BT-Drucksache 17/8141

Verbraucherrecht auf ein kostenloses Girokonto für alle gesetzlich verankern

Vom 13. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8141
17. Wahlperiode 13. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Verbraucherrecht auf ein kostenloses Girokonto für alle gesetzlich verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ein Girokonto ist eine grundlegende Voraussetzung für die Teilhabe am wirt-
schaftlichen und sozialen Leben und damit Teil der Daseinsvorsorge. Elektroni-
sche Kontoführung und digitaler Zahlungsverkehr sind seit Jahren alltägliche
Praxis. So wird bei der Aufnahme von Erwerbsarbeit der Nachweis einer Kon-
toverbindung verlangt. Versorgungsleistungen werden über Bankkonten ge-
zahlt. Vermieterinnen und Vermieter verlangen Einzugsermächtigungen, um
die pünktliche Zahlung der Miete zu gewährleisten. Bei anderen Dienstleistun-
gen wie Energieversorgung, Telekommunikation und Versicherungen sind ähn-
liche Vorgehensweisen üblich. Verbrauchsgüter und Dienstleistungen sind oft
nur mit Geldkarten zu erwerben. Der Bundesgerichtshof hat Vertragsklauseln,
die ein Girokonto verlangen, für zulässig erklärt. Er tut dies mit dem Hinweis
darauf, dass ein Girokonto heute selbstverständlich sei. Doch viele Verbrauche-
rinnen und Verbraucher haben gegen ihren Willen kein Girokonto.

Bisherige Maßnahmen, wie die Empfehlung und anschließende Selbstver-
pflichtung der Kreditinstitute, ein „Girokonto für alle“ bereitzustellen, sind un-
zureichend. Das hat sich in mehr als 15 Jahren deutlich gezeigt. Die Kontopfän-
dungsreform, die seit Juli 2010 in Kraft ist, garantiert keinen Zugang zum Giro-
konto. Möglich ist lediglich die Umstellung eines bestehenden Girokontos in
ein pfändungsgeschütztes Girokonto. Immer wieder werden Fälle bekannt, dass
Kreditinstitute versuchen, finanzschwache Verbraucherinnen und Verbraucher
abzuwehren oder loszuwerden. Bei bestehenden Kundinnen und Kunden wird
zum Beispiel der Preis der Kontoführung angehoben oder der Leistungsumfang
des Kontos einschränkt.

Der Zugang zu einem Girokonto muss für alle Verbraucherinnen und Verbrau-

cher unabhängig vom Geldbeutel gewährleistet sein. Hierzu ist eine gesetzliche
Regelung unumgänglich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf einzureichen, der

1. einen Anspruch auf ein kostenloses „Girokonto für alle“ auf Guthaben-
basis verankert und

Drucksache 17/8141 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. Basisfunktionen für das kostenlose „Girokonto für alle“ auf Guthaben-
basis festlegt.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Verbraucherinnen und Verbraucher ohne Girokonto befinden sich oft in wirt-
schaftlich und sozial schwierigen Lagen. Viele leben von geringen Einkom-
men, sind arbeitslos oder überschuldet. Auch Migrantinnen und Migranten sind
häufig betroffen. Die Lage finanziell schwacher Menschen verschlechtert sich
durch die Ablehnung oder Kündigung eines Girokontos zusätzlich. Sie sind Be-
nachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und Extrakosten für jede Bareinzahlung
und Barauszahlung ausgesetzt. Empfängerinnen und Empfängern von Arbeits-
losengeld I und II (ALG I und II) ohne eigenes Konto wird der Hauptteil der
zusätzlichen Kosten von der gesetzlichen Leistung abgezogen, wenn sie nicht
nachweisen können, ohne eigenes Verschulden kein Konto zu haben. Bei Be-
zug von ALG II erhalten die Betroffenen daher weniger als das verfassungs-
rechtlich garantierte Existenzminimum.

Die Bundesagentur für Arbeit hat 2007 rund 2 Millionen Barauszahlungen ge-
tätigt. Von den rund 17 Mio. Euro zusätzlichen Kosten haben die Leistungs-
empfängerinnen und - empfänger 14 Mio. Euro, die Bundesagentur für Arbeit
3 Mio. Euro getragen (Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Emp-
fehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann vom
16. Dezember 2008, Bundestagsdrucksache 16/11495). 17 Prozent aller Über-
schuldeten sind ohne Girokonto (Institut für Finanzdienstleistungen e. V.:
Überschuldungsreport 2011). Verbraucherverbände berichten zudem, dass Kre-
ditinstitute versuchen, von der verzweifelten Kontosuche zu profitieren. So
werden Kontoeröffnungen von weiteren Vertragsabschlüssen, insbesondere von
Lebensversicherungen, abhängig gemacht.

Verbindliche Rechtsvorgaben für ein „Girokonto für alle“ haben sich etwa in
Belgien und Frankreich längst bewährt. Sie haben sich unverbindlichen Selbst-
regulierungsmaßnahmen als weit überlegen gezeigt. So wurden in Frankreich
bis Ende 2005 nach Einführung entsprechender Vorgaben über 26 000 Konten
eröffnet – fast zehnmal mehr als 1995 (Studie der Europäischen Kommission:
Finanzdienstleistungen und Vermeidung finanzieller Ausgrenzung, 2008). Die
Europäische Kommission hat bereits 2008 das Ziel formuliert, dass allen Bür-
gerinnen und Bürgern der Zugang zu einem Bankkonto möglich sein solle
(„Arbeitsdokument zu den Initiativen im Bereich der Privatkundendienstleis-
tungen“ vom 20. November 2007 und „Erneuerte Sozialagenda“ vom 2. Juli
2008).

Damit Verbraucherinnen und Verbraucher ein Girokonto hinreichend nutzen
können, muss es alle Basisfunktionen umfassen. Dazu gehören eine Geldkarte
zum Abheben und Bezahlen sowie die Möglichkeit, Überweisungen, Last-
schriften, Daueraufträge und Onlinebanking zu tätigen. Pro Person muss ein
Girokonto automatisch pfändungsgeschützt sein. Nur so ist die aktuell mit der
Beantragung des Pfändungsschutzes verbundene Stigmatisierung zu ver-
meiden.

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