BT-Drucksache 17/1765

Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1765
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
Lisa Paus, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, Volker Beck (Köln), Katrin Göring-Eckardt,
Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus
Kurth, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Wolfgang Wieland und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Diskussion um eine effektive Bekämpfung von Steuerflucht hat seit Aus-
bruch der Finanzkrise immer wieder verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit er-
halten. Während die Bundesregierung sich dabei auf internationaler Ebene als
Vorkämpferin gegen Steueroasen inszeniert, ist sie jedoch zu Hause nach wie
vor auf Daten-CDs aus ungeklärter Quelle angewiesen, um Steuersünder wirk-
sam verfolgen zu können. Während beispielsweise Frankreich Maßnahmen er-
greift, die deutlich machen, dass Steuerhinterziehung auch auf nationaler Ebene
bekämpft werden kann, flüchtet sich die Bundesregierung weiterhin auf das in-
ternationale Parkett. Doch wer es ernst meint mit dem Kampf gegen Steuer-
flucht, der muss mit gutem Beispiel vorangehen und selbstständig Maßnahmen
ergreifen, die für einen gerechteren und effektiveren Steuervollzug in Deutsch-
land sorgen. Nur so kann Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit bewiesen wer-
den.

Das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz ist derzeit völlig wirkungslos, da
das Bundesministerium der Finanzen erklärt hat, dass die Bedingungen des
Gesetzes auf kein Staat und kein Territorium zutreffen. Der Bundesminister der
Finanzen ist der Auffassung, dass es bereits heute keine Steueroasen mehr gibt.
Das zeigt einmal mehr: Die Orientierung an der „Schwarzen Liste“ der Organi-
sation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich
als ungenügend erwiesen, da bereits die bloße Ankündigung einer kooperativen
Zusammenarbeit ausreicht, damit ein Land von der Liste gestrichen wird. Ent-
scheidend muss aber die tatsächliche Einhaltung von Standards im Bereich der
Zusammenarbeit in Steuerfragen sein.
Die Einführung einer Bundessteuerverwaltung ebenso wie konsequente An-
strengungen zur personellen wie finanziellen Aufstockung der Steuerfahndung
und Betriebsprüfung stehen nach wie vor aus. Für den Vertrieb von Steuergestal-
tungsmodelle ist bisher gesetzlich nicht vorgeschrieben, dass sie vorab auf miss-
bräuchliche Gestaltung (§ 42 der Abgabenordnung – AO) geprüft werden.
Zudem werden erfolgreiche Ansätze anderer Staaten bei der Bekämpfung der
Steuerhinterziehung von der Bundesregierung nicht diskutiert. Die Antwort auf

Drucksache 17/1765 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema
„Haltung der Bundesregierung zu Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und
Steuerflucht“ (Bundestagsdrucksache 17/1334) lässt dementsprechend keine
kohärente Strategie der Bundesregierung zur Bekämpfung der Steuerflucht er-
kennen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz zu novellieren und die Vor-
aussetzungen für seine Anwendung zu ändern. Maßstab für die Anwen-
dung darf dabei weder die Ankündigung noch die formale Akzeptanz des
Artikels 26 (Informationsaustausch auf Ersuchen) des Musterabkommens
der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sein, sondern dessen tatsäch-
liche Einhaltung. Gebiete, die dem Artikel 26 zugestimmt haben, in der
Praxis jedoch Auskünfte verweigern, sind ebenfalls in den Geltungsbe-
reich des Abkommens aufzunehmen;

2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ein umfassendes und kohärentes Maß-
nahmenpaket zur effektiven Verfolgung von Steuerflucht auf nationaler
Ebene beinhaltet. Darunter fallen die folgenden Maßnahmen:

a) Überweisungen in und Zahlungen aus Jurisdiktionen, die nach dem
Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz als nichtkooperative Gebiete
eingestuft wurden, müssen mit einer Steuer belegt werden, die ausrei-
chend hoch ist, Transaktionen in diese Gebiete unattraktiv werden zu las-
sen.

b) Durch die Einführung einer Bundessteuerverwaltung muss die Effizienz
der Steuerverwaltung insgesamt erhöht werden. Dadurch werden höhere
Einnahmen und geringe Befolgungskosten für Bürgerinnen und Bürger
wie Unternehmen realisiert, sowie der Anreiz der Länder, mit einem laxen
Steuervollzug Standortpolitik zu betreiben, beendet und damit eine gleich-
mäßige Besteuerung im gesamten Bundesgebiet gewährleistet.

c) Es müssen nach dem Vorbild zahlreicher anderer Staaten technisch und
personell besonders gut ausgestattete Spezialbereiche innerhalb der Fi-
nanzverwaltung eingerichtet werden, die ausschließlich mit Großunter-
nehmen und wohlhabenden Individuen betraut werden. Durch die Einfüh-
rung solcher „Large Taxpayer Units“ kann die Finanzverwaltung
komplexen Steuergestaltungsmöglichkeiten auf Augenhöhe begegnen.

d) Durch die gesetzliche Einführung einer Genehmigungspflicht für den Ver-
trieb von Steuergestaltungsmodellen zum Schutz vor missbräuchlichen
Gestaltungen nach § 42 AO sollen Rechtsunsicherheiten beseitigt und
Rechtsstreitigkeiten schon im Vorfeld vermieden werden.

e) Das Gesetz über das Kreditwesen (KWG) muss dahingehend geändert
werden, dass deutschen Banken, die Filialen in nichtkooperativen Gebie-
ten betreiben, die Geschäftserlaubnis entzogen werden kann. Zweignie-
derlassungen und Töchtern von Banken aus Drittstaaten, die unter das
Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz fallen, ist die Zulassung nicht zu
erteilen bzw. zu entziehen.

f) In den USA und Schweden wurden positive Erfahrungen mit der Berech-
nung der Steuerlücke gemacht, also dem Teil der entstandenen Steuern,
die durch fehlerhaften Steuervollzug, Steuerhinterziehung und aggressive
Steuergestaltung nicht realisiert werden konnten. In Deutschland fehlt für
den Bereich der Steuerhinterziehung eine Dunkelfeldforschung. Sie wird

für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung dringend benötigt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1765

g) Nach Vorbild insbesondere skandinavischer Staaten soll grundsätzlich die
Möglichkeit geschaffen werden, dass allen Bürgerinnen und Bürgern vom
Finanzamt vorausgefüllte Steuererklärungen zugehen, die diese dann be-
stätigen oder ergänzen können. Durch die Verwendung eines Meldesys-
tems für Einkünfte von z. B. Finanzinstituten, wie schon heute von Arbeit-
gebern für die Lohnsteuer üblich, kann dabei auch nicht erklärtes
Einkommen entdeckt werden. In acht Staaten wird dieses System heute
angewendet und sorgte für spürbare Mehreinnahmen und eine Entlastung
der Bürgerinnen und Bürger von Bürokratie.

h) Die strafbefreiende Selbstanzeige soll die Steuerehrlichkeit fördern und
nicht, wie derzeit der Fall, zu immer neuer Steuerhinterziehung einladen.
Die Kriterien für die Möglichkeit der strafbefreiende Selbstanzeige müs-
sen daher entsprechend verschärft werden.

i) Es ist nicht nachzuvollziehen, dass ehrliche Steuerbürgerinnen und - bür-
ger bei Säumigkeit ihrer Steuerzahlung höhere Zinsen und Zuschläge
zahlen müssen, als Steuerhinterzieher, die sich zu einer Selbstanzeige
entschlossen haben. Die Selbstanzeige muss deshalb mit Zuschlägen be-
lastet werden, die über den Säumniszuschlägen steuerehrlicher Bürge-
rinnen und Bürger liegen.

j) Das steuerliche Bankgeheimnis (§ 30a AO) begünstigt die Bedingungen
für Steuerhinterziehung in Deutschland. Es muss durch eine grundsätz-
liche Kontrollmitteilungspflicht der Banken für Zinsen, Dividenden und
Veräußerungsgewinne ersetzt werden. Solche automatischen Mitteilungen
bestehen heute bereits in den meisten OECD-Ländern;

3. Doppelbesteuerungsabkommen nur noch dann zu unterzeichnen und dem
Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen, wenn diese

a) einen automatischen Informationsaustausch vorsehen;

b) die Anrechnungs- im Gegensatz zur Freistellungsmethode vorsehen;

4. sich auf europäischer Ebene für das schnellstmögliche Schließen der Besteu-
erungslücken bei der Zinssteuerrichtlinie stark zu machen: Die Richtlinie
muss auf alle Empfänger und alle Arten von Kapitaleinkünften ausgedehnt
werden. Zudem muss die Richtlinie in sämtlichen Gebiete, die zu Zins-Richt-
linien-Ländern gehören, Anwendung finden. Darüber hinaus soll der automa-
tische Informationsaustausch auch über die EU-Grenzen hinaus ausgeweitet
werden, insbesondere auf Steuerparadiese in unmittelbarer Nähe der Union;

5. sich auf internationaler Ebene für eine Reform der Rechenlegungsstandards
und eine Einführung des „Country-by-country reporting“ einzusetzen. Da
Gewinne und Verluste unter diesem Standard nicht mehr konsolidiert ange-
geben werden müssten, sondern für jedes Land einzeln, in dem das Unterneh-
men tätig ist, würde die Nutzung von Steuerparadiesen deutlich leichter zu
identifizieren sein.

Berlin, den 18. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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