BT-Drucksache 17/7738

Haltung der Bundesregierung bezüglich des Exports von "Dual-use-Gütern" im Bereich der Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs durch deutsche Firmen

Vom 15. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7738
17. Wahlperiode 15. 11. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Tom Koenigs, Omid
Nouripour, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Dr. Frithjof
Schmidt, Agnes Malczak, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Viola von
Cramon-Taubadel, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung bezüglich des Exports von „Dual-use-Gütern“
im Bereich der Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie
Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs durch
deutsche Firmen

Angesichts der demokratischen Proteste im Zuge des sogenannten Arabischen
Frühlings wurde immer wieder berichtet, dass soziale Netzwerke, Blogs und
Microbloggingdienste, über die sich demokratischer Protest organisiert und
vernetzt, von staatlicher Seite überwacht und mit dem Ziel manipuliert wurden,
Oppositionelle zu verfolgen und demokratischen Protest zu unterbinden. Damit
sich oppositionelle Kräfte nicht weiter vernetzen konnten, versuchten die Füh-
rungen einzelner Staaten zeitweise gar, die komplette Kommunikationsstruktur
ihrer Länder vom Internet abzutrennen, was im Falle Ägyptens auch kurzfristig
gelang. Bereits bei den iranischen Protesten im Jahr 2009 war deutlich gewor-
den, wie weit derartige Technik die politische Opposition behindern und ihre
Vertreterinnen und Vertreter der Verfolgung aussetzen kann.

Die Demokratisierungswelle, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens
sowie Nordafrikas vor einigen Monaten erfasst hat, hat auch die Debatte um die
demokratiefördernde Wirkung des Internets neu befeuert. Im Zuge dieser
Debatte sind auch deutsche Unternehmen, die Technik liefern, die dazu beitra-
gen kann, Kommunikation via Mobilfunk, E-Mail, in sozialen Netzwerken und
in Blogs zu manipulieren oder gar ganz verstummen zu lassen, wieder verstärkt
in den öffentlichen Fokus gerückt. Hierzu tragen insbesondere Überwachungs-
techniken bei, die auf der Infrastrukturebene direkt Inhalte von Datenströmen
durchsuchen, filtern und manipulieren können. Teilweise wird dies durch
Techniken zum „Verkehrsmanagement“ ermöglicht, etwa durch Inspektion der
Paketkopfdaten der Internetkommunikation, bis hin zur sogenannten Deep-
Packet-Inspection, zur Inhaltsdurchleuchtung und -manipulation.

Bereits am 12. März 2011 dieses Jahres legte die Organisation „Reporter ohne

Grenzen“ anlässlich des „Welttags gegen Internetzensur“ ihren jährlichen Be-
richt vor, in dem sie die „Feinde des Internets“ auflistet. Kurze Zeit später legte
die „OpenNet-Initiative“ ebenfalls einen Bericht vor, in dem Verwicklungen
westlicher Firmen bei Zensurbestrebungen autoritärer Systeme aufgezeigt wur-
den. In ihrer Untersuchung kommen die Autoren der Studie zu folgendem
Schluss: „Mindestens neun Staaten im Mittleren Osten und Nordafrika nutzen

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westliche Filtersysteme, um den Nutzern Zugriff auf Onlineinhalte zu verweh-
ren.“ Ebenso sprach die „tageszeitung“ in einem Artikel vom 1. April 2011 von
einem „Exportschlager Zensur“ und listete einige Unternehmen auf, die ent-
sprechende Techniken lieferten. In dem Artikel heißt es unter anderem: „West-
liche Regierungen haben offenbar kein großes Problem mit dem Zensur-
Export.“ Bereits im Juni 2009 berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ unter dem
Titel „Überwachung made in Germany“ über die Verwicklungen deutscher Un-
ternehmen in die Ausfuhr entsprechender Techniken.

Das Europäische Parlament hat am 27. September 2011 Änderungen zu den
neuen Regeln für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem – zivilem und militä-
rischem – Verwendungszweck (sogenannte Dual-use-Güter) angenommen und
sich dafür ausgesprochen, die Exportregeln für Überwachungstechnik, vor allem
die Ausfuhr sogenannter Dual-use-Güter betreffend, verschärfen zu wollen. Der
Export von Hard- und Software zur Telekommunikationsüberwachung soll
künftig nicht mehr allgemein genehmigt werden, wenn sie Menschenrechte,
demokratische Prinzipien oder die Redefreiheit verletzen könnten, insbesondere
wurde ein Verweis auf die problematische Nutzung von Lawful Interception
Gateways und Monitoring Centres in die Verordnung mit aufgenommen. Das
Europäische Parlament und der Rat stimmten darin überein, dass es zukünftig
eines sicheren Systems für Mitteilungen bedürfe und auch jene Fälle berücksich-
tigt werden müssen, in denen Ausfuhrgenehmigungen verweigert wurden. Das
Europäische Parlament soll regelmäßig über das Funktionieren dieses Informa-
tionssystems informiert werden. Darüber hinaus fordern die EU-Parlamentarier
jährlich einen Bericht, um die Transparenz der Ausfuhrkontrollregelung zu ver-
bessern.

Auch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben immer wieder
die Bedeutung von modernen Kommunikationsmedien für demokratische Ver-
änderungen in unserer Welt betont. Nun berichtet „SPIEGEL ONLINE“ am
6. November 2011, dass die Bundesregierung in einem Schreiben an die Euro-
päische Kommission vom 27. Oktober 2011 bezüglich der Ausfuhr von „Dual-
use-Gütern“ vor allem die Interessen der deutschen Wirtschaft betont. So wird
eine Stelle eines Konsultationsbeitrags der deutschen Bundesregierung an die
Europäische Kommission zitiert, in der die Bundesregierung darum bittet, dass
zukünftig sowohl „außen- und sicherheitspolitische Interessen“ als auch „die
Interessen der Wirtschaft“ demnach „ausgewogen Berücksichtigung finden“
sollen. In dem 21-seitigen Schreiben werden die „Menschenrechte“ nicht ein
einziges Mal erwähnt, obwohl die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und
andere Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung öffentlich immer wie-
der die jüngsten Demokratiebestrebungen gelobt und den „wertegeleiteten“
Charakter der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik betont haben.

In ihrer Stellungnahme zum Grünbuch der Europäischen Kommission zum EU-
Ausfuhrkontrollsystem von „Dual-use-Gütern“ vom 27. Oktober 2011 legt die
Bundesregierung einen einseitigen Schwerpunkt auf Wirtschaftsinteressen. Die
wirtschaftlichen Interessen Deutschlands scheinen der Bundesregierung wichti-
ger zu sein als menschenrechtliche Bedenken. So ist in der Stellungnahme die
Rede davon, dass Bemühungen, die Proliferation zu begrenzen, den legalen
Handel nicht unangemessen erschweren oder verhindern sollen.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Inwiefern fallen nach Ansicht der Bundesregierung die sogenannten Dual-
use-Güter unter die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr
2000?

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2. Inwiefern hält die Bundesregierung den Umstand, dass die Ausfuhr von
Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Tech-
niken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs bislang
nicht von Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom
5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Aus-
fuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit
doppeltem Verwendungszweck (EG-Dual-use-Verordnung) erfasst war, an-
gesichts der Erfahrungen der letzten Monate noch für zeitgemäß, oder wird
sich die Bundesregierung für eine grundlegende Reform der entsprechen-
den Bestimmungen mit dem Ziel, diese Technologie ebenfalls mit aufzu-
nehmen, auch auf europäischer Ebene, einsetzen?

3. Wie begründet die Bundesregierung ihre in der Stellungnahme an die Euro-
päische Kommission vom 27. Oktober 2011 zum Ausdruck gekommene
Haltung, dass auch eine gewaltsame Unterdrückung von legitimen Demo-
kratiebewegungen in Regionen zugunsten von Wirtschaftsinteressen hinge-
nommen werden kann?

4. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass deutschen Firmen der Export
rüstungsrelevanter Güter mit doppeltem Verwendungszweck, sogenannter
Dual-use-Güter, erleichtert werden soll?

5. In welchen Gremien, und auf welche Weise setzt sich die Bundesregierung
derzeit dafür ein, deutschen Firmen den Export sogenannter Dual-use-
Güter zu erleichtern?

6. Unterstützt die Bundesregierung in irgendeiner Form, zum Beispiel durch
die Gewährung von Hermes-Bürgschaften, den Export derartiger Über-
wachungstechnologien?

7. Welche Länder subsumiert die Bundesregierung unter dem Begriff „Gestal-
tungsmächte“, zählen dazu auch Länder, wie das autokratisch geführte
Saudi-Arabien, und nach welchen Kriterien ordnet die Bundesregierung
diese Länder zur Kategorie „Gestaltungsmächte“?

8. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf den
Export der genannten Überwachungstechnologien etwa auch an Saudi-
Arabien, obgleich es sich bei Saudi-Arabien grundsätzlich nicht um einen
rechtsstaatlichen und demokratischen Staat handelt und seine Einfluss-
nahme auf die Länder des „Arabischen Frühlings“ als äußerst kritisch
angesehen werden muss?

9. Wie verhält sich der Inhalt der Stellungnahme der Bundesregierung vom
27. Oktober 2011 zu den Äußerungen von der Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch die demokratie-
fördernde Wirkung von Microbloggingdiensten lobte und wörtlich sagte,
dass es auch der Verdienst der Bundesregierung sei, „dass man Facebook
und Twitter überall auf der Welt hat, dass es zunehmend schwer wird, das zu
sperren, ob es in China ist, in Ägypten, in Tunesien oder sonstwo auf der
Welt“?

10. Inwiefern hält die Bundesregierung den Inhalt ihrer Stellungnahme vom
27. Oktober 2011 und die Formulierungen des Koalitionsvertrages zwischen
CDU, CSU und FDP für vereinbar, in denen das Internet als „das freiheit-
lichste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ bezeichnet wird
und es weiter heißt, dass „die Gedanken- und Meinungsfreiheit zu den unver-
äußerlichen Prinzipien der schwarz-gelben Menschenrechtspolitik“ gehöre?

11. Inwieweit teilt die Bundesregierung noch immer die Auffassung der Frage-
steller, dass es zum Selbstverständnis einer jeden Demokratie gehören
sollte, die Freiheit des Internets zu fördern, statt sie zu beschneiden und
jedes repressive Vorgehen gegen die freie Meinungsäußerung und demo-

kratischen Protest – auch im Internet – zu verurteilen und letztlich auch zu
ahnden?

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12. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass
eine Zensur und eine anlass- und verdachtsunabhängige Überwachung von
Internet und Mobilfunk und eine damit einhergehende Verhinderung demo-
kratischen Protestes nicht mit Artikel 18, Artikel 19 und Artikel 20 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den darin verankerten
Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist, insbeson-
dere in Hinblick auf den Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009, laut dem
„Gedanken- und Meinungsfreiheit […] unveräußerliche Prinzipien“ der
Menschenrechtspolitik der Bundesregierung sind?

13. Inwieweit ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus den Arti-
keln 11 und 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in
denen die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie
die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantiert wird, die normative
und politische Pflicht, diese Freiheiten nicht nur innerhalb der EU, sondern
auch im staatlichen Handeln in den auswärtigen Beziehungen anzuwenden,
und inwieweit leitet sie aus diesen Artikeln eine Verpflichtung ab, solche
Akteure weder direkt noch indirekt zu unterstützen, die die in den genann-
ten Artikeln verankerten Prinzipien und Werte verletzen?

14. Teilt die Bundesregierung noch immer die Auffassung der Fragesteller,
dass die internationale Staatengemeinschaft in der Verantwortung steht,
Sanktionsmechanismen zu erarbeiten, die eine derartige Zensur des Inter-
nets und eine Verhinderung demokratischen Protestes ächten?

15. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auf der Konferenz der Präsidenten
des Europäischen Parlaments am 27. Oktober 2011 bekannt gegeben
wurde, den mit 50 000 Euro dotierten Sacharow-Preis für geistige Freiheit,
einen „Preis für die Verteidigung der Menschenrechte“, fünf Bloggern zu
verleihen, die im Zuge des „Arabischen Frühlings“ aus ihren Ländern be-
richtet hatten?

Welche Auswirkungen hat dies auf die Positionierung der Bundesregie-
rung?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, dass US-Außenministerin Hillary Clinton
in ihrer am 15. Februar 2011 gehaltenen Grundsatzrede zur Internetfreiheit
von einer „globalen Verpflichtung“ zum Schutz der Internetfreiheit gespro-
chen und an die internationale Staatengemeinschaft appelliert hat, diese zu
schützen?

Wenn ja, wie kommt die Bundesregierung dieser Aufforderung nach?

17. Plant die Bundesregierung, vergleichbare Initiativen zur Netzfreiheit, wie
die der US-Außenministerin Hillary Clinton zu starten, die zur Unterstüt-
zung von Menschenrechtsbewegungen ein Förderprogramm gegen Repres-
sion und Zensur aufgelegt hat, das für die Nutzung verschlüsselter Kom-
munikationstechnologien und den Aufbau eigener Netze erhebliche finan-
zielle Mittel vorsieht (New York Times vom 12. Juni 2011)?

Wenn ja, wie sollen diese Programme genau ausgestaltet sein?

Wenn nein, warum nicht?

18. Findet im Auswärtigen Amt ein kontinuierliches Monitoring der Nutzung
von Zensurinfrastruktur gegen Demokratisierungs- und Menschenrechtsbe-
wegungen statt?

Wenn ja, wie wirken sich die auf diesem Weg gewonnenen Erkenntnisse
auf den Export der genannten „Dual-use-Güter“ aus?

Wenn nein, innerhalb welchen Zeitrahmens wird die Bundesregierung ein

solches Programm aufsetzen?

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19. Warum hält die Bundesregierung es angesichts der jüngsten Erfahrungen
nicht für notwendig, zu prüfen, inwieweit die deutschen Exportrichtlinien
für derartige Techniken zu überarbeiten und angesichts der dramatischen
politischen und raschen technologischen Entwicklung einer grundlegenden
Überarbeitung zu unterziehen sind?

20. Inwiefern hält sich die Bundesregierung an die Regelungen des am 23. No-
vember 2001 verabschiedeten Übereinkommens über Computerkriminali-
tät des Europarats, insbesondere hinsichtlich des Missbrauchs von Vorrich-
tungen, die es ausländischen Regierungen erlauben, Straftaten gegen die
Vertraulichkeit, Unversehrtheit und Verfügbarkeit von Computerdaten und
-systemen zu begehen (Titel 1, Artikel 2 bis 6)?

21. Ist es zutreffend, dass im Namen des damaligen Bundesministers für Wirt-
schaft und Technologie Rainer Brüderle im März 2011 das Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Technologie vor einer Plenarabstimmung inter-
venierte, um das Abstimmungsverhalten der deutschen Abgeordneten im
Europaparlament dahingehend zu beeinflussen, dass sie einer Verschärfung
der Ausfuhrbestimmung bei „Dual-use-Gütern“ – insbesondere mit Blick
auf die vom Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments und dem
Ausschuss für den Internationalen Handel geforderte Einführung von stren-
gen Vorabkontrollen – nicht zustimmten (Legislative Entschließung des
Europäischen Parlaments vom 27. September 2011 zu dem Vorschlag für
eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung
der Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 über eine Gemeinschaftsregelung für
die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Ver-
wendungszweck (KOM(2008)0854 – C7-0062/2010 – 2008/0249(COD)),
und ist dies die Haltung der Bundesregierung?

22. Hält die Bundesregierung an den für sie laut ihrer Antwort auf eine parla-
mentarische Frage vom 1. April 2011 nach wie vor Gültigkeit besitzenden
„Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegs-
waffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und dem „Ge-
meinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union
vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle
der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ als Kriterium für die
Ausfuhr entsprechender Güter fest, oder teilt die Bundesregierung die Auf-
fassung der Fragesteller, dass es – auch angesichts des massiven technolo-
gischen Fortschritts der vergangenen Jahre und den Erfahrungen der letzten
Monate – dringend notwendig ist, die entsprechenden Regelungen grund-
legend zu überarbeiten?

23. Hält die Bundesregierung angesichts der jüngsten Exporte und ihrer Stel-
lungnahme an die Europäische Kommission vom 27. Oktober 2011 an ih-
rer am 1. April 2011 im Rahmen der Beantwortung einer parlamentari-
schen Frage getätigten Aussage fest, dass sie gegenüber Drittstaaten
„grundsätzlich eine restriktive Rüstungspolitik“ verfolge?

24. Inwieweit haben die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr
2000, in denen bestimmt ist, dass Genehmigungen für Exporte von Kriegs-
waffen und sonstigen Rüstungsgütern bei einem hinreichenden Verdacht
des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden
und systematischen Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich nicht er-
teilt werden, die nach Aussagen der Bundesregierung auch für die Geneh-
migungserteilung bei „Dual-use-Gütern“ gelten, vor dem Hintergrund der
jüngsten Bemühungen der Bundesregierung, entsprechende Regelungen
für den Bereich der „Dual-use-Güter“ zu lockern, noch Bestand?

Drucksache 17/7738 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

25. Auf welchen Wegen und in welchen Gremien wird sich die Bundesregie-
rung zukünftig dafür einsetzen, dass Verletzungen gegen die in den univer-
sellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungs-
freiheit geahndet werden?

26. Wäre es nach Ansicht der Bundesregierung nicht dringend angeraten, die
einschlägigen EU-Sanktionsverordnungen, nach denen Güter, die der
Repression dienen könnten, nicht in bestimmte Länder ausgeführt werden
dürfen, um Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten
sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetver-
kehrs, welche bislang in den Anhängen dieser Verordnungen, in denen die
zur internen Repression verwendbaren Ausrüstungen aufgezählt werden,
nicht aufgeführt sind, aufzunehmen, und wird sich die Bundesregierung für
die Aufnahme einsetzen?

27. Welche Schlussfolgerung für die Regelung des Exports von Telekommuni-
kationstechnologie hat die Bundesregierung aus dem Eingeständnis der
Firma Siemens AG (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Juni 2009 „Überwa-
chung made in Germany“) gezogen, dass ihre Überwachungstechnik von
der iranischen Regierung zur Unterdrückung der Opposition eingesetzt
wurde und der Export derartiger Technik geläufige Praxis sei, gezogen?

28. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Zusam-
menarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit den Lieferanten von
Abhörtechnik an totalitäre Staaten (siehe zitierten Artikel zu Frage 27) zu
beenden?

29. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund
der Antworten der Bundesregierung auf eine parlamentarische Frage vom
1. April 2011, über deutsche Firmen, die an der Überwachung und Unter-
drückung demokratischer Proteste im Zuge des „Arabischen Frühlings“ be-
teiligt waren?

30. Wie gedenkt die Bundesregierung zukünftig sicherzustellen, dass keine
deutschen Firmen und Bundesbehörden an Verstößen gegen die in den uni-
versellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Mei-
nungsfreiheit beteiligt sind?

31. Ist der Bundesregierung der am 12. März 2011 von „Reporter ohne Gren-
zen“ anlässlich des „Welttags gegen Internetzensur“ vorgelegte jährliche
Bericht bekannt, in dem diejenigen Staaten, die im vergangenen Jahr Ver-
stöße gegen in den universellen Menschenrechten verankerte Prinzipien
der Presse- und Meinungsfreiheit begangen haben, als „Feinde des Inter-
nets“ aufgelistet werden?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie aus diesem Bericht?

32. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass, sollte
der Eindruck entstehen, sie würde nicht engagiert gegen derartige Verlet-
zungen der in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien
der Presse- und Meinungsfreiheit vorgehen, die Gefahr besteht, dass die
Bundesrepublik Deutschland selbst in diese Liste aufgenommen werden
könnte?

33. Ist der Bundesregierung der ebenfalls im März 2011 von der OpenNet-
Initiative herausgegebene Bericht bekannt, in dem die Verfasser Verwick-
lungen westlicher Firmen bei derartigen Zensurbestrebungen autoritärer
und totalitärer Systeme aufgezeigt haben?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Be-
richt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7738

34. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass die Firma
DigiTask GmbH entsprechende technische Lösungen in autoritäre und tota-
litäre Staaten exportiert hat?

Wenn ja, welche, und hat die Bundesregierung bereits Versuche unternom-
men, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma DigiTask GmbH an
autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?

35. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Zusammenarbeit
der Münchner Firma trovicor GmbH vor, die entsprechende Technik (u. a.
ein sogenanntes Communication Monitoring System, mit dem man Telefon-
und VoIP-Anrufe, E-Mails und SMS abhören, Textinhalte verändern,
Stimmen und Worte automatisiert erkennen sowie Laptopwebcams und
Mobiltelefonmikrophone aktivieren kann) nach heutigem Kenntnisstand in
mindestens zwölf Länder im Mittleren Osten und Nordafrika verkauft hat,
unter anderem an Ägypten, Syrien, Yemen und Bahrain, und hat die
Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger
Technik durch die Firma trovicor GmbH an autoritäre oder totalitäre Staaten
zu unterbinden?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

36. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Zusammenarbeit
des deutschen Unternehmens Utimaco Safeware AG vor, das offenbar
Überwachungstechnologie über Italien nach Syrien geliefert hat, welche
eine Real-Time-Überwachung der Kommunikation und ein graphisches
Mapping der Netzwerke erlaubt und laut einem Fachmann „maßgeschnei-
dert für Repression“ sei, und hat die Bundesregierung bereits Versuche
unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Utimaco
Safeware AG an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?

Wenn ja, welche?

37. Haben auch deutsche Regierungsvertreter an der am 21. Februar 2011 in
Dubai stattgefundenen „ISS-World Middle East and Africa“-Konferenz
teilgenommen, bei der Repräsentanten auch deutscher Firmen mit hochran-
gigen Vertreterinnen und Vertretern von Polizei- und Geheimdienstkräften
aus Nordafrika und Nahost zusammenkamen, um sich über neueste Ent-
wicklungen derartiger Überwachungstechniken auszutauschen?

38. Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Rahmen der Konferenz auch die
auf die sogenannte Deep Packet Inspection, einer Methode, die auf das Fil-
tern und Kategorisieren des gesamten Netzwerkverkehrs abzielt und in
Kombination mit einer nationalen Firewall, wie sie etwa im Iran oder in
China eingesetzt wird, die Kontrolle über die gesamte Kommunikation eines
landesweiten Netzwerks ermöglicht, spezialisierte Leipziger Firma ipoque
GmbH teilgenommen und laut Konferenzprogramm ein „Trainingsseminar“
zum Thema effiziente „Überwachung des Internetverkehrs“ abgehalten hat?

Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Aus-
fuhr derartiger Technik durch die Firma ipoque GmbH an autoritäre oder
totalitäre Staaten zu unterbinden?

39. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die deutsche Firma trovicor GmbH
im Rahmen der Konferenz öffentlich eine „Geheimdienstlösung für Straf-
verfolger“ präsentierte, ein sogenanntes State of the Art Monitoring Center,
das ermöglicht, den „aktuellen Herausforderungen in der Überwachung“
gerecht zu werden?

Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Aus-

fuhr derartiger Technik durch die Firma trovicor GmbH an autoritäre oder
totalitäre Staaten zu unterbinden?

Drucksache 17/7738 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
40. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die deutsche Firma Utimaco Safe-
ware AG, deren Firmenmotto „Making the world a safer place“ lautet und
die 1993 aus dem Siemens-AG-Konzern ausgelagert wurde und mittler-
weile zur Sophos-Ltd.-Gruppe gehört, im Rahmen der Konferenz ihr
„Lawful Interception Management System“ sowie ein technisches Upgrade
herkömmlicher Überwachungsmethoden von Telefonienetzen mittels
„Deep Packet Inspection“ präsentierte?

Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Aus-
fuhr derartiger Technik durch die Firma Utimaco Safeware AG an autori-
täre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?

41. Ist der Bundesregierung bekannt, dass das Bad Homburger Unternehmen
ATIS systems GmbH im Rahmen der Konferenz mit Hilfe einer Power-
Point-Präsentation demonstrierte, wie man Überwachungsprobleme bei
Web-2.0-Anwendungen löst, und in diesem Zusammenhang seine soge-
nannte Klarios-Überwachungssuite vorstellte, welche www-Sessions voll-
ständig überwachen und hierbei explizit Geodaten einbeziehen kann, wo-
durch Überwacher durch eine Kombination von GPS-Daten mit Geodaten
aus dem Mobilfunksystem in die Lage versetzt werden, sowohl ein „ge-
naues Tracking“ zur Überwachung von Einzelpersonen vorzunehmen, als
auch ein „bad guy gathering“, also eine Versammlung potentieller Gefähr-
der zu erkennen und sogar sogenannte Hotzone in/out alerts erstellen zu
lassen?

Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Aus-
fuhr derartiger Technik durch die Firma ATIS systems GmbH an autoritäre
oder totalitäre Staaten zu unterbinden?

Berlin, den 15. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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