BT-Drucksache 17/6442

Interessenvertretung sinnvoll regeln - Lobbyismus transparent machen

Vom 5. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6442
17. Wahlperiode 05. 07. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Michael Hartmann (Wackernheim), Christian Lange
(Backnang), Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Edelgard Bulmahn, Sebastian Edathy,
Ingo Egloff, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher,
Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Frank Hofmann (Volkach),
Daniela Kolbe (Leipzig), Burkhard Lischka, Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann,
Stefan Rebmann, Gerold Reichenbach, Marianne Schieder (Schwandorf),
Sonja Steffen, Christoph Strässer, Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Interessenvertretung sinnvoll regeln – Lobbyismus transparent machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vertretung gesellschaftlicher Interessen gegenüber Politik, Verwaltung und
allgemeiner Öffentlichkeit gehört zu den Wesensmerkmalen eines demokrati-
schen Staatswesens. Seit jeher sind Interessenvertreterinnen und Interessen-
vertreter unterschiedlichster Art in verschiedenen Formen an demokratischen
Willensbildungsprozessen beteiligt. Im Idealfall finden widerstreitende Interes-
sen verschiedener Akteure im Verlauf und im Ergebnis politisch-parlamentari-
scher Entscheidungsprozesse und deren Umsetzung ihren Ausgleich.

In zunehmendem Maße verstärkt sich jedoch das Unbehagen der Öffentlichkeit
gegenüber den Tätigkeiten und dem Ausmaß des Einflusses von Interessenver-
treterinnen und Interessenvertretern auf Politik und Verwaltung auf allen staat-
lichen Ebenen. Mit dem Begriff des „Lobbyismus“ werden in der öffentlichen
Wahrnehmung vornehmlich illegitime Einflussversuche partikularer Interessen-
organisationen und ihrer Vertreterinnen und Vertreter verbunden, die dazu füh-
ren, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik und die Legitimität parla-
mentarischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nachdrücklich zu
beschädigen. Ursächlich ist hierbei nicht der Pluralismus organisierter Inte-
ressen an sich, sondern deren unregulierte Mitwirkung an der Gestaltung von
Politik.

Vertrauen in die Legitimität staatlicher Entscheidungen setzt Transparenz
voraus, doch vollzieht sich das Miteinander von Parlament, Bundesregierung
sowie Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern in Deutschland bislang
weitgehend im Dunkeln. Wichtig ist es daher, zur Sicherstellung demokratischer

Verantwortlichkeit und Nachvollziehbarkeit einen einheitlichen Rahmen zu
schaffen, der den Grundsatz der Öffentlichkeit und Kontrolle parlamentarischer
Prozesse auch bei der Vertretung von Interessen gegenüber Parlament und Ver-
waltung realisiert. Dadurch soll die Transparenz der demokratischen Willens-
bildung auf der Ebene des Bundes insgesamt verbessert und das Vertrauen der
Bevölkerung in die Politik gestärkt werden.

Drucksache 17/6442 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag wird seine Geschäftsordnung und andere ein-
schlägige Regelungen ändern, um

1. ein verbindliches und öffentliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyis-
ten einzuführen und dabei folgende Maßgaben zu berücksichtigen:

a) Definitionen von Interessenvertretung müssen formuliert werden. Zen-
traler Aspekt hierbei sollte die Absicht und das Ziel der Auftraggeberin-
nen und Auftraggeber sein, direkten Einfluss auf die Abläufe und Ent-
scheidungen, also auf den demokratischen Willensbildungsprozess, des
Deutschen Bundestages und der Bundesbehörden auszuüben. Als ent-
scheidendes Kriterium der Kontaktaufnahme zu Bundestagsabgeordneten
oder Bundesbehörden müssen finanzielle wie zeitliche Schwellenwerte
festgelegt werden.

b) Schaffung einer Registrierungspflicht von natürlichen und juristischen
Personen, deren Tätigkeit die unter Buchstabe a definierte Interessen-
vertretung beinhaltet, sofern diese Tätigkeiten gegen Entgelt oder auf
Basis einer dafür bereitstehenden Finanzierung erbracht werden und nicht
nur gelegentlicher Natur sind. Lobbytätigkeit, die den festgelegten zeit-
lichen und finanziellen Rahmen nicht übersteigt, kann in Ausnahmefällen
von der Registrierungspflicht ausgenommen werden. Zur Abgrenzung
zwischen Interessenvertretungstätigkeiten, die registrierungspflichtig sind,
und solchen, die von der Registrierungspflicht ausgenommen sind, soll vor
allem auf die finanziellen wie zeitlichen Schwellenwerte zurückgegriffen
werden.

c) Name, Anschrift, Geschäftssitz und weitere geschäftliche Kontakt-
informationen sowie der finanzielle Rahmen (Herkunft und Höhe der aus
Interessenvertretung erzielten steuerlichen Einnahmen) der registrie-
rungspflichtigen Interessenvertreterin bzw. des registrierungspflichtigen
Interessenvertreters inklusive Zuordnung zu einzelnen Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern bzw. Auftraggeberinnen und Auftraggebern (Name,
Anschrift, Geschäftssitz, weitere geschäftliche Kontaktinformationen,
Geschäftsführung und Vorstand, Mitgliederzahl, Anzahl der mit Interes-
senvertretung beauftragten Lobbyistinnen und Lobbyisten, finanzieller
Rahmen), sofern die Interessenvertretung nicht auf eigenen Namen
erfolgt, sowie eine zusammenfassende Beschreibung ihrer bzw. seiner
Tätigkeitsbereiche. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die den unter
Buchstabe a aufgeführten Lobbytätigkeiten nachgehen, müssen in dem
Register vermerkt werden. Die Höhe der finanziellen Aufwendungen für
die Interessenvertreterin und den Interessenvertreter sind ebenfalls mit
aufzunehmen.

d) Veröffentlichung eines schriftlichen Jahresberichts durch den/die Präsi-
denten/Präsidentin des Deutschen Bundestages über den Stand der Regis-
trierungen als Bundestagsdrucksache sowie öffentlicher Zugang zu diesem
Dokument im Internet. Monatliche Aktualisierung in geeigneter Form auf
der Netzseite des Deutschen Bundestages.

e) Zur Ahndung von vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen die
Registrierungspflicht von Interessenvertreterinnen und Interessenver-
tretern wird ein Ordnungswidrigkeitstatbestand geschaffen;

2. einen sanktionsbewehrten Verhaltenskodex zu erlassen, der Grundregeln für
Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter in Wahrnehmung ihrer Auf-
gaben in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz,
Ehrlichkeit und Integrität beinhaltet. Diesem Verhaltenskodex können sich
registrierungspflichtige Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter bei
Registrierung freiwillig unterwerfen, wodurch sie seine Geltungskraft jedoch

verbindlich anerkennen. Die Annahme oder Nichtannahme des Kodex wird
im Register vermerkt;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6442

3. sich für ein vergleichbares und verbindliches Lobbyistenregister auf
EU-Ebene einzusetzen.

Berlin, den 5. Juli 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Die Vertretung von Interessen gegenüber Legislative und Exekutive ist ein wich-
tiger Bestandteil unseres Demokratieverständnisses und damit unverzichtbar für
das pluralistische System. Laut einer Studie von Transparency International
Deutschland e. V. aus dem Jahr 2010 sind allerdings sieben von zehn Bürgerin-
nen und Bürgern der Auffassung, dass die Bestechlichkeit in Deutschland zu-
genommen hat. Die Verbindung aus Politik, Wirtschaft und professionellem
Lobbyismus wird der Studie zufolge sehr kritisch gesehen. Mehr als 5 000 Per-
sonen sind nach Schätzungen von Expertinnen und Experten hauptberuflich
damit befasst, die Interessen von Verbänden und Unternehmen gegenüber der
Politik zu vertreten. Ihr Einfluss auf die Gesetzgebung bleibt zumeist unerkannt
und der Öffentlichkeit verborgen.

Entscheidend für die Bewertung der Legitimität der Vertretung unterschied-
licher Interessen ist die Frage, inwieweit sie im Einklang mit den Grundsätzen
von Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität vorgebracht werden.
Illegitim ist insbesondere, was sich im Verborgenen abspielt, mit unwahren
Informationen arbeitet oder die Auftraggeber und Auftraggeberinnen bestimm-
ter Einflussversuche verschleiert. Für die Öffentlichkeit, aber auch die Adressa-
tinnen und Adressaten der Interessensvertretung in Parlament, Bundesregierung
und Verwaltung muss eindeutig nachvollziehbar sein, in wessen Namen Interes-
senvertreterinnen und Interessenvertreter handeln und auf welcher Basis sie
ihre Tätigkeit finanzieren. Eine verbesserte Transparenz kann illegitime
Formen der Einflussnahme oder gar Fälle von Korruption zwar nicht völlig ver-
hindern, aber durch die Sicherstellung von Nachvollziehbarkeit und demokra-
tischer Verantwortlichkeit solche Fälle zumindest erschweren und gleichzeitig
eine bessere Grundlage für eine wachsame Öffentlichkeit bilden.

Innerhalb der Europäischen Union war der Deutsche Bundestag das erste Parla-
ment, das die Registrierung von Lobbyistinnen und Lobbyisten förmlich ge-
regelt hat. Seit 1972 führt der Präsident des Deutschen Bundestages gemäß
Anlage 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eine öffentliche
Liste, in der sich alle Verbände einzutragen haben, die Interessen gegenüber dem
Deutschen Bundestag oder der Bundesregierung vertreten. Zu den Angaben, die
bei der Eintragung gemacht werden sollen, gehören der Name und Sitz des Ver-
bandes, die Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, der Interes-
senbereich des Verbandes, die Mitgliederzahl, die Namen der Verbandsvertrete-
rinnen und Verbandsvertreter sowie die Anschrift der Geschäftsstelle am Sitz
von Deutschem Bundestag und Bundesregierung. Bei Anhörungen des
Deutschen Bundestages werden nach dem Wortlaut der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages nur Vertreterinnen und Vertreter derjenigen Verbände
zugelassen, die mit den vollständigen Angaben eingetragen sind. Eine Offen-
legung ihrer Finanzierung wird von den Verbänden bislang jedoch nicht verlangt.
Auch die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung verpflichtet die
Verbände, deren Vertreterinnen und Vertreter im Zuge von Gesetzgebungsver-

fahren angehört werden, derzeit nicht zur Offenlegung der Herkunft ihrer finan-

Drucksache 17/6442 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
ziellen Mittel. Die bisherige Regelung hat sich in der Praxis von Parlament und
Bundesregierung als unzureichend erwiesen, da sie sich ausschließlich auf Ver-
bände erstreckt und andere Akteure der Interessenvermittlung nicht erfasst.
Folglich spielt die Verbändeliste in der heutigen täglichen Parlamentspraxis
keine Rolle.

Abgesehen von dieser Liste, unterliegen Interessenvertreterinnen und Interes-
senvertreter in Deutschland keinerlei weiterer Transparenzverpflichtung. We-
der müssen bei einer Stelle Informationen über Verbände, Beraterinnen, Berater
oder andere Einzelunternehmen hinterlegt werden, die Interessen gegenüber
öffentlichen Institutionen vertreten, noch unterliegen einzelne Kontakte von
Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern zu Politik und Verwaltung
einer Registrierungspflicht.

Will man die Transparenz der Vertretung von Interessen möglichst umfassend
verbessern, ist es notwendig, einen einheitlichen Regelungsrahmen aufzu-
spannen, der das Miteinander von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivil-
gesellschaft regelt sowie berufsständische Selbstregulierungseinrichtungen
durch ihre öffentliche Anerkennung in ihrer Tätigkeit stärkt. Solch ein Rege-
lungsrahmen bietet die beste Gewähr dafür, die Transparenz von Interessen-
vertreterinnen und Interessenvertretern sowie ihren Aktivitäten gegenüber
Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit wirkungsvoll zu verbessern.

Es bleibt die genuine Aufgabe politischer Entscheidungsträgerinnen und Ent-
scheidungsträger in Parlament und Bundesregierung, Informationsquellen als
Grundlage politischer Entscheidungen auszuwählen, Informationen abzuwägen
und einen Ausgleich zwischen möglicherweise widerstreitenden Interessen zu
schaffen. Die Frage, auf welcher Basis sich dieser Prozess des Auswählens und
Abwägens vollzieht, sollte jedoch möglichst transparent sein. Zu einer größt-
möglichen Transparenz im Verhältnis zwischen Interessenvertreterinnen und
Interessenvertretern sowie Parlament und Bundesregierung gehört neben Nen-
nung der Auftraggeberinnen und Auftraggeber bzw. der Mitglieder insbeson-
dere die Offenlegung von Herkunft und Höhe ihrer finanziellen Mittel. Die
Glaubwürdigkeit einer Interessenvertreterin oder eines Interessenvertreters
hängt stark davon ab, wie sie oder er sich finanziert und welche Auftraggeberin-
nen und Auftraggeber hinter seiner Tätigkeit stehen. Wichtig ist für die Adres-
satinnen und Adressaten von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern
sowie die allgemeine Öffentlichkeit, von vornherein mögliche Interessenkon-
flikte erkennen zu können – oder sie auszuschließen. Eine klare Offenlegungs-
pflicht kann auf diese Weise auch möglichen Zweifeln an der Unbefangenheit
einzelner Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern entgegenwirken.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Antrags steht die Einrichtung eines verpflich-
tenden Lobbyistenregisters, das als wirkungsvolles Instrument zugunsten von
mehr Transparenz ausgestaltet werden soll. Die Erfahrung mit der Verbände-
liste beim Deutschen Bundestag, aber auch die Erfahrungen mit der Einrich-
tung von Transparenzerfordernissen auf Ebene der Europäischen Union und in
unterschiedlichen Ländern legt nahe, insbesondere folgende Anforderungen zu
berücksichtigen, die auch im Einklang mit den Schlussfolgerungen eines um-
fassenden Berichts der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD) stehen: Ein Lobbyistenregister muss erstens für alle
Gruppen von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern verpflichtender
und nicht bloß freiwilliger Natur sein, es muss eine hinreichende Bestimmtheit
der offenzulegenden Angaben aufweisen und es muss darüber hinaus einer
sanktionsbewehrten Kontrolle unterliegen. Eine freiwillige Regelung, wie auf
europäischer Ebene von der Europäischen Kommission im Jahr 2008 erlassen,
ist nicht ausreichend.

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