BT-Drucksache 17/2120

Nährwert-Ampel bundesweit einführen

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2120
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kersten Steinke, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Nährwert-Ampel bundesweit einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Derzeit ist es für Verbraucherinnen und Verbraucher schwierig, sich über die
Zusammensetzung von Nahrungsmitteln zu informieren, auch um sich gesün-
der ernähren zu können. Schlecht nachvollziehbare Angaben erfordern eine
hohe Bereitschaft sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die niedrig-
schwellige Information ist aber die Grundlage für selbstbestimmte Entschei-
dungen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Unklare Angaben, insbeson-
dere bei kalorienreichen Fertiglebensmitteln und eine damit einhergehende, oft
irreführende Werbung der Hersteller tragen zur Desinformation der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher bei. Von der Lebensmittelindustrie werden erhöhte
Fett-, Zucker- und Salzgehalte im Essen gezielt zur Absatzförderung eingesetzt,
da sie eine geschmacksanregende Wirkung haben.

Die „Nährwert-Ampel“ trägt am besten zu einer richtigen und raschen Beurtei-
lung von Produkten durch die Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Die Ge-
halte von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz werden dabei auf der
Vorderseite der Lebensmittelverpackung angegeben und entsprechend der
Menge jeweils farblich unterlegt: Grün für „gering“, Gelb für „mittel“ und Rot
für „hoch“.

Als Gegenmodell zur „Ampel“ hat die Lebensmittelindustrie gezielt den
„Richtwert für den täglichen Bedarf“ (Guideline Daily Amounts – GDA) ent-
wickelt. Dieser ist irreführend und wenig aussagekräftig, da er die Portionen
willkürlich und häufig in sehr geringen Größen festlegt. Fett-, Zucker und Salz-
gehalt können so in täuschend niedrigen Mengen dargestellt werden. Für eine

ausgewogene Ernährung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, wie von
der Lebensmittelindustrie behauptet, sind solche Angaben jedoch untauglich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Nährwert-Ampel zur Kennzeichnung von Lebensmitteln, wie von der
britischen Lebensmittelbehörde „Food Standards Agency“ beschrieben, um-

Drucksache 17/2120 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gehend bundesweit anstatt der „GDA-Kennzeichnung“ einzuführen und ein-
heitliche Vorgaben zur Darstellung auf Lebensmittelverpackungen zu
erarbeiten;

– eine umfassende Information der Verbraucherinnen und Verbraucher über
die Ampelkennzeichnung zu gewährleisten;

– sich bei den Verhandlungen im Rat der Europäischen Union über die Ver-
ordnung betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel für
die EU-weite Einführung einer verpflichtenden Ampelkennzeichnung ein-
zusetzen.

Berlin, den 16. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Häufige Folge von Übergewicht sind unter anderem die Volkskrankheiten
Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitiger Gelenkverschleiß. Die
Ursachen hierfür sind vielfältig. Nach Ansicht von Gesundheitsexperten,
Ärzte- und Patientenverbänden, Krankenkassen und Verbraucherschutzorgani-
sationen ist fett- und zuckerreiche Ernährung neben Bewegungsmangel jedoch
ein Hauptgrund.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die „Nährwert-
Ampel“ am besten zu einer richtigen Beurteilung von Produkten durch die Ver-
braucherinnen und Verbraucher beiträgt. Die Angaben beziehen sich einheitlich
auf 100 Gramm oder 100 Milliliter, damit alle Produkte miteinander vergleich-
bar sind. Mit Hilfe des Ampel-Modells können Verbraucherinnen und Verbrau-
cher die Nährwertzusammensetzung eines Lebensmittels auf den ersten Blick
richtig einschätzen und auch irreführende Werbung umgehen. Die Mehrheit der
Deutschen (55 Prozent) spricht sich für eine farbliche Gestaltung von Nähr-
wertangaben aus (Meinungsumfrage im Auftrag des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, April 2008: Die Nährwert-
kennzeichnung von Lebensmitteln aus Sicht der Bevölkerung). Über 90 Pro-
zent der Eltern entscheiden sich für die Nährwert-Ampel (Repräsentative Um-
frage des AOK-Bundesverbandes und des Berufsverbands der Kinder- und
Jugendärzte, März 2010: Rot, Gelb, Grün – Eltern wünschen sich die Ampel-
kennzeichnung für Lebensmittel). Eine aktuelle Studie der Fachhochschule
Münster zeigt im Vergleich zur GDA: eine Ampelkennzeichnung führt zu einer
besseren Einschätzung des Zucker-/Kalorien-Gehaltes und zu korrekteren Er-
gebnissen bei Produktvergleichen (Buxel, Holger, März 2010: Akzeptanz und
Nutzung von Nährwertkennzeichen auf Lebensmitteln durch Konsumenten).

Die GDA-Kennzeichnung ist nicht geeignet, Verbraucherinnen und Verbrau-
cher richtig über die Zusammensetzung von Lebensmitteln zu informieren und
kann sogar durch missverständliche Angaben zu einer Fehlernährung beitragen.
Dahinter steckt ein System, dass der Verband der Lebensmittelindustrie (CIAA)
vorgeschlagen hat, dem Großkonzerne wie Unilever, Coca Cola, Danone,
Kraft, Kellogg’s, Nestle und Pepisco in England angehören. Die Daten der
GDAs werden ohne unabhängige wissenschaftliche Beteiligung nach Bedarf
interpretiert und angepasst. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
kritisiert die Herangehensweise der Datenermittlung als in vielen Fällen nicht

nachvollziehbar (Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2120

e. V., Oktober 2007: zur Anwendung von „Guideline Daily Amounts“ in der
freiwilligen Kennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln). Der willkür-
lichen Referenzgröße von 2000 kcal liegt der durchschnittliche Tagesbedarf
einer erwachsenen Frau zugrunde. Die genutzten Fettwerte sind Maximalwerte
und die Kohlenhydrate Mindestwerte. Demgegenüber sind die Werte für die
Zuckeraufnahme und Proteinzufuhr wissenschaftlich nicht unterlegt. Die GDA-
Berechnungsgrundlagen sind damit pauschal und für Kinder, Jugendliche,
Seniorinnen und Senioren, Männer und Menschen in sonstigen besonderen
Lebenslagen (z. B. Kranke) als Richtwert nicht geeignet. Darüber hinaus haben
Verbraucherorganisationen in einer Untersuchung festgestellt, dass die Prozent-
angaben nicht verstanden werden und eine komplizierte Berechnung erfordern.
Die britische Lebensmittelbehörde „Food Standards Agency“ bewertete die
GDA-Kennzeichnung ohne farbliche Unterscheidungen als am wenigsten aus-
sagekräftig (Malam, Sally; Clegg, Sue; Kirwan, Sarah; McGinigal, Stephen,
2009: „Comprehension and use of UK nutrition signpost labelling schemes“).

Das Europäische Parlament hat sich am 15. Juni 2010 über die Verordnung be-
treffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel dafür ausgespro-
chen, dass die zehn wichtigsten Nährwerte bei Lebensmitteln einheitlich in
100 Gramm oder 100 Milliliter verpflichtend angegeben werden müssen. Darü-
ber hinaus lässt die Straßburger Entscheidung auf nationalstaatlicher Ebene
Spielraum für zusätzliche freiwillige Kennzeichnungen, sofern diese den Vor-
gaben nicht widersprechen. Mit der Einführung der Ampel-Kennzeichnung
kann Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Einführung einer nachvollzieh-
baren Lebensmittelkennzeichnung einnehmen.

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