BT-Drucksache 17/2021

Fluggastrechte stärken

Vom 10. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2021
17. Wahlperiode 10. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, Dr. Gesine Lötzsch,
Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas
Lutze, Kornelia Möller, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann, Ingrid
Remmers, Raju Sharma, Kersten Steinke, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten
Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Fluggastrechte stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bislang sind nur Pauschalreisende gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters
abgesichert. Individualreisende hingegen, die einen Flug über das Internet ge-
bucht haben, laufen Gefahr, bei Insolvenz der Fluggesellschaft vor Ort und auf
den Kosten sitzen zu bleiben. Doch auch die bislang auf Pauschalreisen be-
schränkte europäische Insolvenzabsicherung lässt Lücken offen. So umfasst sie
bislang keinen Rückbeförderungsanspruch. Darüber hinaus greift die Regelung
erst, wenn bereits Insolvenz eingetreten ist.

Die außergerichtliche Streitschlichtung ist für Fluggäste in Deutschland eben-
falls unzulänglich. Im November 2009 hat die Bundesregierung die verkehrsträ-
gerübergreifende „Schlichtungsstelle Mobilität“, ein Modellprojekt des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, geschlos-
sen. Stattdessen gibt es seit dem 1. Dezember 2009 die „Schlichtungsstelle für
den öffentlichen Personenverkehr“ (SÖP). Dabei handelt es sich um die Um-
setzung einer europäischen Verordnung, Fahrgästen im Eisenbahnverkehr die
Anrufung einer Schlichtungsstelle zu ermöglichen. Die Bundesregierung hat die
Teilnahme anderer Verkehrsträger der Freiwilligkeit der Unternehmen überlas-
sen. Das Ergebnis: Keine einzige Fluggesellschaft ist Mitglied. An der „Schlich-
tungsstelle für Mobilität“ hatten sich wenigstens die ausländischen Fluggesell-
schaften beteiligt.

Schließlich ist die Information von Fluggästen unzureichend. Das betrifft Infor-
mationen über Schadenersatzansprüche und Ausgleichsleistungen ebenso wie
über die außergerichtliche Streitschlichtung. Eine repräsentative Befragung am
Allgäuer Flughafen Memmingen, der von einer breiten Bevölkerung frequen-
tiert wird, ergab: Über 60 Prozent der Fluggäste hat noch nie etwas von den in

der europäischen Verordnung geregelten Fluggastrechten gehört (Esser, Marcus
(2008): Beschwerdeverhalten und Beschwerdemanagement bei den Fluggast-
rechten in der Europäischen Union, S. 47 ff.).

Der isländische Vulkanausbruch und die daraus folgende Sperrung des Luft-
raums haben die Defizite im Reiserecht aufgezeigt. Viele Reisende saßen fest
und wussten nicht, wer die zusätzlichen Kosten für den zwangweise ver-
längerten Aufenthalt oder teuere alternative Rücktransporte – etwa per Schiff

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oder Zug – zahlt. Außerdem sind die Rechte für individual- und pauschal-
reisende Fluggäste auch hier uneinheitlich. Fällt zum Beispiel der Urlaub durch
den Flugausfall aus, haben Individualreisende keinen Anspruch auf Entschädi-
gung oder Umbuchung bereits erfolgter Hotel- oder Mietwagenreservierungen.
Pauschalreisende hingegen können von ihrem Reiseveranstalter kostenlose
Umbuchung auf eine anderes Ziel oder einen anderen Zeitraum verlangen.
Wahlweise können sie die gebuchte Reise stornieren bzw. eine Minderung des
Reisepreises geltend machen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die nationalen Handlungsspielräume zu nutzen sowie sich gegenüber der Euro-
päischen Kommission und im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen,

1. die Fluggäste gegen die Insolvenz von Fluggesellschaften abzusichern:

● die Insolvenzabsicherung aus dem Pauschalreiserecht auf das Fluggast-
recht auszudehnen und hierzu eine Versicherungspflicht für Fluggesell-
schaften gegen Insolvenz einzurichten,

● einen von den Fluggesellschaften finanzierten Fonds zur Rückabsiche-
rung einzurichten, aus dem gegebenenfalls nicht gedeckte Ansprüche
bedient werden (österreichisches Modell),

● einen Rechtsanspruch auf Rückbeförderung gesetzlich zu verankern,

● Ansprüche, die im Vorfeld einer Insolvenz auftreten, versicherungstech-
nisch verpflichtend abzudecken,

● eine europäische Lizenz für Reiseveranstalter gesetzlich verbindlich ein-
zuführen, bei deren Beantragung die Insolvenzabsicherung nachzuweisen
ist;

2. den Fluggästen die Anrufung einer wirksamen Schlichtungsstelle zu ermög-
lichen und dazu:

● die Beteiligung von Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle gesetz-
lich festzuschreiben und dabei die Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle
sicherzustellen,

● die Streitschlichtung durch Gebühren der Fluggesellschaften zu finanzie-
ren,

● das Schlichtungsverfahren hinsichtlich seiner Effizienz und Effektivität zu
evaluieren und regelmäßig anzupassen,

● die Schlichtungsstelle sowie die Möglichkeit der Beschwerde beim Luft-
fahrt-Bundesamt (LBA) aktiv und wirkungsvoll bekannt zu machen;

3. den Fluggästen den Erhalt klar erkennbarer und verständlicher Informationen
über ihre Rechte zu garantieren, insbesondere in den Informationen über
Fluggastrechte:

● auf jedem Ticket notiert sind,

● beim Buchungsvorgang am Schalter ausgehändigt werden, bei elektroni-
scher Buchung deutlich erkennbar verlinkt sind,

● deutlich sichtbar auf dem Flughafen im Wartebereich aushängen;

4. die Ansprüche der Fluggäste auf Schadenersatz und Ausgleichsleistungen
einheitlich und rechtlich eindeutig zu klären.

Die genannten Maßnahmen sind umgehend einzuleiten und umzusetzen.

Berlin, den 9. Juni 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2021

Begründung

Das Insolvenzrisiko von Fluggesellschaften und die gleichzeitigen Mängel bei
den Fluggastrechten dulden keinen Aufschub politischen Handels. Die Zu-
nahme von Flugausfällen, Verspätungen und Überbuchungen hat die Europäi-
sche Kommission zum Handeln gezwungen. Bei einer Analyse der rechtlichen
Regelungen hat sie bereits 1999 Defizite erkannt und Veränderungen in der
Reisebranche festgestellt. Seit 2007 führt sie intensive Konsultationen mit den
Mitgliedstaaten, Verbraucherorganisationen und den Bürgerinnen und Bürgern
zur Überarbeitung der europäischen Pauschalreiserichtlinie (90/314/EWG)
sowie weiterer europäischer Flugverkehrsverordnungen (889/2002, 261/2004
und 1107/2006). Vor diesem Hintergrund muss die Bundesregierung sowohl alle
nationalen Handlungsspielräume nutzen als auch in den europäischen Verhand-
lungen darauf drängen, Fluggastrechte wirksam zu stärken. Die Bundesregie-
rung muss ihre Blockadehaltung beenden, die sie bisher in europäischen Ver-
handlungen zur Insolvenzabsicherung im Flugverkehr eingenommen hat (EU-
Kommission, Review of the package travel directive, Workshop-Bericht der
Mitgliedstaaten vom 27. Oktober 2009, S. 2).

Nach Angaben der EU-Kommission waren 29 Fluggesellschaften allein von
November 2005 bis September 2008 von Insolvenz betroffen. Angesichts der
Wirtschaftskrise und der zusätzlichen Kosten durch den isländischen Vulkan-
ausbruch im April diesen Jahres ist das Insolvenzrisiko weiter gestiegen. Indivi-
dualreisenden drohen dadurch finanzielle Einbußen, gegen die sie bei der der-
zeitigen europäischen Regelung nicht abgesichert sind.

Für das deutsche Insolvenzsicherungssystem ist längst nachgewiesen, dass es im
Ernstfall zur vollständigen Entschädigung der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher nicht reicht (Tonner, Klaus (2002): Die Insolvenzabsicherung im Pauschal-
reiserecht, S. 31 ff). Zudem geraten Fluggesellschaften zumeist schon vor der
Insolvenz in finanzielle Schwierigkeiten, so dass sie von Fluggästen gezahlte
Leistungen nicht erbringen können. Die daraus entstehenden Ansprüche der
Fluggäste sind durch die Insolvenzabsicherung nicht abgedeckt.

Der Schlichtungsbedarf ist bei Fluggästen besonders hoch. Über die Hälfte aller
Beschwerden, die bei der ehemaligen Schlichtungsstelle Mobilität eingingen,
kamen von Fluggästen. – Das, obwohl der Luftverkehr in und von Deutschland
auf vergleichsweise geringe 180 Millionen Passagiere kommt, während die
Bahn jährlich etwa 1,8 Milliarden Personen befördert. Fluggäste müssen sich
außergerichtlich derzeit an das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) wenden. Das Amt
leitet Beschwerden an die Unternehmen weiter und fordert Stellungnahmen an.
Doch das LBA ist nicht berechtigt, privatrechtliche Forderungen nach Schaden-
ersatz oder Ausgleichsleistungen durchzusetzen. Der den Fluggästen verblei-
bende Gerichtsweg ist langwierig und unangemessen teuer, was am im Verhält-
nis zum Verfahrensaufwand geringen Streitwert liegt.

Für die Rechtsdurchsetzung entscheidend ist zudem, dass Fluggäste ausreichend
und verständlich über ihre Rechte informiert werden. Eine Untersuchung der
„Stiftung Warentest“ im Mai 2009 ergab, dass Flugpassagiere ihre Entschädi-
gungsansprüche nicht kennen und Airlines dies kräftig nutzen. 86 Prozent der
Passagiere erhalten keinerlei Hinweise von den Fluggesellschaften auf ihre
Rechte. Viele Fluglinien nennen weder ein Servicetelefon noch eine Mail-
Adresse für Beschwerden. Bei Ryanair zum Beispiel steht auf der deutschen In-
ternetseite bloß eine teure 0900-er Telefonnummer, wo nur Englisch gesprochen
wird. Und selbst wenn Fluggäste ihre Rechte kennen und einfordern, mauern
viele Fluglinien. Aufgrund dieser Taktik lassen sich allein in Deutschland Flug-
gäste rund 100 Mio. Euro jedes Jahr entgehen, schätzt Hendrik Noorderhaven,
Firmenchef von EU-Claim (Stiftung Warentest, Heft 5/2009, S. 15).

Drucksache 17/2021 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Ebenso wichtig ist Rechtssicherheit. Fluggäste müssen vor einer eindeutigen
und überschaubaren Rechtslage stehen, wenn es wie beim isländischen Vulkan-
ausbruch um die Übernahme zusätzlicher Kosten nach einem Fall höherer
Gewalt geht. Als die schwächere Partei von Beförderungsverträgen sind Flug-
passagiere rechtlich stärker vor Risiken zu schützen.

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