BT-Drucksache 17/3804

Erleichterung des Forschungszugangs zu Archiven des Auswärtigen Amts und anderer Bundesministerien

Vom 12. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3804
17. Wahlperiode 12. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Claudia Roth
(Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Thilo Hoppe, Tom
Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
Ingrid Hönlinger, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Agnes Malczak, Jerzy
Montag, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin, Josef Philip
Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erleichterung des Forschungszugangs zu Archiven des Auswärtigen Amts und
anderer Bundesministerien

Das Bundesarchivgesetz (BArchG) regelt, wie das Archivgut des Bundes durch
das Bundesarchiv auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaft-
lich zu verwerten ist.

Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) genießt innerhalb des
Bundes eine Sonderrolle: Während alle anderen obersten Bundesbehörden ihre
Bestände an das Bundesarchiv abgeben, behält das Auswärtige Amt (AA) die
eigenen Bestände und übergibt sie dem hauseigenen Politischen Archiv, das
ebenfalls dem Bundesarchivgesetz unterliegt.

Die Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des
Auswärtigen Amts in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundes-
republik hat im Nachwort ihres Berichts „Das Amt und die Vergangenheit“ hef-
tige Kritik am Politischen Archiv des Auswärtigen Amts geübt. Das Amt habe
sich „jahrzehntelang nicht nur faktisch bedeckt gehalten, sondern durch eine
ausgesprochen restriktive Archivpolitik unabhängige Bemühungen um eine
kritische Erforschung der Geschichte immer wieder konterkariert“ (S. 716).
Durch die systematische Vorenthaltung historischer Aktenbestände wurde es dem
Auswärtigen Amt möglich, ein eigenes Geschichtsbild zu entwerfen und nach
außen hin zu vertreten, das nicht der Realität entsprach: „Das über Jahrzehnte ge-
pflegte Selbst- und Geschichtsbild des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik
ist ein Mythos.“ (S. 12). Die Archivpolitik sei „alles andere als freundlich“ und
die Benutzung einiger Archivbestände habe sich „in der Praxis als schwierig ge-
staltet“ (S. 718). Die Gründe dafür dürften „vor allem in den eingeschliffenen
strukturellen Sonderbedingungen zu suchen sein, unter denen das PA AA seit
langem operiert und die einem demokratisch transparenten Archivzugang, wie
ihn das Bundesarchiv auf der Grundlage des Bundesarchivgesetzes erfolgreich

praktiziert, zuwiderlaufen.“ (S. 718/9). Dies habe dazu geführt, dass die His-
torikerkommission sich „letztendlich nicht sicher sein kann, wirklich alle für
ihre Arbeit wesentlichen Unterlagen zu Gesicht bekommen zu haben; dies gilt
insbesondere für die erst zu einem sehr späten Zeitpunkt zugänglich gewordenen
und noch nicht deklassifizierten VS-Sachen.“ (S. 719).

Drucksache 17/3804 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Seit der Vorstellung des Berichts der Historikerkommission haben verschiedene
Stimmen, darunter der Bundesminister des Auswärtigen a. D. Joschka Fischer,
eine Überführung des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts in das Bundes-
archiv gefordert. Der Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber, hat sich
dieser Forderung angeschlossen (siehe z. B. Frankfurter Rundschau vom
29. Oktober 2010). Bei Ablehnungen von Anträgen auf Akteneinsicht beruft
sich vor allem das Auswärtige Amt oftmals auf die in § 5 Absatz 6 BArchG an-
geführten Ablehnungsgründe. Dabei wird häufig folgende Auswahl angeführt:

● dass Grund zu der Annahme bestehe, dass das Wohl der Bundesrepublik
Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde oder

● Grund zu der Annahme bestehe, dass schutzwürdige Belange Dritter ent-
gegenstünden oder

● ein nicht vertretbarer Verwaltungsaufwand entstehen würde.

Gegen die restriktive Handhabung des Geheimarchivs des Auswärtigen Amts
sind derzeit mehrere Gerichtsverfahren beim Berliner Verwaltungsgericht an-
hängig, weil der Zugang zu Aktenbeständen zum Umgang des Auswärtigen
Amts mit der Colonia Dignidad während der Zeit der Militärdiktatur in Chile
und mit der Militärdiktatur in Argentinien beharrlich verweigert wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum Politischen Archiv des Auswärtigen Amts

1. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, das Politische Archiv des
Auswärtigen Amts in das Bundesarchiv zu überführen?

2. Warum weigert sich das Auswärtige Amt bis heute, das Archivmaterial des
Auswärtigen Amts – mit Ausnahme völkerrechtlicher Verträge – in das Bun-
desarchiv zu überführen, was nach dem Bundesarchivgesetz vorgeschrieben
ist?

3. a) Welche Aktenbestände im Auswärtigen Amt unterliegen dem Informa-
tionsfreiheitsgesetz (IFG) und welche dem Bundesarchivgesetz?

b) Nach welchen Kriterien und Fristen werden Akten einem der beiden
Gesetze zugeordnet?

4. a) Welche Rolle spielt dabei das sogenannte Zwischenarchiv?

b) Ist es physisch von den anderen Archivalien getrennt?

c) Wie alt sind die ältesten Bestände dieses Zwischenarchivs?

5. a) In welcher Höhe hat die Bundesregierung Finanzmittel für die verdienst-
volle Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung
der Geschichte des Auswärtigen Amts in der Zeit des Nationalsozialis-
mus und in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt?

b) Inwieweit sollen Erlöse aus dem Verkauf des Buches zur Finanzierung
der Arbeit dieser Historikerkommission beitragen?

6. Wird die Bundesregierung unabhängigen Forschungsvorhaben in Zukunft
ähnliche Erleichterungen wie der beauftragten Historikerkommission, der
einige Sonderbedingungen sowie „Erleichterungen“ bei der Einsichtnahme
in alle „relevanten Unterlagen“ (S. 718) vertraglich zugesichert wurden, zu-
teilwerden lassen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3804

7. a) Wie viele Akten werden derzeit im Auswärtigen Amt und seinem Poli-
tischen Archiv als Verschlusssachen getrennt vom zur Einsicht freigege-
benen Archivbestand des PA AA aufbewahrt, wie zum Beispiel die von
der Historikerkommission im Quellenverzeichnis ihres Berichts aufge-
listeten Verschlusssachenbestände „Bestand B 2-VS, Büro Staatssekre-
tär“ oder „Bestand B 130, VS-Registraturen des Auswärtigen Amts“;
siehe S. 812 f.?

b) Auf welcher Rechtsgrundlage wird dieser Aktenbestand geführt?

8. a) Findet eine regelmäßige Überprüfung der Geheimhaltungsnotwendigkeit
einzelner Dokumente des Verschlusssachenarchivs des Auswärtigen
Amts statt? Wenn ja:

b) In welchen Intervallen?

c) Wer setzt die Intervalle fest?

d) Bezüglich wie großer Teile des Bestands bzw. wie vieler Akten findet
jeweils eine Überprüfung statt?

e) Wer wählt die zu überprüfenden Akten bzw. Teile des Bestands jeweils
aus?

9. a) Welchen Status haben die Findmittel und Register dieser VS-Bestände?

b) Sind auch sie Verschlusssache?

c) Wenn ja, in welcher Stufe?

10. Ist die Existenz dieses VS-Archivs ihrerseits Verschlusssache?

11. Wie regelt die Bundesregierung den Zugang zu den Akten dieser VS-Akten-
bestände durch Dritte?

12. Wie viele Akteneinsichtsanträge (absolut und prozentual) nach dem Infor-
mationsfreiheitsgesetz und dem Bundesarchivgesetz wurden in den vergan-
genen fünf Jahren vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amts abge-
lehnt?

13. Um welche Ablehnungsgründe handelte es sich dabei vorwiegend?

14. a) In wie vielen Fällen kam es danach zu Klagen gegen das Auswärtige
Amt auf Akteneinsicht?

b) Wie wurden diese Fälle jeweils entschieden?

15. Wie definiert die Bundesregierung den in § 5 Absatz 6 BArchG angeführ-
ten Ablehnungsgrund (Auswahl) das „Wohl der Bundesrepublik“ insbeson-
dere vor dem Hintergrund von Menschenrechtsfragen in den internationa-
len Beziehungen?

16. a) Besteht seitens der Bundesregierung die Auffassung, dass die Behand-
lung und wissenschaftliche Aufarbeitung von Menschenrechtsfragen in
manchen Fällen zugunsten des Wohls der Bundesrepublik und seiner
bilateralen Außenbeziehungen zurückstehen sollte?

b) Wenn ja, in welchen Fällen?

17. Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung, das international aner-
kannte Transparenzgebot in der Menschenrechtspolitik im Umgang mit
Anträgen auf Akteneinsicht umzusetzen?

18. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu den öffentlich erhobe-
nen Forderungen, als Konsequenz aus dem Ergebnis der Arbeit der Histo-
rikerkommission das Auswärtige Amt umzubenennen?

Drucksache 17/3804 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
II. Zu den anderen Bundesministerien und obersten Bundesbehörden

19. a) Welche Bundesministerien und anderen obersten Bundesbehörden führen
neben ihren für Benutzer zugänglichen Archiven weitere Geheimarchive
(Verschlusssachenarchive)?

b) Auf welcher Rechtsgrundlage werden diese Archive jeweils geführt?

20. a) Wie viele Akten umfassen diese Archive jeweils?

b) Wie sind sie erfasst?

21. a) Findet eine regelmäßige Überprüfung der Geheimhaltungsnotwendig-
keit der Dokumente in diesen Archiven statt?

b) Wenn ja, wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen 8b
bis 8e?

22. a) Welchen Status haben die Fundmittel und Register dieser VS-Archive
und anderer VS-Archive?

b) Sind auch sie Verschlusssache?

23. Ist die Existenz dieser Geheimarchive ihrerseits geheim?

24. Wie regelt die Bundesregierung den Zugang zu den Akten dieser VS-
Archive und anderer Geheimarchive durch Dritte?

25. Plant die Bundesregierung die Einführung eines der folgenden Regularien,
um in Zukunft den Zugang zu den Archiven von Bundesbehörden durch
Dritte zu erleichtern, wie z. B.

a) Eingangsbestätigungen eines Antrags auf Aktenzugang;

b) Angaben von Zeiträumen bis zur Bearbeitung eines solchen Antrags;

c) Nennung der verweigerten Dokumente mit Begründung;

d) Weiterleitung des Antrags an Behörden, die Dokumente generiert haben,
die sich in den beantragten Akten befinden und deren Offenlegung ver-
weigert wird;

e) Schaffung paritätisch besetzter Gremien als Schiedsstellen bei Wider-
sprüchen gegen Ablehnungen?

26. a) Plant die Bundesregierung, nach dem Vorbild des US-Außenministe-
riums, wichtige und häufig angefragte Dokumente auf einer eigenen
Website zu veröffentlichen?

b) Falls nein, was spricht dagegen?

27. a) Ist der Bundesregierung bekannt, dass die US-Regierung schon seit
Jahren Akten und Unterlagen zu NS-Verbrechen und NS-Verbrechern in
ihren Archiven grundsätzlich Wissenschaftlern und Journalisten zugäng-
lich macht ohne sich vom Datenschutz zugunsten der Täter gehindert zu
sehen?

b) Plant die Bundesregierung, diesem Beispiel zu folgen?

c) Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

Berlin, den 9. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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