BT-Drucksache 17/4615

Fachkräftepotential nutzen - Gute Arbeit schaffen, bessere Bildung ermöglichen, vorhandene Qualifikationen anerkennen

Vom 28. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4615
17. Wahlperiode 28. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Diana Golze, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich,
Werner Dreibus, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Höll,
Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne Ploetz,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Sahra Wagenknecht,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Fachkräftepotential nutzen – Gute Arbeit schaffen, bessere Bildung ermöglichen,
vorhandene Qualifikationen anerkennen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Arbeitgeber und Bundesregierung warnen vor einem allgemeinen Fachkräfte-
mangel. Sie instrumentalisieren diese Debatte, um längere Wochenarbeitszeiten
und ein späteres Renteneintrittsalter einzufordern. Dabei gibt es keine seriöse
Studie, die einen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland belegt,
weder aktuell noch auf absehbare Zeit. Im Gegenteil: Es herrscht ein Mangel an
guten Arbeitsplätzen. Bei weiterhin hoher Arbeitslosigkeit nehmen prekäre
Beschäftigungsverhältnisse und Leiharbeit immer noch zu und der Niedriglohn-
sektor wächst ungebrochen.

Die Klagen über einen angeblichen Fachkräftemangel sind scheinheilig. Denn
in Deutschland liegt ein riesiges Potential an Arbeitskräften brach. Das Problem,
dass für bestimmte Arbeitsbereiche nicht unmittelbar qualifizierte Fachkräfte
gefunden werden können, ist hausgemacht. Millionen Menschen wird ein freier
Zugang zum Arbeitsmarkt und zu notwendigen Bildungs- und Qualifizierungs-
maßnahmen verwehrt. Die Bundesregierung nimmt mit dem sogenannten Spar-
paket (Haushaltsbegleitgesetz 2011) einen Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik
vor, sinnvolle Weiterbildungsangebote und alternative Arbeitsmarktmaßnahmen
bleiben auf der Strecke. Junge Beschäftigte werden weiter in prekäre Beschäfti-
gung gedrängt, Beschäftigungsbarrieren für Frauen mit Kindern werden nicht
beseitigt, ältere Beschäftigte aussortiert, Bedürfnisse von Menschen mit Behin-
derung ignoriert. Statt selbst ausreichend neue Fachkräfte auszubilden, gehen
Wirtschaft und Politik international auf Fachkräfteanwerbung. Sie verlagern so
Ausbildungskosten ins Ausland und entziehen den Herkunftsländern Fach-
kräfte. Gleichzeitig werden hunderttausende Migrantinnen und Migranten in

Deutschland vom Erwerbssystem ausgegrenzt – etwa durch die Nichtanerken-
nung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen.

Fachkräfte drehen Deutschland zunehmend den Rücken zu. Sie verlassen
Deutschland. Laut Migrationsbericht 2009, der am 19. Januar 2011 vom Bun-
desminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, vorgelegt wurde, ist Deutsch-
land ein Auswanderungsland. Von denjenigen, die aus Deutschland wegziehen

Drucksache 17/4615 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

und im Ausland erwerbstätig sind, hat etwa die Hälfte einen Hochschulab-
schluss, über 40 Prozent von ihnen besitzen einen mittleren Bildungsabschluss.
Mehr als ein Drittel sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, knapp
20 Prozent Techniker und 17 Prozent Führungskräfte. Mehr als die Hälfte der
Deutschen, die im Jahr 2009 ins Ausland gezogen sind, war zwischen 25 und
50 Jahre alt, etwa ein Fünftel war jünger als 18 Jahre.

Statt einen flächendeckenden Fachkräftemangel an die Wand zu malen, muss die
Politik in Deutschland die gravierenden Probleme am Arbeitsmarkt, im Bil-
dungswesen und der Migrationspolitik angehen. Viele der Branchen, in denen
Arbeitgeber einen Mangel an qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern be-
klagen, zeichnen sich durch miserable Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne
aus. Das gilt insbesondere für den Bereich sozialer Dienstleistungen wie etwa
der Pflege oder Erziehung. Aber auch in der Industrie bleibt die Lohnentwick-
lung in Deutschland hinter derjenigen in anderen Staaten zurück. Das trägt dazu
bei, dass in den vergangenen Jahren mehr hochqualifizierte Menschen Deutsch-
land verlassen haben als eingewandert sind.

Drängendste Aufgabe der Politik ist es daher, Rahmenbedingungen für gute Ar-
beit und steigende Löhne zu schaffen und allen eine gute Aus- und Weiterbil-
dung und einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, gesetzliche und
andere Maßnahmen zu ergreifen, um

1. mehr gute Arbeit zu schaffen. Dazu zählen, die Lebensarbeitszeit zu verkür-
zen, sinnvolle öffentliche Beschäftigung auszuweiten und durch höhere
Löhne und Sozialleistungen zum einen die Attraktivität von Arbeitsplätzen
zu erhöhen und zum anderen die Binnennachfrage zu erhöhen. Im Einzelnen:
– einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn einzuführen und für

darüberliegende Branchentarifverträge die Allgemeinverbindlichkeitser-
klärung zu erleichtern;

– prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, befristete Beschäftigung,
Minijobs und erzwungene Teilzeitarbeit zurückzudrängen, Arbeitsmarkt-
instrumente, die Lohndumping befördern, abzuschaffen; hierzu zählen
insbesondere Ein-Euro-Jobs;

– die Hartz-IV-Regelsätze in dieser Wahlperiode auf 500 Euro anzuheben
und eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung einzufüh-
ren, um den Disziplinierungsdruck gegenüber den Beschäftigten abzu-
schwächen;

– das Renteneintrittsalter zu senken und Initiativen für kürzere Wochenar-
beitszeiten zu ergreifen;

– nach Jahren des Personalabbaus im öffentlichen Sektor zusätzliche quali-
fizierte Beschäftigung vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung,
Energieversorgung und Verkehr zu schaffen;

2. bei den sozialen Dienstleistungen wie etwa der Pflege von der bisherigen
Strategie abzukehren, die auf einer marktorientierten Leistungserbringung
und zunehmender Privatisierung beruht, welche auch Niedriglöhne und
prekäre Beschäftigung zur Folge hat. Statt durch arbeitnehmerfeindliche
Kosteneinsparungen Wettbewerbsvorteile zu erlangen, ist der Bereich für
Arbeitskräfte attraktiver zu gestalten;

3. eine grundlegende Kehrtwende in der Bildungspolitik einzuleiten. Dazu
zählen:
– eine solidarische Finanzierung der Berufsausbildung durch ein Umlage-
system zu schaffen, damit jede und jeder Jugendliche eine qualifizierte
Ausbildung abschließen kann;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4615

– Kürzungen der Gelder in der beruflichen Weiterbildung zurückzunehmen
und mehr hochwertige Qualifizierungsangebote zu schaffen;

– die Kinder im öffentlichen Bildungssystem bestmöglich zu fördern, um
ihnen einen selbstbestimmten Bildungs- und Berufsweg zu ermöglichen.
Mit den Ländern sind verbindliche Vereinbarungen zu schließen über die
Schaffung von zusätzlichen Studienplätzen, die flächendeckende Schaf-
fung von inklusiven Ganztagsschulen und einen beschleunigten Ausbau
von inklusiven Kindertageseinrichtungen. Gegenüber den Ländern ist dar-
auf hinzuwirken, dass Initiativen für ein längeres gemeinsames Lernen der
Kinder in den Ländern befördert werden;

4. Hindernisse abzubauen, die heute Millionen Menschen einen freien Zugang
zum Arbeitsmarkt verwehren. Insbesondere Rechnung zu tragen ist dabei der
Lage von Frauen, älteren Beschäftigten, Menschen mit Behinderung sowie
von Migrantinnen und Migranten. Konkret:
– Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe am Erwerbsleben zu ermöglichen,

indem mehr reguläre Arbeitsplätze statt ungesicherte Mini- und Teilzeit-
jobs geschaffen werden, die Entgeltgleichheit durchgesetzt und die ge-
schlechtsspezifische Arbeitsteilung aufgebrochen wird;

– für ältere Menschen die Beschäftigungsbedingungen zu verbessern,
indem spezifische Qualifizierungsprogramme ausgebaut und der Kün-
digungsschutz insbesondere für diese Gruppe verbessert wird sowie der
Arbeits- und Gesundheitsschutz, um es Älteren zu ermöglichen, länger
ohne besondere Belastungen am Erwerbsleben teilzuhaben;

– das sogenannte Sparpaket zurückzunehmen, eine gute Arbeitsmarktpolitik
nachhaltig zu finanzieren und mit einer aktiven Beschäftigungspolitik ins-
besondere Langzeiterwerbslosen Chancen zu erschließen;

– für Menschen mit Behinderungen gemäß der UN-Behindertenrechtskon-
vention eine Erwerbstätigkeit auf einem inklusiven Arbeitsmarkt zu schaf-
fen, indem die gesetzlich festgeschriebene Beschäftigungsquote, ins-
besondere durch private Unternehmen, endlich erfüllt und die Schaffung
barrierefreier Arbeitsstätten verstärkt gefördert wird;

– mit einer anderen Integrationspolitik den Migrantinnen und Migranten
einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, un-
abhängig von der „ökonomischen Nützlichkeit“. Dazu ist unverzüglich
ein Gesetzentwurf zur erleichterten Anerkennung von im Ausland erwor-
benen Qualifikationen vorzulegen, der nachvollziehbare, erleichterte und
bundeseinheitliche Verfahren schafft und einen Rechtsanspruch auf Aner-
kennung von Berufs- und Schulabschlüssen garantiert. Ferner sind das Ar-
beitsverbot, das Vorrangprinzip und die Arbeitsmarktbedingungsprüfung
für bestimmte Migrantinnen und Migranten sowie die „Residenzpflicht“
abzuschaffen, um die überregionale Arbeitsplatzsuche zu ermöglichen.

Berlin, den 28. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Im Widerspruch zu den Klagen von Unternehmerverbänden und Politikern ver-
schiedener Parteien über einen angeblichen Fachkräftemangel zeigen seriöse

Studien: Es gibt derzeit keinen außergewöhnlichen Mangel an Fachkräften,
allenfalls eine – für wirtschaftliche Aufschwungphasen ganz normale – stei-

Drucksache 17/4615 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gende Nachfrage nach Arbeitskräften. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-
schung (DIW) weist in einer detaillierten aktuellen Untersuchung der Angebots-
und Nachfragesituation auf dem Arbeitsmarkt für höher Qualifizierte nach, dass
es keine Belege für ein knappes Arbeitskräfteangebot gibt und ein allgemeiner
Fachkräftemangel auch in nächster Zeit nicht zu erwarten ist.

Bei der öffentlichen Debatte um fehlende Fachkräfte geht es also um etwas an-
deres: Sie dient vor allem dazu, Forderungen Nachdruck zu verleihen, die sich
gegen die Interessen der Beschäftigten richten. So rechtfertigt die Bundesminis-
terin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, die von CDU/CSU und
SPD beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre damit, dass
nun verstärkt ältere Fachkräfte gebraucht würden. Andere bringen in diesem
Zusammenhang bereits die „Rente mit 70“ ins Gespräch oder fordern längere
Wochenarbeitszeiten.

So werden die Legende vom flächendeckenden Fachkräftemangel und die eilig
diskutierten Scheinlösungen vorgebracht, damit deutsche Unternehmen auch
zukünftig Löhne drücken können. Schließlich sind die Löhne in Deutschland in
den vergangenen Jahren im Unterschied zu den europäischen Nachbarländern
nicht gestiegen, sondern real gesunken. In den angeblich vom Fachkräftemangel
betroffenen Branchen, wie dem Maschinenbau oder der IT-Industrie, sanken die
durchschnittlichen Jahresgehälter von höher qualifizierten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern zwischen 2008 und 2010 zum Teil erheblich. Zum einen erklärt
dieser Fakt die geringe Attraktivität des Arbeitsstandorts Deutschland und die
Tatsache, dass viele Hochqualifizierte abwandern. Zum anderen zeigt der Fakt,
dass der Fachkräftemangel kein großes Problem sein kann: Gäbe es tatsächlich
ein Fachkräftemangel, müssten die Löhne wegen der höheren Nachfrage nach
Arbeitskräften eigentlich steigen. Das DIW kommt deshalb in seiner Studie zu
dem Schluss: „Die Lohnentwicklung lässt […] keinen verbreiteten Fachkräfte-
mangel erkennen. Vielmehr scheint es mit Blick auf die Löhne mehr als hinrei-
chend Fachkräfte zu geben.“

In verschiedenen Bereichen der sozialen Dienstleistungen wie der Pflegebranche,
wo laut Arbeitgebern ebenfalls Fachkräfte fehlen, sind die Löhne sehr niedrig
und die Arbeitsbedingungen oft extrem schlecht. Der gesellschaftlich wichtige
Pflegebereich wird vorwiegend privaten Anbietern überlassen, die insbesondere
auf Niedriglohn und prekäre Beschäftigung setzen. Freigemeinnützige Träger
von Pflegeinrichtungen sind darauf angewiesen, in diesem „Pflegemarkt“ zu
bestehen. Doch gute Pflege braucht mehr qualifiziertes Personal. Zunehmende
Arbeitsverdichtung und schlechte Bezahlung müssen überwunden werden, um
die Arbeit in der Pflege attraktiv zu machen. Dazu müsste ein ganz anderer Weg
eingeschlagen werden: In den skandinavischen Ländern wird ein weit besseres
Niveau bei der Pflege und anderen sozialen Dienstleistungen bei gleichzeitig
besseren Arbeitsbedingungen erreicht. Soziale Dienstleistungen werden dort
zum Großteil von der öffentlichen Hand bereitgestellt.

Die Debatte um einen Fachkräftemangel lenkt von bestehenden Problemen in
der Qualifizierung ab. Das deutsche Bildungssystem ist so ungerecht wie kaum
ein anderes in den westlichen Industriestaaten. Benachteiligte Kinder und
Jugendliche werden in der frühkindlichen Bildung zu wenig gefördert. Fast jeder
fünfte Jugendliche hat mit 15 Jahren nur Lesekompetenzen auf Grundschul-
niveau, mindestens jeder 15. Jugendliche verlässt die Schule ohne jeden Ab-
schluss. Gerade diese Jugendlichen haben nach der Schule kaum eine Chance
auf einen Ausbildungsplatz. Während die Unternehmen über einen Fachkräfte-
mangel klagen, kommen sie ihrer eigenen Verantwortung für die Ausbildung
von Fachpersonal immer weniger nach. Nur noch jedes vierte Unternehmen bil-
det aus. Obwohl die Zahl von Schulabsolventinnen und -absolventen stark ge-

sunken ist, gab es im vergangenen Jahr 126 000 Bewerberinnen und Bewerber
mehr als betriebliche Ausbildungsplätze. Zudem bieten Unternehmen zuneh-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4615

mend zweijährige Kurzausbildungen an, die Jugendlichen kaum eine attraktive
Berufsperspektive bieten, sondern häufig direkt in den Niedriglohnsektor oder
in die Arbeitslosigkeit führen.

Trotz anderslautender Ankündigungen macht auch die Bundesregierung vor Kür-
zungen in der Bildung nicht halt. Im Haushalt 2011 kürzt sie die Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch um 1,54 Mrd.
Euro, das entspricht einem Viertel der Ausgaben in diesem Bereich. Den Spar-
beschlüssen der Bundesregierung zufolge sollen für die aktive Arbeitsmarktpoli-
tik künftig jährlich 5 Mrd. Euro weniger ausgegeben werden. Das bedeutet er-
hebliche Einschnitte in der Fort- und Weiterbildung. Um allen Menschen eine
kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Qualifikationen zu ermöglichen, müs-
sen diese Beschlüsse zurückgenommen werden und stattdessen zusätzliche
Mittel in den Bereich der beruflichen Weiterbildung fließen, aber auch in die
allgemeine Bildungsförderung sowie in die Angebote der allgemeinen Weiterbil-
dung. Ziel muss es sein, die Beteiligung an Weiterbildung deutlich zu erhöhen,
insbesondere für Geringqualifizierte und Ältere.

Durch eine falsche Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wird heute Millio-
nen Menschen ein gleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Hier
liegt viel Potential brach. Das betrifft insbesondere Ältere, Frauen, Menschen
mit Behinderung und Migrantinnen und Migranten. In der Gruppe der über 55-
bis 65-Jährigen zählt die Arbeitsmarktstatistik über eine halbe Million Arbeits-
lose. Unter den ca. 9 Millionen Menschen, die laut dem Statistischen Bundesamt
sich in Deutschland Arbeit oder mehr Arbeit wünschen, sind überproportional
viele Frauen. Bei ihnen ist der Wunsch nach Mehrarbeit stärker ausgeprägt als
bei den Männern. Entgegen dem allgemeinen Trend steigt die Arbeitslosigkeit
von schwerbehinderten Menschen. Ein weiteres Problem ist die hohe Langzeit-
arbeitslosigkeit. Deutschland nimmt hier im Vergleich mit anderen Industrielän-
dern einen führenden Platz ein. Zum Jahresende 2010 lag die Zahl der Langzeit-
arbeitslosen bei ca. 900 000.

Um den Lohndruck zu erhöhen und sich vor Ausbildungskosten drücken zu kön-
nen, fordern Unternehmerverbände eine Einwanderung in Abhängigkeit von der
„ökonomischen Nützlichkeit“ potentieller Migrantinnen und Migranten mittels
Quoten, Kontingenten und Punktesystemen. Das ist eine menschenverachtende
und selektive Einwanderungspolitik. Migration soll nur möglich sein, wenn
deutschen Unternehmen damit gut ausgebildete Arbeitskräfte zu günstigen Löh-
nen zugeführt werden. So fordern Arbeitgeberverbände beispielsweise, die gel-
tende Einkommensgrenze für die Niederlassungserlaubnis ausländischer Hoch-
qualifizierter von derzeit 66 000 Euro im Jahr auf 40 000 Euro abzusenken.
Noch liegen die durchschnittlichen Jahresgehälter bei Hochqualifizierten in der
Metall- und Elektroindustrie oder in der Chemieproduktion in Deutschland bei
weit mehr als 40 000 Euro. Dabei ist die Höhe des geforderten Gehalts für Hoch-
qualifizierte noch nicht einmal die maßgebliche Einwanderungshürde. Denn
auch unterhalb dieser Grenze ist bereits eine Beschäftigung mit einer Aufent-
haltserlaubnis nach § 18 des Aufenthaltsgesetzes möglich.

Notwendig ist endlich ein Rechtsanspruch auf Anerkennung ausländischer
Abschlüsse, um die Abwertung vorhandener Qualifikationen zu beenden. Bei
über einem Viertel aller Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Bezieher mit
Migrationshintergrund, die den Berufs- oder Hochschulabschluss im Ausland
erworben haben, werden diese in Deutschland nicht anerkannt. Personen mit
anerkanntem ausländischem Berufsabschluss haben aber eine doppelt so hohe
Beschäftigungschance wie Personen ohne anerkannten Abschluss. Dennoch hat
die Bundesregierung bisher keine wirksamen Maßnahmen zur Beseitigung die-
ser systematischen Diskriminierung ergriffen. Erforderlich wäre darüber hinaus
die Beseitigung bestehender Arbeits-, Ausbildungs- und Studienverbote bzw.

entsprechender Beschränkungen gegenüber geduldeten oder asylsuchenden
Menschen.

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