BT-Drucksache 17/9927

Für einen wirkungsvollen UN-Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty)

Vom 12. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9927
17. Wahlperiode 12. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Michael Groschek, Uta Zapf, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter
Bartels, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Karin Evers-
Meyer, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Dr. h. c. Susanne Kastner,
Lars Klingbeil, Hans-Ulrich Klose, Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf, Ullrich Meßmer,
Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Christoph Strässer,
Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der
Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Katja Dörner, Katrin Göring-Eckardt,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Dr. Tobias Lindner, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-
Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für einen wirkungsvollen UN-Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Arms Trade Treaty (ATT), der im Juli 2012 von den Vereinten Nationen
beschlossen werden soll, bietet eine bisher nicht dagewesene Möglichkeit, in-
ternationalen Waffenhandel mit rechtlich bindenden Mitteln zu kontrollieren
und zu regulieren. Zwar ist die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages un-
ter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen groß, über die Reichweite des
Vertrages gehen die Meinungen zwischen den Staaten allerdings auseinander.
Uneinigkeit herrscht nach wie vor über den Geltungsbereich des Vertrages,
d. h. welche Rüstungsgüter genau reguliert werden sollen, sowie über men-
schenrechtliche Kriterien und über die Implementierung des Vertrages.

Das Eintreten der Bundesregierung für einen möglichst hohen Standard in Be-
zug auf Reichweite und Kriterien des Vertrages ist von hoher Bedeutung.
Deutschland muss sich für die Erfassung von Klein- und Leichtwaffen ein-
schließlich Munition durch den Vertrag einsetzen und dafür sorgen, dass so ge-
nannte Goldene Regeln aufgenommen werden, die die Berücksichtigung der
Menschenrechtslage und der sozio-ökonomischen Entwicklung im Empfänger-
staat gebieten. Die Bundesregierung muss sich in den Verhandlungen für eine

verpflichtende Berichterstattung über Rüstungsgüterimporte und -exporte stark
machen.

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass sich die Europäische Union im Namen
aller EU-Mitgliedstaaten gegen verpflichtende Berichterstattung ausgesprochen
hat. Als Begründung wurde ein Zuviel an Bürokratie angegeben. Dies erscheint
paradox, da es seit 2008 eine entsprechende Berichtspflicht auf europäischer
Ebene gibt. Dieser haben alle EU-Mitgliedstaaten zugestimmt.

Drucksache 17/9927 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nur eine detaillierte Berichtspflicht über Waffenlieferungen jeder Art kann da-
für sorgen, dass illegaler Waffenhandel zwischen Staaten verhindert und in-
transparenter Waffenhandel effektiv reguliert werden kann. Eine detaillierte
Berichtspflicht über Waffenexporte, wie sie im Chairman’s Draft Paper vom
Juli 2011 vorgeschlagen wurde, soll Nachweise über Autorisierung, Transfers
und Ablehnung von Rüstungsgütern innerhalb des Staatsgebietes beinhalten
und neben Details über Art und Anzahl der Lieferungen auch den Empfänger-
staat und etwaige Transitstaaten benennen, die in den jeweiligen Handel einbe-
zogen sind. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass die Europäi-
sche Union ihre Haltung revidiert.

Um eine effektive Implementierung der Berichtspflicht und des gesamten Waf-
fenhandelsvertrages zu gewährleisten, ist zudem in einem Entwurf des Vertra-
ges vom Juli 2011 die Erschaffung einer sogenannten Implementation Support
Unit (ISU) vorgeschlagen worden. Diese könnte nach bisherigen Vorstellungen
die jeweiligen Berichte der einzelnen UN-Mitgliedstaaten als zentraler Verwal-
tungsort sammeln und auf Anfrage anderen Staaten zur Verfügung stellen. Die
Bundesregierung hat der Einrichtung einer ISU zwar zugestimmt, möchte ihr
aber, von administrativen, „minimalen“ Strukturen abgesehen, keine weiteren
Kompetenzen zugestehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf internationaler Ebene für einen starken und wirkungsvollen ATT
einzusetzen und dafür unter den UN-Mitgliedstaaten zu werben;

2. sich dafür einzusetzen, dass der Geltungsbereich des ATT auch Kleinwaffen
und leichte Waffen sowie Munition, Sprengstoffe und andere Rüstungskom-
ponenten beinhaltet;

3. den ATT nicht nur als Exportkontrollabkommen zu behandeln, sondern in
seiner Reichweite auf Import, Transit, Lizenzherstellung und Technologie-
transfer auszudehnen;

4. sich mindestens um die Aufnahme der „Goldenen Regeln“ in den ATT zu
bemühen, damit Rüstungsgüter nicht an Staaten geliefert werden, in denen
sie für Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht
genutzt werden;

5. sich für die Aufnahme von Kriterien in den ATT einzusetzen, die zur Beach-
tung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates beim Handel mit
Rüstungsgütern führen;

6. sich für eine umfassende, regelmäßige und transparente Berichtspflicht ein-
zusetzen und eine starke ISU zu fördern, die

• die Umsetzung des ATT überwacht,

• Nachweise über den Handel mit und den Endverbleib von Rüstungs-
gütern von UN-Mitgliedstaaten einfordern darf,

• die Auswertung der eingegangenen Berichte sicherstellt;

7. sich für die Bereitstellung von ausreichenden Mitteln für die ISU einzuset-
zen;

8. sich dafür stark zu machen, dass die Länder verpflichtet werden, auch die
Ablehnung von einzelnen Rüstungsexportentscheidungen anzugeben.

Berlin, den 12. Juni 2012
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9927

Begründung

Der Arms Trade Treaty (ATT) stellt eine historische Chance dar, die zerstöreri-
schen Auswirkungen des weltweiten Waffenhandels nachhaltig und wirkungs-
voll einzuschränken. Nach anfänglichem Zögern und anfänglicher Ablehnung
ist die Zustimmung zum ATT heute so hoch wie nie: Alle UN-Mitgliedstaaten
haben die generelle Notwendigkeit eines ATT mittlerweile anerkannt. Trotz-
dem besteht nach wie vor Uneinigkeit u. a. über die Rüstungsgüter, die durch
den Vertrag reguliert werden sollen, über die rechtlichen Parameter, die der
Vertrag beinhalten sollte (z. B. Verbot der Verletzung von bestehenden völker-
rechtlichen Verträgen), und die Implementierung des Vertrages. Auf dem letz-
ten Vorbereitungstreffen (Preparatory Committee Meeting) vor dem geplanten
Abschluss des Vertrages im Juli 2012 hat das United Nations Committee on the
Arms Trade Treaty (UNCATT) entschieden, den ATT im Juli 2012 im Konsens
zu verabschieden. Angesichts der Uneinigkeit bei den genannten Themen steht
zu befürchten, dass zugunsten des Konsensprinzips ein inhaltlich schwacher
und nicht bindender ATT beschlossen wird (Rüstungsexportbericht 2011 der
Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung). Deswegen ist das Eintre-
ten der Bundesregierung für einen starken, bindenden ATT von hoher Bedeu-
tung. Da schon das Veto eines einzigen Staates ausreicht, um den Vertrag abzu-
lehnen, kommt Deutschland als einem der führenden Rüstungsexporteure eine
besondere Vorbildfunktion zu, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass
andere Nationen wie z. B. Russland sich für einen abstrakt gehaltenen und da-
mit schwachen ATT ausgesprochen haben. Ein schwacher ATT wird das Pro-
blem des unregulierten globalen Waffenhandels nicht lösen können. Dafür sind
konkrete, rechtlich bindende Maßnahmen nötig. Deshalb fordern wir die Bun-
desregierung auf, ihr diplomatisches Gewicht für einen starken ATT einzuset-
zen, um die historische Chance nicht zu verpassen.

Eine dieser Maßnahmen ist eine regelmäßige Berichterstattung über sämtliche
Rüstungsexporte, -importe und -transfers auf dem Staatsgebiet der UN-Mitglie-
der. Um den Handel mit Rüstungsgütern zukünftig transparent zu gestalten, ist
eine Berichtspflicht unabdingbar. Im ersten Entwurf zum ATT, der im Juli letz-
ten Jahres vom Vorsitzenden des UNCATT, Roberto García Moritán, vorgelegt
wurde, sind regelmäßige Berichterstattungen seitens der Staaten vorgesehen,
die u. a. die Anzahl von Rüstungsgütern, den Modelltyp, Details zum Empfän-
ger der Lieferungen und Informationen über die Ablehnung von Rüstungsliefe-
rungen beinhalten. Diese vorgeschlagene Berichtspflicht schließt den multilate-
ralen Handel zwischen Staaten wie auch zwischen nichtstaatlichen Akteuren
mit ein. Sie ist dem institutionellen, staatlichen Rahmen des ATT angemessen,
da sie den Staat als Akteur auf der internationalen politischen Ebene in die Ver-
antwortung nimmt. Nur mit einer entsprechenden Berichtspflicht kann der An-
spruch des ATT durchgesetzt werden, globalen Rüstungshandel zukünftig
transparenter zu gestalten. Mangelnde Transparenz und die fehlende Berichts-
pflicht haben in der Vergangenheit immer wieder zu Gewalt, Gefährdung der
Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverletzungen geführt, wie die Berichte
von NGOs wie z. B. von Amnesty International veranschaulichen. Nur in selte-
nen Fällen erfahren dubiose Waffendeals die Aufmerksamkeit der Öffentlich-
keit, wie es z. B. der Fall bei der Bestellung von deutschen Panzern vom Typ
„Leopard 2“ durch Saudi-Arabien im Juli 2011 war. Eine Berichtspflicht, die
Staaten zwingt, sämtliche Informationen über Rüstungsexporte offenzulegen,
würde Geschäfte wie diese in Zukunft im Vorfeld stark erschweren und poten-
tielle Menschenrechtsverletzungen mit gelieferten Rüstungsgütern im Empfän-
gerland verhindern können. Zudem würde die normative Priorität der Men-
schenrechte rechtlich festgeschrieben werden, die gegenüber allen anderen
wirtschaftlichen oder politischen Interessen eines Staates vorrangig sein soll-

ten. Die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegenüber einer Berichts-
pflicht ist angesichts der Menschenrechtssituation in vielen Staaten der Welt,

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die Rüstungsexporte anderer Staaten empfangen, nicht nachvollziehbar. Das
Argument, eine entsprechende rechtlich bindende Berichtspflicht sei mit zu ho-
hem bürokratischen Aufwand verbunden, um sie auf internationaler Ebene ein-
zuführen, scheint angesichts bestehender Regelungen auf europäischer Ebene
widersprüchlich. Schon seit 2008 ist in Artikel 8 des „Gemeinsamen Stand-
punktes 2008/944“ der EU-Mitgliedstaaten festgesetzt, dass jeder EU-Mitglied-
staat allen anderen Mitgliedstaaten jährlich über „seine Ausfuhren von Militär-
technologie und Militärgütern“ zu berichten hat. Die Berichte werden jedes
Jahr im „Amtsblatt der Europäischen Union“ veröffentlicht. Auch wenn der
bürokratische Aufwand der Berichtspflicht im ATT größer wäre, beweist die
bisher erfolgreiche Anwendung von Artikel 8 des „Gemeinsamen Standpunk-
tes“, dass eine Berichterstattung auf europäischer Ebene möglich ist.

Um die Berichtspflicht organisatorisch umzusetzen, erscheint die Einrichtung
einer „Implementation Support Unit“ (ISU), wie sie im Chairman’s Draft Paper
vom Juli 2011 vorgesehen wird, sinnvoll. Die Bundesregierung hat zwar die
Einrichtung einer ISU begrüßt, fordert allerdings, dass die ISU über „minimale
Strukturen“ verfügen und nur administrativen Aufgaben nachkommen solle.
Die von der Bundesregierung geforderten minimalen Strukturen werden dem
komplexen Problem internationalen Waffenhandels nicht gerecht und sind im
besten Fall ineffektiv. Die ISU hat das Potential, nicht nur die Berichterstat-
tung, sondern auch andere Forderungen des ATT effektiv zu unterstützen, zu
organisieren und umzusetzen, wie z. B. Informationsaustausch über die natio-
nalen Regulierungen oder finanzielle Unterstützung bei der Implementierung
des ATT für hilfebedürftige UN-Mitgliedstaaten. Angesichts einer mangelnden
Organisations- und Verwaltungseinheit auf internationaler Ebene, die diese
Aufgaben koordinieren könnte, ist eine umfangreiche ISU zu befürworten, wie
sie im Chairman’s Draft Paper vorgeschlagen wird. So soll die ISU neben der
Verwaltung der jährlichen Rüstungsexportberichte als Ansprechpartner bei ab-
gelehnten Rüstungsgütertransfers fungieren.

Eine weitere Forderung bezieht sich auf das als „Goldene Regel“ bezeichnete
Verbot, Rüstungsgüter an Staaten zu liefern, in denen sie für Verstöße gegen die
Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht genutzt werden. Im „Gemein-
samen Standpunkt“ der EU-Mitgliedstaaten ist eine entsprechende Regelung
schon in Artikel 2 Absatz 2 getroffen. Diese Regel wird von vielen NGOs, wie
z. B. Amnesty International, für den ATT gefordert und ist bisher auch von der
Bundesregierung unterstützt worden. Diese Forderung ist weniger als Kritik
denn viel mehr als Bestärkung der Bundesregierung gedacht. Angesichts der
Forderungen von Staaten wie z. B. Russland nach einem abstrakten, schwach
bindenden ATT mit explizitem Ausschluss von Menschenrechten ist das Eintre-
ten der Bundesregierung für die Aufnahme der „Goldenen Regel“ und von
Menschenrechtskriterien in den ATT auf internationaler Ebene von hoher Be-
deutung. Deutschland ist zwar drittgrößter Exporteur von Rüstungsgütern, kann
in diesem Fall aber als Vorbild für andere Staaten dienen.

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