BT-Drucksache 17/3433

Grundrecht auf Wohnen sozial, ökologisch und barrierefrei gestalten

Vom 26. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3433
17. Wahlperiode 26. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin
Binder, Matthias W. Birkwald, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine
Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers,
Dr. Ilja Seifert, Raju Sharma, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion
DIE LINKE.

Grundrecht auf Wohnen sozial, ökologisch und barrierefrei gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die durch die Bundesregierung mit dem 4. Juni 2009 vorgelegte Unterrichtung
über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland sowie die darauf
basierenden Stellungnahmen von Fachverbänden im Expertengespräch des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 5. Mai 2010 zeichnen
ein weitgehend zutreffendes Bild der Situation des deutschen Wohnungsmark-
tes.

Allerdings liegen der Analyse der Bundesregierung zum Teil Daten zu Grunde,
die zwischenzeitlich gravierende quantitative Weiterentwicklungen und quali-
tative Veränderungen erfahren haben.

Sowohl die Bundesregierung als auch die einbezogenen Fachverbände gehen
davon aus, dass die Wohnungsversorgung in Deutschland gut sei, machen aber
gleichwohl auf eine Reihe dringlicher Probleme aufmerksam, deren Lösung
eine außerordentliche, nicht aufschiebbare wirtschaftspolitische Kraftanstren-
gung verlangt.

Nirgendwo in der Bundesrepublik Deutschland existiert ein bedarfsgerechtes
Angebot an Wohnraum. Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt sind
regional stark divergierend ausgeprägt.

Während in prosperierenden Räumen die Nachfrage nach Wohnraum nicht ge-
deckt werden kann, nehmen in schrumpfenden Regionen Wohnungsleerstand
und Verfall ganzer Quartiere dramatische Ausmaße an.

Weder im Wohnungsbestand noch durch den Wohnungsneubau finden ökolo-

gische und demografische Erfordernisse adäquate politische und wirtschaft-
liche Strategielinien.

Auf dem Gebiet der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft entwickeln und ver-
binden sich in besonders nachhaltiger Weise soziale, ökologische und öko-
nomische Herausforderungen, die nur durch neue, integrative Handlungs-
ansätze in der Raumordnungs-, Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik und

Drucksache 17/3433 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

das Zusammenwirken aller Akteure aus Politik und Wohnungs- und Immo-
bilienwirtschaft zu bewältigen sein werden.

Solchen notwendigen, integrativen Handlungsansätzen fehlt es in der Bundes-
republik Deutschland jedoch an wesentlichen eigentumsrechtlichen und ord-
nungspolitischen Voraussetzungen.

Dem Erfordernis, strukturelle Defizite im Rahmen des Stadtumbaus zu beseiti-
gen, steht zum einen der Umstand gegenüber, dass der Sektor der Immobilien-
wirtschaft überwiegend durch kleine und mittlere Unternehmen sowie Einzel-
eigentümer geprägt ist, deren Finanzkraft oft nicht für den reproduktiven Erhalt
ihrer eigenen Immobilie ausreicht.

Zum anderen haben in den letzten Jahren überproportional umfängliche Verkäufe
von Wohnungsbeständen an ausländische Unternehmen stattgefunden, die nur
selektiv an stadtentwicklungspolitischen und quartiersbezogenen Maßnahmen
interessiert sind. Gesamtgesellschaftlich verursachte Problemstellungen werden
bisher durch punktuelle gesetzgeberische Zielvorgaben und damit verbundene
wirtschaftliche Anreize in privatwirtschaftliche Einzelinteressen übersetzt, um so
über marktwirtschaftliche Mechanismen Lösungen anzustreben.

Den ambitioniert formulierten Zielen der Bundesregierung, Energieeffizienz,
Klimaschutz und die Nutzung erneuerbarer Energien voranzubringen, steht die
unzureichende finanzielle Ausstattung der einzelnen Wohnungsanbieter gegen-
über.

Die Kosten – ansonsten richtiger – gesetzlicher Regelungen zur Durchsetzung
von Sanierungsvorgaben werden deshalb zwangsläufig an die Mieter weiter-
gereicht, was zu drastisch steigenden Mieten, wachsender Wohnungslosigkeit
und weiteren gravierenden sozialen Folgen führen wird.

Die Schaffung altersgerechten Wohnraumes wird beinahe ausschließlich priva-
ten Individuallösungen überlassen, behindertengerecht ausgestattete Wohnungen
sind ohne massive öffentliche Förderung für die private Wohnungswirtschaft
unrentabel und werden daher bei weitem nicht ausreichend angeboten. Lediglich
2 Prozent des Wohnungsbestandes in Deutschland können als barrierefrei gelten.

Wohnungspolitische Maßnahmen verlieren an Effizienz, wenn sie nicht mit
städtebaulichen Lösungen für ein altersgerechtes und barrierefreies Wohnum-
feld, eine bedarfsgerechte Infrastruktur und ein ausreichendes Diensleistungs-
angebot verbunden werden.

Die bisher gesetzten Impulse reichen offensichtlich bei weitem nicht aus, um
die aufgestauten und sich weiter vertiefenden sozialen, ökonomischen und öko-
logischen Konflikte zu lösen und ihrer Reproduktion dauerhaft vorzubeugen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem rechtliche und wirtschaftliche Rah-
menbedingungen geschaffen werden, das Wohnen als soziales Grundrecht
dauerhaft zu sichern und nach demografischen, ökologischen und Erfordernis-
sen der Barrierefreiheit auszugestalten. Dabei sind folgende Kriterien vordring-
lich zu berücksichtigen:

1. Objektförderung – Städtebau- und Wohnungsbauförderung

– Die Einzelprogramme der Städtebauförderung („Städtebauliche Sanierungs-
und Entwicklungsmaßnahmen“, „Städtebaulicher Denkmalschutz“, „Stadt-
teile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“, „Stadtumbau
Ost und West. Aktive Stadt- und Ortsteilzentren – Zentrenprogramm“,

„Kleinere Städte und Gemeinden – überörtliche Zusammenarbeit und Netz-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3433

werke“ werden zusammengeführt in einem neuen Städtebauförderprogramm
für Kommunen.

– Die Vergabe der Mittel des Städtebauförderprogramms erfolgt auf der
Grundlage eines Kriterienkataloges, der zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen einvernehmlich entwickelt wird. Der Kriterienkatalog enthält allge-
meine Kerndaten der Stadtentwicklung wie Einwohnerentwicklung, Leer-
standsquote, Haushaltssituation sowie örtliche Besonderheiten. Darauf ba-
sierend haben die Kommunen langfristig angelegte Stadtentwicklungskon-
zepte zu erarbeiten.

– Voraussetzung für die Fördermittelinanspruchnahme sind von den Kommu-
nen entwickelte, mit dem Stadtumland abgestimmte, integrierte Handlungs-
konzepte. Das Anliegen der Handlungskonzepte ist eine menschenwürdige
soziale und ökologische Verfasstheit des Wohnens, die barrierefreie Stadt
der kurzen Wege, eine Stadtentwicklung im Rahmen von Flächenkreislauf-
wirtschaft mit dem Ziel einer besseren Innenentwicklung mit nachhaltig
schonender Flächeninanspruchnahme.

– Die Bundeshilfen für die Wohnraumförderung an die Bundesländer werden
als Bestandteil des neuen Städtebauförderprogramms über das Jahr 2013
hinaus auf dem finanziellen Niveau des Haushaltsjahres 2009 fortgeführt.
Die Gesamtförderung ist anteilig von Bund, Ländern und Kommunen aufzu-
bringen und in die jeweiligen Haushalte einzustellen. Der kommunale
Finanzierungsanteil kann auch durch kommunale Wohnungsunternehmen
oder Genossenschaften aufgebracht werden. Die konkrete Aufschlüsselung
der Mittelherkunft wird in jährlichen Verwaltungsvereinbarungen verbind-
lich festgelegt.

– Der Wohnungsbau wird vordringlich als Mietwohnungsbau in Mehrfamilien-
häusern im Innenstadtbereich gefördert. Zuwendungsvoraussetzungen und
Zuwendungshöhe werden nach der Einhaltung verbindlicher Normen zur
Altersgerechtheit, Barrierefreiheit und Energieeffizienz bestimmt.

2. Subjektförderung

– Das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung und auf die Versorgung mit
Wasser und Energie ist gesetzlich zu garantieren.

– Der Staat sorgt für Mieterschutz, wirkt auf angemessene Mieten hin und
gleicht Miet- und Wohnbelastungen einkommensgerecht aus. Er sichert den
Zugang zu Wasser und Energie.

– Die Räumung von Wohnraum ist unzulässig, wenn kein zumutbarer Ersatz-
wohnraum zur Verfügung gestellt wird.

– Der Staat gewährleistet den Empfängerinnen und Empfängern von Leistun-
gen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch die Erstattung
(oder Übernahme) der Wohnkosten für angemessenen Wohnraum in tatsäch-
licher Höhe, inklusive der Kosten für Heizung, Warmwasser und sonstiger
Neben- und Wohnungsbeschaffungskosten.

– Das Wohngeld gewährleistet die Bezahlbarkeit der Wohnung für Menschen
mit geringem Einkommen. Menschen mit einem Einkommen unterhalb des
bundesdeutschen Durchschnittseinkommens sollen nicht mehr als 30 Prozent
ihres Einkommens für Wohnkosten (inklusive Kosten für Heizung, Warm-
wasser und sonstiger Nebenkosten) aufbringen müssen. Darüber hinaus-
gehende Kosten für angemessenen Wohnraum werden durch Wohngeld er-
stattet.

Drucksache 17/3433 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– Mieterinnen und Mieter haben einen Rechtsanspruch auf die Durchführung
von Energie einsparenden Sanierungsmaßnahmen nach dem Energieeinspa-
rungsgesetz und der Energieeinsparverordnung.

– Führt der Vermieter energetische Sanierungsmaßnahmen oder Maßnahmen
zur Herstellung der Barrierefreiheit durch und verzichtet dabei auf die
Inanspruchnahme von Fördermitteln, darf dem Mieter hieraus kein wirt-
schaftlicher Nachteil entstehen.

3. Ziele der Förderung

– Beseitigung von vorhandener und vorbeugende Vermeidung entstehender
Wohnungsnot;

– Unterstützung der kommunalen Wohnungsgesellschaften und Wohnungs-
genossenschaften bei Abriss und Aufwertung in Quartieren mit Existenz
bedrohendem Leerstand;

– Anpassung der Wohnungsbestände an zeitgemäßen Standard, energiesparen-
des Wohnen und Barrierefreiheit;

– Aufwertung des Wohnumfeldes und der Stadtquartiere;

– Schaffung generationenübergreifender, bedarfsgerechter Wohnsituationen;

– Flächen und Ressourcen sparendes Planen und Bauen.

4. Eigentümerstruktur

– Dort, wo die Eigentümerstruktur der Wohnungsanbieter einer geordneten
städtebaulichen Entwicklung von Stadtquartieren entgegensteht, fördern
Bund, Länder und Kommunen die Bildung kommunaler oder genossen-
schaftlicher Projektgemeinschaften, Bauherrengemeinschaften, Zweckge-
sellschaften oder anderer geeigneter Eigentümergemeinschaften.

– Kommunale Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften sind als wich-
tigste Träger des öffentlichen Auftrages zur sozialen Sicherung des Wohnens
zu stärken.

– Der Verkauf öffentlicher Wohnungen ist zu stoppen, die Rekommunalisie-
rung bereits veräußerter Wohnungsbestände ist anzustreben und zu fördern.

Berlin, den 26. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Alle vorliegenden Berichte und Untersuchungen zur Wohnungssituation in der
Bundesrepublik Deutschland sowie die Positionierung vieler Fachverbände der
Immobilienwirtschaft belegen, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Wohn-
raum nur scheinbar gut ist.

Die herkömmlichen Bewertungsmaßstäbe zur Wohnungsversorgung vermitteln
nur eine quantitative Aussage zur durchschnittlichen Versorgung der Bevölke-
rung mit Wohnfläche, sagen aber nichts zur bedarfsgerechten Verteilung und
Beschaffenheit des Wohnraumes nach regionalen, ökologischen und demogra-
fischen Gesichtspunkten aus.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3433

Den beteiligten Akteuren am Wohnungs- und Immobilienmarkt ist die Hand-
lungsnotwendigkeit wohl bewusst, sie sehen die Aufgabenstellung allerdings
naturgemäß aus ihrer jeweiligen Perspektive und in dem von ihnen zu verant-
wortenden Umfang.

Bisherige staatliche Lösungsansätze, die Probleme ausschließlich über Markt-
anreize zu lösen, reichen nicht aus.

Neben der Erreichung von Teilzielen treten zwangsläufig immer wieder auch
Fehlallokationen und Mitnahmeeffekte auf, die die gesamtwirtschaftliche
Effizienz der Fördermaßnahmen verschlechtern und das Erreichen objektiv not-
wendiger Zielsetzungen verzögern oder gar unmöglich machen.

Die soziale Sicherung des Wohnens als zentraler Aufgabe des Staates nach öko-
logischen und demografischen Erfordernissen zukunftssicher auszugestalten,
setzt neue, gesetzlich verankerte Rahmenbedingungen voraus.

Sowohl die materielle Sicherstellung gegenwärtiger und künftiger Wohnbedürf-
nisse als auch das Recht auf bedarfsgerechte Versorgung der Menschen mit
Wohnraum müssen daher gesetzlich gesichert werden.

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