BT-Drucksache 17/1589

Datenschutz und Verbraucherschutz in sozialen Netzwerken stärken - Grundrechte schützen

Vom 5. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1589
17. Wahlperiode 05. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, Tabea Rößner, Volker
Beck (Köln), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken,
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Jerzy Montag,
Dr. Hermann Ott, Markus Tressel, Daniela Wagner, Wolfgang Wieland, Josef
Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenschutz und Verbraucherschutz in sozialen Netzwerken stärken –
Grundrechte schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Soziale Netzwerke bieten zahlreiche neue Möglichkeiten der Kommunikation.
Menschen können sich weltweit, sekundenschnell und relativ kostengünstig ver-
netzen, verständigen und austauschen. Neben diesen großen Vorzügen bergen
soziale Netzwerke aber auch Risiken für die Nutzerinnen und Nutzer. Oft ver-
stoßen die Betreiber der Plattformen gegen bestehende rechtliche Regelungen
des Datenschutzes. Medienberichten zufolge finden in sozialen Netzwerken
zunehmend präventive Ermittlungen der Sicherheitsbehörden statt. Zudem ist zu
beobachten, dass eine stetig steigende Zahl von Privatunternehmen in sozialen
Netzwerken nach Personen und Profilen zu unterschiedlichen – zumeist wirt-
schaftlichen – Zwecken suchen, um die dort gemachten Angaben auszuwerten.
Einer aktuellen Studie der Stiftung Warentest zufolge weisen acht der zehn größ-
ten sozialen Netzwerke erhebliche Mängel beim Datenschutz und bei der Daten-
sicherheit auf. Auch die jüngste Ankündigung von Facebook, zukünftig ohne die
datenschutzrechtlich notwendigen Einwilligungen die Daten der acht Millionen
bundesdeutschen Nutzerinnen und Nutzer mit anderen Unternehmen teilen zu
wollen, ist aus Datenschutz- wie auch Verbraucherschutzsicht inakzeptabel. An-
gesichts der von Verbraucher- wie Datenschützern schon seit längerem beklag-
ten erheblichen Gefahren sozialer Netzwerke für die Grundrechte der Nutzerin-
nen und Nutzer bedarf es einer Überarbeitung und bereichsspezifischen Präzi-
sierung der gesetzlichen Bestimmungen. Zwischen den privaten Anbietern und
den einzelnen Nutzerinnen und Nutzern besteht ein erhebliches Machtungleich-
gewicht. Viele Nutzerinnen und Nutzer wissen nicht um die Datenschutzrisiken
und die Möglichkeiten des Selbstschutzes. Das ist nicht nur ein Problem, das die
jüngere Generation betrifft. Wir brauchen deshalb eine umfassende Aufklärung

über Risiken und Schutzmöglichkeiten und die verstärkte Förderung von
Medienkompetenz, die alle Generationen anspricht. Darüber hinaus ist ein wirk-
samer Schutz für den Umgang mit personenbezogenen Informationen notwen-
dig und muss umfassend ansetzen. Hier darf der Staat die Bürgerinnen und Bür-
ger nicht allein lassen. Vielmehr ist er grundrechtlich in der Pflicht, gesetzliche
Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte der betroffenen Nutzerinnen und
Nutzer zu treffen.

Drucksache 17/1589 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf mit der Überarbeitung der einschlägigen Gesetzes-
bestimmungen (u. a. Telekommunikationsgesetz, Telemediengesetz, Bundes-
datenschutzgesetz) mit dem Ziel vorzulegen, insbesondere den Schutz von
persönlichen Daten und Informationen in sozialen Netzwerken unter Berück-
sichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um-
fassend zu gewährleisten;

2. normenklare rechtliche Bestimmungen zu schaffen im Hinblick auf

– eine strenge Beschränkung der Zugriffsmöglichkeiten von Sicherheits-
behörden auf soziale Netzwerke,

– die Verpflichtung der Anbieter zur umfassenden Aufklärung über mög-
liche Risiken für persönliche Informationen,

– die Verpflichtung der Anbieter, Vorsorge zu treffen, dass die Verarbeitung
von personenbezogenen Daten Dritter vermieden wird und auf die ent-
sprechenden Risiken für die Rechte Dritter eindeutig hingewiesen wird,

– die Gewährleistung einer nutzerfreundlichen Einstellbarkeit der Daten-
schutzpräferenzen u. a. durch Maßnahmen des sog. Privacy by Design oder
durch datenschutzfördernde Technologien,

– die verpflichtende Geltung des Kopplungsverbots auch bei nicht markt-
beherrschenden Unternehmen,

– die Sicherstellung des Erfordernisses der durchgehenden informierten
Vorab-Einwilligung (Opt-In) in die Verarbeitung und Weitergabe persön-
licher Daten,

– die Gewährleistung einer hohen Transparenz für die Nutzerinnen und Nut-
zer bezüglich Inhalt, Umfang und Zwecke der Verarbeitung ihrer Daten,

– Verpflichtungen der Anbieter zu erhöhten Sicherheitsvorkehrungen für
die bei ihnen bestehenden, die Nutzerinnen und Nutzer betreffenden Da-
tenbestände, die dem besonderen Schutzbedarf dieser Daten angemessen
Rechnung tragen,

– die Gewährleistung weitergehender Einflussrechte einschließlich des
Rechts der Nutzerinnen und Nutzer auf Löschung der von ihnen einge-
stellten Daten,

– Maßnahmen zur Gewährleistung des angemessenen Schutzes von Kin-
dern und Jugendlichen bei der Nutzung von sozialen Netzwerken;

3. auf die Anbieter sozialer Netzwerke in Deutschland einzuwirken, gemeinsam
mit Verbraucherschutzverbänden und den Datenschutzbeauftragten des Bun-
des und der Länder zusätzlich Selbstverpflichtungen einzugehen, die ggf.
speziellere und einen hohen Standard des Schutzes persönlicher Daten und
Informationen gewährleistende Regelungen enthalten;

4. bei der Europäischen Kommission auf eine strenge Prüfung der Wirksamkeit
der Bestimmungen des Safe-Harbor-Abkommens hinzuwirken und sich in
Abhängigkeit des Ergebnisses der Prüfung ggf. für eine Aufhebung und Neu-
verhandlung einzusetzen;

5. auf europäischer Ebene im Rahmen der Verhandlungen über ein Datenaus-
tauschabkommen mit den USA darauf hinzuwirken, dass ein allgemein hoher
Schutzstandard für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener
Daten festgelegt wird;

6. in Abstimmung mit den Bundesländern ein Konzept zur Stärkung der

Medienkompetenz vorzulegen, welches möglichst alle Altersklassen und
Bildungsangebote erfasst und die Aufklärung über Risiken sozialer Netz-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1589

werke, die damit einhergehenden Datenschutzrechte und die Möglichkeiten
des Selbstschutzes der Nutzerinnen und Nutzer zum Ziel hat.

Berlin, den 4. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

1. Soziale Netzwerke wie StudiVZ oder Facebook zählen zu den meistgenutzten
Kommunikationsanwendungen im Internet. Ihre Nutzung dient in erster Linie
der Kommunikation, der Kontaktpflege und dem Informationsaustausch mit an-
deren Nutzerinnen und Nutzern.

Nach neueren repräsentativen Umfragen nutzen 30 Millionen Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland soziale Netzwerke. Hinter allen großen Anbieter-Platt-
formen stehen große Unternehmen: StudiVZ, SchülerVZ und MeinVZ gehören
zur Verlagsgruppe Holtzbrinck, das Portal wer-kennt-wen zur RTL Group,
Lokalisten zu ProSiebenSat.1, MySpace zum Medienmogul Rupert Murdoch,
Microsoft hält Anteile an Facebook, ein Netzwerk, das nach eigenen Angaben
in Deutschland derzeit von rund acht Millionen Nutzerinnen und Nutzer, welt-
weit von über 400 Millionen genutzt wird.

Der Deutsche Bundestag erkennt die Vorzüge und das Potential sozialer Netz-
werke im Internet an. Sie bieten neue Formen der schnellen Vernetzung und
Kommunikation und sind für viele Menschen längst Bestandteil ihrer alltäg-
lichen Informations- und Kommunikationsroutine geworden. Sie stehen nahezu
allen Bürgerinnen und Bürgern zur Nutzung offen und sind in den Standardan-
wendungen überwiegend kostenlos. Sie bieten auch neue Möglichkeiten der
politischen Kommunikation und für demokratische Diskurse. Zu den unter-
schiedlichsten Zwecken wird der Austausch – zum Teil in Echtzeit – ermöglicht.
Soziale Netzwerke ersetzen oder verlagern teilweise die Begegnung von Men-
schen in das Internet. Sie können die in der realen Welt wie auch die bei beste-
henden Medien (Post, Telekommunikation, E-Mail) Beschränkungen der Aus-
drucksmöglichkeiten teilweise kompensieren oder überwinden helfen, führen
Menschen weltweit zusammen und erfüllen damit eine wichtige soziale Funk-
tion und sind Teil der geschützten Grundrechtsausübung der Bürgerinnen und
Bürger.

Bezüglich der Angebote und der Nutzung von sozialen Netzwerken und der
ihnen – freiwillig – zur Verfügung gestellten Daten ist zu beobachten, dass sich
der Umgang mit personenbezogenen Daten auf fundamentale Weise verändert.
Ihrem Funktionsprinzip nach dienen diese Netzwerke der vereinheitlichten, zu-
meist individuell nicht mehr näher festlegbaren Veröffentlichung einer Vielzahl
persönlicher Informationen gegenüber einem mehr oder weniger festgelegten
Personenkreis. Die anbieterseitigen Voreinstellungen zielen dabei zumeist auf
eine umfassende Erhebung, längerfristige Speicherung und Veröffentlichung
einer möglichst breiten Palette persönlicher Informationen. Dabei werden teil-
weise auch die Daten von Nichtnutzern erhoben und verarbeitet. Die im Alltag
sonst mögliche, je nach Gegenüber in Art und Umfang unterschiedliche Weiter-
gabe persönlicher Informationen entfällt in sozialen Netzwerken weitgehend.
Die Flüchtigkeit alltäglicher Lebensäußerungen ist durch die digitale Erfassung
im Internet weitgehend aufgehoben. Diese sind vielmehr systematisch und über

lange Zeiträume in Profilen zusammenführbar.

Drucksache 17/1589 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Derzeit basieren die Geschäftsmodelle der Anbieter aller großen sozialen Netz-
werke auf der Nutzung aller anfallenden Daten, über deren Verarbeitung die
Werbeeinnahmen generiert werden.

Die von privaten Anbietern bereitgestellten Netzwerke werden also angeboten,
um potentiell sämtliche auf ihren Plattformen stattfindenden Aktivitäten ein-
schließlich der – vermeintlich internen – Kommunikationen der Nutzerinnen
und Nutzer zu registrieren und zu kommerziellen Zwecken allein oder im Aus-
tausch mit anderen Unternehmen verwerten zu können.

2. Der Deutsche Bundestag weist vor diesem Hintergrund, neben den zweifellos
vorhandenen Vorzügen und Potentialen, welche die Nutzung von sozialen Netz-
werken bieten, auf die im Zusammenhang mit dieser Nutzung stehenden Gefah-
ren für die Nutzerinnen und Nutzer hin. Der zunehmende Gebrauch sozialer
Netzwerke durch weite Kreise der Bevölkerung birgt sowohl gesellschaftliche
als auch individuelle Risiken. Gerade Kinder und Jugendliche nutzen soziale
Netzwerke weit mehr als andere Altersgruppen und können daher besonders
stark betroffen werden, wenn sie die möglichen Folgen ihrer Aktivitäten nicht
hinreichend einschätzen können und nicht über eine ausreichende Medienkom-
petenz verfügen. Das Wissen um die Risiken und die Möglichkeiten des Selbst-
schutzes bei sozialen Netzwerken ist aber durch alle Generationen hinweg noch
nicht weit verbreitet. Eine Förderung dieses Wissens muss deshalb bei allen
Altersschichten ansetzen.

Zwar kostet der Zugang zu sozialen Netzwerken die Nutzerinnen und Nutzer zu-
meist nichts, einen Preis hat sie trotzdem. Nutzerinnen und Nutzer zahlen ihn
durch die Verwertung ihrer persönlichen Daten, ihrer Vorlieben, ihres Aufent-
haltsortes und ihrer Kontakte zu kommerziellen Zwecken durch Anbieter und
Partnerunternehmen. Die Nutzung sozialer Netzwerke nach ganz individuellen
Präferenzen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der eigenen Daten und
Informationen, ist für die Nutzerinnen und Nutzer aufgrund oftmals unklarer
oder sich häufig ändernder Allgemeiner Geschäftsbedingungen meist nur
schwer realisierbar. Aus Verbrauchersicht sind die Nutzerinnen und Nutzer auf-
grund des informationellen Ungleichgewichts deutlich im Nachteil. Reichweite
und mögliche Wirkungen der Verarbeitung ihrer persönlichen Daten und Infor-
mationen sind für sie kaum zu überschauen. Individuelle Anpassungen der Be-
dingungen sind oftmals nicht möglich oder führen zum Ausschluss aus dem
Netzwerk.

Mit der Verarbeitung sämtlicher anfallender Daten zu kommerziellen Zwecken
wächst bei den zum Teil im Ausland ansässigen Unternehmen ein erhebliches
Wissenspotential über die Nutzerinnen und Nutzer, das erhebliche Manipula-
tions- und Missbrauchsgefahren birgt. Das Interesse des Zugriffs auf diese Wis-
sensbestände seitens (auch ausländischer) Sicherheitsbehörden wie auch priva-
ter Unternehmen ist deutlich gestiegen. Die Informationsdichte der Profile von
Personen übertrifft wegen der Vielfalt der sich bietenden Informationen oftmals
andere bislang genutzte Erkenntnisquellen um ein Vielfaches.

Der Deutsche Bundestag fordert neben einer verbesserten Informationspolitik
von Seiten der Unternehmen und einer verbesserten Vermittlung von Medien-
kompetenz vor diesem Hintergrund von der Bundesregierung eine grundlegende
Modernisierung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Soziale Netz-
werke bedürfen einer differenzierenden gesetzlichen Regelung. Aufgrund der
Vielfalt der möglichen Nutzungen privat betriebener sozialer Netzwerke und der
damit verfügbaren personenbeziehbaren Informationen sind eine Vielzahl von
Grundrechten berührt.

Der Deutsche Bundestag sieht in normenklaren gesetzlichen Regelungen zu so-
zialen Netzwerken eine wichtige Maßnahme zur Gewährleistung des Vertrauens

in die Integrität und Sicherheit der Nutzung personalisierter Anwendungen im

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1589

Internet. Die Gewährleistung dieses Vertrauens stellt nicht nur für die Nutzerin-
nen und Nutzer, sondern zugleich auch für die Anbieter einen entscheidenden
Mehrwert dar. Erst das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in Datenschutz
und Datensicherheit ermöglicht einen nachhaltigen Betrieb sozialer Netzwerke.

Einen kritischen Umgang mit sozialen Netzwerken müssen allerdings auch die
Nutzerinnen und Nutzer selbst leisten. Hier sind neben den zuständigen Bun-
desstellen insbesondere auch Schulen und Weiterbildungsstätten gefragt, über
alle Altersschichten hinweg über die Chancen und Risiken der Nutzung sozialer
Netzwerke zu informieren, über Rechte aufzuklären, Medienkompetenz zu för-
dern und den Umgang mit neuen Kommunikations-, Vernetzungs- und Informa-
tionsmöglichkeiten in die Vermittlung ihrer Inhalte einzubauen.

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