BT-Drucksache 17/293

Nutzen-für-alle-Konzept umsetzen

Vom 15. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/293
17. Wahlperiode 15. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Inge Höger, Caren Lay, Sabine Leidig,
Michael Leutert, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Kathrin
Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler, Harald
Weinberg und der Fraktion die LINKE.

Nutzen-für-alle-Konzept umsetzen

Das in Deutschland noch immer zu wenig beachtete Konzept Design für Alle
(auch Universelles Design oder Nutzen-für-alle-Konzept genannt) hat eine
inklusive Gesellschaft im Blick. Wesentlicher Aspekt dabei ist Barrierefrei-
heit auf allen Ebenen. Bauten, Gebrauchsgegenstände, Informations- und
Kommunikationssysteme sowie Dienstleistungs- und Verkehrsangebote sol-
len für möglichst alle Menschen leicht erreichbar, zugänglich und nutzbar
sein. Design für Alle versteht sich als Beitrag zu einer nachhaltigen Zu-
kunftsentwicklung, welche die Verschiedenartigkeit und Lebensqualität aller
Menschen berücksichtigt. Barrieren, die Menschen an der gesellschaftlichen
Teilhabe behindern, werden als Diskriminierung identifiziert.

Design für Alle fordert darüber hinaus eine Analyse der individuellen Bedarfe,
die Einbindung der Endverbraucherinnen und Endverbraucher in Entstehungs-
prozesse und insgesamt eine nachhaltige Gestaltung aller Lebensbereiche in-
klusive einer teilhabeorientierten Stadtentwicklung. So sollen zum Beispiel Ge-
bäude nicht nur barrierefrei, sondern auch dergestalt entworfen sein, dass sie
soziale Interaktion fördern. Auf Initiative des Europäischen Rates für behin-
derte Menschen erarbeitete das Netzwerk des Design für Alle, in dem Architek-
ten, Designer, Ingenieure, Stadtplaner, Behindertenverbände u. a. zusammen-
geschlossen sind, ein Europäisches Konzept für Zugänglichkeit, das in einigen
Ländern der Überarbeitung nationaler Richtlinien dient.

Die systematische Schaffung von Barrierefreiheit soll nicht länger als „lästiges
Übel“ missverstanden, sondern als Herausforderung an die Kreativität von De-
signern, Architekten, Ingenieuren usw. angenommen werden. Gleichzeitig sind
„Menschen mit Behinderungen als Experten in eigener Sache“ als gleichbe-
rechtigte und gleichkreative Mitgestalterinnen und Mitgestalter hoch willkom-
men. Im Ergebnis entstehen innovative Produkte, die für jeden Mann und jede
Frau leicht handhabbar sind. Der Nutzen liegt also bei allen.
Nach der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe f) ist die Bundesregierung verpflichtet, For-
schung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen
in universellem Design zu fördern sowie sich bei der Entwicklung von Normen
und Richtlinien für universelles Design einzusetzen. Die Resolution
ResAP(2007)3 des Ministerkomitees des Europarates empfiehlt die Bekannt-
machung des Konzeptes und seine Implementierung in die nationale Gesetz-

Drucksache 17/293 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gebung der Mitgliedstaaten. Die Verpflichtung zur Barrierefreiheit findet sich
überdies in schon längst beschlossenen Vereinbarungen wie etwa den Bundes-
und Landesbehindertengleichstellungsgesetzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit wird die Bundesregierung bei der Umsetzung des Koalitionsver-
trags zwischen CDU, CSU und FDP und bei zukünftigen Planungen das
Prinzip des Design für Alle berücksichtigen?

2. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der europäischen Behinder-
tenbewegung, eine allgemein anerkannte Definition für das Design für Alle
zu entwickeln?

Falls ja, wie wird sie sich dabei konkret einsetzen?

Falls nein, warum nicht?

3. Wird die Bundesregierung das Konzept des Design für Alle in allen Bun-
desministerien als Querschnittsaufgabe zu Grunde legen?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung, dass sich die Umset-
zung des Design für Alle langfristig sowohl kostensparend als auch lebens-
qualitätserhöhend auswirkt, wenn die Zugänglichkeit zu den verschiedenen
Lebensbereichen nicht erst nachträglich durch teure Umbauten hergestellt
werden muss, wenn die Zahl der Unfälle in barrierefreien Umgebungen
reduziert wird und durch Zugänglichkeit auch weniger Bedarf an individu-
eller Assistenz besteht?

5. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
bei der Stadtpolitik berücksichtigt wird, um dem Ausschluss bestimmter
Personen(-gruppen) aufgrund ihrer Einschränkungen oder ihres kulturellen
Hintergrundes entgegenzuwirken?

6. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
bei der Herstellung von Hilfsmitteln im Gesundheits- und Pflegebereich
(Hilfen für aktives Alltagsleben, spezielle Möbel und Sportgeräte, Geräte
für Krankenhäuser etc.) wesentlich stärker berücksichtigt wird?

7. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, den Beruf des sozial-
medizinischen Planers in Deutschland zu implementieren, der Architek-
tur- und Ingenieuraufgaben für Planungen von Altersheimen und Reha-
bilitationszentren sowie für Anpassungen von Privatwohnungen für
behinderte und ältere Menschen zusammenführt?

8. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich Bauen umfassend berücksichtigt wird?

9. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
in den Bereichen Produktentwicklung und Verbraucherschutz als durchge-
hendes gestalterisches Prinzip wirksam wird?

10. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie zur Selbstver-
ständlichkeit wird?

11. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik berücksichtigt wird, etwa
bezüglich der Bereitstellung spezieller Lernmittel oder des bedarfsgerech-
ten Zuschnittes von Arbeitsplätzen?

12. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich Verkehrspolitik berücksichtigt wird, so dass die Bedürfnisse der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/293

gesamten Bevölkerung in Bezug auf Strecken, Fahrplan, Zugänglichkeit
der Fahrzeuge, Leitsysteme, Beschilderung und Service erfüllt sind?

13. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich Tourismus aus der bloßen Deklaration von entsprechenden
Leitlinien in den praktischen Lebensalltag überführt wird?

14. Wie wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass das Design für Alle
im Bereich öffentliche Verwaltung zum durchgehenden verwaltungstechni-
schen Prinzip wird, etwa bezüglich der Organisation von Vielfalt in der in-
ternen Personalpolitik (Diversity Mainstreaming), in Bezug auf nicht dis-
kriminierendes Beschaffungswesen oder angebotene Dienstleistungen?

15. Wie viele und welche verbindlichen Normen wurden im Jahr 2009 vom
Deutschen Institut für Normung (DIN) verabschiedet?

Entsprechen diese Normen nach Einschätzung der Bundesregierung im
Einzelnen den Anforderungen des Design für Alle?

16. Wird die Bundesregierung auf die Berufsverbände und Hochschulen ein-
wirken, das Konzept Design für Alle in allen relevanten und angrenzenden
Berufsfeldern zu implementieren wie es die Resolution ResAP(2001)1 des
Ministerkomitees des Europarates empfiehlt?

Falls ja, wann?

Falls nein, warum nicht?

17. Wird die Bundesregierung multidisziplinäre Forschungsansätze fördern,
welche die Verbindung zwischen dem Design von gebauten/virtuellen Um-
gebungen, der Neurologie, Psychologie, Soziologie und dem menschlichen
Verhalten im Fokus haben?

18. Hat die Bundesregierung die Absicht, eine europäische Behörde einzu-
setzen, welche die Debatten um Zugänglichkeit bündelt und koordiniert?

Falls ja, wie?

Falls nein, warum nicht?

Berlin, den 15. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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