BT-Drucksache 17/3219

Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3219
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katja Dörner, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, Ekin Deligöz,
Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Memet Kilic, Agnes Krumwiede, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz,
Tabea Rößner, Krista Sager, Wolfgang Wieland und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) entschieden, dass die Regelung zum Sorgerecht für unverheiratete
Väter eine Benachteiligung dieser gegenüber Müttern und verheirateten Vätern
darstellt. Das deutsche Recht verstoße also gegen die Europäische Menschen-
rechtskonvention. Im August 2010 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
einen früheren Beschluss aus dem Jahr 2003 revidiert und kommt nun zu dem
Schluss, dass es das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes verletzt,
wenn der Vater ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für
sein Kind ausgeschlossen ist und nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, ob es
aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die
Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge
für das Kind zu übertragen.

Nicht zuletzt seit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention durch die
Bundesrepublik Deutschland gilt der Grundsatz, dass alle Kinder die gleichen
Rechte haben. Diesem Grundsatz muss das Familienrecht gerecht werden.

Eltern haben ein genuines und von der Verfassung geschütztes Recht, für ihre
Kinder die Verantwortung zu tragen und verantwortungsbewusst Entscheidun-
gen stellvertretend für und im Sinne ihrer Kinder zu treffen. Es ist aber nicht nur
ihr vom Grundgesetz her geschütztes Recht, es ist ebenso ihre Verpflichtung.
Wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht, sollten Vater und Mutter gleich-
berechtigt behandelt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der auf folgenden Eckpunkten beruht:

● Väter, die nicht mit der Mutter des gemeinsamen Kindes verheiratet sind und
die die Vaterschaft anerkannt haben oder deren Vaterschaft gerichtlich fest-
gestellt wurde, sollen beim zuständigen Jugendamt einen Antrag auf gemein-
same elterliche Sorge stellen können.

● Das Jugendamt hat die Aufgabe, die Mutter des gemeinsamen Kindes über
den Antrag des Vaters zu informieren und ihr eine Frist von acht Wochen zu

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setzen, in der sie dem Antrag widersprechen kann. Die Frist soll ab Kenntnis
des Antrags des Vaters beginnen. Ihr Lauf ist aber gehemmt innerhalb der
Mutterschutzfrist (sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt),
wenn die Mutter während der Achtwochenfrist eine entsprechende Mit-
teilung macht.

● Dem Antrag des Vaters wird stattgegeben und die gemeinsame Sorge wird
erteilt, wenn die Mutter nicht innerhalb dieser Zeit widerspricht und dem
Jugendamt keine Erkenntnisse über eine offensichtliche Kindeswohlgefähr-
dung durch den Vater vorliegen.

● Im Falle eines Widerspruchs der Mutter soll der Vater einen Antrag auf ge-
meinsames Sorgerecht beim Familiengericht stellen können. Ebenso soll der
Vater die Möglichkeit bekommen, einen Antrag beim Familiengericht zu
stellen, wenn das Jugendamt aufgrund von Erkenntnisse über eine Kindes-
wohlgefährdung die gemeinsame Sorge nicht erteilt hat.

● Das Familiengericht soll dem Antrag stattgeben, sofern die gemeinsame
elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.

● Auch die Mutter soll die Möglichkeit bekommen, beim Jugendamt zu be-
antragen, dass der Vater mit ihr gemeinsam das Sorgerecht erhält. Das Ver-
fahren soll analog zur Antragstellung durch den Vater gestaltet sein. Dieser
muss jedoch innerhalb einer Frist von acht Wochen dem Antrag der Mutter
zustimmen. Erfolgt diese Zustimmung nicht, wird das gemeinsame Sorge-
recht vom Jugendamt nicht erteilt.

● In den Fällen, in denen die Mutter der Antragstellung des Vaters wider-
sprochen hat und die gemeinsame Sorge durch eine familiengerichtliche Ent-
scheidung erteilt wurde, sollen beide Eltern auf die Möglichkeit der Beratung
nach den §§ 16, 17 und 18 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII)
oder Angebote der Mediation hingewiesen werden.

● Sollten während der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge Konflikte
auftreten, die dem Kindeswohl abträglich sind, soll außerdem der getrennt
lebende Vater wie auch die Mutter auf Antrag beim Familiengericht die allei-
nige Sorge erhalten, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

● Hat die Mutter die alleinige elterliche Sorge inne und will der Vater die
Alleinsorge übertragen bekommen, kann der getrennt lebende Vater sie beim
Familiengericht beantragen. Entsprechend der Übergangsregelung des Bun-
desverfassungsgerichts soll der Vater die Alleinsorge erlangen, soweit eine
gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist,
dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

● Das Kind soll ein eigenständiges Recht auf Übernahme und Ausübung der
elterlichen Sorge durch die Eltern erhalten, wie es entsprechend bereits beim
Umgangsrecht geregelt wurde.

● Der Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt bei den Entscheidungen über
das Sorge- und Umgangsrecht ist zu gewährleisten, da in der Trennungszeit
in konflikthaften Beziehungen das Gewaltrisiko für Frauen und Kinder stark
ansteigt.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf,

● einen Rechtsanspruch auf ganztägige Kindertagesbetreuung für alle Kinder
ab dem ersten Lebensjahr zu schaffen;

● das Unterhaltsvorschussgesetz zügig umfassend zu reformieren, um säumige
Unterhaltszahlungen von zahlungsfähigen Vätern erfolgreicher einzufordern
und dafür Sorge zu tragen, dass die Verletzung der elterlichen Unterhalts-
pflicht auch geahndet wird;

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● eine wissenschaftliche Evaluation der praktischen Umsetzung des Umgangs-
rechts vorzulegen, die sowohl den Rechts- wie auch den Pflichtaspekt der
Eltern, vor allem aber die Vorrangigkeit des Kindeswohls beleuchtet;

● sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass Beratungs-, Mediations-
und Unterstützungsangebote, aber auch Elterntrainings bedarfsgerecht bereit
gehalten und zielgruppenspezifisch ausgebaut werden, sodass eine Lösung
von Umgangskonflikten und elterlichen Einigungsschwierigkeiten erleich-
tert wird (vgl. §§ 16, 17 und 18 SGB VIII).

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Ein zeitgemäßes Familienrecht muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass
die Ausgangssituation beider Eltern eine möglichst frühe gemeinsame Verant-
wortungsübernahme begünstigt. Dies erfordert einen niedrigschwelligen Zu-
gang zum gemeinsamen Sorgerecht.

Der Gesetzgeber muss sich am Leitbild orientieren, dass die gemeinsame Sorge-
tragung in der Regel dem Kindeswohl entspricht; wohl wissend, dass es davon
Ausnahmen gibt. Die gemeinsame Sorgetragung setzt den Willen des Vaters,
sich gleichwertig beteiligen zu wollen und eine Initiative des Vaters, mit der er
dies erklärt, voraus. Dies kann niedrigschwellig dokumentiert werden, in dem
der Vater seinen Willen zur Mitsorge durch einen Antrag bekundet. Das
Antragserfordernis verhindert, dass Väter mitsorgeberechtigt werden, die kein
Interesse an ihrem Kind haben. Die Vaterschaftsanerkennung ist ein geeigneter
Zeitpunkt und ein praktikabler Anknüpfungspunkt für die Antragstellung. Die
frühe Verantwortungsübernahme wird auch durch die Antragsmöglichkeit beim
Jugendamt begünstigt. Dabei soll die Mutter unter Berücksichtigung der arbeits-
rechtlichen Mutterschutzfristen acht Wochen Zeit haben, um dem Antrag wider-
sprechen zu können. Will der Vater weiterhin Mitinhaber des gemeinsamen
elterlichen Sorgerechts werden, dann muss er eine Entscheidung des Familien-
gerichts herbeiführen. Diese Entscheidung ist ausschließlich am Kindeswohl zu
orientieren.

In den zurückliegenden Jahren hat sich das Bild vom Kind verändert: Kinder
sind Subjekte mit eigenen Rechten. Allein der Umstand, dass sich die Eltern als
Paar trennen, entlässt sie nicht aus der elterlichen Verantwortung gegenüber
ihrem Kind. Dem trug die Kindschaftsrechtsreform im Jahr 1998 Rechnung, als
sie das gemeinsame elterliche Sorgerecht nach der Scheidung der Eltern zum
Regelfall erklärte und für nicht miteinander verheiratete Eltern die Möglichkeit
schuf, eine Sorgeerklärung für ihr gemeinsames Kind abgeben zu können, um
die gemeinsame elterliche Sorge zu erlangen.

Zu der Entwicklung, Kinder als Subjekte mit eigenen Rechten zu sehen, hat auch
die von Deutschland ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention wesentlich bei-
getragen. Mit ihr hat Deutschland den Grundsatz anerkannt, dass beide Eltern-
teile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich
sind (Artikel 9 und 18 der UN-Kinderrechtskonvention). Kinder haben das
Recht auf beide Eltern. Auch das Grundgesetz geht grundsätzlich von beiden
Eltern aus. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der
Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ (Artikel 6 Absatz 2 des
Grundgesetzes – GG).

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Dementsprechend haben die Sorgeberechtigten nach dem Bürgerlichen Gesetz-
buch (BGB) nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, für das Kind zu
sorgen. Es ist an der Zeit, hier noch einen Schritt weiterzugehen. Ebenso wie die
Stellung des Kindes als Träger eigener Rechte im Grundgesetz deutlicher wer-
den muss, sollte das Recht des Kindes auf Übernahme und Ausübung der ge-
meinsamen Sorge durch beide Eltern im BGB verankert werden – so wie das
Recht des Kindes auf Umgang mit jedem Elternteil im BGB ergänzt wurde.
Auch wenn in beiden Fällen eine Durchsetzung gegen den Willen des Elternteils
mit Zwangsmitteln nicht dem Kindeswohl dienlich ist, geht für den Regelfall
von einem ausdrücklichen Recht des Kindes ein Signal aus, mit dem insbeson-
dere Väter stärker in die Verantwortung genommen werden.

Darüber hinaus wandeln sich auch das Bild und Selbstverständnis von Vätern,
die sich weit häufiger als früher zu einer aktiven Vaterrolle bekennen. So steigt
etwa die Zahl von Vätern, die die beiden Partnermonate der Elternzeit nutzen
und Elterngeld beanspruchen.

Auch Väter haben ein genuines Elternrecht. Ihr Engagement und ihre wachsende
Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich auch unmittelbar und
gleichberechtigt an der Erziehungsarbeit zu beteiligen, will die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen – auch für die Zeit nach einer
Trennung vom anderen Elternteil.

Die elterliche Verantwortung drückt sich neben der elterlichen Sorge auch durch
die Unterhaltszahlungen und durch den gelebten Umgang aus.

In der Realität gibt es an dieser Stelle aber durchaus einige Probleme:

Die Mehrheit der alleinerziehenden Eltern sind Mütter. Die Bewältigung des
Alltags mit den Kindern ist für sie häufig mit großen Herausforderungen ver-
bunden. Die Reform des Sorgerechts und das Schließen der Gerechtigkeitslücke
für die Väter und ihre Kinder dürfen daher keine neuen Ungerechtigkeiten für
die alleinerziehenden Mütter nach sich ziehen.

Vor allem für Alleinerziehende ist das Fehlen eines ausreichenden Betreuungs-
angebots mit den entsprechenden Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt besonders
belastend.

Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Zahlungsmoral vieler Väter dar. Ein
funktionierendes Unterhaltsvorschusssystem muss auch Gerechtigkeit schaffen.
Zum Funktionieren gehört, dass sich die betroffenen Elternteile auf die über-
brückende Leistung verlassen können müssen. Gerechtigkeit schafft das Unter-
haltsvorschusssystem nur, wenn es säumige Unterhaltsleistungen von zahlungs-
fähigen Vätern auch eintreibt und dafür Sorge trägt, dass die Verletzung der
elterlichen Unterhaltspflicht geahndet wird.

Nicht zuletzt ist die Familienförderung insgesamt zu reformieren, so dass auch
Alleinerziehende profitieren.

Von entscheidender Bedeutung im alltäglichen Leben eines Kindes und für das
Recht des Kindes an seinen Eltern ist das Umgangsrecht. Es gibt Väter, die die-
ses Recht nur unvollständig wahrnehmen bzw. ihrer Pflicht gegenüber ihrem
Kind nicht oder nicht regelmäßig nachkommen. Gleichzeitig beklagen Väter,
dass Mütter ihnen die Ausübung dieses Rechts schwer machten.

In der Trennungszeit steigt in konflikthaften Beziehungen das Gewaltrisiko für
Frauen und Kinder stark an. Der Schutz vor Gewalt muss auch in den Entschei-
dungen über Sorgerecht (und Umgangsrecht) berücksichtigt werden. Die Unver-
sehrtheit von Frauen und Kindern hat Priorität. Insbesondere für Frauen, die mit
ihren Kindern zum Schutz in ein Frauenhaus geflohen sind, ist die Praktizierung
eines gemeinsamen Sorge- und Umgangrechts nicht möglich.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3219

In der Gesamtschau wird deutlich, dass das familiäre Zusammenleben in
Deutschland immer vielfältiger wird. Auch wenn in der Mehrheit der Familien
die Eltern verheiratet sind, so hat sich der Anteil der minderjährigen Kinder, die
in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsen, seit dem Jahr 2001 von
5,45 auf mindestens 7,1 Prozent im Jahr 2008 erhöht.

Von den 682 514 Kindern, die 2008 geboren wurden, waren die Eltern von
218 887 Kindern nicht verheiratet. Viele Eltern heiraten erst nach der Familien-
gründung. Im Jahr 2008 waren es die Eltern von 92 401 Kindern, die so zum ge-
meinsamen elterlichen Sorgerecht gelangten. Außerdem kamen im Jahr 2008
111 033 Fälle dazu, in denen nicht verheiratete Eltern für ihr gemeinsames Kind
eine Sorgeerklärung abgaben und auf diesen Weg rechtlich ihre gemeinsame
elterliche Verantwortung geregelt haben. Die gemeinsame elterliche Verantwor-
tung bleibt für diese Kinder auch nach einer Trennung der Eltern in der Regel
bestehen. Für 15 453 Kinder also, die 2008 geboren wurden, haben jeweils die
Mütter das alleinige Sorgerecht inne. Offen bleiben muss dabei allerdings, in
wie vielen Fällen hier Väter gegen ihren Willen vom gemeinsamen Sorgerecht
ausgeschlossen bleiben.

Seit der Kindschaftsrechtsreform im Jahr 1998 sieht das Gesetz vor, dass verhei-
ratete Eltern auch nach der Scheidung in der Regel das gemeinsame elterliche
Sorgerecht behalten. Ziel war es damals, die berechtigten Interessen des Kindes
an beiden Eltern besser zur Geltung zu bringen. So entspricht es auch dem Geist
der UN-Kinderrechtskonvention, die die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert
hat.

Nicht verheiratete Eltern erhielten bislang das gemeinsame Sorgerecht, wenn
beide erklärten, die Sorge gemeinsam übernehmen zu wollen (Sorgeerklärung),
oder wenn sie einander heirateten. Gegen den Willen der Mutter konnte der un-
verheiratete Vater kein gemeinsames Sorgerecht erhalten. Voraussetzung für die
gemeinsame Sorge war lediglich die gemeinsame Erklärung zur Übernahme der
elterlichen Sorge. Weigerte sich die Mutter, eine gemeinsame Sorgeerklärung
abzugeben, hatte der Vater des gemeinsamen Kindes keine Möglichkeit, mit sor-
geberechtigt zu werden. Nur bei Tod oder Entziehung des Sorgerechts der Mut-
ter (§ 1680 BGB) oder wenn das Sorgerecht der Mutter wegen rechtlicher oder
tatsächlicher Hindernisse bei der Ausübung desselben ruht (§ 1678 BGB),
konnte der Vater das (alleinige) Sorgerecht erwirken.

Im Januar 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht diese Regelung im Wesent-
lichen für verfassungskonform erklärt. Dennoch blieb die Regelung umstritten.
Kritiker merkten an, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Annah-
men getragen werde, die so nicht bestätigt werden könnten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am 3. Dezember
2009, dass die Regelung bezüglich des Sorgerechts für unverheiratete Väter eine
Benachteiligung dieser gegenüber Müttern und verheirateten Vätern darstellt.
Der EGMR urteilte, dass eine Verletzung von Artikel 14 (Diskriminierungsver-
bot) i. V. m. Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der
Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) vorliege, weil nicht hinrei-
chend begründet worden sei, warum der Kläger anders behandelt wurde, als ein
Vater, der von Anfang an das Sorgerecht hatte und es trotz einer Trennung oder
Scheidung von der Mutter behält. Der generelle Ausschluss einer gerichtlichen
Prüfung des alleinigen Sorgerechts der Mutter verstoße also gegen die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention.

Im August 2010 hat das Bundesverfassungsgericht seine Position von 2003 kor-
rigiert (BVerfG, 1 BvR 420/09 vom 21. Juli 2010). Es kommt zu dem Schluss,
dass es das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes verletzt, wenn er
ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind aus-
geschlossen ist und nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, ob es aus Gründen

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des Kindeswohls angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein
Kind einzuräumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu
übertragen. Der Gesetzgeber ist zu einer Neuregelung aufgefordert.

Durch eine vom Bundesverfassungsgericht formulierte Übergangsregelung
kann nun das Familiengericht bis zu einer gesetzlichen Regelung den Eltern auf
Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge
gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl ent-
spricht.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 29. Januar
2003 zwar noch die Verfassungsmäßigkeit von § 1626a BGB bestätigt, dem Ge-
setzgeber aber aufgegeben, seine der Kindschaftsrechtsreform zu Grunde lie-
genden Annahmen zu überprüfen und gegebenenfalls dafür Sorge zu tragen,
dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie
zusammenlebten, ein Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge eröffnet
werde. Es sollte ihrem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 GG unter Berücksich-
tigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung getragen werden.

Mit dem Forschungsprojekt „Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander ver-
heirateter Eltern“ hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundes-
ministeriums der Justiz versucht, dem Prüfauftrag des Bundesverfassungsge-
richts gerecht zu werden. Inzwischen – so ist es auch der Begründung des Urteils
des BVerfG zu entnehmen – liegt hinreichendes Datenmaterial vor, aus dem sich
ergibt, dass sich die damaligen Annahmen des Gesetzgebers nicht als zutreffend
erwiesen haben. Dies betrifft zum einen die Anzahl der von Eltern nichtehelicher
Kinder begründeten gemeinsamen Sorgetragungen. Den statistischen Erhebun-
gen ist zu entnehmen, dass sich eine steigende Anzahl von Eltern auf ein ge-
meinsames Sorgerecht verständigt. So stieg die Quote der abgegebenen gemein-
samen Sorgeerklärungen im Verhältnis zu den nichtehelichen lebend geborenen
Kindern von 44,3 Prozent im Jahr 2004 auf eine Quote von 50,7 Prozent im Jahr
2008. Für die verbleibenden 40,3 Prozent der Kinder wurde keine Sorgeerklä-
rung abgegeben. Ein großer Teil der Eltern dieser Kinder heiraten jedoch nach
der Geburt des gemeinsamen Kindes. Nicht miteinander verheiratete Eltern
leben bei der Geburt des Kindes zu rund 80 Prozent in einem gemeinsamen
Haushalt. Eine gemeinsame Sorge wird jedoch in relevantem Umfang auch dann
nicht begründet, wenn die Eltern zusammenleben.

Zum anderen hat sich die Vermutung des Gesetzgebers – wie auch die Bundes-
regierung in ihrer Stellungnahme ausführt – nicht bestätigt, dass die Ablehnung
einer gemeinsamen Sorgetragung in aller Regel von Gründen getragen wird, die
sich am Kindeswohl orientieren.

15,6 Prozent der Befragten in obengenannter Untersuchung, die bei der Geburt
des Kindes mit dem anderen Elternteil zusammenlebten, gaben im engeren
Sinne kindeswohlrelevante Gründe gegen die gemeinsame Sorge an, berück-
sichtigt man auch kindeswohlrelevante Gründe im weitesten Sinne, waren es
29,2 Prozent der Befragten.

Auch nach dem hier vorgeschlagenen Regelungsmodell soll es bei der bestehen-
den Rechtslage bleiben, nach der das Familiengericht auf Antrag eines Eltern-
teils eine Entscheidung einem Elternteil übertragen kann. Und zwar dann, wenn
sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art
von Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht
einigen können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass bei Kindeswohl-
gefährdungen das Familiengericht einem oder beiden Elternteilen die elterliche
Sorge entzieht.

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