BT-Drucksache 17/8491

Militärische Verwendung von Minderjährigen beenden - Ehemalige Kindersoldatinnen und Kindersoldaten unterstützen

Vom 25. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8491
17. Wahlperiode 25. 01. 2012

Antrag
der Abgeordneten Katrin Werner, Diana Golze, Paul Schäfer (Köln), Wolfgang
Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Dr. Martina
Bunge, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Annette
Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Harald
Koch, Jutta Krellmann, Stefan Liebich, Cornelia Möhring, Niema Movassat,
Thomas Nord, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten
Steinke, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Militärische Verwendung von Minderjährigen beenden – Ehemalige
Kindersoldatinnen und Kindersoldaten unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Einsatz von Kindern als Soldatinnen und Soldaten in bewaffneten Konflik-
ten ist Ausdruck der Verrohung einer Gesellschaft. Die Vereinten Nationen (UN)
gehen davon aus, dass gegenwärtig in wenigstens 22 Staaten zirka 250 000 Kin-
der unter 18 Jahren als Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Sie werden
gezwungen, sich aktiv an militärischen Kampfhandlungen zu beteiligen und
unterstützende Tätigkeiten auszuüben. Viele von ihnen werden zudem Opfer
sexueller Gewalt. Sie leiden unter den traumatischen Erlebnissen und deren
körperlichen und psychologischen Langzeitfolgen.

Deutschland hat zwar die Konvention über die Rechte des Kindes und das dazu-
gehörige Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaff-
neten Konflikten unterzeichnet und ratifiziert. Bislang ist die Bundesregierung
aber ihrer Verantwortung, zur Beendigung des Einsatzes von Kindern als Solda-
tinnen und Soldaten beizutragen, nur unzureichend nachgekommen. Dies hatte
bereits 2008 der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes festgestellt. Auch im
„Schattenbericht Kindersoldaten 2011“, herausgegeben vom Deutschen Bündnis
Kindersoldaten, dem die Aktion Weißes Friedensband e. V., amnesty internatio-
nal, Deutsches Jugendrotkreuz, Deutsches Nationalkomitee des Lutherischen
Weltbundes, Kindernothilfe e. V., terre des hommes Deutschland e. V., UNICEF
Deutschland und World Vision Deutschland e. V. angehören, wurden bei der Um-
setzung des Fakultativprotokolls durch die Bundesregierung deutliche Defizite
festgestellt.
Deutschland verletzt vor allem mit seiner asylverfahrensrechtlichen Praxis
grundlegende Vertragspflichten, indem es die besondere Schutzwürdigkeit von
traumatisierten ehemaligen Kindersoldatinnen und Kindersoldaten, von erst-
maliger oder von wiederholter Zwangsrekrutierung bedrohten Minderjährigen
und anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen missachtet (vgl. terre
des hommes e. V. (Hrsg.): Zwischen Angst und Hoffnung, Kindersoldaten als

Drucksache 17/8491 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Flüchtlinge in Deutschland, 1. Aufl., Osnabrück, 2009, S. 8 ff.). Obwohl die
Vertragsstaaten in Artikel 6 Absatz 3 des Zusatzprotokolls klar aufgefordert
werden, „jede erforderliche und geeignete Unterstützung zu ihrer physischen
und psychischen Genesung und ihrer sozialen Wiedereingliederung“ zu gewäh-
ren, werden nach Deutschland geflohene ehemalige Kindersoldatinnen und
Kindersoldaten regelmäßig in nicht kindergerechte Asylverfahren gedrängt und
nach dem Asylverfahrensgesetz bereits mit Vollendung des 16. Lebensjahres als
verfahrensmündig, also wie Erwachsene, behandelt. Statt die drohende erst-
malige oder wiederholte Rekrutierung als Kindersoldatin und Kindersoldat als
einen schwerwiegenden Fluchtgrund einzustufen, werden sie als „Fahnenflüch-
tige“ ohne politische Verfolgung behandelt, was als nicht asylrelevant gilt.
Neben den nachweislichen, ohnehin bestehenden Mängeln bei der Betreuung
und Unterbringung von unbegleiteten Minderjährigen droht ihnen trotz häufig
tiefgreifender Traumatisierungserfahrungen sogar Abschiebehaft.

Trotz des deutschen Vorsitzes in der Arbeitsgruppe „Kinder in bewaffneten Kon-
flikten“ der UN 2011 wurden bislang keinerlei Anstrengungen unternommen,
um jenseits von diplomatischen Bemühungen zumindest im eigenen, nationalen
Rahmen konkrete Maßnahmen zur wirksamen Umsetzung der UN-Konvention
und des dazugehörigen Fakultativprotokolls durchzuführen. Während die Mehr-
heit der 141 Unterzeichnerstaaten den Empfehlungen nachgekommen ist und
auf die Rekrutierung von Minderjährigen für ihre regulären Streitkräfte verzich-
tet, hält die Bundesregierung an dieser bedenklichen Praxis fest. Zwischen 2009
und 2011 wurden zirka 1 300 Minderjährige bei der Bundeswehr als Soldatinnen
und Soldaten auf Zeit eingestellt. Darüber hinaus werden im Rahmen der Nach-
wuchsrekrutierung Minderjährige gezielt angeschrieben und mit extra dafür ent-
wickelten „altersgerechten“ Veranstaltungskonzepten angesprochen. Zudem ist
in § 58 des Wehrpflichtgesetzes eigens die Übermittlungspflicht der Meldebe-
hörden von Daten Minderjähriger an das Bundesamt für Wehrverwaltung gere-
gelt. Damit soll die Übersendung von „Informationsmaterial“ ermöglicht wer-
den. Bei diesem „Informationsmaterial“ handelt es sich um einseitige Werbebro-
schüren für den Dienst in der Bundeswehr. Angesichts der Tatsache, dass laut
der letzten Ausgabe des „Child Soldiers Global Report 2008“ weltweit 26 Staa-
ten Minderjährige rekrutiert haben, wäre es richtig, wenn Deutschland durch
Verzicht hierauf mit gutem Beispiel vorangehen würde und damit auch die
Glaubwürdigkeit der eigenen Bemühungen im internationalen Kontext stärken
würde.

Obwohl Kindersoldatinnen und Kindersoldaten von ihren Anführern vorzugs-
weise mit Kleinwaffen und leichten Waffen ausgerüstet werden, da diese in der
Handhabung für Kinder und Jugendliche leichter zu erlernen und zu transportie-
ren sind, weigert sich die Bundesregierung weiterhin, die vom UN-Ausschuss
für die Rechte des Kindes 2008 explizit an Deutschland ausgesprochene Emp-
fehlung umzusetzen, Rüstungsexporte an Staaten zu untersagen, in denen Min-
derjährige tatsächlich oder potentiell für Feindseligkeiten rekrutiert und ein-
gesetzt werden. Derzeit findet dieser militärische Einsatz in 22 Staaten statt, von
denen eine Reihe allein im Jahr 2009 auch Empfänger von Kleinwaffen aus
Deutschland waren, wie z. B. Indien, die Philippinen oder Thailand. In diesem
Zusammenhang versteht es sich von selbst, dass auch die direkte militärische
Zusammenarbeit, sei es in der Ausbildung oder bei gemeinsamen Militär-
einsätzen, mit diesen Staaten gestoppt werden muss. Jede Form der Militär-
kooperation und alle Waffengeschäfte mit Staaten, die nachweislich ihren Ver-
pflichtungen zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten nicht nach-
kommen oder der UN-Konvention nicht einmal beigetreten sind, trägt dazu bei,
die Bemühungen für eine konsequente und strikte Auslegung der UN-Konven-
tion und des Fakultativprotokolls zu unterlaufen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8491

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine drohende oder bereits erfolgte Rekrutierung als Kindersoldatin und
Kindersoldat in bewaffneten Konflikten als spezifischen Asylgrund anzu-
erkennen und die Asylbewerberinnen und Asylbewerber erst mit erreichter
Volljährigkeit ab 18 Jahren als verfahrensmündig und damit wie Erwachsene
zu behandeln;

2. mit Rücksicht auf die besondere Schutzbedürftigkeit von ehemaligen Kin-
dersoldatinnen und Kindersoldaten und generell traumatisierten Kindern
Maßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, dass

a) Minderjährige unmittelbar nach ihrer Einreise ausschließlich in Kinder-
und Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden und hierbei eine an-
gemessene Betreuung durch ausgebildetes Fachpersonal gewährleistet ist,
unabhängig vom Stellen eines Asylantrags oder des jeweiligen Verfahrens-
stands,

b) Abschiebe- und Zurückschiebungshaft für unbegleitete Minderjährige
ausgeschlossen wird und laufende Abschiebeverfahren unverzüglich bis
zu einer entsprechenden gesetzlichen Regelung ausgesetzt werden;

3. als Mindestalter für eine vertragliche Verpflichtung zum Dienst bei der
Bundeswehr die Vollendung des 18. Lebensjahres festzulegen;

4. den Export von Kleinwaffen und leichten Waffen in Staaten und Konflikt-
regionen zu untersagen, in denen Minderjährige tatsächlich oder potentiell
von bewaffneten Akteuren rekrutiert und eingesetzt werden können, in wel-
cher Funktion auch immer;

5. die militärische Zusammenarbeit, insbesondere im Ausbildungsbereich und
in den Einsatzgebieten, mit den Streitkräften zu beenden, die Minderjährige
für Militäreinsätze ausbilden oder sogar bei Militäroperationen einsetzen;

6. Demobilisierungsprogramme, nachholende Bildungs- und Ausbildungs-
programme sowie konkrete Maßnahmen zur sozialen und beruflichen
Wiedereingliederung von ehemaligen Kindersoldatinnen und Kindersolda-
ten zu einem Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu
machen und damit zur weltweiten Ächtung der Rekrutierung von Kindern
für bewaffnete und kriegerische Konflikte aktiv beizutragen.

Berlin, den 25. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.