein-Schmeink, Oliver Krischer, Christian
Kühn (Tübingen), Stephan Kühn (Dresden), Markus Kurth, Peter Meiwald, Irene
Mihalic, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz, Brigitte Pothmer,
Tabea Rößner, Corinna Rüffer, Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden, Doris
Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/9200, 18/9202, 18/9824, 18/9825, 18/9826 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2017
(Haushaltsgesetz 2017)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Herausforderungen für eine gelingende Integration schutzsuchender Menschen in
Deutschland sind weiterhin groß. Auch bei derzeit sinkenden Zuzugszahlen sowie ei-
ner zunehmend an Konturen gewinnenden nationalen Integrationspraxis gilt es noch
etliche Aufgaben zu meistern, um von wirklich zufriedenstellenden Rahmenbedingun-
gen zur Integration geflüchteter Menschen zu sprechen. In einem ersten Blick zurück
ist dabei denjenigen Anerkennung zu zollen, die sich mit großem Engagement den
geflüchteten Menschen zugewandt haben, um ihnen eine Erstversorgung zu gewähr-
leisten und dann auf dem Weg zur gesellschaftlichen Integration Unterstützung unter-
schiedlichster Form anzubieten. Auch vielen Geflüchteten selbst gebührt Dank, dass
sie in vielfältiger Weise andere Geflüchtete dabei unterstützen, sich in Deutschland
zurechtzufinden und ihren Weg in Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft zu erleichtern.
Sie bereichern unsere Gesellschaft in vielfältiger Weise – obwohl die Rahmenbedin-
gungen für dieses Engagement anhaltend schwierig sind. Anzuführen ist auch ihre
Sorge um Familienangehörige, die während langandauernder Asylverfahren und we-
gen rechtlicher Restriktionen nicht zu ihnen nachziehen können. So drohen Integrati-
onsbemühungen zu konterkariert zu werden.

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Das Engagement wird von vielen getragen, seien es Geflüchtete selbst, Privatpersonen
im Ehrenamt oder im Rahmen ihrer Profession, Institutionen etwa der Wohlfahrt, von
Glaubensgemeinschaften oder der Wirtschaft, seien es staatliche Institutionen auf allen
Ebenen und mit verschiedensten Zuständigkeitsbereichen. Auch die Bundesregierung
hat mit der Ausgestaltung bzw. Weiterentwicklung diverser und teils kostenintensiver
Maßnahmen notwendige, in ihrem Verantwortungsbereich liegende Schritte getan, die
allerdings noch nicht ausreichen. Derer müssen noch viele weitere folgen. Dennoch ist
auch hier das Bemühen um die Etablierung tragfähiger Versorgungs- und Integrations-
strukturen ausdrücklich zu würdigen. Dies gilt zunächst auch unabhängig von der viel-
fältigen Kritik an der flüchtlingspolitischen Ausrichtung der Bundesregierung etwa im
Hinblick auf die Zugangsmöglichkeiten zu diesen Strukturen sowie auf das internati-
onal ausgerichtete Gebaren im Bereich Flucht und Migration.
Erschreckend ist die weiterhin hohe Zahl an Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Das
BKA zählt bis jetzt rund 850 Angriffe. Eine wirksame Strategie gegen diese Angriffe
durch Neonazis und andere extrem rechte Gruppen hat die Bundesregierung bisher
nicht. Wer will, dass Menschen die vor Krieg und Terror geflohen sind, sich gut integ-
rieren können, darf nicht zulassen, dass sie auch hier Deutschland um ihr Leben und
ihre Gesundheit fürchten müssen.
Nachdem die Bundesregierung zunächst nicht oder höchstens sehr verzögert reagierte,
hat sich nun vor dem hiesigen Erfahrungshintergrund hoch dynamischer Fluchtpro-
zesse und des immensen Handlungsdrucks die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele der
geflüchteten Menschen dauerhaft hier leben werden. Jenseits der ethisch-rechtlichen
Verpflichtung zur Nothilfe die Ankunft Geflüchteter als Chance für diese Menschen
selber, aber auch für die Gesellschaft als Ganze zu begreifen heißt, unter großem Be-
mühen aller Beteiligter gerade auch Zukunftsperspektiven für die geflüchteten Men-
schen zu schaffen. Diese Konsequenz ist jedoch innerhalb der Bundesregierung – und
offenkundig in der Bevölkerung – sehr umstritten, was teilweise zu Selbstblockaden,
zu widersprüchlichem oder auch inkonsistentem integrationspolitischem Handeln des
Bundes führt.
Die föderale Aufgabenverteilung einschließlich vor allem politischer Verflechtungen
verstärkt die Komplexität des Handlungsrahmens. Es ist dabei richtig, dass der Bund
sich stärker an den gesamtstaatlichen Lasten infolge gestiegener Flüchtlingszahlen be-
teiligt. Von daher sind die bislang getroffenen Vereinbarungen zwischen Bund und
Ländern zu begrüßen – auch wenn sie spät und letztlich unter dem Druck der norma-
tiven Kraft des Faktischen zustande kamen. Nicht zuletzt das Ergebnis der jüngst er-
folgten Spitzabrechnung zur Unterstützung von Ländern bei den Unterkunftskosten
Asylsuchender hat nochmals verdeutlicht, wie hoch die flüchtlingspolitischen Anfor-
derungen in den Ländern und vor Ort waren und sind. Der Bund sollte und kann aber
auch noch weiter gehen, um zu einer fairen Lastenverteilung zwischen den staatlichen
Ebenen sowie einer möglichst zielgenauen Versorgung und Förderung geflüchteter
Menschen zu kommen. Ebenso müssen die Länder gewährleisten, dass sie die Bun-
desunterstützung transparent und ausreichend an bedürftige Kommunen weitergeben.

Inneres
Die Große Koalition löst das von ihr selbst geschaffene Kernproblem der Flücht-
lingsintegration nicht: Derzeit haben nämlich nur Schutzsuchende mit „guter Bleibe-
perspektive“ Zugang zu Integrationskursen und Migrationsberatung. Die „gute Blei-
beperspektive“ wird von der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behörden
zudem nur in äußerst restriktiver Weise angenommen und schließt etwa afghanische
Schutzsuchende, von denen weiterhin viele längerfristig in Deutschland bleiben wer-
den, aus. Die Folge: Asylsuchende aus Afghanistan dürfen – trotz oft jahrelangen An-
erkennungsverfahren und einer bereinigten Schutzquote von über 50 Prozent – auch
weiterhin keine regulären Sprachkurse besuchen. Infolgedessen setzt eine adäquate
Sprachförderung für viele Asylsuchende viel zu spät ein – mit langfristig negativen

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Folgen. Inwieweit das Problem durch die neu eingeführten Erstorientierungskurse ab-
geschwächt wird bleibt abzuwarten – gelöst wird es auf diese Weise jedoch nicht. Der
Bund hat die Mittel für die Integrationskurse etwas erhöht, dennoch werden diese mit
Sicherheit nicht ausreichen, um die vom Bundesministerium für das kommenden Jahr
selber prognostizierte „deutlich erhöhte“ Nachfrage an Integrationskursen zu befriedi-
gen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert deshalb eine Aufstockung um
140 Millionen Euro auf dann insgesamt 750 Millionen Euro. Notwendig erscheint zu-
dem die Mittel für die Migrationsberatung für erwachsene Einwanderinnen und Ein-
wanderer (MBE) signifikant zu erhöhen. Denn diese Beratungsstellen leisten eine ex-
zellente Arbeit – sind aber seit Jahren in einem Maße unterfinanziert, das nicht verant-
wortbar ist. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung selber für das Jahr 2017 eine
weitere Steigerung der Beratungsfälle erwartet und gleichzeitig das Bundesministe-
rium des Innern eine Steigerung der Leistungsanforderungen an die MBE plant. Dies
sollte mit einer Erhöhung der Haushaltsmittel auf 62 Mio. Euro flankiert werden. Eine
Anhebung der Haushaltsmittel erscheint darüber hinaus auch bei den sog. nied-
rigschwelligen Frauenkursen angezeigt. Denn diese Kurse richten sich an bildungs-
ferne Frauen, die von konventionellen Integrationsangeboten kaum erreicht werden –
und von den vielen Schutzsuchenden aus Syrien, dem Irak Afghanistan und Eritrea
sind im Schnitt 30 Prozent Frauen. Und schließlich halten wir eine Verdopplung der
Mittel für das Bundesprogramm „Strukturaufbau und Unterstützung von Ehrenamtli-
chen in den Moscheegemeinden für die Flüchtlingshilfe“ für sinnvoll.

Arbeitsmarkt
Arbeit bedeutet für Flüchtlinge wie für alle anderen materielle Unabhängigkeit und
auch gesellschaftliche Teilhabe. Der konsequente Einsatz des arbeitsmarktpolitischen
Instrumentariums ist deshalb auch integrationspolitisch essentiell. Im Gegensatz zum
Vorjahr hat die Bundesregierung endlich Abstand von vollends geschönten Berech-
nungsannahmen genommen. Sie hat ein realistischeres Szenario vorgelegt, erleichtert
durch die Tatsache, dass die Zugangszahlen in die Grundsicherung sich noch ver-
gleichsweise moderat entwickeln. Da ist es umso bedauerlicher, dass im Haushaltsver-
fahren die Erhöhung der Jobcentermittel auf 300 Mio. Euro halbiert wurde. Diese Ab-
senkung ist unnötig und riskant. Die Jobcenter sind aufgrund politischer Deckelung
ohnehin schon strukturell unterfinanziert. Zudem sind die Annahmen für die flücht-
lingsinduzierten Bedarfe immer noch sehr optimistisch veranschlagt. Da ist es fast
fahrlässig, die Untergrenze der Finanzierung derart auszureizen. Das bringt die Job-
center in erhebliche Planungsschwierigkeiten und beschneidet ihren Handlungsspiel-
raum erheblich. Auch bei dem im Programm IQ-Netzwerk tut eine verstärkte Mittel-
ausstattung für eine effizientere Abschluss-Anerkennung und (Nach-)Qualifizierung
Not.
Beim Bundesprogramm Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) hatte sich die Bun-
desregierung sehr frühzeitig auf die Zielmarge von 100.000 Teilnehmerinnen festge-
legt. Sollten sich bestehende Zweifel an der Zielerreichung bestätigen, müssen die
überschüssigen Mittel umgehend in andere, arbeitsmarktnähere Förderprogramme für
Geflüchtete umgeschichtet werden. Zentral ist, dass sie tatsächlich die am besten ge-
eignete, auf sie zugeschnittene Förderung erhalten. Auch wird sehr kritisch zu be-
obachten sein, ob es kommunale Mitnahmeeffekte gibt, sprich: die Kommunen beste-
hende eigene Arbeitsgelegenheiten in bundesfinanzierte umwandeln.

Bildung und Betreuung
Gute Bildungsangebote legen für geflüchtete Kinder und Jugendliche den Grundstein
für Integration und Chancen auf Ausbildung, Erwerbstätigkeit und ein eigenständiges
Leben. Alle Kinder und Jugendlichen sollten bestmöglich individuell gefördert wer-
den. Dazu sind zusätzliche Investitionen ins Bildungssystem nötig. Die Beiträge der

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Bundesregierung bleiben in diesem Feld hinter dem Erforderlichen und dem ihr Mög-
lichen zurück. Zwar kann die jüngst zwischen Bund und Ländern vereinbarte, auf drei
Jahre begrenzte Integrationspauschale wohl auch in diesem Feld eingesetzt werden.
Außerdem gibt es ein paar einzelne Maßnahmen wie die Bildungskoordinationen, die
Sprachbildung oder die Studierendenförderung, abgebildet vor allem in den Einzelplä-
nen 17 und 30. Das genügt aber nicht, um den – auch von der Bundesregierung selbst
formulierten – Ansprüchen gerecht zu werden.
Die Qualität der Kindertagesbetreuung muss strukturell verbessert werden. Den Weg
bundesgesetzlicher Standards und stärkerer Bundesfinanzbeteiligung scheut die Bun-
desregierung aber seit Jahr und Tag. Das punktuell ausgerichtete Sprachkita-Pro-
gramm ist unter diesem entscheidenden Blickwinkel unzureichend. Ferner muss sie
endlich den – auch durch gestiegenen Zuzug – beachtlichen Platzbedarf anerkennen.
Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlägt deshalb Qualitäts- und
Ausbauprogramme des Bundes von jährlich 1,5 Mrd. Euro vor, wovon rund ein Drittel
gestiegene Flüchtlingsbedarfe abdecken helfen sollten.
Verschiedenste Menschen ins deutsche Bildungssystem zu integrieren, ist eine große
Herausforderung. Mit einem bundesseitigen Schulsanierungsprogramm mit
10 Mrd. Euro Investitionen in fünf Jahren sollen die Schulen in die Lage für einen
umfassenden Ganztagsausbau versetzt werden. Da die Bund-Länder-Einigung zum
Schulbereich vom Oktober 2016 noch immer zu kurz greift, ist darüber hinaus die
Aufhebung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich anzustreben, um ein wirklich
fundiertes Ganztagsschulprogramm zu schaffen. Ebenso gilt es Fachkräfte für die Ar-
beit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen fortzubilden und die begleitende El-
ternarbeit an Kitas und Schulen zu unterstützen, da diese den Bildungserfolg von Kin-
dern positiv beeinflusst. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist außerdem so umzuge-
stalten, dass es direkt bei den Kindern und Jugendlichen ankommt, entweder über die
Angebote in Schule, Hort und Kita oder über den Regelsatz.
Die berufliche Ausbildung spielt bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
eine herausragende Rolle. Deshalb ist ein Modernisierungsprogramm des Bundes für
Berufsschulen mit 500 Mio. Euro jährlich vorzuschlagen, um deren Kapazitäten auf
die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft auszurichten, indem sie moder-
nisiert und digital besser ausgestattet werden. An Hochschulen sollen die Kapazitäten
für Deutsch als Fremdsprache bzw. als Zweitsprache deutlich ausgebaut werden, damit
endlich der Mangel an qualifizierten Sprachlehrerinnen und Sprachlehrern behoben
wird. Das BAföG und den Hochschulpakt müssen insgesamt bedarfsgerecht, aber be-
sonders auch für Geflüchtete aufgestockt werden.

Familie und Gesundheit
Gerade weil auch die Bundesregierung neuralgische Aspekte bei der Versorgung und
Unterstützung von Flüchtlingen identifiziert hat, ist das Ergebnis ihrer Bemühungen
im Bereich Familie, Frauen, Jugend und Engagement enttäuschend. Zu nennen sind
Punkte wie den Gewaltschutz, die psychosoziale Versorgung, oder auch die struktu-
relle Stärkung ehrenamtlichen Engagements. Die Hängepartie bei der Kürzung diver-
ser, erst im Vorjahr angehobenen flüchtlingsrelevanten Titel, bot schon ein denkbar
schlechtes politisches Signal. Entscheidend ist aber: sowohl beim Gewaltschutz, als
auch bei der psychosozialen Versorgung gibt es erheblich größeren Bedarf, als ihn die
Bundesregierung ausweist. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN for-
dert deshalb, für Gemeinschaftsunterkünfte gesetzliche Schutzstandards – so wie es
etwa das Bundeskinderschutzgesetz auch für andere Einrichtungen für Kinder vor-
sieht – üblich ist. Diese Maßnahme wäre bundesseitig mit jährlich 25 Mio. Euro zu
hinterlegen. Die über die Wohlfahrtsverbände eingesetzten 3 Mio. Euro für die Psy-
chosozialen Zentren können die Versorgungsprobleme nur lindern, nicht aber behe-
ben. Notwendig wären Haushaltsmittel von 50 Mio. Euro jährlich.

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Die Bundesregierung betont die Rolle zivilgesellschaftlichen Engagement auch in der
Flüchtlingshilfe. Dazu hatte die den Bundesfreiwilligendienst erweitert und das Pro-
gramm Menschen stärken Menschen eingerichtet. Ersteres hatte sie zu groß dimensi-
oniert und verzichtet leider nun darauf, die frei werdenden Mittel weiter im Einzel-
plan 17 in diesem Feld einzusetzen, z. B. für die pädagogische Begleitung in Freiwil-
ligendiensten oder die Fortentwicklung der Netzwerkarbeit für bürgerschaftliches En-
gagement. Junge Flüchtlinge, ob begleitet oder unbegleitet, stehen vielfach unter ei-
nem besonderen Druck, Hintergründe der Flucht, die Ankunft in einem neuen Kultur-
kreis und individuelle entwicklungspsychologische Sprünge gleichzeitig bewältigen
zu müssen. Hier kann freie Jugendarbeit wertvolle Hilfestellungen bieten, getragen
u. a. durch ein Bundesprogramm mit dem Schwerpunkt auf flüchtlingspolitische ori-
entierte Jugendarbeit im Umfang von 65 Mio. Euro jährlich.

Wohnen
Die gestiegenen Flüchtlingszahlen sind nicht die Ursache für die zunehmende Woh-
nungsnot in Deutschland, tragen aber zu einer weiteren Verschärfung des Problems
bei. Viel zu lange sind notwendige Maßnahmen unterblieben bzw. waren uneffektiv.
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der durch die Fehlentscheidungen der Ver-
gangenheit – insbesondere dem Ausstieg des Bundes aus der sozialen Wohnraumför-
derung – entstanden ist, muss schnellstmöglich beseitigt werden. Er birgt ein beträcht-
liches Integrationshemmnis, denn schon heute entscheidet die Frage, ob in der Nähe
der Wohnung eine gute Schule oder Kita liegt, darüber, ob Kinder die gleichen Zu-
kunftschancen haben. In Ballungsräumen und Unistädten ist es für breite Schichten zur
großen sozialen Herausforderung geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Per-
sonen mit kleinen und mittleren Einkommen werden zunehmend an den Rand gedrängt
und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft geht verloren. Bei der Suche nach be-
zahlbarem Wohnraum dürfen Geflüchtete und Menschen, die hier schon lange Zu-
hause sind, aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr ist eine „Grüne
Investitionsoffensive Wohnen“ für gutes Bauen und faire Mieten nötig, mit der inner-
halb der kommenden zehn Jahre eine Million bezahlbare Wohnungen in lebendigen
Nachbarschaften geschaffen werden. Über bezahlbares Wohnen wird der soziale Zu-
sammenhalt gestärkt. Sozialer Zusammenhalt und Integration fangen in der Nachbar-
schaft an und bauen auf gleiche Chancen. Attraktive Stadtteile sind lebendig und die
Menschen, die dort leben, identifizieren sich mit ihnen, engagieren sich gerne und kön-
nen sich für neue Wohn- und Lebensformen entscheiden. Dazu gehört die Alten-WG
genauso wie das gemeinsame Wohnprojekt von Studierenden mit jungen Geflüchteten
oder das Mehrgenerationenhaus.

Auswärtiges und Familiennachzug
Die Trennung von der Familie ist ein zentrales Integrationshemmnis. Wer ständig
Angst um seine engsten Angehörigen im Krieg in Syrien oder Irak haben muss, hat
weniger Kraft hier in Deutschland wirklich anzukommen. Wer an seine Familie denkt
und sich sorgt, kann sich nicht auf Integrationskurs, Schule, Ausbildung oder den
neuen Job konzentrieren. Die Perspektive möglicherweise erst nach langem Warten
wieder vereint zu sein, treibt zudem die betroffenen Familienmitglieder, auf gefährli-
chen Wegen nach Europa und Deutschland zu kommen. Fakt ist aber, dass die deut-
schen Auslandsvertretungen derzeit personell und räumlich so schlecht ausgestattet
sind, dass auch der rechtlich mögliche Familiennachzug in aller Regel erst nach vielen
Monaten, wenn nicht erst nach Jahren ermöglicht wird. Das führt dazu, dass die be-
troffenen Menschen in ständiger Sorge um ihre im Ausland befindlichen Kinder und
Ehegatten leben müssen. Vor diesem integrationspolitischen Hintergrund ist es mehr
als überfällig, das Personal in den besonders betroffenen deutschen Auslandsvertre-
tungen in den Anrainerstaaten Syriens deutlich aufzustocken, damit Anträge auf Fa-
miliennachzug binnen weniger Wochen bearbeitet werden können.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die nationalen Maßnahmen im Bereich Integration zu verbessern und dazu

in der Innenpolitik
• die Mittel für die Integrationskurse auf 750 Mio. Euro insgesamt zu erhöhen und

allen Geflüchteten den Zugang zu ermöglichen;
• den weiter steigenden Bedarf in der Migrationsberatung anzuerkennen und die

Migrationsberatung für Erwachsene um 17 Mio. Euro auf 62 Mio. Euro zu erhöhen;
• die Haushaltsmittel für die sogenannten niedrigschwelligen Frauenkurse bedarfs-

gerecht anzuheben;
• die Mittel für das Bundesprogramm „Strukturaufbau und Unterstützung von Eh-

renamtlichen in den Moscheegemeinden für die Flüchtlingshilfe“ zu verdoppeln;

in der Arbeitsmarktpolitik
• die strukturelle Unterfinanzierung der Jobcenter zu beseitigen, sodass genügend

Mittel zur Betreuung, Förderung und Vermittlung von Flüchtlingen vorhanden sind
und auch insgesamt eine effektivere aktive Arbeitsmarktpolitik möglich wird;

• das Programm IQ-Netzwerk um 12,5 Mio. Euro zu erhöhen;

in der Bildungspolitik
• 1,5 Mrd. Euro jährlich zusätzlich für den Ausbau und die Qualität von Kinderta-

gesstätten auf den Weg zu bringen und damit auch die erheblichen, aus Fluchtmig-
ration resultierenden Bedarfszuwächse zu berücksichtigen;

• eine große Bildungsoffensive zu starten, um zielgerichtet in die Bildung von ge-
flüchteten Kindern und Jugendlichen zu investieren, insbesondere mit einem fünf-
jährigen Schulsanierungsprogramm über insgesamt 10 Mrd. Euro und einem Bun-
desprogramm, das Berufsschulen bedarfsgerecht ausbaut sowie einer Abschaffung
des Kooperationsverbots im Bildungsbereich, um den Weg frei zu machen für ein
bundesweites Ganztagsschulprogramm;

• das BAföG und den Hochschulpakt entsprechend der Zahl und den Potenzialen der
Geflüchteten bedarfsgerecht aufzustocken und ein Stipendienprogramm für studie-
rende Flüchtlinge aufzulegen;

• mit einem Programmpaket im Bereich Bildung und Betreuung in Höhe von jährlich
69 Mio. Euro die Fachkräfte zu stärken und die Elternarbeit zu intensivieren und
weiterzuentwickeln;

in der Gesundheitspolitik
• 50 Mio. Euro für die Finanzierung der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und

Folteropfer (PSZ) sowie für den Einsatz von Sprach- und Kulturmittlerinnen und
-mittlern bei der Beratung und Behandlung traumatisierter Geflüchteter bereitzu-
stellen;

in der Frauen- und Familienpolitik
• jährlich 25 Mio. Euro für ein Programm zum Gewaltschutz in Flüchtlingseinrich-

tungen und zur Betreuung besonders gefährdeter geflüchteter Personengruppen be-
reitzustellen;

• die freie Jugendarbeit im Kontext der Fluchtmigration mit einem Bundesprogramm
in Höhe von jährlich 65 Mio. Euro jährlich flankierend zu unterstützen;

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in der Wohnungspolitik
• die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 2 Mrd. Euro zu erhöhen;
• mit der Wohngemeinnützigkeit neuen bezahlbaren Wohnraum gezielt zu fördern;

in der Auswärtigen Politik
• das Personal der deutschen Auslandsvertretungen in den Anrainerstaaten Syriens

so aufzustocken, dass Anträge auf Familiennachzug binnen weniger Wochen bear-
beitet werden können.

Berlin, den 21. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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