BT-Drucksache 17/6331

Gutachten über die geplanten EU-Fluggastdatenabkommen mit den USA und Australien beim Gerichtshof der Europäischen Union einholen

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6331
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln),
Harald Ebner, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Sven-Christian Kindler,
Agnes Malczak, Jerzy Montag, Dr. Hermann Ott, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gutachten über die geplanten EU-Fluggastdatenabkommen mit den USA
und Australien beim Gerichtshof der Europäischen Union einholen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Mai 2010 hat das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf-
gefordert, die Abkommen mit den USA, Kanada und Australien über die Wei-
tergabe von Passagierdaten (Passenger Name Records, PNR) neu zu verhandeln
und den Datenschutz zu verbessern. Die Verhandlungen mit Australien und den
USA sind seit kurzem vorläufig abgeschlossen. Der Juristische Dienst der
Europäischen Kommission hat in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2011 ver-
treten, das geplante Abkommen mit den USA verstoße in der derzeit vorliegen-
den Fassung gegen EU-Grundrechte (insbesondere gegen Artikel 8 der EU-
Grundrechtecharta – Schutz personenbezogener Daten).

Die datenschutzrechtliche Kritik hat doppeltes Gewicht angesichts der Tatsache,
dass parallel zu den genannten Abkommen über den Vorschlag für eine
EU- Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten (KOM(2001) 32
endg.) verhandelt wird, dessen Grundrechtskonformität ebenfalls größten Zwei-
feln unterliegt (siehe dazu bereits den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/5490). Sowohl der Europäische Daten-
schutzbeauftragte (Stellungnahme vom 25. März 2011) als auch der Juristische
Dienst des Rates (Ratsdokument 8850/11 vom 12. April 2011) und die EU-
Grundrechteagentur (Stellungnahme vom 14. Juni 2011) halten diesen Richt-
linienvorschlag für unvereinbar mit EU-Grundrechten und damit für unverein-
bar mit dem EU-Primärrecht. Dabei wird unter anderem auf die Rechtsprechung
des deutschen Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichte der
Tschechischen Republik und Rumäniens zur Vorratsspeicherung von Telekom-
munikationsverbindungsdaten verwiesen.
Besonderes Gewicht hat die datenschutzrechtliche Kritik an den geplanten
PNR-Abkommen mit den USA und Australien vor diesem Hintergrund auch
deswegen, weil die Situation entstehen könnte, dass die nach Maßgabe einer
künftigen PNR-Richtlinie bereits grundrechtswidrig auf Vorrat gesammelten
Passagierdaten auf der Grundlage der geplanten Abkommen in die USA und
nach Australien weitergeleitet werden könnten, ohne dass auch nur ein an-

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nähernd adäquater Datenschutz gewährleistet wäre. Die Folgen für die Vielzahl
der völlig unbescholtenen Betroffenen wären unabsehbar und unkontrollierbar.

Nach Artikel 218 Absatz 11 des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union (AEUV) kann ein Mitgliedstaat ein Gutachten des Gerichtshofs
der Europäischen Union (EuGH) über die Vereinbarkeit einer geplanten Über-
einkunft mit dem Primärrecht der EU einholen. Im Falle eines ablehnenden
Gutachtens des EuGH kann das geplante Abkommen nicht unverändert in Kraft
treten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemäß Artikel 218 Absatz 11 AEUV ein Gutachten des Gerichtshofs der Euro-
päischen Union über die Vereinbarkeit der geplanten Abkommen mit den USA
und Australien über die Weitergabe von Passagierdaten mit europäischem Pri-
märrecht einzuholen.

Berlin, den 29. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Gegen die geplanten PNR-Abkommen mit den USA und Australien bestehen
erhebliche Grundrechtsbedenken. Die geplanten Abkommen seien, so die viel-
fache Kritik, mit dem Grundrecht auf Datenschutz in Artikel 8 der EU-Grund-
rechtecharta nicht vereinbar. Diese Position vertritt auch der Juristische Dienst
der Europäischen Kommission. Dieser rügt dabei insbesondere den fehlenden
Nachweis der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, eine mangelnde Be-
stimmtheit und Vorhersehbarkeit der Grundrechtseingriffe, die Möglichkeit
grundrechtswidriger Profilerstellungen, die überlange Speicherdauer von 15 Jah-
ren, eine fehlende Normierung von individuellen Datenschutz- und Rechts-
schutzstandards nach europäischen Maßstäben sowie eine mangelnde Kontrolle
durch unabhängige Datenschutzbeauftragte. Die Kritik aus den Einrichtungen
und Organen der EU bezieht sich vor allem auf die EU-Grundrechte und damit
auf die Vereinbarkeit der geplanten Abkommen mit dem EU-Primärrecht.

Die geplanten PNR-Abkommen gefährden jedoch auch den Grundrechtsschutz
nach den Maßstäben des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts. Denn die betreffenden Passagierdaten würden auf der Grund-
lage der Abkommen von deutschen Stellen an die USA oder Australien weiter-
geleitet. Diese verfügen unbestritten über ein im Vergleich zu deutschen und
europäischen Standards deutlich niedrigeres Datenschutzniveau. Das Bundesver-
fassungsgericht hat dem Gesetzgeber in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeiche-
rung vom März 2010 unmissverständlich aufgetragen, sich in europäischen und
internationalen Zusammenhängen für die Wahrung der verfassungsrechtlichen
Datenschutzstandards des deutschen Grundgesetzes einzusetzen.

Der Deutsche Bundestag muss jetzt seiner Verantwortung nachkommen
und gegenüber der Bundesregierung darauf dringen, dass diese den EuGH
um die Prüfung der Grundrechtskonformität der geplanten Abkommen ersucht.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Teil der deutschen
Verfassungstradition ist Rechtserkenntnisquelle für den EuGH. Deutsche
Verfassungsrechtsprechung hat auf diesem Weg bereits vielfach in die EuGH-

Rechtsprechung Eingang gefunden. Deutschland sollte durch die Einholung des

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6331

Gutachtens beim EuGH seine europarechtlichen Möglichkeiten und Pflichten
zur Förderung des europäischen Grundrechtsschutzes wahrnehmen.

Deutschland darf hier nicht sehenden Auges eine Situation entstehen lassen, in
der die EU grundrechtswidrige Abkommen abschließt.

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