BT-Drucksache 17/14133

Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft knüpfen

Vom 26. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14133
17. Wahlperiode 26. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Lisa Paus,
Britta Haßelmann, Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Susanne Kieckbusch,
Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner, Jerzy Montag,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian
Ströbele, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft knüpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach § 1 Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) liegt eine unbe-
schränkte Einkommensteuerpflicht in Deutschland dann vor, wenn der Steuer-
pflichtige seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
Auch die Voraussetzungen für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht
aller anderen Arten von Personensteuern in Deutschland, wie etwa der Erb-
schaft- und Schenkungsteuer, knüpfen nicht an der Staatsangehörigkeit des
Steuerpflichtigen an (§ 2 Absatz 1 Nummer 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes – ErbStG). Insbesondere vermögenden Privatperso-
nen ist es dadurch möglich, sich durch eine Verlagerung des Wohnsitzes in
Niedrigsteuerländer wie etwa die Schweiz oder Monaco der deutschen Steuer-
pflicht zu entziehen. Prominente Fälle wie die von Michael Schumacher, Boris
Becker oder Theo Müller stellen dabei nur die Spitze des Eisberges dar.

Erfolgt die Verlagerung des Wohnsitzes zum Schein, liegt Steuerhinterziehung
vor, die sich jedoch nur selten nachweisen lässt. So war im Fall von Boris Becker
eine umfangreiche Videoüberwachung notwendig, um festzustellen, dass der
gewöhnliche Aufenthalt weiterhin in Deutschland stattfand. Im Regelfall sind
den Finanzbehörden vergleichbare Maßnahmen nicht möglich.

Auch die legale Steuerflucht durch Verlagerung des Wohnsitzes in einen
Niedrigsteuerstaat verletzt jedoch das Gerechtigkeitsempfinden: Die entspre-
chend handelnden Bürgerinnen und Bürger haben zuvor das Bildungssystem, die
Infrastruktur und den Rechtsstaat – kurz: gemeinschaftlich finanzierte Güter – in
Anspruch genommen und tun dies in der Regel auch weiterhin zu einem gerin-
geren Grad. Ihren finanziellen Erfolg haben sie auch diesen Rahmenbedingun-
gen zu verdanken, deren Finanzierung sie nach Inanspruchnahme aber anderen
überlassen möchten. Wohlhabende Bürger handeln verantwortungslos, wenn sie

ihren Wohnsitz aus steuerlichen Gründen verlagern, weil sie sich weigern, dem
Gemeinwesen, das ihren Aufstieg mit ermöglicht hat, zu einem fairen Anteil an
ihren Gewinnen partizipieren zu lassen. Es ist unsolidarisch gegenüber den
Durchschnittsverdienern in Deutschland, die diese Möglichkeit nicht haben, und
aufgrund dieses Verhaltens eine höhere Steuerlast tragen müssen.

Drucksache 17/14133 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Aus diesen Gründen knüpfen die Vereinigten Staaten von Amerika die unbe-
schränkte Einkommensteuerpflicht nicht nur an Wohnsitz und gewöhnlichen
Aufenthalt, sondern auch an die Staatsbürgerschaft. Großzügige Freibeträge sor-
gen allerdings dafür, dass der größte Teil der im Ausland lebenden Staatsbürger
von der Regelung nicht berührt ist und der Bürokratieaufwand gering bleibt. Für
darüber hinausgehende Einkünfte ist in der Regel die Anrechenbarkeit im Aus-
land gezahlter Steuern möglich, sodass eine Doppelbesteuerung der Einkünfte
vermieden wird. Durch diese Ausgestaltung betrifft die Besteuerung nach
Staatsangehörigkeit zielgenau nur diejenigen, die offenbar ihren Wohnsitz aus
rein steuerlichen Gründen verlegt haben: Gutverdiener, die in Gebiete mit nied-
rigen Steuersätzen auswandern. Es ist daher ein wichtiger Beitrag für eine ge-
rechte Finanzierung der öffentlichen Aufgaben in Deutschland, den Kriterienka-
talog für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nach
US-amerikanischem Vorbild um die Staatsangehörigkeit zu erweitern.

Steuerflucht durch Wohnsitzverlagerung und damit einhergehend auch das Ar-
gument einer drohenden Verlagerung würde unwirksam werden. Mittelfristig ist
eine europaweite Rahmensetzung der Regelungen mit denjenigen Staaten, die
die Steuerpflicht ihrer Bürgerinnen und Bürger ebenfalls an die Nationalität bin-
den wollen, wünschenswert – doch kann und sollte Deutschland hier Vorreiter
sein und damit einen Beitrag im Kampf gegen Steuerflucht leisten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

– für deutsche Staatsangehörige die Staatsangehörigkeit zu einem Kriterium
für das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht im Bereich der Perso-
nensteuern in Deutschland macht;

– deutlich über dem Durchschnitt des Einkommens bzw. des Vermögens in
Deutschland liegende Freibeträge für zu versteuernde Einkommen und
Vermögen im Ausland lebender Staatsangehöriger vorsieht;

– die Anrechenbarkeit im Ausland gezahlter Steuern sicherstellt;

2. auf Ebene der Europäischen Union für das Prinzip der Besteuerung nach
Staatsangehörigkeit zu werben.

Berlin, den 25. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Einführung einer Steuerpflicht nach Nationalität ist ein wichtiger Baustein
im Kampf gegen Steuerflucht und eine ungerechte Finanzierung öffentlicher
Güter. Prominente Fälle in Deutschland zeigen den Handlungsbedarf auf. Der
Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung ist schleppend, zeigt aber
Fortschritte. Je erfolgreicher er ist, etwa mit der Einführung eines umfassenden
automatischen Informationsaustauschs für im Ausland erzielte Kapitalerträge,
desto größer wird der Anreiz zur bislang legalen Steuerflucht durch Wohnsitz-
verlagerung.

Dem soll vorgebeugt werden – ohne damit allerdings für die große Gruppe der-

jenigen, die nicht aus vorwiegend steuerlichen Grünen im Ausland leben,
zusätzliche Belastungen zu schaffen. Es geht ausdrücklich weder um die Ein-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14133

schränkung der Freizügigkeit noch um eine Mehrbelastung von Deutschen, die
ausgewandert sind, auswandern möchten oder solchen, die kaum oder nie in
Deutschland gelebt haben. Hohe Freibeträge für im Ausland erzieltes Einkom-
men bzw. vorhandenes Vermögen, ab denen die Regelung überhaupt erst greift,
sorgen dafür, dass das Gros der deutschen Staatsangehörigen, die im Ausland
leben, nicht tangiert wird. Eine Orientierung an den US-amerikanischen Rege-
lungen, die Freibeträge von rund 100 000 US-Dollar pro Jahr vorsehen, erscheint
sinnvoll. Damit sind all jene, die im Ausland nicht ein weit überdurchschnitt-
liches Einkommen erzielen, nicht davon betroffen, eine Steuererklärung in
Deutschland abzugeben zu müssen.

In der US-amerikanischen Praxis des Vollzugs dieser Regelung liegt gewöhn-
licherweise ein wirtschaftlicher Anknüpfungspunkt im Inland vor, der erst den
Verdacht der steuerlich begründeten Wohnsitzverlagerung hervorruft. Erst wenn
dieser vorliegt und zudem die hohen Freibeträge des Einkommens oder Vermö-
gens überschritten werden, verlangt das Finanzamt eine Steuererklärung. Damit
ist die Zielgenauigkeit der Regelung sichergestellt, die sich nur auf natürliche
Personen mit deutlich überdurchschnittlichem Einkommen und Vermögen mit
Wohnsitz im Ausland beziehen soll, welche weiterhin einen Bezug zum Inland
haben. Auslandsdeutsche ohne verbliebenen wirtschaftlichen Anknüpfungs-
punkt in Deutschland wären also von der Einführung der Steuerpflicht nach
Nationalität in den seltensten Fällen betroffen. Gleiches gilt für Menschen mit
mehrfacher Staatsbürgerschaft.

Die Steuerpflicht nach Staatsbürgerschaft ist mit dem EU-Recht, hier insbeson-
dere der Grundfreiheit der Personenfreizügigkeit, vereinbar, da aufgrund der
Anrechnungsmethode nicht der Wegzug als solcher belastet wird und damit für
den Steuerpflichtigen kein Nachteil durch den Wegzug im Verhältnis zur Bei-
behaltung des Wohnsitzes im Inland entsteht. Es ist gerade keine Ungleichbe-
handlung erkennbar, wenn Deutschland alle deutschen Staatsangehörigen
gleichmäßig besteuern möchte; darauf weist die Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs in der Sache „van Hilten-van der Heijden“ hin. Eine Einschrän-
kung der Niederlassungsfreiheit nach Artikel 49 des Vertrages über die Arbeits-
weise der Europäischen Union ist also nicht gegeben.

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