BT-Drucksache 17/9978

Frauen in Wissenschaft und Forschung - Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9978
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Ulla Burchardt, Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Willi Brase, Michael Gerdes, Klaus Hagemann, Christel Humme,
Oliver Kaczmarek, Caren Marks, Thomas Oppermann, Florian Pronold, René
Röspel, Swen Schulz (Spandau), Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Diana Golze,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Jan Korte,
Jutta Krellmann, Caren Lay, Cornelia Möhring, Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne
Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Frank Tempel, Kathrin
Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.
sowie der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner,
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Ulrich Schneider, Katrin
Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit
für Geschlechtergerechtigkeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Frauen sind in Wissenschaft und Forschung nach wie vor deutlich unterreprä-
sentiert. Je höher die Qualifikations- bzw. Karrierestufe, desto höher ist auch das
Exklusionsrisiko für Wissenschaftlerinnen. Zwar lassen sich in den letzten Jah-
ren einige Fortschritte feststellen, doch die Entwicklungsdynamik ist zu langsam
und die Ergebnisse sind unbefriedigend. Während der Frauenanteil im Jahr 2009
beim Bachelor noch bei 51,7 Prozent lag, waren bei C-4- und W-3-Positionen
Frauen nur noch mit 13,6 Prozent vertreten. Dies sind die Befunde der im No-
vember 2011 vorgelegten Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
„Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung“ (Bundestagsdruck-
sache 17/7756) der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN.
Daher ist es jetzt höchste Zeit, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungs-
einrichtungen verbindlich zu verpflichten, Zielquoten zu bestimmen, deren
Nichterfüllung Konsequenzen in der regulären Mittelvergabe zur Folge hat. In
der Würdigung des Handlungsbedarfs und der rechtlichen Möglichkeiten dies-
bezüglich kommt Prof. Dr. Susanne Baer in ihrem vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung herausgegebenen Gutachten „Rechtliche Grundlagen
für Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit in der Wissenschaft“ zu

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den klaren und eindeutigen Schlüssen, dass rechtlich eine „Pflicht besteht, Dis-
kriminierung hinsichtlich aller tradierten sozialen Ungleichheiten zu verhindern
und jedenfalls die Gleichstellung von Frauen und Männern auch aktiv zu för-
dern.“ Darüber hinaus stellt sie fest, dass „Gleichstellungsmaßnahmen […] auch
im Rahmen derjenigen Finanzierungsentscheidungen des Bundes geboten und
zulässig [sind], denen nach der Föderalismusreform noch größeres Gewicht zu-
kommt als zuvor. Hier geht es um die sanktionsbewehrte Bindung aller Finan-
zierungsentscheidungen an das Gleichstellungsziel.“

Es gibt viele sehr gut qualifizierte Frauen, die ihre Potenziale immer noch nicht
in einer Weise einbringen können, wie es möglich und angemessen wäre. Insbe-
sondere auf der Ebene von Führungs- und Entscheidungspositionen im Wissen-
schaftssystem bewegen sich die Frauenanteile auf niedrigem Niveau. Auch in
hochrangigen wissenschaftsbezogenen Beratungsgremien der Bundesregierung
finden sich oft nur wenige Frauen, obwohl ihre Besetzung seit 1994 unter das
Bundesgremienbesetzungsgesetz fällt. Diese Defizite bewirken, dass Frauen im
Vergleich zu Männern langfristig in ihren Einflussmöglichkeiten, ihrer Einkom-
menssituation sowie bei der Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen
benachteiligt werden. Gelingt es auch zukünftig nicht, mehr Wissenschaftlerin-
nen für verantwortliche Positionen zu gewinnen und die Unterrepräsentanz von
Frauen in führenden Positionen zu überwinden, wird dies zu bedeutenden Inno-
vations- und Qualitätseinbußen in Forschung und Wissenschaft führen – ganz zu
schweigen von volkswirtschaftlichen Verlusten, die durch die Vergeudung des
intellektuellen Potenzials von Wissenschaftlerinnen dauerhaft entstehen und die
sich im Zuge des demografischen Wandels ausweiten werden.

Die strukturelle Benachteiligung von Frauen manifestiert sich aber auch in der
Beschäftigungssituation. Dort, wo Nachwuchswissenschaftlerinnen als wissen-
schaftliche Mitarbeiterinnen eingestellt sind, zeigt sich, dass sie noch häufiger
als Männer befristet und in Teilzeit beschäftigt werden. Zu geringe Planungs-
und finanzielle Sicherheiten werden bei Befragungen von kinderlosen Nach-
wuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern als wichtige Bar-
rieren einer Familiengründung genannt.

Auch hinsichtlich der Einkommenssituation gibt es Hinweise darauf, dass das
Prinzip Equal Pay bei hochdotierten Posten in Wissenschaft und Forschung
nicht gegeben ist.

Abgesehen vom Professorinnenprogramm hat Bundesministerin Dr. Annette
Schavan bislang kaum eigene Impulse für mehr Geschlechtergerechtigkeit und
Qualität in Wissenschaft und Forschung gesetzt. Die Bundesregierung verweist
vielmehr auf die Selbstverantwortung der einzelnen Wissenschaftsorganisatio-
nen und - institutionen. Zwar bezieht sie sich rhetorisch positiv beispielsweise
auf die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen For-
schungsgemeinschaft e. V. (DFG) oder den jüngsten Beschluss der Gemeinsa-
men Wissenschaftskonferenz (GWK), der für Forschungseinrichtungen von
Bund und Ländern die Orientierung am so genannten Kaskadenmodell vorsieht.
Nach dem Kaskadenmodell soll der Frauenanteil einer Beschäftigungsgruppe
den aktuellen Frauenanteil der darunter liegenden Qualifikationsstufe erreichen.
Überlegungen, wie solche Ansätze verbindlich in die eigene Forschungspolitik
zu übertragen wären, bleibt sie jedoch schuldig. Ohne einen strategischen An-
satz der Politik, der auf mehr Verbindlichkeit und Ergebnisverantwortung setzt,
wird es aber – aller Gleichstellungsrhetorik zum Trotz – nicht gelingen, nachhal-
tige Veränderungen der Strukturen schnell und im notwendigen Maße zu errei-
chen. Da von 2010 bis 2019 voraussichtlich 11 653 (29,3 Prozent) Professorin-
nen und Professoren im Alter von 65 Jahren ausscheiden werden, muss diese
Zeitspanne unbedingt genutzt werden, um den Anteil von Frauen an den Profes-

suren nachhaltig zu steigern. Wird dieses „Fenster der Möglichkeiten“ nicht ge-
nutzt, wäre damit eine realistische Chance vertan, die Parität der Geschlechter

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auch in Spitzenpositionen der Wissenschaft in absehbarer Zeit zu erreichen.
Neben konkreten Ansätzen für wirksame Veränderungen bei der Besetzung von
Spitzenpositionen bedarf es vor allem besserer Rahmenbedingungen für junge
Nachwuchswissenschaftlerinnen, um mehr Frauen in der Wissenschaft zu halten
und ihnen eine akademische Karriere zu ermöglichen. Dafür müssen verläss-
liche Berufsperspektiven und modernisierte Personalstrukturen entwickelt wer-
den, um Wissenschaft als Beruf attraktiver zu gestalten.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemeinsam mit den Ländern in der GWK eine Strategie für mehr Geschlechter-
gerechtigkeit im Wissenschaftsbereich zu entwickeln und umzusetzen, die
konkrete Ziele, mehr Verbindlichkeit, überprüfbare Vereinbarungen und dem-
entsprechend folgende Elemente beinhaltet:

• Der im November 2011 in der GWK gefasste Beschluss, Zielquoten nach
dem Kaskadenmodell in den Forschungsorganisationen einzuführen, muss
weiterentwickelt und verbindlich ausgestaltet werden, indem beispielsweise
ab 2013 die Vergabe eines Teils der Mittel des Pakts für Forschung und
Innovationen an die Erfüllung quantifizierter gleichstellungspolitischer Ziele
gebunden wird.

• Die institutionelle und die projektgebundene Forschungsförderung ist an
gleichstellungspolitische Verpflichtungen zu knüpfen. Verbindliche qualita-
tive und quantitative gleichstellungspolitische Zielvorgaben können durch
Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarungen, Anreizsysteme und leis-
tungsorientierte Mittelvergabe erreicht werden, die ab 2013 zur Anwendung
kommen. Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssen insbeson-
dere zur Steigerung der Frauenanteile orientiert am Prinzip des Kaskadenmo-
dells verpflichtet werden. Dies beinhaltet ausdrücklich die Steigerung des
Frauenanteils in Führungspositionen.

• Die Erreichung gleichstellungspolitischer Ziele und Vorgaben muss anhand
von Kennzahlen und Leistungsindikatoren kontrolliert und über transparente,
regelmäßig veröffentlichte Evaluierungen dokumentiert werden. Erst eine
solche Erfolgskontrolle bietet die Voraussetzung, Fehlentwicklungen zu er-
kennen und Korrekturen zu ermöglichen.

• Mittelfristig muss angestrebt werden, dass der Anteil jeden Geschlechts auf
Entscheidungsebenen und in Evaluationsgremien von Forschungseinrichtun-
gen und Hochschulen mindestens 40 Prozent erreicht.

• Hochschul- und forschungsbezogene Programme müssen ab 2013 spezifi-
sche Maßnahmen und verbindliche Zielsetzungen zur Sicherung von mehr
Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung in der Wissenschaft beinhal-
ten.

III. Der Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf,

dem Deutschen Bundestag einmal pro Legislaturperiode einen Fortschritts-
bericht „Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung“ vorzulegen.
Darin enthalten sein müssen

• eine Evaluierung aller gleichstellungspolitischen Programme, Maßnahmen
und Initiativen des Bundes, um zu prüfen, inwieweit die Ziele umgesetzt und
erreicht wurden;

• die Evaluierung der gleichstellungspolitischen Maßnahmen von außeruniver-
sitären Forschungseinrichtungen, um zu prüfen, inwieweit die Ziele umge-

setzt und erreicht wurden. Dabei sollten auch die Ergebnisse bestehender

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Berichtssysteme wie der Monitoringbericht im Rahmen des Pakts für For-
schung und Innovation berücksichtigt werden;

• die Evaluierung der Wirkung von Hochschul- und Qualitätspakt im Hinblick
auf gleichstellungspolitische Maßnahmen.

IV. Der Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf,

• als Geldgeberin und als Mitglied in Kuratorien oder Aufsichtsräten darauf
hinzuwirken, dass wissenschaftliche Einrichtungen und Forschungsvorhaben
qualitative und quantitative Vorgaben zur Steigerung der Anteile von Frauen
insgesamt und in Führungspositionen konsequent umsetzen und systematisch
kontrollieren;

• die verbindliche Einhaltung von Gleichstellungsstandards und qualitätssi-
chernden Kriterien innerhalb der projektbezogenen Forschungsförderung des
Bundes und innerhalb der Ressortforschung nach dem Vorbild der DFG zum
Bestandteil von Bewilligungszusagen zu machen. Diese Standards müssen
sowohl strukturelle als auch personelle Qualitätskriterien umfassen. Als Vo-
raussetzung für die wirkungsvolle Implementierung von Gleichstellungsstan-
dards sind auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ressorts und Pro-
jektträger, die die Forschungsförderung in Planung, Vergabe und Umsetzung
begleiten, im Bereich der Genderkompetenzen zu qualifizieren;

• das erfolgreiche Professorinnenprogramm so zu konzipieren, dass auch Fach-
hochschulen das Programm praktisch nutzen können. Die bei der Bewerbung
der Hochschulen geforderten Gleichstellungskonzepte sind nach Bewilli-
gung auf ihre Umsetzung hin zu überprüfen;

• Maßnahmen zu ergreifen, die für den wissenschaftlichen Nachwuchs attrak-
tivere Arbeitsbedingungen und verlässlichere Karriereperspektiven schaffen.
Dazu gehören die Neuauflage erfolgreicher Nachwuchsprogramme, wie die
Förderung der Juniorprofessur mit einer Tenure-Track-Option, und Änderun-
gen am Wissenschaftszeitvertragsgesetz;

• zur Berücksichtigung von Frauen in hochrangigen wissenschaftlichen Bera-
tungsgremien des Bundes im Bundesgremienbesetzungsgesetz bis Ende
2012 verbindliche Zielvorgaben für eine geschlechterparitätische Besetzung
der Stellen, die nicht qua Funktion festgelegt sind, vorzulegen und das Ver-
fahren der Doppelbenennung ersatzlos zu streichen. Der Deutsche Bundestag
ist im oben genannten jährlichen Bericht über die Umsetzung dieser Zielvor-
gaben zu unterrichten;

• eine Expertinnendatenbank für jene Fachdisziplinen einzurichten, in welchen
Frauen stark unterrepräsentiert sind. Auf dieser Grundlage soll die Besetzung
von Führungspositionen und Gremienbesetzungen durch Frauen erleichtert
bzw. gezielt gefördert werden;

• nach Vorlage des Berichts des Wissenschaftsrates zur Umsetzung der „Offen-
sive für Chancengleichheit“ zu prüfen, welche Konsequenzen und weiteren
Maßnahmen erforderlich sind, um in der außeruniversitären Forschung die
Verbindlichkeit bei der Umsetzung gleichstellungspolitischer Zielsetzungen
zu erhöhen;

• hinsichtlich der Einkommen auf die Offenlegung der Gehaltsstrukturen hin-
zuwirken. Daraus muss deutlich werden, wie Gehälter aus Basisanteil und
erfolgsabhängiger Bezahlung zusammengesetzt sind, um mögliche Unge-
rechtigkeiten in den Gehaltsstrukturen aufzudecken und zu beheben.

• Genderforschung und -perspektiven systematisch in forschungsbezogenen

Rahmenprogrammen und in der High-Tech-Strategie zu verankern und da,
wo noch nicht in Forschungsprogrammen vorhanden, unverzüglich nachzu-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9978

legen und innerhalb Jahresfrist dem Deutschen Bundestag und der Öffent-
lichkeit bekannt zu machen;

• Gender-Studies zu fördern und sich dabei am Berliner Programm für Chan-
cengleichheit, in dem sich das Land erfolgreich für die Förderung und Pro-
fessionalisierung von Wissenschaftlerinnen an Berliner Hochschulen ein-
setzt, zu orientieren.

Berlin, den 13. Mai 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Vergeudung des intellektuellen Potenzials von Frauen rückt zunehmend als
gravierendes Innovations- und Qualitätsdefizit in Forschung und Wissenschaft
ins Bewusstsein der Verantwortlichen und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.
Die Befunde der Großen Anfrage „Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft
und Forschung“ der Fraktionen SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/5541, bestätigen erneut eine skandalöse
Situation für Frauen in der Wissenschaft. Je höher die Position in Wissenschaft
und Forschung angesiedelt ist, desto niedriger ist nach wie vor der Frauenanteil.
Im Jahr 2009 erreicht der Frauenanteil beim Bachelor 51,7 Prozent, bei den Pro-
motionen nur noch 44,1 Prozent. Auf der Ebene der Professuren sind Frauen nur
noch zu 18,2 Prozent und bei C-4- und W-3-Positionen zu 13,6 Prozent vertre-
ten, in den Hochschulleitungen sind nur 11,3 Prozent der Präsidenten und Rek-
toren weiblich. Betrachtet man die Entwicklung in den Jahren 2000 bis 2009,
gibt es Steigerungen der Frauenanteile bei den Promotionen von 34,3 Prozent
auf 44,1 Prozent, bei Professuren von 10,5 Prozent auf 18,2 Prozent und bei
C- 4- und W-3-Positionen von 7,1 Prozent auf 13,6 Prozent. Dennoch kommt die
Parität der Geschlechter nur schleppend voran und würde mit gleichem Tempo
erst gegen Ende des Jahrhunderts erreicht werden können. Die entscheidende
Barriere liegt nach der Promotion: An dieser Stelle verlassen überproportional
viele Frauen das Wissenschaftssystem.

Die außeruniversitären Einrichtungen haben zum Teil noch größeren Nachhol-
bedarf. Nur 11,4 Prozent des wissenschaftlichen Führungspersonals der außer-
universitären Einrichtungen sind weiblich. Dabei reicht als Erklärung, dass das
Ausgangsniveau in naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen niedriger sei
und diese die außeruniversitäre Forschung stark prägen würden, nicht aus. Ein-
richtungen, die sich verbindliche gleichstellungsorientierte Ziele setzen wie bei-
spielsweise die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften
e. V. (MPG), gelingt es besser, das Potenzial an Nachwuchswissenschaftlerin-
nen zu erschließen. Sind die MPG und die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förde-
rung der angewandten Forschung e. V. (FhG) 1992 noch mit fast gleich niedri-
gem Frauenanteil in wissenschaftlichen Führungspositionen gestartet – 2,3 bzw.
2,2 Prozent – schaffen es heute bei der MPG 19 Prozent Frauen in Leitungs-
positionen, in der FhG dagegen weiterhin nur 2,8 Prozent.

Auch in den wissenschaftlichen Beratungsgremien der Bundesregierung sind
Frauen rar: 1994 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, die Teilhabe von

Frauen an Gremien im Einflussbereich des Bundes zu erhöhen. Darunter sind
94 hochrangige wissenschaftliche Beiräte und Kommissionen. Die Große An-

Drucksache 17/9978 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

frage zeigt, dass auch nach 17 Jahren die Teilhabe von Frauen nur für ein knap-
pes Viertel der Stellen gilt. In manchen Gremien gibt es bis heute keine Frauen.
Der jährliche Aufwuchs beträgt gerade einmal 1 Prozent. Es zeigt sich, dass sich
Verfahrensregelungen ohne verbindliche Zielvorgaben und verbindliche Konse-
quenzen als stumpfes Schwert erweisen.

Offenbar sind Wissenschaftlerinnen von den zunehmend schwierigen Beschäf-
tigungsbedingungen, maßgeblich verursacht durch sich verschlechternde
Grundausstattungen der Hochschulen, in besonders benachteiligender Weise be-
troffen. Laut Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage (Bundestags-
drucksache 17/7756) arbeiten 58 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterin-
nen befristet und in Teilzeit, also mit vergleichsweise wenig Einkommen und
unsicherer Perspektive. Bei den Männern sind knapp 40 Prozent betroffen. Auch
über alle wissenschaftlichen Beschäftigtengruppen hinweg arbeitet über die
Hälfte der Frauen in befristeten Teilzeitverhältnissen, bei den Männern hingegen
ein gutes Drittel. Die Qualität der Beschäftigung wird maßgeblich davon beein-
flusst, wie viel Zeit und Ressourcen bereitgestellt werden, um beruflich weiter-
zukommen. Das Ausscheiden aus dem wissenschaftlichem Werdegang ist viel-
fach Folge und Problem.

Die Antwort auf die Große Anfrage (Bundestagsdrucksache 17/7756) brachte
auch zu Tage, dass die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf für eine bes-
sere Integration der Geschlechterforschung in der Forschungsförderung des
Bundes sieht. Die Bundesregierung verfügt offenbar nicht einmal über Indikato-
ren, die Erfolge bei der bisherigen Umsetzung von Gender-Mainstreaming in
Forschungsvorhaben anzeigen könnten. Dabei hat bereits die vom Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung 2010 herausgegebene Studie „Recht-
liche Grundlagen für Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit in der
Wissenschaft“ problematisiert, dass die einschlägige Arbeitshilfe zum Gender-
Mainstreaming in Forschungsvorhaben der Ressortforschung offenbar keine
Anwendung findet. Es wird daher ein neuer Ansatz benötigt, um gender-
relevante Aspekte und Genderforschungsperspektiven stärker in die For-
schungsförderung und die -vergabe des Bundes integrieren zu können.

Angesichts der unbefriedigenden Situation für Frauen in der Wissenschaft gab
es bereits in der vergangenen Legislaturperiode eine Expertenanhörung im Aus-
schuss für Bildung und Forschung des Deutschen Bundestages und von allen
parlamentarischen Fraktionen Anträge dazu. Der Deutsche Bundestag beschloss
daraufhin, die Bundesregierung dazu aufzufordern, in Zusammenarbeit mit den
Ländern und Wissenschaftseinrichtungen zukünftig einen deutlichen Schwer-
punkt auf die Erhöhung des Frauenanteils in höheren Statusgruppen und Spit-
zenpositionen zu legen.

Forschungs- und Institutionenförderung sollte an verbindliche Zielvereinbarun-
gen zur Gleichstellung geknüpft werden (vgl. Bundestagsdrucksache 16/9756).
Die schwarz-gelbe Bundesregierung bekräftigte dann auch zu Beginn der lau-
fenden Legislaturperiode, ihren Beitrag für bessere Karrierechancen von Frauen
in Wissenschaft und Forschung leisten zu wollen. Auf die Absichtserklärung
folgten aber weder Initiativen, Gleichstellungsstandards systematisch in die Pro-
jektforschungsförderung oder der Ressortforschung zu implementieren, noch
wurde eine stärkere Verbindlichkeit gleichstellungspolitischer Ziele etwa im
Hochschulpakt, der Exzellenzinitiative oder dem Pakt für Forschung und Inno-
vation verankert.

Es war richtig, die gleichstellungspolitischen Initiativen der 16. Legislatur-
periode, wie das Professorinnenprogramm oder das Förderprogramm „Frauen
an die Spitze“ fortzusetzen. Neue Impulse für mehr Geschlechtergerechtigkeit
und Qualität im Wissenschaftsbereich hat die Regierung der CDU/CSU und

FDP jedoch nicht gesetzt. Ein eigener strategischer Ansatz ist nicht erkennbar.
Daher muss in diesem Bereich dringend nachjustiert werden. Die Leiterin des

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9978

Gender-Sektors der Generaldirektion Research & Innovation der EU, Viviane
Willis-Mazzichi, sprach am 17. November 2011 in Berlin dann auch vom not-
wendigen Strategiewechsel, „from fixing the women to fixing the institutions“.
Nachdem man lange Zeit Frauen für Wissenschaft und Forschung fit machen
wollte, ist es an der Zeit, die Einrichtungen für Frauen fit zu machen.

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