BT-Drucksache 17/8764

Finanzmärkte verbrauchergerecht regulieren - Finanzwächter und Finanz-TÜV einführen

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8764
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Finanzmärkte verbrauchergerecht regulieren – Finanzwächter und Finanz-TÜV
einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mindestens 20 Mrd. Euro verlieren Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich
durch falsche Anlageberatung und schlechte Finanzprodukte (Studie des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – BMELV –,
2009). Verluste erleiden sie z. B. durch den vorzeitigen Abbruch ihrer Kapital-
lebensversicherung. Zusätzlich entstehen ihnen Schäden durch Verluste am
sogenannten Grauen Kapital- und Kreditmarkt. Die Dunkelziffer liegt hier
besonders hoch. Je nach Schätzung versickern auf diesem, nicht von der Finanz-
aufsicht kontrolliertem Markt pro Jahr bis zu 50 Mrd. Euro (Deutsche Steuer-Ge-
werkschaft, Öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bun-
destages am 1. Dezember 2010).

Die seit der Lehman-Pleite seitens des Gesetzgebers unternommenen Versuche,
den Finanzmarkt zu regulieren, haben keine wirksamen strukturellen Verände-
rungen erbracht. Die Situation aus Verbrauchersicht hat sich nicht verbessert.
Neu eingeführte Instrumente und gesetzliche Regularien können das eklatante
Ungleichgewicht zwischen Anbieterseite und Verbraucherinteresse bisher nicht
beheben. Ein Großteil der seit Juni 2011 geltenden Produktinformationsblätter
für Finanzberatung wurde in einer Untersuchung der Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht (BaFin) als fehlerhaft gekennzeichnet, was die Beziffe-
rung der konkreten Kosten sowie die Verständlichkeit der Finanzprodukte
betrifft. Verbindliche Kriterien und ausreichende Kontrolle fehlen, die Auf-
machung der Produktinformationsblätter und die geforderte Darstellung aller
anfallenden Gebühren und Kosten bleibt den Banken überlassen. Auch die Mög-
lichkeit eines Totalverlustes des angelegten Geldes besteht weiterhin. Des Wei-

teren zeigen die knapp zweijährigen Erfahrungen mit schriftlichen Beratungs-
protokollen, dass diese häufig vor allem zur Haftungsfreizeichnung seitens der
Anbieter missbraucht werden. Die Beweislast zur Durchsetzung von Ansprü-
chen bei Falschberatung samt der damit verbundenen Kosten hat sich somit für
die Verbraucherinnen und Verbraucher sogar noch erhöht. Hinzu kommt, dass
Banken vorgegebene Regularien noch immer recht einfach umgehen können.

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Der Anlegerschutz spielt bei der Finanzaufsicht durch die BaFin weiterhin eine
untergeordnete Rolle. Diese trägt bei der Aufsicht vorrangig dem Kriterium der
Solvenz von Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern Rech-
nung. Solange die Anbieter hinreichend mit Kapital ausgestattet sind und fälli-
gen Zahlungsverpflichtungen nachkommen, gibt es für die BaFin entsprechend
dieser Funktionslogik nichts zu beanstanden. Weitere Ziele wie volkswirtschaft-
liche Stabilität und der dahingehende Nutzen einzelner Finanzinstrumente, ein-
schließlich Anlegerschutzinteressen im engeren Sinne, drohen demgegenüber
leicht ins Hintertreffen zu geraten.

Eine deutliche Stärkung der Verbraucherinteressen ist längst überfällig. Die Fi-
nanzmärkte müssen dringend verbrauchergerecht reguliert werden. Finanzieller
Verbraucherschutz muss gesetzlich verbindlich geregelt sein, um Rechtssicher-
heit für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen. Bislang fehlt es an einer
Kontroll- und Prüfinstanz für riskante Finanzprodukte. Stattdessen ist im
Finanzsektor zunächst einmal alles erlaubt, was nicht verboten ist. Das hat zur
Folge, dass immer neue Schrottpapiere auf den Markt kommen, denen der
Gesetzgeber im Rahmen seiner Regulierung hinterherhinkt.

Eine zentrale Rolle bei der verbraucherorientierten Kontrolle der Finanzmärkte
spielen bisher die Verbraucherzentralen. Sie nehmen aufgrund ihrer Nähe zu den
Verbraucherinnen und Verbrauchern eine wichtige Informations-, Beratungs-
und Kontrollfunktion wahr. Ihre finanzielle sowie personelle Ausstattung und
ihre rechtliche Stellung werden dieser Funktion jedoch nicht gerecht. Eine Stär-
kung der Verbraucherzentralen ist notwendig und überfällig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Verbraucherschutzbehörde zur Regulierung der Finanzmärkte zu schaf-
fen,

– die in ihrer Struktur von der Solvenzaufsicht der BaFin institutionell ge-
trennt ist, um so unabhängig und gleichberechtigt zum Schutz der Ver-
braucherinnen und Verbraucher zu agieren;

– die als Zulassungsstelle im Sinne eines „Finanz-TÜVs“ alle Finanz-
marktakteure und -instrumente vor ihrer Zulassung auf Verbraucher-
freundlichkeit und volkswirtschaftliches Risikopotenzial prüft sowie
unseriöse und gefährliche Produkte vom Markt nehmen kann. Hierzu sind
Mindeststandards und Risikoklassen zu definieren. Die Aufsichts- und
Zulassungspflicht der Behörde ist auch für sämtliche Graumarktprodukte
und freie Anlagen- und Finanzvermittler zu gewährleisten;

– die Eingriffsbefugnisse gegenüber den Unternehmen der Finanzbranche
erhält;

– die Verbraucherinnen und Verbraucher informiert und aktiv vor unseriösen
Produkten und Anbieterpraktiken auf den Finanzmärkten warnt, die
Öffentlichkeit über festgestelltes Fehlverhalten, die eingegangenen Be-
schwerden sowie die daraus resultierenden aufsichtsrechtlichen Konse-
quenzen und Ergebnisse ihrer Marktbeobachtungen informiert;

– bei der ein Verbraucherbeirat nach dem britischen Vorbild des „Financial
Service Consumer Panel“ eingerichtet wird, in den der Finanzwächter ein-
bezogen wird;

2. ergänzend zur staatlichen Regulierung einen Finanzwächter zu schaffen, der

– bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) und den Verbrau-
cherzentralen der Bundesländer angesiedelt ist;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8764

– die Finanzmärkte laufend beobachtet und Verstöße sowie Regulierungsbe-
darfe aufdeckt, indem er Erkenntnisse aus der unabhängigen Verbraucher-
beratung sowie Verbraucherbeschwerden auswertet und Marktanalysen
durchführt;

– gegenüber der neu zu schaffenden Verbraucherschutzbehörde zur Regu-
lierung der Finanzmärkte ein Anhörungs- und Beschwerderecht erhält.
Stellt er systematische Missstände auf dem Markt fest, informiert er die
Aufsichts- und Zulassungsstelle, die diese dann zu prüfen, Stellung zu
nehmen und die Missstände ggf. zu beseitigen hat (Initiativ- und Be-
schwerderecht);

– Beteiligungsrechte in den verbraucherpolitisch relevanten Aufsichtsgre-
mien erhält;

– Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Durchsetzung ihrer Rechte un-
terstützt;

3. eine gesetzliche Grundlage zur Finanzierung des Finanzwächters zu schaf-
fen, die nach dem Verursacherprinzip die Unternehmen der Finanzbranche
zur Übernahme der Kosten heranzieht.

Berlin, den 29. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Eine Verankerung von Verbraucherschutzregelungen in die Finanzaufsicht
schafft Rechtssicherheit. Dies garantiert Verbraucherinnen und Verbrauchern
einen fairen Umgang, auf den sie bislang als Anlegerinnen und Anleger nicht
vertrauen können. Gegenwärtig ist die Aufsichtsstruktur des Finanzmarktes in
Deutschland zerstückelt. Die BaFin überwacht die Bereiche Banken, Zahlungs-
dienste, Versicherungen und Wertpapierhandel. Dabei hat sie besonders die Sol-
venz der Banken im Blick. Sie kann zwar gegen rechtswidriges Verhalten im
Markt vorgehen, tut dies aber in der Regel nicht zum direkten Schutz der Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Freie Finanzvermittler wiederum werden ledig-
lich durch die Gewerbeaufsicht kontrolliert. Die korrekte Auszeichnung von
Kreditangeboten wiederum wird von den Preisbehörden der Länder überprüft.
Finanzprodukte fallen also gegenwärtig unter die Aufsicht verschiedener Behör-
den, die entweder die Produktgruppe, den Vertrieb des Finanzproduktes oder die
Preisangaben überwachen.

Für einen konsequenten finanziellen Verbraucherschutz müssen alle Bereiche
des Finanzmarktes kontrolliert werden. Um die Finanzaufsicht in Deutschland
konsequent verbraucherorientiert auszurichten, ist die Schaffung einer struktu-
rell und personell neu aufgestellten staatlichen Verbraucherschutzbehörde zur
Regulierung der Finanzmärkte notwendig. Diese muss institutionell von der
Solvenzaufsicht der BaFin getrennt sein, um Interessenkonflikte zu vermeiden.

Beim Vertrieb von Finanzmarktprodukten gilt als erlaubt, was nicht explizit ver-
boten ist. Ähnlich wie im Straßenverkehr oder bei Arzneimitteln soll in Zukunft
das Gegenteil gelten: Finanzinstrumente und -praktiken müssen eine ausdrück-
liche Zulassung haben. Die Untersuchung und Prüfung, ob diese gesamtwirt-
schaftlich nützlich bzw. unschädlich, gesamt- und einzelwirtschaftlich vom

Risiko her beherrschbar und aus Verbrauchersicht verständlich und sicher sind,
erfolgt auf Grundlage eines Zulassungsverfahrens als „Finanz-TÜV“. Wenn die

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Bedingungen nicht erfüllt sind, ist die Zulassung des betreffenden Akteurs oder
Instruments bzw. Produkts abzulehnen. Das Verfahren erfolgt auf Antrag hin,
die Beweislast liegt bei den Antragstellern. Durch einen derartigen Paradigmen-
wechsel würde endlich der Wildwuchs auf den Finanzmärkten beendet, dem der
Gesetzgeber mit seinen Regulierungsversuchen ansonsten immer nur hoff-
nungslos hinterherhinken kann. Das Zulassungsverfahren ohne Ausnahme auch
auf den Grauen Kapital- und Kreditmarkt anzuwenden, ist zur Überwindung des
bestehenden Aufsichts- und Regulierungsgefälles zum regulären Markt nur kon-
sequent.

Für einen verbrauchergerecht regulierten Finanzmarkt ist ein Finanzwächter
notwendig, der den Finanzmarkt beobachtet, kontrolliert und erhobene Daten
analysiert. Dieser muss in Aufsichtsgremien Beteiligungsrechte erhalten und
gegenüber der Finanzaufsicht ein Beschwerde- und Anhörungsrecht haben. Als
Finanzwächter eignen sich die Verbraucherzentralen und der Verbraucherzentrale
Bundesverband e. V., da sie eine besondere Nähe zu Problemen der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher haben und bereits heute die Aufgabe einer verbraucher-
bezogenen Marktkontrolle wahrnehmen. Sie sind als Finanzwächter finanziell,
strukturell und personell so auszustatten, dass sie ihre Marktwächterfunktion
ausweiten können. Auch die Verbraucherschutzministerkonferenz hat die
Bundesregierung am 16. September 2011 auf den erhöhten Finanzierungsbedarf
hingewiesen und sie aufgefordert, auch die Finanzunternehmen mit an der
Finanzierung zu beteiligen.

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