BT-Drucksache 17/9166

EU-Datenschutzreform unterstützen

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9166
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai Gehring,
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Jerzy Montag, Beate
Müller-Gemmeke, Lisa Paus, Manuel Sarrazin, Wolfgang Wieland, Josef Philip
Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Datenschutzreform unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission
für eine umfassende Modernisierung des europäischen Datenschutzrechts. Mit
dem am 25. Januar 2012 vorgelegten Entwurf einer „Datenschutz-Grundverord-
nung“ (KOM(2012) 11 endg.) sowie der Richtlinie für die Datenverarbeitung
zur Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder
der Strafvollstreckung (KOM(2012) 10 endg.) wird die nach allgemeiner An-
sicht lange überfällige Reform insbesondere der Richtlinie 95/46 aufgenommen
sowie die weitere Harmonisierung des EU-Datenschutzrechts vorangetrieben.
Der Deutsche Bundestag empfiehlt allen am Reformprozess beteiligten Institu-
tionen und Gruppen, die damit verbundene besondere Chance für Verbesserun-
gen des Datenschutzes zu nutzen und sich umfänglich, konstruktiv und transpa-
rent in diesen Reformprozess einzubringen.

Der Deutsche Bundestag erinnert daran, dass die auf mehreren Grundrechts-
geboten basierenden Datenschutzregelungen aufgrund der auf dynamische
Technologieentwicklungen bezogenen Regelungsansätze ohnehin immer wie-
der auf ihre Realitätstauglichkeit überprüft und ggf. reformiert werden müssen.
Durch die digitale Revolution des zurückliegenden Jahrzehnts in nahezu allen
Bereichen des Alltages ist ein besonders massiver Anpassungsbedarf entstan-
den. Insbesondere die Digitalisierung und das Internet fordern zur Modernisie-
rung der gegenwärtigen Schutzkonzepte in besonderem Maße heraus. Dem Da-
tenschutz kommt dabei in der sich weiter entfaltenden Kommunikationsgesell-
schaft eine Schlüsselrolle zu. Entsprechende Reformbestrebungen dienen des-
halb den Interessen der Bürgerinnen und Bürger als auch denen von Behörden
und Unternehmen gleichermaßen, weil erst die Schaffung eines effektiven recht-
lichen und verfassungskonformen Rahmens für den Umgang mit persönlichen
Daten und Informationen das notwendige Vertrauen in die Nutzung moderner

Informations- und Kommunikationstechnologien zu schaffen vermag.

Weil die Datenströme heute mehr denn je grenzüberschreitend verlaufen, sind
neben nationalen sowie verbindlichen internationalen Regelwerken starke supra-
nationale Regelungen auch auf EU-Ebene unabdingbar. Mit einem entsprechen-
den Mehrebenenansatz und deren kluger Verschränkung, bei der auch Spiel-
räume für nationale Besonderheiten sowie Verbesserungen und Innovationen

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erhalten bleiben, kann ein breites und zukunftsfähiges Fundament für den Da-
tenschutz geschaffen werden.

Vor dem Hintergrund von aktuellen Diensten wie dem Cloud Computing, Social-
Media-Plattformen, anderen sich ins Internet verlagernden, vielfältigen Ange-
boten und den immer umfassenderen Datenverarbeitungspraktiken großer An-
bieter wie etwa Google und Facebook, erscheint die weitere Harmonisierung auf
EU-Ebene zwingend, um nicht zuletzt die Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit
grundlegender Datenschutzregelungen auch in Zeiten des Internets sicherzustel-
len. Der Deutsche Bundestag betont deshalb, dass mit deutschem Datenschutz-
recht allein kein wirksamer Schutz vor staatlicher Überwachung und global auf-
gestellten und agierenden Unternehmen bewirkt werden kann.

Die bestehenden europarechtlichen Vorgaben des nichtöffentlichen Bereichs der
Richtlinie 95/46 sind mit über 15 Jahren völlig veraltet. Sie wurden zudem in
den Mitgliedstaaten so unterschiedlich umgesetzt, dass das angestrebte gemein-
same EU-weite Schutzniveau innerhalb der EU teilweise verfehlt wurde. Er-
schwert wird die Harmonisierung zudem dadurch, dass die für die Durchsetzung
der nationalen Bestimmungen zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden über
unterschiedliche Zuständigkeiten und Instrumente verfügen und in Auslegungs-
praxis und Vollzug teilweise unterschiedliche Maßstäbe entwickelt haben. Für
Unternehmen der Privatwirtschaft wird damit eine an der jeweils günstigsten
Regelungs- und Vollzugslage ausgerichtete Standortwahl (forum shopping)
möglich.

Dringlich erscheint aus Sicht des Deutschen Bundestages ein verbesserter euro-
päischer Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Denn
die personenbezogene Datenverarbeitung innerhalb der Mitgliedstaaten und der
Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten der EU nehmen ständig zu, ohne
dass vergleichbare hohe Schutzstandards für persönliche Daten in den Mitglied-
staaten bestünden. Dementsprechend besteht nach derzeitiger Rechtslage auch
keine hinreichende Trennung mehr zwischen den aus anderen Mitgliedstaaten
übermittelten Daten und den allein nach nationalen Bestimmungen verarbeiteten
Daten. Gleichwohl hebt der Deutsche Bundestag hervor, dass in diesem Bereich
insbesondere hinsichtlich der polizeilichen Datenerhebungs- und Verarbeitungs-
praxis eine umfängliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit
einem aus bürgerrechtlicher Sicht beachtlichen Schutzniveau entstanden ist,
dessen Absenkung verhindert werden muss.

Der Deutsche Bundestag betont zudem, dass die bestehenden Regelungsent-
würfe noch zahlreiche Fragen aufwerfen, Lücken aufweisen und deshalb deut-
licher Verbesserungen bedürfen. Er wünscht sich deshalb eine möglichst breite
und sorgfältige öffentliche Diskussion zu allen aufgeworfenen Fragen, so dass
Anregungen und Ideen zur Verbesserung der Reformentwürfe auch tatsächliche
Berücksichtigung finden können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass auf europäischer Ebene eine
Datenschutzreform mit dem höchstmöglichen Datenschutzniveau zustande
kommt;

2. sicherzustellen, dass die Datenschutz-Grundverordnung die Rechtspositio-
nen der Bürgerinnen und Bürger wahrt;

3. darauf hinzuwirken, dass alle wesentlichen Vorgaben in den Rechtsakten hin-
reichend konkret festgelegt werden und insofern die zahlreichen untergesetz-
lichen Ermächtigungsbestimmungen für die Kommission eingeschränkt wer-
den;

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4. im weiteren Prozess die fachlichen Anregungen der Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder für weitere Verbesserungen der Regelungswerke
aufzugreifen und in Brüssel aktiv zu vertreten;

5. sich Regelungen entgegenzustellen, mit denen das bei uns bestehende inner-
betriebliche System der Kontrolle durch Behörden- und Betriebsdatenschutz-
beauftragte sachwidrig aufgeweicht wird;

6. sich dafür einzusetzen, dass durch die Reform keinerlei Absenkung des bei
uns erreichten Datenschutzniveaus erfolgt, und dementsprechend gegebe-
nenfalls auf entsprechende Ausnahmeregelungen hinzuwirken;

7. für den Bereich der öffentlichen Verwaltung des Bundes und der Länder da-
rauf hinzuwirken, dass nationale Besonderheiten und das in Teilbereichen
höhere Schutzniveau erhalten bleiben. Die Verordnung sollte insoweit die
Möglichkeit eröffnen, durch einzelstaatliches Recht weitergehende Regelun-
gen zu treffen, die entsprechend der jeweiligen Rechtstradition die Grund-
rechte der Bürgerinnen und Bürger absichern. Dazu gehören in Deutschland
die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Da-
tenschutzgrundsätze, die bewahrt und weiterentwickelt werden müssen. Im
Bereich des Entwurfs einer Richtlinie für die Sicherheitsbehörden sollte die
Bundesregierung auf möglichst hohe europaweite Mindeststandards hinwir-
ken und dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit lassen, im Rahmen der
nationalen Rechtstradition zusätzliche Regelungen – insbesondere im Polizei-
und Strafprozessrecht – zur Gewährleistung der Grundrechte vorzusehen.
Eingriffs- und Speicherungsschwellen müssen normenklar und verhältnis-
mäßig ausgestaltet sein;

8. sich dafür einzusetzen, dass trotz des Wechsels hin zum Regelungsinstrument
der Verordnung das bestehende Niveau des für Datenschutzfragen bestehen-
den gerichtlichen Rechtschutzes möglichst erhalten bleibt bzw. gegebenen-
falls kompensierende Maßnahmen auf europäischer Ebene geschaffen werden
(wie z. B. die Ermöglichung der Individualbeschwerde zum Europäischen
Gerichtshof);

9. dafür einzutreten, dass die durch europäisches Datenschutzrecht geschützten
personenbezogenen Daten angemessen gegen Zugriffe staatlicher Stellen von
Drittstaaten geschützt werden. Die Grundsätze der internationalen Rechts-
hilfe dürfen nicht umgangen werden. Dies gilt insbesondere, wenn ausländi-
sche Stellen auf Daten zugreifen, die „in der Cloud“ gespeichert sind.

Berlin, den 27. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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