BT-Drucksache 17/5915

Rechte indigener Völker stärken - ILO-Konvention 169 ratifizieren

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5915
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Lothar Binding (Heidelberg),
Gabriele Fograscher, Siegmund Ehrmann, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Dr. Barbara Hendricks, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Burkhard
Lischka, Dr. Sascha Raabe, Frank Schwabe, Wolfgang Tiefensee, Manfred Zöllmer,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Tom Koenigs, Undine Kurth (Quedlinburg),
Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia
Behm, Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Ulrike
Höfken, Ingrid Hönlinger, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Markus Tressel,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte indigener Völker stärken – ILO-Konvention 169 ratifizieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesrepublik Deutschland hat mit der Einnahme eines Sitzes im Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen seit dem 1. Januar 2011 neben ihrer führenden
Rolle in der Europäischen Union zusätzliche außenpolitische Verantwortung
übernommen. Dazu gehört auch, dass die Bundesrepublik Deutschland inter-
nationale Abkommen und Vereinbarungen auf nationaler Ebene ratifiziert und
umsetzt. Dies betrifft ganz besonders die immer noch nicht erfolgte Ratifizie-
rung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur
Stärkung der Rechte indigener Völker.

Rund 400 Millionen Menschen in über 70 Ländern zählen laut den Vereinten
Nationen (VN) zu den indigenen Völkern. Ihre Lebensgrundlagen und traditio-
nellen Rechte sind jedoch vielerorts bedroht. Menschenrechtsverletzungen von
Seiten der Regierungen und die Missachtung ihrer Rechte, auch von Seiten na-
tionaler und internationaler Unternehmen, sind keine Seltenheit.

Die Bundesregierung stellt in ihrem Neunten Bericht über die Menschenrechts-
politik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen (Bun-
destagsdrucksache 17/2840) fest, dass Personen mit indigenem Hintergrund

politische und gesellschaftliche Teilhabe in zahlreichen Ländern ganz oder teil-
weise verwehrt werde. Außerdem betrachte die Bundesregierung das Prinzip
aktiver Partizipation indigener Völker als unabdingbar für die Verwirklichung
ihrer Menschenrechte und die ILO-Konvention 169 als das einzige internatio-
nale Vertragswerk, das einen umfassenden Schutz der Rechte indigener Völker
zum Gegenstand habe.

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Dennoch weigert sich die Bundesregierung weiterhin, dem Deutschen Bundes-
tag die ILO-Konvention 169 zur Ratifizierung vorzulegen, obwohl die wirt-
schaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen und die Außen-, Wirtschafts-,
Handels-, Umwelt- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung Einfluss auf
die Lebensverhältnisse indigener Völker haben. Beteiligungen deutscher Firmen
und Banken an Staudammbau- oder Öl-Pipeline-Projekten oder die Aktivitäten
der staatlichen Durchführungsorganisationen in der Entwicklungszusammenar-
beit sind Beispiele dafür. Auch die im Rahmen der neuen Rohstoffstrategie der
Bundesregierung durchzuführenden Maßnahmen berühren in vielen Fällen die
Interessen indigener Völker.

Auch die Berichte des VN-Sonderberichterstatters für die Rechte indigener Völ-
ker und des Ständigen Forums für Indigene Angelegenheiten (UNPFII) zeigen,
dass in vielen Ländern und Regionen indigene Rechte weiterhin verletzt werden.

Die ILO-Konvention 169 von 1989 ist das einzige völkerrechtlich verbindliche
Dokument, das die Rechte indigener Völker weltweit und umfassend anerkennt.

Die in der ILO-Konvention 169 definierten Grundrechte decken im Wesent-
lichen folgende Bereiche ab:

a) die Verhinderung von Diskriminierung durch Anerkennung spezifischer
Mindestrechte für indigene Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel der uneinge-
schränkten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben;

b) das Recht auf traditionelles Land und Territorien sowie die Gewährleistung
der örtlichen Kontrolle über natürliche Ressourcen;

c) das Recht auf kultur-adäquate und selbstbestimmte Entwicklung. Dazu gehö-
ren der Anspruch auf Selbstverwaltung, Partizipation und Demokratisierung
sowie die Festlegung der eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozess
und

d) das Recht auf die Aufrechterhaltung der politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Systeme indigener Völker. Damit gehen die Schaffung kultur-ad-
äquater Arbeitnehmerrechte, die Förderung lokaler Produktionen, eine ange-
messene soziale Absicherung und der Zugang zu Ausbildung (unter Berück-
sichtigung indigener Sprachen) sowie zum Gesundheitswesen einher.

Die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 bietet die Grundlage zur Verbesse-
rung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Gesundheits- und Bil-
dungsstandes der indigenen Völker. Außerdem werden die Rechte an der Er-
schließung, Bewirtschaftung und Nutzung der natürlichen Ressourcen auf dem
Territorium der indigenen Völker garantiert. Die ILO-Konvention 169 verbietet
zudem jegliche Diskriminierung hinsichtlich des Arbeitsentgelts, der ärztlichen
und sozialen Betreuung, der sozialen Sicherheit und der Vereinigungsfreiheit.
Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist ebenfalls
festgeschrieben. Schließlich fordert die ILO-Konvention 169 den diskriminie-
rungsfreien Zugang zu den Systemen der Sozialen Sicherheit und der Gesund-
heitsversorgung.

Der besondere Wert der ILO-Konvention 169 liegt u. a. in den Vorgaben zu spe-
ziellen Konsultations- und Partizipationsverfahren für alle Vorhaben Dritter auf
indigenen Territorien. Diese Normen sind jedoch nur in den Staaten verpflich-
tend und einklagbar, die das Abkommen ratifiziert und in nationale Gesetze
überführt haben.

Mit der Proklamierung der ersten Internationalen Dekade der indigenen Bevöl-
kerung von 1994 bis 2004 und der Zweiten Internationalen Dekade der indigenen
Völker der Welt von 2005 bis 2014 haben sich die Vereinten Nationen – auch auf
Initiative der Bundesrepublik Deutschland – die internationale Zusammenarbeit

mit indigenen Völkern in den Bereichen Menschenrechte, Umwelt, Gesundheit,
Kultur und Bildung zum Ziel gesetzt. Die Berufung eines VN-Sonderberichter-

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statters für indigene Fragen, die Gründung des Ständigen Forums für Indigene
Fragen und die Einrichtung eines freiwilligen Fonds für die Umsetzung der Ziele
der Dekaden waren wichtige Schritte zur Stärkung der Rechte indigener Völker.

Ein wichtiger Fortschritt ist die Erklärung der VN über die Rechte der indigenen
Völker (Resolution 61/295), die im September 2007 von der VN-Generalver-
sammlung mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde. Deutschland hatte
dieser Resolution nicht nur zugestimmt, sondern war im Vorfeld auch aktiv an
ihrer Ausarbeitung beteiligt. Deshalb wäre es nur folgerichtig und logisch, wenn
Deutschland die ILO-Konvention 169 ratifizieren würde. Mit der Annahme der
Bundestagsdrucksache 15/136 forderte der Deutsche Bundestag bereits die Bun-
desregierung auf, auf die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 hinzuwirken.

Die VN-Resolution und die ILO-Konvention 169 haben die gleiche Zielrich-
tung. Aber nur die ILO-Konvention 169 ist rechtlich verbindlich. Sie ist unter
anderem von den Industrieländern Spanien, Dänemark, Norwegen und den
Niederlanden ratifiziert worden.

Die Rechte indigener Völker sind eng mit dem Schutz von Klima und Biodiver-
sität verbunden. Ein erheblicher Teil der indigenen Völker lebt in Gebieten, die
für den Schutz dieser globalen Gemeinschaftsgüter von zentraler Bedeutung
sind. Mit ihrem traditionellen Wissen können indigene Völker einen großen Bei-
trag zum Schutz und auch zur nachhaltigen Bewirtschaftung dieser Gebiete leis-
ten. Auch in diesem Zusammenhang wäre es ein wichtiges Signal, wenn
Deutschland 2011 die ILO-Konvention 169 sowie das Nagoya-Protokoll zur
Regelung des Zuganges zu genetischen Ressourcen und der gerechten Gewinn-
beteiligung bei der Nutzung dieser Ressourcen ratifizieren würde.

Außerdem sind in Ländern mit hohem indigenen Bevölkerungsanteil die Millen-
niumsentwicklungsziele ohne die Anerkennung der Potenziale von Indigenen,
die Berücksichtigung ihrer spezifischen Interessen und Bedürfnisse sowie die
konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation nicht zu erreichen.

Schließlich ist die aktive Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich
der indigenen, für die Entwicklung friedvoller, demokratischer, multikultureller
und multiethnischer Gesellschaften und zur Durchsetzung der Menschenrechte
unabdingbar.

Der Schutz der Rechte indigener Völker kann nicht länger nur als innerstaatli-
ches, nationales Anliegen betrachtet werden. Die Globalisierung hat Industrie-
nationen, Schwellen- und Entwicklungsländer und somit auch die dort lebenden
indigenen Völker näher denn je zusammengebracht. Viele Rechtsverletzungen
bei indigenen Völkern stehen im Zusammenhang mit Tätigkeiten transnationa-
ler Unternehmen in diesen Ländern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Deutschen Bundestag die ILO-Konvention 169 über eingeborene und in
Stämmen lebende Völker umgehend zur Ratifizierung vorzulegen, um damit
die mit dem Sitz im Sicherheitsrat gestiegene internationale Verantwortung
und Glaubwürdigkeit Deutschlands und dessen an den Menschenrechten
orientierten Politik zu stärken;

2. die VN-Resolution 59/157 zur Zweiten Internationalen Dekade der indigenen
Bevölkerungen der Welt umzusetzen und ausreichende Beiträge zum vom
VN-Generalsekretär eingerichteten freiwilligen Fonds zu entrichten, um die
Teilnahme indigener Vertreter an Sitzungen internationaler Gremien zu er-
möglichen;

3. die VN-Resolution 61/295 mit der Erklärung der Vereinten Nationen über die

Rechte der indigenen Völker in nationalem Recht abzubilden;

Drucksache 17/5915 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
4. sich innerhalb der Vereinten Nationen, gegenüber der Europäischen Kom-
mission und im Europäischen Rat für die zügige und umfassende Umset-
zung der VN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker einzusetzen und
dabei dem Konsultations- und Partizipationsverfahren des „free, prior and
informed consent“ (freie, vorhergehende und informierte Übereinkunft)
eine prominente Rolle zuzuweisen;

5. sich in den Verhandlungen (Politdialog) zur Entwicklungszusammenarbeit
mit den Partnerregierungen in den Ländern mit indigener Bevölkerung
dafür einzusetzen, dass die Konsultations- und Mitentscheidungsrechte der
indigenen Völker nach der ILO-Konvention 169 und den nationalen gesetz-
lichen Regelungen strikt beachtet und eingehalten werden;

6. sich dafür einzusetzen, dass – unter Berücksichtigung der entsprechenden
Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 1994 – weitere
EU-Mitgliedsländer und Staaten außerhalb der EU die ILO-Konvention
169 ratifizieren und sich im Politikdialog mit den Partnerregierungen für die
Umsetzung der ILO-Konvention 169 insbesondere in Programmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit einzusetzen;

7. sich auf europäischer Ebene und im Rahmen der Europäischen Initiative für
Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) stärker für die Belange der indi-
genen Völker einzusetzen;

8. sich für eine angemessene Ausstattung des 2002 im Rahmen des Wirt-
schafts- und Sozialrats der VN (ECOSOC) eingerichteten Ständigen Fo-
rums für Indigene Angelegenheiten einzusetzen;

9. Richtlinien für die Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsför-
derung zu erarbeiten, die die Rechte indigener Völker entsprechend der
ILO-Konvention 169 berücksichtigen;

10. in der Welthandelsorganisation (WTO), im Rahmen des Übereinkommens
über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums
(TRIPS), die internationalen Patentrechte und den intellektuellen Eigen-
tumsrechte der indigenen Völker zu wahren;

11. die Bedeutung indigener Völker beim Erhalt der biologischen Vielfalt in
ihren Lebensräumen anzuerkennen, sie diesbezüglich und bei ihren An-
strengungen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung globaler Gemein-
güter zu unterstützen und dem Deutschen Bundestag das Nagoya-Protokoll
zur Regelung des Zuganges zu genetischen Ressourcen und der gerechten
Gewinnbeteiligung bei der Nutzung dieser Ressourcen 2011 zur Ratifizie-
rung vorzulegen;

12. die Mitbestimmung indigener Völker und den Aufbau entsprechender Ka-
pazitäten bei den VN und bei anderen internationalen Institutionen zu för-
dern und sich dafür einzusetzen, dass auch innerhalb der Europäischen
Union indigene Völker konsequent als Partner behandelt werden;

13. gemeinsam mit den indigenen Völkern die Datenerhebung und -bearbei-
tung zu deren Lebensumständen zu fördern und so zu mehr Selbstbestim-
mung und der Sicherung ihrer kulturellen Identität beizutragen;

14. den entwicklungs- und menschenrechtspolitischen Dialog mit Repräsentan-
tinnen und Repräsentanten indigener Völker zu stärken.

Berlin, den 25. Mai 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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