BT-Drucksache 17/13327

Gesundheitliche Versorgung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen in Deutschland

Vom 26. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13327
17. Wahlperiode 26. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Birgitt Bender, Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, Memet Kilic,
Dr. Tobias Lindner, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Harald Terpe, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesundheitliche Versorgung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen
in Deutschland

Dem Bericht der Bundesregierung über die medizinische Versorgung von Folter-
opfern und Traumatisierten zufolge ist davon auszugehen, dass bis zu 40 Prozent
der Personen, die in die Europäische Union (EU) einreisen und Schutz suchen,
traumatische Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Folter oder Flucht
erlebt haben. Neben der spezifischen Diagnose einer posttraumatischen Be-
lastungsstörung (PTSD) leiden diese Menschen oft an Erkrankungen wie depres-
siven Störungen, Angststörungen bis hin zur Suizidgefährdung. Zudem kann es
zu Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol und anderen psychoaktiven Sub-
stanzen kommen.

Leistungen zur medizinischen Versorgung nach § 4 des Asylbewerberleistungs-
gesetzes (AsylbLG) werden in der Bundesrepublik Deutschland nur bei akuter
Krankheit bzw. akutem Behandlungsbedarf und bei schmerzhafter Krankheit
erbracht. Zusätzliche Leistungen nach § 6 AsylbLG „können“ für sonstige un-
erlässliche Behandlungen zur Sicherung der Gesundheit gewährt werden. Leis-
tungsberechtigt nach dem AsylbLG sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber
und Geduldete sowie deren Familienangehörige. Außerdem fallen auch Inhabe-
rinnen und Inhaber humanitärer Aufenthaltserlaubnisse unter das AsylbLG.

Aufgrund dieser Ermessenregelung haben traumatisierte Flüchtlinge einen er-
schwerten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung, insbesondere im Bereich
der psychischen Gesundheit. Die Einschätzung des Gesundheitszustandes nach
Ermessen wird von oft nicht ausreichend qualifiziertem Personal in der Auslän-
der- bzw. der Sozialbehörde durchgeführt. Zudem bestehen lange, regional
unterschiedliche Wartezeiten bei den Therapieeinrichtungen für Folteropfer
und traumatisierte Flüchtlinge.

Für anerkannte Flüchtlinge gilt das Regelangebot der gesetzlichen Krankenver-
sicherung. Hier fehlen jedoch häufig die fachlichen Voraussetzungen zur Be-

handlung Traumatisierter. Zudem bestehen Sprachbarrieren.

Die psychische Versorgung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen
wird laut der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für
Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF) im Wesentlichen von derzeit 23 psy-
chosozialen Behandlungszentren getragen. Diese sehen sich mit einer sehr
hohen Frequentierung durch traumatisierte Flüchtlinge konfrontiert – im Jahr

Drucksache 17/13327 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2009 wurden laut BAfF 8 400 Klientinnen und Klienten versorgt. Darüber
hinaus stehen den Zentren im Durchschnitt ca. nur 4,1 hauptamtliche Stellen zur
Verfügung. Neben den drei großen Zentren in Berlin, Düsseldorf und München
gibt es zahlreiche kleinere Zentren, die teils mit nur zwei Teilzeitstellen besetzt
sind. Die Versorgung erfolgt insgesamt nur zu 14 Prozent durch Hauptamtliche,
zu 34 Prozent durch freie Mitarbeiterinnen, zu 3 Prozent durch Praktikanten und
zu 49 Prozent durch Ehrenamtliche. Pro Klientin und Klient stehen durch-
schnittlich im Jahr nur ca. 21 Stunden zur Verfügung. Es besteht eine Unterver-
sorgung mit qualifizierten Fachkräften, die eine adäquate gesundheitliche und
psychosoziale Versorgung garantieren könnten. Gleichzeitig existiert eine pre-
käre und instabile Mischfinanzierung, da das Leistungsangebot unter anderem
über Spenden (18 Prozent) finanziert werden muss. Staatliche Mittel werden in
der Regel nur projektbezogen und zeitlich begrenzt bewilligt, es fehlen dadurch
langfristige strukturelle Förderungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus den in einem Bericht
der Europäischen Kommission vom 26. November 2007 (KOM(2007) 745
endgültig) festgestellten Mängeln, welche die Bedürfnisse besonders
schutzbedürftiger Personen betreffen, insbesondere im Hinblick auf den
laut Bericht unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung und
dem Mangel an besonderer Behandlung für Opfer von Folter und Gewalt
bei unzureichender Kostenübernahme, gezogen?

b) Wie will die Bundesregierung die Datenlage zur gesundheitlichen Versor-
gung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen bezogen auf das
ganze Bundesgebiet verbessern?

c) Hat die Bundesregierung ein Verfahren zur Ermittlung dieser besonders
vulnerablen Flüchtlingsgruppen eingerichtet, oder ist dies bereits in Pla-
nung?

Wenn nein, warum nicht?

2. In welchem Maße wird die Bundesregierung im Zusammenwirken mit den
Ländern die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge, über eine minimale
Versorgung von Akuterkrankungen hinaus, konkret ausbauen?

In dem Fall, dass die Bundesregierung dies nicht beabsichtigt, warum nicht?

3. Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung sicherstellen, dass
auch die wachsende Gruppe der „Menschen ohne Papiere“, die zwar formal
nach dem AsylbLG anspruchsberechtigt ist, jedoch mit der Weitergabe ihrer
personenbezogenen Daten durch das Sozialamt an die Ausländerbehörde
rechnen muss und deshalb die Regelversorgung meidet, mit wenigstens
einer medizinischen Grundversorgung erreicht wird?

4. a) Wie plant die Bundesregierung, sicherzustellen, dass bürokratische Hür-
den bei der Beantragung von „sonstigen Leistungen“ nach § 6 AsylbLG,
wenn diese zur Sicherung der Gesundheit des Antragstellers unerlässlich
sind, abgebaut werden?

b) Plant die Bundesregierung in Kooperation mit den Ländern und Kommu-
nen gemeinsame Fortbildungsangebote für Bedienstete von Ausländer-
bzw. Sozialbehörden, um sicherzustellen, dass die tatsächliche Gesund-
heitssituation von Flüchtlingen – insbesondere von Traumatisierten und
Folteropfern – adäquat beurteilt werden kann?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13327

5. a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass die derzeit vorhandenen psychosozialen Behandlungszentren nach
eigenen Angaben lediglich 15 Prozent des Bedarfs decken können, und
welche strukturellen Maßnahmen können zur Behebung dieses Problems
ergriffen werden?

b) Wie will die Bundesregierung die Versorgungsleistungen der psycho-
sozialen Behandlungszentren strukturell sicherstellen?

6. Wie will die Bundesregierung erreichen, dass Flüchtlinge den nötigen Zu-
gang zu qualifiziertem Gesundheitspersonal mit

a) ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen und

b) psychotherapeutischen Fachkenntnissen im Bereich Traumatafolgen
erhalten?

7. Wie plant die Bundesregierung, qualifizierte Psychotherapie unabhängig
vom Aufenthaltsstatus sicherzustellen, und inwieweit plant sie, einen glei-
chen Anspruch auf Psychotherapie auch für Empfängerinnen und Empfän-
ger von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu garantieren?

8. Plant die Bundesregierung die Erstattung von Dolmetscherkosten für
Psychotherapien im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie auch
für Flüchtlinge, die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen sind oder
Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch erhalten, sicherzu-
stellen, wenn ohne diese die erforderliche sprachliche Verständigung und
somit eine Behandlung nicht möglich ist?

9. Plant die Bundesregierung ein bundesweit geltendes Verfahren, das bei feh-
lenden oder ausgelasteten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit
Kassenzulassung sowie entsprechenden Qualifikationen (Erfahrungen im
Bereich Traumatafolgen, Sprachkenntnisse) der Zugang zu entsprechenden
qualifizierten Psychotherapien durch Anbieter ohne Kassenzulassung sicher-
stellt?

Berlin, den 26. April 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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