BT-Drucksache 17/1779

Die Anerkennung des Menschenrechts auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung weiterentwickeln

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1779
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch, Agnes
Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von Notz, Omid
Nouripour, Dr. Hermann Ott, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Dorothea Steiner, Hans-Christian Ströbele, Daniela Wagner,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Anerkennung des Menschenrechts auf sauberes Trinkwasser und
Sanitärversorgung weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

17 Prozent der Weltbevölkerung verfügen über keinen Zugang zu sauberem
Trinkwasser, 40 Prozent der Weltbevölkerung fehlt es an sanitärer Grundver-
sorgung. Nach Meinung von Experten wird sich diese Situation zukünftig vor
allem im Bereich der Sanitärversorgung verschärfen. Insgesamt sterben weltweit
mehr Menschen an Krankheiten, die auf verschmutztes Wasser und mangelhafte
Sanitärversorgung zurückzuführen sind, als an Aids oder im Zusammenhang mit
bewaffneten Konflikten. Fortschritte der internationalen Staatengemeinschaft
beim Erreichen der Millennium Development Goals in den Bereichen Armuts-
bekämpfung, Gesundheit, Umweltschutz, Bildung und Gleichstellung der
Geschlechter werden durch die unzureichende Wasser- und Sanitärversorgung
unterlaufen. Die Auswirkungen des globalen Problems unzureichender Trink-
wasser- und Sanitärversorgung verdeutlichen die Notwendigkeit einer engagier-
ten multilateralen Kooperation zur Entwicklung von Lösungsansätzen.

Anlässlich des Weltwassertages am 22. März 2010 kritisierte Catarina de
Albuquerque, die Unabhängige Expertin des Menschenrechtsrates der Vereinten
Nationen für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversor-
gung, die unzureichende Anerkennung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser
und Sanitärversorgung als Menschenrecht (MRWS). In diesem Zusammenhang
betonte sie die Bedeutung einer einheitlichen Positionierung der EU als suprana-
tionale Organisation mit politischem Einfluss auf andere Akteure. Diese einheit-
liche Positionierung steht bislang aus.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung
(MRWS) im Europäischen Rat, im Rat der Europäischen Union, im Aus-
schuss der Ständigen Vertreter (AStV II) und in der zuständigen Ratsarbeits-
gruppe Menschenrechte (COHOM) anzusprechen und sich in diesen Gremien
für eine gemeinsame Position der Anerkennung des MRWS einzusetzen;

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2. sich dafür einzusetzen, dass die nachfolgende belgische Ratspräsidentschaft
den Schwerpunkt auf das MRWS fortsetzt;

3. sich im Ministerkomitee des Europarates für eine Empfehlung an die Mit-
gliedstaaten einzusetzen, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitär-
versorgung als Menschenrecht anzuerkennen;

4. sich für einen eigenen Allgemeinen Kommentar des UN-Menschenrechts-
komitees zur Sanitärversorgung einzusetzen;

5. sich für die Kodifizierung des MRWS in einem Zusatzprotokoll zum Sozial-
pakt zu engagieren;

6. das MRWS bei Treffen mit Parlamentariern und Regierungsvertretern ande-
rer Staaten anzusprechen, damit ihr politisches Bewusstsein über das Recht
gestärkt wird und sie als Multiplikatoren für das MRWS agieren können.

Berlin, den 18. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Noch immer wird der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung
von einigen Staaten nicht als Menschenrecht anerkannt sondern nur als Grund-
bedürfnis betrachtet. Eine Anerkennung als Menschenrecht trägt aber ent-
scheidend zu einer Verbesserung der prekären Versorgungssituation bei. Das
Grundbedürfnis nach sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung muss zwar
befriedigt werden. Das Menschenrecht hingegen muss geachtet, geschützt und
verwirklicht werden. Während eine Bedürfnisbefriedigung nicht notwendiger-
weise über (menschen-)rechtliche Ansprüche gewährleistet werden muss, stehen
Menschenrechte unabdingbar als universelle, unteilbare und unveräußerliche
Standards fest. Durch eine Anerkennung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser
und Sanitärversorgung als Menschenrecht, erhalten alle Menschen, d. h. Einzel-
personen als individuelle Rechtsträgerinnen und Rechtsträger, eine konkrete
Anspruchsgrundlage. Staaten werden zu verantwortlichen Rechtsadressaten mit
klaren Verpflichtungen. Staaten haben dann nicht nur die Pflicht, einen ange-
messenen rechtlichen und administrativen nationalen Rahmen zu schaffen.
Durch internationale Zusammenarbeit müssen sie auch zur Gewährleistung des
MRWS in anderen Ländern beitragen.

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung wird in einigen
VN-Verträgen aufgegriffen. So fordert das VN-Übereinkommen zur Beseiti-
gung jeglicher Form von Diskriminierung der Frau von Staaten, die gleich-
berechtigte Beteiligung von Frauen an der ländlichen Entwicklung und dabei
auch ihren Zugang zu Wasser und Sanitärversorgung umzusetzen (CEDAW,
Artikel 14). In der VN-Kinderrechtskonvention ist der Zugang zu Trink-
wasser im Rahmen des Rechtes von Kindern auf Gesundheit geregelt (KRK,
Artikel 24).

Einen Meilenstein stellt die Anerkennung des Menschenrechts auf sauberes
Trinkwasser durch den Allgemeinen Kommentar Nummer 15 des VN-Men-
schenrechtskomitees zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte (ICESCR) aus dem Jahr 2002 dar (E/C.12/2002/11). Aus den
Menschenrechten auf einen angemessenen Lebensstandard und auf ein Höchst-
maß an Gesundheit (Artikel 11 und 12 des VN-Sozialpakts) leitet er das Men-
schenrecht auf sauberes Trinkwasser ab und konkretisiert menschenrechtliche

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1779

Verpflichtungen von Staaten in diesem Bereich. Das Menschenrecht auf Wasser
ist schon ein fester Bestandteil des VN-Sozialpaktes. Manche Staaten weigern
sich dennoch, das Menschenrecht auf Wasser als solches anzuerkennen. Be-
dauerlich ist, dass die Frage der Sanitärversorgung im Allgemeinen Kommen-
tar Nummer 15 ausgeklammert wurde. Daher muss ein Allgemeiner Kommen-
tar zur Sanitärversorgung erstellt werden.

Auf EU-Ebene steht eine einheitliche Anerkennung des MRWS bislang noch
aus. Am 9./10. Februar 2010 wurde das Recht in einer Sitzung der COHOM
thematisiert. Hier wurde deutlich, dass nicht alle EU-Staaten den Zugang zu
sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung als Menschenrecht betrachten.
Die Tschechische Republik sprach sich eindeutig gegen eine Anerkennung aus.
In einer Erklärung des Rates der Europäischen Union anlässlich des Weltwas-
sertages, wird das Recht auf Wasser anerkannt – ohne gleichzeitig das normativ
und praktisch eng verbundene Recht auf Sanitärversorgung anzuerkennen
(7810/10 – Presse 72). Ohne die Umsetzung des Rechts auf Sanitärversorgung
ist aber auch die Umsetzung des Rechts auf sauberes Trinkwasser nicht rea-
lisierbar. Dennoch ist die Erklärung als Schritt in die richtige Richtung zu
begrüßen. Auch die Tatsache, dass Spanien das MRWS als ein menschenrecht-
liches Schwerpunktthema seiner EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr
2010 benannt hat, ist ein positives Signal.

Die Bundesregierung muss diese Initiativen unterstützen und weiterentwickeln
und sich bei anderen EU-Staaten konsequent für eine einheitliche Positionierung
zum MRWS einsetzten. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur rechtlichen Verankerung des MRWS (Bundes-
tagsdrucksache 17/1120) erklärt die Bundesregierung, dass sie gemeinsam mit
Spanien die Federführung im Bereich des MRWS behalten möchte. Auf VN-
Ebene hat sich die Bundesregierung bereits engagiert für die Etablierung des
MRWS eingesetzt. Deutschland brachte 2008 gemeinsam mit Spanien und
44 weiteren Staaten eine gemeinsame Resolution im VN-Menschenrechtsrat
(MRR) ein, mit der das Mandat einer Unabhängigen Expertin geschaffen wurde
(A/HRC/RES/7/22). Auf deutsch-spanische Initiative wurde 2009 eine weitere
Resolution vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedet, die
sich mit einigen menschenrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf Sanitär-
versorgung befasst (A/HRC/RES/12/8). Ihre Vorreiterrolle auf VN-Ebene muss
die Bundesregierung auf die EU-Ebene ausweiten. In ihrer Antwort erklärt die
Bundesregierung, dass Staaten gewonnen werden sollen, die dem MRWS posi-
tiv gegenüber stehen und als Multiplikatoren für das MRWS agieren können.
Diese Vorhaben sind begrüßenswert. Allerdings muss die Bundesregierung auch
Staaten, die dem MRWS noch skeptisch gegenüberstehen, für den Mehrwert und
Nutzen des Menschenrechts sensibilisieren, um ihre Zurückhaltung gegenüber
einer Anerkennung des MRWS abzubauen.

Die EU muss ihrer politischen Verantwortung gerecht werden und eine einheit-
liche Position bezüglich des MRWS beziehen. In Auseinandersetzungen um die
Wasser- und Sanitärversorgung können Erklärungen der EU als wichtiger Refe-
renzpunkt für andere Staaten dienen. Auf diese Weise kann die Etablierung des
MRWS weiterentwickelt werden und die weltweite Wasser- und Sanitärversor-
gung verbessert und gerechter gestaltet werden.

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