BT-Drucksache 17/505

Rückführungen in das Kosovo

Vom 22. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/505
17. Wahlperiode 22. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck
(Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Britta Haßelmann, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rückführungen in das Kosovo

Nach mehreren kritischen Berichten von Flüchtlingsorganisationen zur Lebens-
situation von aus Westeuropa Abgeschobenen, insbesondere Angehörigen von
Minderheiten, im Kosovo (u. a. von PRO ASYL und der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe) haben sich nunmehr auch internationale Organisationen mit
aktuellen Einschätzungen zu Wort gemeldet.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) veröffent-
lichte am 9. November 2009 aktualisierte „UNHCR-Richtlinien zur Feststellung
des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo“, in denen
konstatiert wird: „Kosovo-Serben und Kosovo-Albaner, die in Gebieten leben,
in denen sie eine Minderheit bilden, sowie alle im Kosovo lebenden Kosovo-
Roma sind weiterhin gravierenden Einschränkungen in Bezug auf ihr Recht auf
Freizügigkeit und ihre fundamentalen Menschenrechte ausgesetzt, einschließ-
lich schwerwiegender gesellschaftlicher und manchmal administrativer Diskri-
minierungen, die sie insbesondere daran hindern, ihre politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Rechte auszuüben. Darüber hinaus wird von Bedrohungen und
physischer Gewalt gegenüber diesen Gemeinschaften berichtet.“

Am 11. November 2009 veröffentlichte die Mission der Organisation für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo ihren Bericht „Imple-
mentation of the Strategy for Reintegration of Repatriated Persons in Kosovo’s
Municipalities“. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die örtlichen
Institutionen im Kosovo ihren Verpflichtungen, die Wiedereingliederung von
Personen, die aus den Aufnahmestaaten in das Kosovo zurückgeführt wurden,
zu unterstützen, nicht nachkommen. Weiterhin fehlen konkrete Maßnahmen zur
Förderung der Wiedereingliederung von zurückgeführten Personen in den wich-
tigen Bereichen Gesundheit, Bildung, Beschäftigung und Unterbringung von
Rückkehrern, und der Haushalt der einzelnen Gemeinden sieht keinerlei finan-
zielle Mittel im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung zurückgeführter
Personen vor. Im Ergebnis führt dies dazu, dass zurückgeführte Personen bei ih-

rer Ankunft im Kosovo oftmals über keinerlei Unterstützung verfügen und auch
keine Informationen über den Zugang zu Leistungen oder andere Möglichkeiten
der Wiedereingliederung erhalten. Dieser Mangel an Hilfe führt häufig zu ernst-
haften Problemen bei der Wiedereingliederung, insbesondere bei Angehörigen
der Nichtmehrheits-Gemeinschaften.

Drucksache 17/505 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Nachdem er sich bereits im Sommer 2009 gegen die zwangsweise Rückführung
von Minderheitenangehörigen ausgesprochen hatte, wandte sich der Menschen-
rechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, in einem Schreiben
vom 25. November 2009 an die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und bat sie,
alle notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer zwangsweiser Rück-
führungen, insbesondere von Roma, in das Kosovo zu ergreifen, solange die
Situation vor Ort Grund zu der Annahme gibt, dass durch diese Rückführungen
das Leben und die persönliche Sicherheit der Abgeschobenen ernsthaft bedroht
ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aussage in dem
Bericht des UNHCR: „Abgesehen von sporadischen Schießereien und Mord-
fällen sind Angehörige von Minderheitengemeinschaften weiterhin Opfer
ethnisch motivierter Vorfälle wie beispielsweise tätliche und verbale Angriffe
oder Bedrohungen, Brandstiftungen, Steinwürfe, Einschüchterungen, Beläs-
tigungen und Plünderungen“, und wie will die Bundesregierung sicherstellen,
dass aus Deutschland abgeschobene Angehörige von Minderheiten, nicht
Opfer derartiger Übergriffe werden?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den weiteren Aus-
sagen in dem Bericht des UNHCR, wonach die Freizügigkeit von Personen
im gesamten Kosovo nicht vollständig gewährleistet ist und Kosovo-Roma
im gesamten Gebiet des Kosovo Androhungen physischer Gewalt und sons-
tigen Menschenrechtsverletzungen auf Grund ihrer äußeren Merkmale und
Ethnie ausgesetzt sind, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundes-
regierung hieraus für Abschiebungen von Roma in das Kosovo?

3. Teilt die Bundesregierung die Beobachtung von UNHCR, wonach im
Kosovo ethnische Diskriminierung weiterhin ein Problem ist, das von den
Angehörigen der Minderheitengemeinschaften in Bereichen wie Beschäfti-
gung, Gesundheitswesen, Bildung, Recht auf Eigentum und Zugang zu Poli-
zei und Gerichten beklagt wird, sowie die Schlussfolgerung „das Sozialsys-
tem gewährt keinen ausreichenden einheitlichen Schutz“, und wenn nein,
warum nicht?

4. Teilt die Bundesregierung die Feststellung des UNHCR, dass zahlreiche Ver-
triebene, die Minderheiten angehören, auf Grund der Sicherheitslage und an-
derer Umstände, die ihre Rückkehr verhindern, ihr Eigentum nicht wieder in
Besitz nehmen können, und wie gestaltet sich nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Unterbringungssituation, insbesondere für abgeschobene Angehö-
rige von Minderheiten?

5. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aussage in der Un-
tersuchung der OSZE, wonach bisher keine der Gemeinden im Kosovo vorab
von bevorstehenden zwangsweisen Rückführungen unterrichtet wurde sowie
die weitere Feststellung, dass keine Gemeinde im Kosovo politische Vorga-
ben („policies“) oder Verfahren („procedures“) im Zusammenhang mit der
Wiedereingliederung zwangsweise zurückgeführter Personen entwickelt hat,
und wie schätzt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Bereit-
schaft und Kapazität der Gemeinden zur Aufnahme dieser Personen ein?

6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung der
OSZE, dass bis zum heutigen Tage keinerlei konkrete Schritte zur Unterstüt-
zung der Wiedereingliederung zwangsweise zurückgeführter Kinder in das
kosovarische Schulsystem unternommen wurden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/505

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung
der OSZE, dass von den örtlichen Behörden im Kosovo keinerlei konkrete
Bemühungen unternommen wurden im Bereich der Beschäftigung und so-
zialen Unterstützung von Rückkehrern sowie die weitere Feststellung,
dass es nirgendwo im Kosovo spezifische auf Rückkehrer zugeschnittene
Arbeitsbeschaffungsprogramme gibt?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Schlussfol-
gerung in dem OSZE-Bericht, wonach der fehlende Zugang zu Unterkunft
und Unterbringung einen schwerwiegenden Hinderungsgrund für eine
nachhaltige Rückkehr und Wiedereingliederung darstellt, da keine der Ge-
meinden im Kosovo irgendwelche Schritte zur vorübergehenden oder dau-
erhaften Lösung der Wohnsituation zurückgeführter Personen unternom-
men haben und dafür auch keinerlei finanzielle Mittel vorgesehen sind?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Menschenrechtskommissars
des Europarates in seinem Schreiben vom 25. November 2009 an die Bun-
deskanzlerin, wonach „die Zeit schlicht noch nicht reif ist für zwangsweise
Rückführungen in das Kosovo, insbesondere von Angehörigen der Roma“,
und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

10. Teilt die Bundesregierung die in dem genannten Schreiben des Menschen-
rechtskommissars des Europarates vertretene Auffassung, wonach unter
„Rückkehr“ nicht ausschließlich der technische Verwaltungsvorgang ver-
standen werden kann, sondern vielmehr die Aufnahme und Wiedereinglie-
derung der Rückkehrer und ihrer Familien in Sicherheit und Würde und
einer nachhaltigen Form, und wenn nein, warum nicht?

11. Hat die Bundeskanzlerin das Schreiben des Menschenrechtskommissars des
Europarates zwischenzeitlich beantwortet oder wird sie dies zeitnah tun, und
mit welchem Inhalt?

Berlin, den 21. Januar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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