BT-Drucksache 17/7906

Vorsitz der Bundesrepublik Deutschland im Al-Qaida-Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 24. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7906
17. Wahlperiode 24. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja
Keul, Ute Koczy, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorsitz der Bundesrepublik Deutschland im Al-Qaida-Sanktionsausschuss des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Der internationale Terrorismus bleibt auch zehn Jahre nach dem 11. September
2001 eine Bedrohung der Sicherheit und des Friedens weltweit. Um gegen Ter-
rorverdächtige vorzugehen, hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN)
mit seiner Resolution 1267 (1999) einen Sanktionsausschuss eingerichtet, der
die Umsetzung von Maßnahmen gegen natürliche und juristische Personen
überwachen soll, die mit Al-Qaida oder den Taliban in Verbindung gebracht
werden. Die Sanktionen, die nach Kapitel VII der VN-Charta verabschiedet
werden, umfassen Reisebeschränkungen, das Einfrieren von Vermögenswerten
und Waffenembargos.

Diese Praxis der sogenannten Listung ist Gegenstand erheblicher Kritik, denn
die erlassenen Maßnahmen widersprechen menschenrechtlichen und rechts-
staatlichen Standards. Martin Scheinin, ehemaliger VN-Sonderberichterstatter
zum Thema Menschenrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung, kritisierte in
seinem jährlichen Bericht vor dem Menschenrechtsrat im März 2011, dass es
weder ein unabhängiges Kontrollorgan auf VN-Ebene noch auf nationaler
Ebene gebe, das die Entscheidungen des Sanktionsausschusses kontrollieren
könne (A/HRC/16/51). Aufgrund der fehlenden Überprüfungs- und Berufungs-
möglichkeiten können betroffene Personen und Organisationen daher nur be-
grenzt einen Listeneintrag rechtlich angreifen. Neben dem fehlenden effektiven
gerichtlichen Rechtsschutz bemängelte der VN-Sonderberichter unter anderem
auch, dass die Gründe für die Listung nicht transparent genug seien.

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs spiegeln diese Kritik wider. In seinen
Entscheidungen zu Kadi I und Kadi II bezeichnet er den mangelnden effektiven
Rechtsschutz durch die Listung als Verstoß gegen Unionsgrundrechte. Vor der
Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist derzeit

ein ähnlicher Fall, Nada vs. Schweiz (no. 10593/08), anhängig. Hier wird ge-
prüft, ob durch die Listung das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf
Achtung des Privat- und Familienlebens sowie das Recht auf wirksame Be-
schwerde durch die Listung verletzt wurden.

Der Sicherheitsrat hat auf die Kritik mit einer graduellen Reform des Sanktions-
ausschusses reagiert, indem er unter anderem empfehlende Kriterien für die

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Aufnahme in die Sanktionsliste annahm (Res. 1617 (2005)), eine administrative
Anlaufstelle für Löschungsanträge einrichtete (Res. 1730 (2006)), die Veröf-
fentlichung von Zusammenfassungen der Gründe für die Listung sowie eine
umfassende, dreijährige Überprüfung aller Listeneinträge beschloss (Res. 1822
(2008)). Die wichtigste Reform war jedoch die Einführung einer Ombuds-
person, welche direkt Anträge auf Löschung von gelisteten Personen annehmen
kann, diese untersucht und dem Sanktionsausschuss eine Empfehlung bezüglich
der Behandlung der Anträge aussprechen kann (Res. 1904 (2009)). Mit den
Resolutionen 1988 (2011) und 1989 (2011) wurde das VN-Sanktionsregime in
einen Al-Qaida- sowie in einen Taliban-Sanktionsausschuss aufgeteilt.

Im Juli 2010 nahm die kanadische Richterin Kimberly Prost ihr Amt als
Ombudsperson auf. Ihr Mandat wurde zuletzt durch Resolution 1989 (2011)
gestärkt, indem ihre Empfehlungen auf Löschung einer Person von der Sank-
tionsliste nun automatisch angenommen werden, falls der Sanktionsausschuss
sich nicht im Konsens anders entscheidet. Problematisch bleibt jedoch, dass die
Ombudsperson nur erschwerten Zugang zu Verschlusssachen und geheim-
dienstlichen Informationen erhält und von der Kooperation der Staaten ab-
hängig ist. Sie kritisiert in ihrem ersten Bericht an den Sicherheitsrat vom
21. Januar 2011 (S/2011/29), dass der fehlende Zugang zu Informationen ver-
fahrensrechtlich problematisch ist. Außerdem steht der Ombudsperson kein
eigenes Personal zur Verfügung, sodass sie Löschungsanträge nicht angemes-
sen bearbeiten und somit ihr Mandat nicht in gebotener Weise erfüllen kann.

Trotz dieser Reformen, bleibt daher der fehlende effektive Rechtsschutz ein
menschenrechtliches und rechtsstaatliches Problem. Solange der VN-Sicher-
heitsrat sowohl über die Aufnahme als auch die Streichung einer Listung ent-
scheidet, also gleichzeitig als Kläger und Richter agiert, bleiben Fragen nach
einem ordentlichen Verfahren offen. Weiterhin sind unter anderem Entschädi-
gungsfragen im Falle sogenannter toxic designations, d. h. irrtümlichen Listun-
gen aufgrund Namensverwechslungen oder lückenhafter Informationen, unge-
klärt.

Im Januar 2011 hat die Bundesrepublik Deutschland als nichtständiges Mit-
glied im VN-Sicherheitsrat den zweijährigen Vorsitz des Al-Qaida-Sanktions-
ausschusses übernommen. Gleichzeitig ist Deutschland als einziges Mitglied
der Gruppe gleichgesinnter Staaten für eine Reform des Sanktionsausschusses
im Sicherheitsrat vertreten. Angesichts bestehender offener menschenrecht-
licher und rechtsstaatlicher Fragen, kommt Deutschland daher eine besondere
Verantwortung zu.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Beurteilung des damaligen VN-Son-
derberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, Martin Scheinin
(www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=11191
&LangID=E) vom 29. Juni 2011, dass die Reform des VN-Sanktions-
regimes durch die Resolutionen 1988 (2011) und 1989 (2011) die menschen-
rechtlichen und rechtsstaatlichen Defizite nicht beseitige und sich insbeson-
dere nationale und europäische Gerichte nicht mit den rechtsstaatlichen und
menschenrechtlichen Standards zufrieden geben würden?

2. Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung die, auch vom Euro-
päischen Gerichtshof kritisierte, mangelnde Durchsetzung menschenrecht-
licher und rechtsstaatlicher Prinzipien im VN-Sanktionsregime mit dem Ziel
der Vereinten Nationen nach der Förderung und Achtung der Menschen-
rechte, insbesondere Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 24 Absatz 2 der Charta

der Vereinten Nationen, vereinbar?

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3. Steht die Bundesregierung der Forderung nach einer Schaffung eines un-
abhängigen Kontrollorgans auf VN-Ebene zur Listung von Personen und
Organisationen positiv gegenüber?

a) Wenn ja, mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung, auch
im Rahmen ihres Vorsitzes im Al-Qaida-Sanktionsausschuss, die Errich-
tung eines solchen Kontrollorgans?

b) Wenn nein, warum nicht, und wie lässt sich die Position der Bundesregie-
rung mit bestehenden menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Grund-
sätzen vereinbaren?

4. Welche inhaltlichen Schwerpunkte möchte die Bundesregierung im Rahmen
ihres Vorsitzes im Al-Qaida-Sanktionsausschuss für das Jahr 2012 setzen,
insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden Überprüfung des Al-Qaida-
Sanktionsausschusses Ende 2012?

5. Welche Reformen des VN-Sanktionsregimes sind nach Ansicht der Bundes-
regierung für die nächste Überprüfung des Al-Qaida-Sanktionsausschusses
Ende 2012 notwendig, damit die Verfahrensregeln allen menschenrecht-
lichen und rechtsstaatlichen Standards insbesondere in Europa genügen, und
mit welchen Initiativen möchte die Bundesregierung die für notwendig
erachteten Reformen erreichen?

6. Wie stellen Deutschland und andere Mitgliedstaaten der Europäischen
Union sicher, dass die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in seinen
Urteilen zu Kadi I und Kadi II in Bezug auf die Zugänglichkeit von relevan-
ten Informationen über gelistete Personen umgesetzt werden und somit das
Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt wird?

7. Inwieweit kann die Ombudsperson nach Auffassung der Bundesregierung
ihrem Mandat in Anbetracht mangelnder personeller Ressourcen sowie feh-
lender Informationen in Bezug auf Listungen gerecht werden, und welche
Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um das Mandat der Ombuds-
person sowie ihre personellen Ressourcen zu stärken?

a) Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Kooperation
der Mitgliedstaaten mit der Ombudsperson zu fördern, sodass diese
Zugang zu relevanten Informationen in Bezug auf gelistete Personen er-
hält.

b) Befürwortet die Bundesregierung die Empfehlung der Ombudsperson,
den Zugang zu geheimdienstlichen Informationen in einer Vereinbarung
mit Mitgliedstaaten der VN zu regeln, und wenn ja, wie setzt sich die
Bundesregierung als Vorsitzende im Al-Qaida-Sanktionsausschuss für
diese Empfehlung ein?

c) Unterstützt die Bundesregierung die Bitte der Ombudsperson nach mehr
Personal, um ihr Mandat angemessen erfüllen zu können, und wenn ja,
mit welchen Maßnahmen?

d) Wurden bislang Verschlusssachen und geheimdienstliche Informationen
von der Bundesregierung durch die Ombudsperson angefordert, und in
welcher Form hat die Bundesregierung darauf reagiert?

8. Wie prüft die Bundesregierung Anträge anderer Staaten zur Aufnahme von
neuen Personen auf VN-Sanktionslisten, und welche Prüfungsmaßstäbe
setzt sie ein, um die Richtigkeit der erhobenen Anschuldigungen zu über-
prüfen?

Drucksache 17/7906 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
9. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung im Rahmen des Sicher-
heitsrates und ihres Vorsitzes im Al-Qaida-Sanktionsausschuss, um eine
Entschädigung für Personen zu ermöglichen, die aufgrund von fehlerhaften
oder mangelnden Informationen irrtümlich gelistet wurden?

Berlin, den 24. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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