BT-Drucksache 17/4960

Völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur Einführung gesetzlicher Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten nach dem VN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

Vom 28. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4960
17. Wahlperiode 28. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Britta Haßelmann,
Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Agnes Malczak, Jerzy Montag,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur
Einführung gesetzlicher Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten nach
dem VN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau (CEDAW)

Die bereits seit dem 2. Juli 2001 bestehende Vereinbarung zwischen der Bun-
desregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förde-
rung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft ist
gescheitert. In den letzten zehn Jahren hat sich der Frauenanteil in Aufsichtsrä-
ten und Vorständen nur minimal erhöht. Daher bezeichnete die Bundesministe-
rin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, die Vereinbarung sogar
als „krachend gescheitert“.

Obwohl Frauen inzwischen genauso gut ausgebildet sind wie Männer, mitunter
sogar besser, sind sie in den oberen Hierarchieebenen von Unternehmen immer
noch unterrepräsentiert. Nach einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) lag der Anteil von Frauen in Führungsposi-
tionen in der Privatwirtschaft im Jahr 2007 bei nur 27 Prozent. Der Studie zu-
folge beträgt in Deutschland der Anteil von Frauen in Vorständen der 200 größ-
ten Unternehmen (ohne Finanzsektor) lediglich 2,5 Prozent. In den Aufsichts-
räten nehmen Frauen nur ein Zehntel aller Sitze ein. In den 100 größten Banken
sind 2,6 Prozent, in den 62 größten Versicherungen 2,8 Prozent aller Vorstands-
mitglieder Frauen.

Trotz dieser verschwindend kleinen Zahlen wurde im Koalitionsvertrag zwi-
schen CDU, CSU und FDP von 2009 keine gesetzlich verbindliche Frauenquote
beschlossen. Stattdessen wurde ein Stufenplan zur Erhöhung des Anteils von
Frauen in Führungspositionen vereinbart, der auf verbindliche Berichtspflichten

und transparente Selbstverpflichtungen setzt. Bisher haben auch diese auf Frei-
willigkeit bauenden Maßnahmen keine Erfolge erzielt.

Dabei zeigen gesetzlich vorgeschriebene Frauenquoten in anderen Staaten
durchaus ihre Wirkung. In Norwegen ist das im Jahr 2003 beschlossene Gesetz
zur Einhaltung einer Frauenquote bereits erfolgreich. Hier sind rund 42 Prozent
der Mitglieder von Vorständen und Aufsichtsräten Frauen. Damit belegt Nor-

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wegen den Spitzenplatz in Europa. Frankreich hat am 13. Januar 2011 in zwei-
ter Lesung ein Gesetz über eine Quotenregelung zum Ausgleich des Frauen-
und Männeranteils in Aufsichts- und Verwaltungsräten verabschiedet. Dem-
nach muss sich der Frauenanteil in den Führungsgremien innerhalb von sechs
Jahren, d. h. bis zum Jahr 2017, auf 40 Prozent steigern.

Die unzureichende Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privat-
wirtschaft und im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland ist
Gegenstand der Kritik des CEDAW-Ausschusses der Vereinten Nationen (VN).
Als Vertragsausschuss hat er die Aufgabe, die Umsetzung der aus dem VN-
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(CEDAW) hervorgehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen der Vertrags-
staaten zu überwachen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat das VN-Übereinkommen zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau am 3. September 1981 ratifiziert.
Durch die Ratifizierung wurde CEDAW zugleich Bestandteil des deutschen
Rechts.

Das VN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau ist eine umfassende und rechtsverbindliche Übereinkunft. Das Überein-
kommen überprüft auch, durch welche proaktiven Maßnahmen und Programme
seitens der Vertragsstaaten die tatsächliche Umsetzung der Diskriminierungs-
freiheit und Gleichheit erzielt wird. Artikel 4 CEDAW adressiert beispielsweise
zeitweilige Sondermaßnahmen der Vertragsstaaten „zur beschleunigten Herbei-
führung der De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau“. In seiner all-
gemeinen Empfehlung Nr. 5 von 1988 empfiehlt der CEDAW-Ausschuss den
Vertragsstaaten ausdrücklich, die in Artikel 4 genannten zeitweiligen Sonder-
maßnahmen im Rahmen von Quoten zu ergreifen. Ähnliche Empfehlungen wer-
den in der allgemeinen Empfehlung Nr. 25 von 2004 geäußert.

In seinen abschließenden Bemerkungen von 2009 zum sechsten Staatenbericht
Deutschlands kritisiert der CEDAW-Ausschuss, dass den geäußerten Empfeh-
lungen nicht hinreichend Beachtung geschenkt wurde und fordert die Bundes-
republik Deutschland erneut auf „konkrete Ziele wie Quoten und Fristen fest-
zulegen, um das Erreichen einer substantiellen Gleichstellung zwischen Frau
und Mann […] zu beschleunigen.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Verstößt die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre menschenrechtlichen
und völkerrechtlichen Verpflichtungen, wenn sie nach zehn Jahren erfolg-
loser freiwilliger Selbstverpflichtung der Wirtschaft weiterhin auf fakultative
Maßnahmen setzt, anstatt die in Artikel 4 CEDAW geforderten „zeitweiligen
Sondermaßnahmen […] zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-
Gleichberechtigung von Mann und Frau“ zu ergreifen?

2. Ist die Bundesregierung nach Artikel 4 CEDAW verpflichtet, temporäre
Sondermaßnahmen wie gesetzliche Frauenquoten zu erlassen, wenn freiwil-
lige Maßnahmen keinen Erfolg gezeigt haben?

Wenn nein, warum nicht?

3. Inwieweit ist das weitere Festhalten der Bundesregierung an freiwilligen
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft trotz ausbleibender Erfolge mit Artikel 2
CEDAW vereinbar, der Vertragsstaaten verpflichtet, „geeignete Maßnahmen
zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau“ zu ergreifen?

4. Inwieweit ist die Haltung der Bundesregierung, die sich gegen eine gesetz-
liche Frauenquote ausgesprochen hat, mit Artikel 11 CEDAW vereinbar, der

die Vertragsstaaten auffordert, „alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung
der Diskriminierung der Frau im Berufsleben“ zu ergreifen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4960

5. Betrachtet die Bundesregierung die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirt-
schaft als „geeignete“ Maßnahme im Sinne der Artikel 2 und 11 CEDAW?

Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung ihre Position angesichts der
ausbleibenden Erfolge solcher fakultativen Maßnahmen?

6. Inwiefern sind die Maßnahmen der Bundesregierung zur freiwilligen Selbst-
verpflichtung der Wirtschaft mit den abschließenden Bemerkungen des
CEDAW-Ausschusses von 2009 zum sechsten Staatenbericht Deutschlands
vereinbar, die die Bundesregierung auffordern, „konkrete Ziele wie Quoten
und Fristen festzulegen, um das Erreichen einer substantiellen Gleichstellung
zwischen Frau und Mann […] zu beschleunigen“?

7. Wie verhält sich die Bundesregierung gegenüber den allgemeinen Empfeh-
lungen des CEDAW-Ausschusses Nr. 5 (1988) und Nr. 25 (2004), der die
Anwendung zeitweiliger Sondermaßnahmen, insbesondere Frauenquoten
empfiehlt?

a) Mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, die Emp-
fehlungen des CEDAW-Ausschusses umzusetzen?

b) Wenn sie keine Umsetzung plant, warum nicht?

8. Bei welcher Gelegenheit (beispielsweise beim Universal Periodic Review)
wurde die Bundesregierung im Menschenrechtsausschuss der Vereinten
Nationen oder in anderen internationalen Gremien von welcher Seite (Nicht-
regierungsorganisationen, anderen Staaten oder VN-Institutionen) auf die
ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen oder die Unterreprä-
sentanz von Frauen in bestimmten Bereichen angesprochen, und wie hat sie
hierauf jeweils geantwortet?

Berlin, den 25. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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