BT-Drucksache 17/7426

Öffentliche Beschaffung durch die Bundesregierung nach sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien

Vom 19. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7426
17. Wahlperiode 19. 10. 2011

Große Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Viola von Cramon-Taubadel, Kerstin
Andreae, Thilo Hoppe, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer,
Dr. Frithjof Schmidt, Dorothea Steiner, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Harald Ebner,
Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, Katja Keul,
Tom Koenigs, Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner, Agnes Malczak, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Öffentliche Beschaffung durch die Bundesregierung nach sozialen, ökologischen
und entwicklungspolitischen Kriterien

Öffentliche Einrichtungen haben einen erheblichen Anteil an den Gesamtausga-
ben der Volkswirtschaft. Bundesbehörden und die Institutionen der Länder und
Kommunen kaufen jedes Jahr Produkte und Dienstleistungen im Wert von 200
bis 360 Mrd. Euro ein (Angaben unterscheiden sich je nach Quelle, entspricht 8
bis 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes). Die damit zusammenhängenden
Kaufentscheidungen der Bundesregierung bzw. der Länder und Kommunen
haben entsprechend großen Einfluss auf das Angebot von Produkten und Dienst-
leistungen. Zugleich könnten sie im Sinne einer sozial und ökologisch verant-
wortungsbewussten Beschaffungspolitik die Rahmenbedingungen der Produk-
tion erheblich positiv beeinflussen.

Die Berücksichtigung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Krite-
rien beim Einkauf stellt also eine relevante politische Gestaltungsmöglichkeit dar,
die sowohl für die nationalen ökologischen und sozialen Bedingungen als auch
für die internationale Zusammenarbeit gestalterische Kraft entwickeln kann.

Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die
Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferauf-
träge und Dienstleistungsaufträge besteht seit März 2004. Erst mit dem Gesetz
zur Modernisierung des Vergaberechts vom April 2009 ist die Bundesregierung
ihrer Verpflichtung nachgekommen, auch in Deutschland grundlegende Rechts-
sicherheit für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien in der
öffentlichen Beschaffung herzustellen.
Dieses Gesetz schafft aber nur die Möglichkeit für eine faire Beschaffung,
sichert jedoch nicht deren erfolgreiche Umsetzung. Ohne eine bewusste Aus-
richtung der Beschaffungsvorgänge, bindende Verwaltungsvorschriften und ge-
eignete Fortbildungsmaßnahmen wird sie nicht umgesetzt. Aktuell scheint die
Bundesregierung vorwiegend mittels Absichtserklärungen erste zaghafte
Schritte zu unternehmen, um über eine ökologische Beschaffung der Bundes-
ministerien die bestehende Umweltpolitik zu ergänzen. In diesen zumeist unver-

Drucksache 17/7426 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bindlichen Absichtserklärungen spielen weder soziale noch dezidiert entwick-
lungspolitische Kriterien eine Rolle. Die Bundesregierung benennt in der für alle
Bundesministerien geltenden Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung vom Ja-
nuar 2008 ausschließlich ökologische Kriterien. Menschenrechte und Sozial-
standards spielen keine Rolle. Diese Vorschrift läuft Anfang 2012 aus.

Es gibt bis jetzt keinerlei Hinweise für eine Aufnahme von sozialen oder ent-
wicklungspolitischen Zielsetzungen in eine mögliche Neuauflage dieser Verwal-
tungsvorschrift. Unklar ist zudem, wie die Erfahrungen mit sozialen und ökolo-
gischen Kriterien bei Vergaben von Aufträgen in eine neue Richtlinie einfließen
sollen. Eine fundierte Neuauflage dieser Verwaltungsvorschrift wird nur nach
einer vollständigen Auswertung aktueller Beschaffungsverfahren möglich sein.

Die Bedeutung einer an entwicklungspolitischen Kriterien ausgerichteten Be-
schaffung für eine kohärente Politik scheint 2009 im Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erkannt worden zu
sein. Ein Konzept, welches insbesondere auch entwicklungspolitische Ziele
über die Beschaffungspraxis verfolgt, wurde entwickelt und wohl teils auch
angewendet. Im Frühjahr 2010 konnte die Bundesregierung auf Nachfrage zwei
abgeschlossene Beschaffungsvorgänge und einen laufenden Vorgang vorwei-
sen, in denen sowohl ökologische als auch soziale Kriterien berücksichtigt wur-
den.

Allerdings werden weder regelmäßige noch systematische Übersichten über die
Anpassung und Entwicklung von Beschaffungs- und Verwaltungsvorgängen
nach sozialen und ökologischen Kriterien bereitgestellt. Von Interesse wären ak-
tuelle Zahlen und Erkenntnisse aus den offensichtlich bestehenden punktuellen
Beobachtungen der Bundesregierung sowie der bereits erfolgten Umsetzung
von Verwaltungsvorschriften.

Für die nachfolgenden Fragen ist auf den Beschluss der Staatssekretäre (Staats-
sekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung) vom 6. Dezember 2010 hinzu-
weisen. Erneut wurde im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie die Ausrichtung
der Beschaffung an ökologischen und sozialen Aspekten in Aussicht gestellt.
Notwendige weitere Schritte wurden nicht festgehalten oder konkretisiert. Eine
Betrachtung der Fortschritte soll erst in vier Jahren erfolgen, ohne dass bis dahin
zu erreichende Zielmarken formuliert wurden. Auch wird in diesem Beschluss
nicht aufgeführt, wie die Erkenntnisse anderer europäischer Staaten wie der Nie-
derlande oder Großbritanniens mit aufgenommen werden sollen, die bereits über
Erfahrungen verfügen und ein umfangreiches Beschaffungswesen nach sozialen
und ökologischen Kriterien etabliert haben. Die Bedeutung einer weiteren Zu-
sammenarbeit mit der „Allianz nachhaltiger Beschaffung“, einem Gremium aus
Vertretern von Bundesländern und Bundesregierung, wird weder in diesem Be-
schluss noch im ersten Entwurf des Fortschrittsberichts 2012 zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie konkretisiert.

Die Bundesregierung übernimmt durch die Beschaffung der Bundesministerien
eine Vorbildfunktion. Deren Nachfrage ist zwar geringer als die von Ländern
und Kommunen. Oftmals sind die einzelnen Aufträge aus Bundesministerien
jedoch vergleichsweise umfangreich. Daher nehmen sie verstärkt Einfluss auf
das am Markt verfügbare Angebot. Mit einer konsequenten Anwendung einer
effizienten, ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien ver-
pflichteten Beschaffung und einem transparenten Informationssystem könnte
die Bundesregierung den Ländern und Kommunen einen vereinfachten Einstieg
in ein faires Beschaffungswesen ermöglichen.

Den Beschlüssen des Bundeskabinetts zur Energiepolitik vom Juni 2011, die
sich abschnittweise auch auf Beschaffungsvorgänge beziehen, fehlen sowohl
klar ambitionierte Effizienzkriterien für alle Produkte und Dienstleistungen als

auch jegliche soziale sowie entwicklungspolitische Zielsetzungen.

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, inwiefern
Konsummuster in den Industrieländern schädlich für eine nachhaltige Ent-
wicklung in Entwicklungsländern sind?

2. Verfügt die Bundesregierung über konkrete Zahlen und/oder Studien über
entwicklungsschädliche Effekte von deutscher und europäischer öffent-
licher Beschaffung in Entwicklungsländern?
Wenn ja, was sind die Ergebnisse im Detail, und welche Maßnahmen wur-
den ergriffen, um diese Effekte zu vermindern?
Wenn nein, warum liegen diese Erkenntnisse nicht vor, und was unternimmt
die Bundesregierung, um diese Erkenntnisse zu erlangen?

3. Welche Zielkonflikte sieht die Bundesregierung zwischen den Entschei-
dungsgrundlagen der öffentlichen Beschaffung in Deutschland und ent-
wicklungspolitischen Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft und
Deutschlands?

4. Welche Formen von Kohärenzprüfungen im Sinne einer nachhaltigen Ent-
wicklung, die die Auswirkungen der öffentlichen Beschaffung mit einbe-
ziehen, unternimmt die Bundesregierung, hat sie unternommen und plant
sie zu unternehmen?

5. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um im Rahmen der
bestehenden Gesetze den Ausbau und die Weiterentwicklung einer an öko-
logischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien orientierten Be-
schaffung in den Bundesministerien, dem Kaufhaus des Bundes, dem Bun-
deskanzleramt und in nachgeordneten Behörden flächendeckend einzuführen
und umzusetzen?

6. Welche Bundesministerien haben in der Weiterentwicklung der öffentlichen
Beschaffung jeweils bezüglich ökologischer und sozialer Kriterien bzw. de-
ren entwicklungspolitischer Relevanz die Federführung?
Welche Bundesministerien werden in welchem Umfang und mit welchen
Kompetenzen in die Weiterentwicklung dieser Kriterien mit einbezogen?

7. Welche weiteren Standards oder Verwaltungsvorschriften für alle oder
einzelne Bundesministerien bestehen, die sich hinsichtlich sozialer und
ökologischer Kriterien auf das Vergaberecht beziehen oder diese ergänzen,
wie werden diese Verwaltungsvorschriften weiterentwickelt, und wie wird
deren Einhaltung jeweils kontrolliert?

8. Welche „anspruchsvollen Vorgaben für einzelne Produktbereiche und ergän-
zende Maßnahmen“ wurden infolge des Beschlusses des Staatssekretärs-
ausschusses für nachhaltige Entwicklung vom 6. Dezember 2010 entwickelt
(Umsetzung Nummer 6)?

9. Ist eine institutionalisierte und regelmäßige Weiterentwicklung der Krite-
rien für eine soziale und ökologische Beschaffung der Bundesregierung
vorgesehen, und wie wird sich diese laufend auf aktuelle Entwicklungen
hinsichtlich der Angebots- und Produktionssituation beziehen?

10. In welchem Umfang, über welche Medien und zu welchen Themen infor-
miert die Bundesregierung die (Fach-)Öffentlichkeit über die Beschaffungs-
praxis in Bundesministerien und nachgeordneten Behörden bzw. über die
Anwendung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Beschaffung
allgemein?

11. In welcher Weise kommuniziert die Bundesregierung ihre Pläne zur An-
wendung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Beschaffung

gegenüber Vertreterinnen und Vertretern von Produzentenländern, in denen
unzureichende Arbeits- und Produktionsbedingungen herrschen?

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12. Über welche Maßnahmen welchen Umfangs, in welchen Ländern und zu
welchen Produktgruppen unterstützt die Bundesregierung die Wirtschafts-
und Handelsstrukturen in Entwicklungs- und Schwellenländern, damit
diese Zugang zu Zertifizierungsprozessen erhalten?

13. In welcher Form und über welche Strukturen plant die Bundesregierung in
der Entwicklungszusammenarbeit bei einer verstärkt an sozialen und öko-
logischen Kriterien orientierten Beschaffung die Perspektive der Wirtschaft
zwecks Abstimmung möglicher einheitlicher Standards einzubeziehen?

14. Welche Ziele und Interessen verfolgt die Bundesregierung gegenüber den
Beitrittskandidaten zum Übereinkommen über das öffentliche Beschaf-
fungswesen der Welthandelsorganisation (Albanien, China, Georgien, Jor-
danien, Kirgisien, Moldau, Oman und Panama)?
Stehen diese Ziele nach Auffassung der Bundesregierung im Einklang mit
ihren Plänen zur Anwendung von sozialen und ökologischen Kriterien in
der Beschaffung im Inland?

15. Inwieweit unterscheidet sich das Beschaffungsmanagement der Bundes-
regierung vom Managementsystem in den Niederlanden, Großbritannien
und den skandinavischen Ländern hinsichtlich der Berücksichtigung von
sozialen und ökologischen Kriterien?

16. Welche Vorbildfunktion in der Beschaffung sieht die Bundesregierung bei
den Bundesministerien mit Blick auf kommunale und Länderverwaltun-
gen?

17. Wie oft und in welchem Umfang wurden in Beschaffungsverfahren von
Bundesministerien und nachgeordneten Behörden zusätzliche soziale oder
ökologische Bedingungen vorgeschrieben oder als Kriterium genannt, wie
sie durch die EU-Richtlinien (2004/17/EG und 2004/18/EG) und das Gesetz
zur Modernisierung des Vergaberechts seit April 2009 als Möglichkeit aus-
drücklich vorgesehen sind (absolut und prozentual im Vergleich zur gesam-
ten Beschaffung der jeweiligen Behörde)?

18. Wie oft wurden von den genannten Institutionen nach der Gesetzesände-
rung 2009 vor der eigentlichen Ausschreibung und Formulierung einer
Leistungsbeschreibung Marktanalysen erstellt oder eingeholt, um zu eru-
ieren, ob für den jeweiligen Beschaffungsvorgang ökologische und/oder
soziale Kriterien aufgenommen werden können (bitte nach ökologischen
sowie sozialen Kriterien und den jeweiligen Bundesministerien aufschlüs-
seln)?

19. Bei wie vielen von der Bundesregierung verantworteten Vergabeverfahren
ist das Konzept zur fairen Beschaffung des BMZ aus dem Jahr 2009 (im
BMZ selbst sowie in anderen Bundesministerien, Bundesbehörden oder
Bundesunternehmen) zur Anwendung gekommen, bzw. in wie vielen Fäl-
len und aus welchen Gründen hat sich in der Vorbereitung eines Vergabe-
vorgangs ergeben, dass dieses Konzept nicht in das Vergabeverfahren ein-
bezogen werden kann?

20. In wie vielen Beschaffungsstellen von Bundesministerien, Bundeskanzler-
amt, Kaufhaus des Bundes und nachgeordneten Behörden sind wie viele
Personen tätig, die explizit Kenntnisse von der Aufnahme und Bewertung
sozialer, ökologischer oder entwicklungspolitisch relevanter Kriterien in
Vergabe-/Beschaffungsvorgängen haben?

21. In welcher Form und mit welchem Aufwand hat die Bundesregierung die
zuständigen Mitarbeiter in den Bundesministerien und Bundesbehörden in
den Jahren 2009 und 2010 bezüglich öffentlicher Beschaffung geschult, und

welchen Anteil nahm dabei das Thema der sozialen, ökologischen und ent-
wicklungspolitischen Kriterien ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7426

22. In welchem Umfang und in welchen Strukturen hat die Bundesregierung
darüber hinaus im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz zur Modernisie-
rung des Vergaberechts vom April 2009 zusätzliche Ressourcen für Bun-
desministerien und nachgeordnete Behörden bereitgestellt, um auf die neue
Situation bei ökologischen und sozialen Kriterien zu reagieren?

23. In welcher Form findet zwischen Bundesregierung und weiteren Gebiets-
körperschaften (Ländern/Kommunen) ein strukturierter Austausch zwecks
Weiterentwicklung von Verordnungen und/oder Fortbildung statt?

24. In welchem Umfang haben sich kleine und mittlere Unternehmen und im
Vergleich dazu Großunternehmen an Ausschreibungen und Vergabeverfah-
ren der Bundesministerien, des Bundeskanzleramts und nachgeordneter Be-
hörden mit sozialen und/oder ökologischen Kriterien beteiligt?

25. In welchen Bundesministerien und nachgeordneten Behörden sind als
Folge des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom April 2009
neue Verordnungen erlassen worden, welche sich auf die Aufnahme von
sozialen und ökologischen Kriterien in den Vergabeprozessen beziehen?
Welche konkreten Anweisungen zu deren Einführung enthalten die Verord-
nungen?

26. Welche Erfahrungen aus Beschaffungsprozessen nach sozialen und öko-
logischen Kriterien von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden
liegen der Bundesregierung seit dem Gesetz zur Modernisierung des Ver-
gaberechts vom April 2009 vor, und welche Schlüsse zieht die Bundesregie-
rung aus diesen ersten Erfahrungen hinsichtlich des Gesetzes zur Moder-
nisierung des Vergaberechts vom April 2009?

27. In wie vielen Fällen und aus welchen Gründen gab es seit 2009 im Kontext
von Vergabeverfahren von Bundesministerien oder nachgeordneten Behör-
den Rechtsstreitigkeiten oder Einsprüche durch die Bieter, die sich auf die
Handhabung von sozialen, ökologischen oder entwicklungspolitischen Kri-
terien bei Erteilung eines Zuschlags bezogen, und welche Rückschlüsse auf
das 2009 verabschiedete Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts er-
geben sich daraus für die Bundesregierung?

28. Hat die Bundesregierung ökologische, soziale und entwicklungspolitische
Zielmarken für ihre Beschaffung formuliert (wie beispielsweise in den Nie-
derlanden: 100 Prozent sozialökologische öffentliche Beschaffung bis
2010), und wenn ja, wie lauten diese, und wenn nicht, aus welchen Gründen
wurde auf konkrete Ziele – oder auf ein konkretes Ziel – verzichtet?

29. Inwiefern ist eine Überarbeitung oder Evaluation des 2009 beschlossenen
Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts hinsichtlich der Aufnahme
von sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien vorgese-
hen, und wann soll diese umgesetzt werden?

30. In welchem Umfang (in absoluten Summen) haben Bundesministerien,
nachgeordnete Behörden und das Bundeskanzleramt in den Jahren 2009
und 2010 eigenständige Vergabeverfahren initiiert (aufgeschlüsselt nach
Dienstleistungen und Sachanschaffungen), und in welchem Umfang haben
diese Institutionen über das Kaufhaus des Bundes ihre Beschaffung abge-
wickelt (gleichermaßen aufgeschlüsselt)?

31. Wie hoch war die Summe aller Beschaffungen, die in den Jahren 2009 und
2010 insgesamt über das Kaufhaus des Bundes abgewickelt wurden?

32. Über welche Kriterien bezüglich der abzuwickelnden Vergabeverfahren
wird im Kaufhaus des Bundes bezüglich der Bundesministerien und bezüg-
lich nachgeordneter Behörden jeweils Statistik geführt, welche Teile dieser

Statistiken sind für die Öffentlichkeit frei zugänglich, und welche Kriterien

Drucksache 17/7426 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sind in diesen Statistiken seit der genannten Gesetzesänderung vom April
2009 hinzugekommen?

33. In welchen Bundesunternehmen bzw. Unternehmen mit Beteiligung des
Bundes wurde durch die Bundesregierung eine an ökologischen und so-
zialen Kriterien sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen orientierte
Beschaffung eingeführt, in welchen Unternehmen ist dies aus welchen
Gründen nicht erfolgt, und wie werden die laufenden Beschaffungsvor-
gänge bezüglich dieser Kriterien in den Unternehmen von der Bundesregie-
rung kontrolliert?

34. In welchem Umfang wurde in welchen der zuvor genannten Unternehmen
in den Jahren 2009 und 2010 eine ökologischen und sozialen Kriterien fol-
gende sowie sich an entwicklungspolitischen Zielsetzungen orientierende
Beschaffung umgesetzt (bitte jeweils nach den einzelnen Unternehmen auf-
schlüsseln und in absoluten und relativen Zahlen die Beschaffungen nach
sozialen und ökologischen Kriterien angeben)?

35. Welche Hindernisse sieht die Bundesregierung aktuell bezüglich einer
flächendeckenden Einführung einer Beschaffung nach ökologischen und
sozialen Kriterien sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen in allen
Bundesunternehmen und Unternehmen mit Beteiligung des Bundes?

36. Hat die Bundesregierung Maßnahmen unternommen, um Unternehmen des
Bundes, solche mit Bundesbeteiligung und private Unternehmen bezüglich
des Themas ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Beschaf-
fung miteinander zu vernetzen?
Werden übergreifende Strukturen oder Weiterbildungsmaßnahmen hinsicht-
lich sozialer, ökologischer und entwicklungspolitisch ausgerichteter Be-
schaffung für diese Unternehmen von der Bundesregierung angeboten, bzw.
werden solche Angebote, so sie von unabhängigen Organisationen durchge-
führt werden, von der Bundesregierung in welchem Umfang gefördert?

37. Wie unterscheidet sich in den zuvor genannten Fragen die Situation in den
Bundesstiftungen bzw. in Stiftungen, bei denen die Bundesregierung einen
relevanten Anteil des Kapitals stellt?
In welchen dieser Stiftungen ist eine Beschaffung nach sozialen, ökolo-
gischen und/oder entwicklungspolitischen Kriterien Teil des Geschäfts-
betriebes?

38. Welche Weiterentwicklungen des vom BMZ getragenen „Kompasses Nach-
haltigkeit“ sind für die nächsten zwei Jahre vorgesehen, insbesondere hin-
sichtlich der Ausdifferenzierung und besseren Vergleichbarkeit von Nach-
weisen zu einzelnen Kriterien?

39. Soll in Zukunft eine verstärkte Verknüpfung stattfinden bzw. ein kontinuier-
licher Abgleich etabliert werden zwischen dem Kompass Nachhaltigkeit und

a) zivilgesellschaftlich getragenen Informationsangeboten zur privaten und
öffentlichen Beschaffung,

b) vergleichbaren Angeboten anderer Bundesministerien (z. B. dem Bun-
desministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Umwelt-
bundesamt mit Beschaffungsinfo),

c) vergleichbaren Informationsangeboten aus anderen europäischen Län-
dern bzw. europäischen Institutionen?
Wenn nein, warum nicht?

40. Ist im Zusammenhang mit einer engeren Abstimmung von Informations-
angeboten für nachhaltige Beschaffung nach sozialen, ökologischen und

entwicklungspolitischen Kriterien durch die Bundesregierung in der Haus-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7426

haltsplanung ein Titel für den Aufbau einer zentralen Informationsstruktur
angedacht (siehe Antwort zu den Fragen 19 und 20 auf Bundestagsdruck-
sache 17/6763), und wenn ja, in welchem Umfang,?
Wenn nicht, welche Argumente halten die Bundesregierung davon ab, eine
solche Finanzierung vorzusehen?

41. Ist vorgesehen, dass im Kompass Nachhaltigkeit oder thematisch übergrei-
fenden Folgeprojekten aufgenommen wird, in welcher Form bei den einzel-
nen Siegeln die jeweiligen Angaben kontrolliert werden (z. B. Selbstver-
pflichtung, betriebsinterne Nachweise oder externe und unabhängige
Kontrolle)?
Wenn nein, warum nicht?

42. In welchen Strukturen (Gremien, Arbeitsgruppen) tauscht sich die Bundes-
regierung zum Thema öffentliche Beschaffung hinsichtlich sozialer, öko-
logischer und entwicklungspolitischer Kriterien jeweils intern, mit der
Wirtschaft, den Beschaffungsstellen von Ländern und Kommunen sowie
Institutionen anderer europäischer Staaten bzw. der EU aus?

43. Wurde die „Allianz für eine nachhaltige Beschaffung“ nach den Beschlüssen
vom Dezember 2010 fortgesetzt, und wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

44. In welcher Form und in welchem Umfang unterstützt die Bundesregierung
Bundesländer und Kommunen bei der Anwendung von sozialen und ökolo-
gischen Standards in der Beschaffung, wie dies im 2009 erlassenen Gesetz
auch für diese Gebietskörperschaften explizit als Möglichkeit vorgesehen
wurde?

45. Betreibt die Bundesregierung eine bzw. ist der Aufbau einer Bieterdaten-
bank vorgesehen, in welcher zur Unterstützung der Vergabestellen Anbieter
aufgenommen werden, deren Produkte sozialen und ökologischen Kriterien
gerecht werden?
Wenn nicht, warum nicht?

46. Mittels welcher zur Bieterdatenbank alternativen Möglichkeiten kann die
Bundesregierung im Rahmen ihrer Kompetenzen allen öffentlichen Be-
schaffungsstellen Zugang und Überblick zu Produkten verschaffen, die
sozialen und ökologischen Kriterien gerecht werden?

47. Durch welche Nachweise, Siegel und welche Art der Bietererklärung
gegenüber der Bundesregierung kommen die Kernarbeitsnormen der Inter-
nationalen Arbeitsorganisation „im Rahmen der Vergabe und Ausführung
öffentlicher Aufträge zur Anwendung“ (siehe Bundestagsdrucksache 17/
2613), und über welche Verwaltungsvorschriften konkretisiert die Bundes-
regierung diese Berücksichtigung der Kernarbeitsnormen, die anscheinend
für alle aktuellen Beschaffungsvorgänge gelten?

48. Welche Siegel oder Zertifikate für soziale und ökologische Kriterien mit
entwicklungspolitischem Bezug haben Bundesministerien, das Bundes-
kanzleramt, nachgeordnete Behörden und das Kaufhaus des Bundes in den
Jahren 2009 und 2010 in der Beschaffung anerkannt und somit die über das
Siegel oder Zertifikat nachgewiesenen sozialen oder ökologischen Kriterien
bei der zugehörigen Vergabeentscheidung berücksichtigt?

49. Wie hoch ist, bezogen auf soziale oder ökologische Kriterien, der Anteil
von Nachweisen durch Siegel oder unabhängige Zertifizierungen im Ver-
gleich zu Selbstverpflichtungserklärungen, Verhaltenskodizes oder ver-
gleichbaren verbindlichen Erklärungen des Anbieters in den Beschaffungs-
vorgängen von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden?

50. In welchem absoluten Umfang hat die Bundesregierung (über Bundes-

ministerien und/oder nachgeordnete Behörden) Produkte erworben, die ei-

Drucksache 17/7426 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nes der folgenden Siegel geführt haben (diese werden im durch die Bundes-
regierung betriebenen Kompass Nachhaltigkeit aufgeführt)?
Falls die Zahlen nicht vorliegen, warum liegen diese nicht vor, und was un-
ternimmt die Bundesregierung, um diesbezüglich in Zukunft über eine bes-
sere Datenbasis zu verfügen:

a) Bio Suisse

b) Biokreis

c) Bioland

d) Biopark

e) Blauer Engel

f) BSCI (Business Social Compliance Initiative)

g) Demeter

h) Ecovin

i) EMAS

j) EU-Bio-Siegel

k) Fair for Life

l) Fair Stone

m) Fair Wear Foundation

n) Fairtrade/Transfair

o) Flower Label Programm

p) Forest Stewardship Council – FSC

q) Gäa

r) Global Organic Textile Standard – GOTS

s) GLOBALG.A.P Standard (CPCC)

t) Grüner Strom Label e. V., Silber/Gold

u) Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e. V.

v) ISES 2000

w) KAT – Tierschutz geprüft

x) MSC (Marine Stewardship Council)

y) Naturemade basic

z) Naturemade Star

aa) Naturland

bb) OEKO-TEX® Standard 100

cc) OEKO-TEX® Standard 1000

dd) OEKO-TEX® Standard 100plus

ee) ok-power

ff) PEFC (Programme for the Endorsement of Forest Certification)

gg) Rainforest Alliance/Sustainable Agriculture Network (SAN)

hh) Rugmark

ii) Social Accountability International – SA8000

jj) TÜV SÜD Standard EE01/TÜV SÜD Standard EE02

kk) UTZ Certified good inside

ll) XertifiX

mm) 4C Association?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/7426

51. Wie oft hat die Bundesregierung eidesstattliche oder vergleichbar verbind-
liche Erklärungen nachverfolgt bzw. von unabhängiger Stelle nachverfol-
gen lassen, welche im Rahmen von Vergabeverfahren für den Nachweis so-
zialer oder ökologischer Kriterien durch den Bietenden abgegeben wurden?
Wie oft ergaben sich für die Bundesregierung Verdachtsmomente, die eine
Nachverfolgung und Offenlegung der Produktionsbedingungen erforder-
lich gemacht haben?
In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung unabhängige Berichte berück-
sichtigt, die Zweifel an der Richtigkeit der abgegebenen Erklärungen auf-
kommen ließen?

52. Welche absoluten Summen wurden in den Jahren 2009 und 2010 über Bun-
desministerien, das Bundeskanzleramt und in nachgeordneten Bundesbe-
hörden für Produkte folgender Kategorien verausgabt (bitte nach den Insti-
tutionen aufschlüsseln):

a) landwirtschaftliche Produkte,

b) Textilien,

c) Natursteine,

d) IT-Produkte,

e) Dienstkleidung,

f) Lederwaren,

g) Stoffe,

h) Spielwaren,

i) Papier?

53. Wie hoch war in den genannten Produktkategorien jeweils die Quote der
Produkte, die nachweislich oder potentiell mindestens teilweise in den
OECD-Ländern (orientiert an der aktuellen DAC-Länderliste – DAC,
OECD-Entwicklungsausschuss – des BMZ) produziert oder weiterverar-
beitet wurden?

54. Wie hoch war wiederum der Anteil dieser aus den OECD-Ländern stam-
menden Produkte, die nach welchen ökologischen oder sozialen Standards
beschafft wurden, und welche Nachweise wurden dafür jeweils vorgelegt?

55. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlichen Kosten für eine Be-
schaffung von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden ein, die
sich an den Vorgaben orientierte, wie sie in Hamburg aktuell per Beschaf-
fungsgesetz Anwendung finden und die teils auf einer Studie der Hambur-
gischen WeltWirtschaftsInstitut gemeinnützigen GmbH (Sozial verantwort-
liche Beschaffung der öffentlichen Hand) beruhen?

56. In welchem Umfang beschafften Bundesministerien und nachgeordnete Be-
hörden in den Jahren 2009 und 2010 Produkte, die auf der „List of Goods
Produced by Child Labor or Forced Labor – TVPRA-Liste“ des Bureau of
International Labor Affairs (ILAB) des U. S. Department of Labor stehen?

57. Hat die Bundesregierung Berechnungen dazu angestellt, mit welchen Ver-
änderungen bei den Kosten zu rechnen wäre, würde sie in allen Bundes-
ministerien und nachgeordneten Behörden auf eine Beschaffung umstellen,
die sich an den in den USA geltenden Vorgaben zur Beschaffung nach
sozialen Kriterien orientiert (Sec. 105(b)(2) TVPRA 2008 des ILAB)?

Berlin, den 18. Oktober 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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