BT-Drucksache 17/8869

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksachen 17/5536, 17/7131 - Zur Situation von Roma in der Europäischen Union und in den (potentiellen) EU-Beitrittskandidatenstaaten

Vom 5. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8869
17. Wahlperiode 05. 03. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler,
Katrin Göring-Eckardt, Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, Viola von
Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Manuel Sarrazin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 17/5536, 17/7131 –

Zur Situation von Roma in der Europäischen Union und in den (potentiellen)
EU-Beitrittskandidatenstaaten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Lebensbedingungen der Roma sind in vielen Ländern Europas nach wie
vor von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Antiziganismus ge-
zeichnet. Zum Teil hat sich diese Diskriminierung in den vergangenen Jahren
durch Gewalt gegenüber den Angehörigen dieser Minderheit manifestiert (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage auf Bundestagsdrucksache
17/7131 – Vorbemerkung der Bundesregierung).

Auch im Kosovo leben Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter am Rande der Ge-
sellschaft. Dennoch hat die Bundesregierung im April 2010 ein Rücknahme-
abkommen mit dem Kosovo abgeschlossen, das die Rückführung von etwa 12 000
kosovarischen Minderheitenangehörigen in den nächsten Jahren vorsieht. Die
Bundesregierung gibt an, dass die kosovarische Regierung bemüht sei, die
Reintegration von Rückkehrern zu verbessern (ebd. – Antwort zu Frage 120).
Bemühungen allein genügen jedoch nicht. Die UNICEF-Studie „Abgeschoben
und vergessen“ von August 2011 beschreibt, dass die Reintegrationsmaßnah-

men auf der Ebene der Gemeinden weiterhin völlig unzureichend sind. Solange
die Aufnahme- und Integrationskapazitäten im Kosovo für Rückkehrerinnen
und Rückkehrer nicht ausreichen, dürfen keine Minderheitenangehörige in den
Kosovo abgeschoben werden.

Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit der Roma im Kosovo bei über 90 Prozent
(ebd. – Antwort zu Frage 119). Besonders schwierig ist die Lage von Kindern
aus Roma-Familien im Kosovo. 37 Prozent von ihnen leben in extremer Armut.

Drucksache 17/8869 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Vielen rückgeführten Familien steht kein angemessener Wohnraum zur Ver-
fügung, ihre medizinische Versorgung ist unzureichend. Die Bundesregierung
verweist wiederholt auf das „URA 2“-Projekt zur Reintegration von Rückkeh-
rern nach Kosovo (ebd. – Antwort zu den Fragen 115, 119 und 129), erwähnt
jedoch nicht, dass diese Unterstützung bereits nach sechs Monaten ausläuft und
nicht allen Rückkehrerinnen und Rückkehrern zur Verfügung steht. Die im
August 2011 veröffentlichte Studie von UNICEF belegt, dass sich die
Lebensumstände vieler Familien ein Jahr nach ihrer Rückkehr sogar noch ver-
schlechtern, da kurzfristige Integrationshilfen wie „URA 2“ wegfallen.

Der Übergang aus ausländischen Schulsystemen in das kosovarische Schulsystem
bleibt aufgrund von Koordinationsmängeln im Bildungsbereich zwischen zen-
traler und lokaler Ebene, fehlender Finanzmittel und sprachlicher Barrieren teil-
weise problematisch (ebd. – Antwort zu Frage 133). Die Bundesregierung hält
dennoch an der Rückführung von Kindern aus Roma-Familien in den Kosovo
fest. Außerdem hat sie keine Konsequenzen aus den Ergebnissen der UNICEF-
Studie von Juli 2010 gezogen, die beschreibt, dass drei Viertel aller in den
Kosovo zurückgeführten Roma-, Ashkali- und Kosovo-Ägypter-Kinder im
schulpflichtigen Alter keine Schule mehr besuchen (ebd. – Antwort zu Frage 131,
vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdruck-
sache 17/3328 – Antwort zu Frage 30). Die neueste UNICEF-Studie von 2011
zeigt, dass sich die Situation von rückgeführten schulpflichtigen Kindern aus
Roma-Familien nicht verbessert hat, da keine der vorgesehenen Maßnahmen
wie Sprachkurse oder Förderklassen umgesetzt werden. Obwohl das Recht auf
Bildung im Kosovo nicht gewährleistet ist, sind weiterhin etwa 5 000 bis 6 000
Kinder aus Roma-, Ashkali- und Kosovo-Ägypter-Familien von Rückführungen
in den Kosovo betroffen.

Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Bremen haben auf
die schwierige Lage im Kosovo reagiert und Regelungen erlassen, die die Dauer
des Aufenthalts in Deutschland sowie den Grad der Integration und den Schul-
besuch zu Entscheidungskriterien für Aufenthaltstitel machen. Von besonderer
Bedeutung ist auch die im September 2010 vom Minister für Inneres und
Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen erlassene Weisung, die Behör-
den ausdrücklich anweist, bei Rückführungen in erster Linie das Kindeswohl zu
bedenken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der Abschiebungen
von Roma, Ashkali und Kosovo-Ägyptern aus dem Kosovo einzusetzen und
dabei insbesondere das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen;

2. die Regierungen anderer EU-Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenso zu ver-
fahren und Roma, Ashkali und Kosovo-Ägyptern eine Aufenthaltserlaubnis
aus humanitären Gründen zu gewähren.

Berlin, den 5. März 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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