BT-Drucksache 17/12394

Keine Privatisierung der Wasserversorgung durch die Hintertür

Vom 20. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12394
17. Wahlperiode 20. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Nicole Maisch,
Beate Walter-Rosenheimer, Markus Kurth, Dorothea Steiner, Dr. Valerie Wilms,
Birgitt Bender, Cornelia Behm, Harald Ebner, Dr. Thomas Gambke,
Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Tobias Lindner, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus,
Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe, Markus Tressel,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Privatisierung der Wasserversorgung durch die Hintertür

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wasser ist kein gewöhnliches Gut und die Wasserversorgung kein gewöhn-
liches Geschäft. Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht und die Wasser-
versorgung ist ein elementarer Teil der kommunalen Daseinsvorsorge.

Durch die geplante EU-Konzessionsrichtlinie droht die schrittweise Privatisie-
rung der Wasserversorgung auf indirektem Wege. So genannte Dienstleistungs-
konzessionen beispielsweise für die Trinkwasserversorgung sollen künftig dem
Vergaberecht unterworfen werden. Grundsätzlich können die Kommunen zwar
weiterhin entscheiden, ob sie die Wasserversorgung selbst erbringen wollen.
Kommunen, deren Wasserversorgung bereits teilweise oder vollständig privati-
siert ist, müssen diese künftig europaweit ausschreiben. Auch die Bedingungen
für nicht privatisierte kommunale Wasserversorgungsbetriebe und die inter-
kommunale Zusammenarbeit werden mit der Richtlinie erheblich erschwert, so
dass den Kommunen in vielen Fällen nur die Option bleibt, kostenintensive
Ausgliederungen in kommunale Eigenbetriebe unter Verzicht auf Effizienz-
gewinne und Synergieeffekte vorzunehmen, wenn sie eine europaweite Aus-
schreibung vermeiden wollen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt den Beschluss der Christlich Demokra-
tischen Union Deutschlands (CDU) auf ihrem 25. Parteitag vom 3. bis 5. De-
zember 2012 in Hannover, in dem es heißt:
„Dienstleistungskonzessionen berühren viele Leistungen der Daseinsvorsorge.
Dies betrifft z. B. Wasserver- und -entsorgung, Rettungs- und Gesundheits-
dienstleistungen und soziale Dienstleistungen. Diese Dienstleistungen werden
sowohl aufgrund ihrer Art als auch ihres Umfangs zum großen Teil vor Ort und
nicht grenzüberschreitend erbracht.

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Schon heute ist die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen kein rechtsfreier
Raum. Die europäischen Regeln sehen vor, dass die Konzessionsvergaben un-
ter Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung
und der Transparenz zu erfolgen haben.

Die im Entwurf vorgeschlagene europaweite Ausschreibungsverpflichtung
würde nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung der kommunalen Selbstver-
waltung und Handlungsspielräume, sondern auch de facto zu einer Liberali-
sierung insbesondere der Wasserversorgung in Deutschland durch die Hintertür
führen und bewährte, gewachsene Strukturen zerstören. Dies wird die CDU
im Interesse der Menschen in Deutschland nicht zulassen“ (www.hannover
2012.cdu.de/sites/default/files/media/121205-sonstige-beschluesse.pdf, Beschluss
C 86, S. 8, 9).

III. Der Deutsche Bundestag lehnt den von der EU Kommission vorgelegten
Richtlinienvorschlag zu den Dienstleistungskonzessionen, zur sogenannten In-
house-Vergabe von Kommunen und zur interkommunalen Zusammenarbeit ab
und fordert die Bundesregierung auf,

„das Vorhaben zu stoppen bzw. weitreichende Bereichsausnahmen zu erwir-
ken“ (ebd., S. 9).

Berlin, den 20. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Traditionell ist die Wasserversorgung in der Bundesrepublik Deutschland eine
kommunale Aufgabe im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Die
Europäische Union hat in einem Zusatzprotokoll zum Vertrag von Lissabon den
nationalen und lokalen Behörden eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der
Erledigung von Aufgaben der Daseinsvorsorge zugesichert. Diese Gestaltungs-
freiheit wird durch die Vorschläge der EU-Kommission zur Überarbeitung der
beiden geltenden europäischen Vergaberichtlinien (2004/17/EG und 2004/18/
EG) infrage gestellt.

Fast genau ein Jahr nach der Vorlage durch die Kommission hat der federfüh-
rende Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europäischen
Parlament im Dezember 2012 und Januar 2013 über die vorgelegten Änderungs-
anträge zur Novelle der Vergaberichtlinien abgestimmt. Derzeit kämpfen vor
allem deutsche und österreichische Abgeordnete von CDU, SPD und Grünen im
Europäischen Parlament gegen die Vorschläge der Kommission, allerdings ohne
die Unterstützung der Bundesregierung im Ministerrat. Insbesondere das feder-
führende Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterstützt seit
über einem Jahr die Vorschläge der Kommission im Gegensatz zum CDU-Par-
teitagsbeschluss. In einem Brief des Bundesministers für Wirtschaft und Tech-
nologie, Dr. Philipp Rösler, an die Abgeordneten Britta Haßelmann und Kerstin
Andreae vom 2. Mai 2012 heißt es: „Konzessionen sollten aufgrund ihres wirt-
schaftlichen Potenzials in einem transparenten und rechtlich überprüfbaren Ver-
fahren vergeben werden. Wir begrüßen daher die mit der Konzessions-Richtlinie
verfolgten Ziele der Europäischen Kommission, einen besseren Zugang zu den
Konzessionsmärkten sowie mehr Rechtssicherheit zu schaffen.“

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12394

Die von der Kommission mit Unterstützung des Ministerrates bevorzugte pri-
vate Bereitstellung der Wasserversorgung, aber auch der sozialen Dienstleistun-
gen birgt hohe Risiken für das Allgemeinwohl. Bei privater Bereitstellung bei-
spielsweise der Wasserversorgung besteht die Gefahr, dass notwendige Investi-
tionen für die Instandhaltung und die Erneuerung der Versorgungsanlagen zur
Aufrechterhaltung einer guten Wasserqualität unterbleiben. Die Nachteile und
Gefahren privater Bereitstellung sind vielerorts größer als eventuelle Effizienz-
vorteile einer Privatisierung. Dagegen können durch interkommunale Zusam-
menarbeit zusätzliche Effizienzgewinne auch durch öffentliche Betriebe erzielt
werden.

Der Richtlinienentwurf greift zwar nicht direkt in die kommunale Organisations-
freiheit ein, doch die Artikel zur Interkommunalen Zusammenarbeit und zur so-
genannten Inhouse-Vergabe (die Kommune beauftragt ein eigenes kommunales
Unternehmen in privater Rechtsform) sind mit so vielen Auflagen belegt, dass
eine wirkliche Wahlmöglichkeit, ob die Kommune die Dienstleistung selbst er-
bringt, in der Praxis nicht mehr gegeben ist. Doch das Recht auf kommunale
Selbstverwaltung ist nur dann gewahrt, wenn die Entscheidungsfreiheit der
Kommunen, eine Leistung selber erbringen zu dürfen oder aber an Dritte zu ver-
geben, in der vergaberechtlichen Praxis auch tatsächlich ausgeübt werden kann.
Dies ist bei den geplanten Auflagen nicht der Fall:

Zwar sprechen sich sowohl der federführende Ausschuss im EU-Parlament als
auch der Ministerrat derzeit bei der Inhouse-Vergabe dafür aus, den ursprünglich
von der Kommission vorgesehenen Prozentsatz beim so genannten Wesentlich-
keitskriterium von 90 auf 80 Prozent zu senken. Diese Erleichterung reicht
jedoch vielerorts nicht aus, da Stadtwerke in der Regel als Mehrspartenunterneh-
men mit Energieversorgung agieren. Wenn Stadtwerke neben der Wasserversor-
gung auch die Energieversorgung erbringen, kann diese Bedingung von kaum
einem Stadtwerk erfüllt werden. Denn die Energieversorgung ist bereits libera-
lisiert. Die Kunden können sich ihren Energieversorger frei wählen, und die
Stadtwerke können folglich nicht ihre Dienste auf den Raum der Eignerkommu-
nen begrenzen, da zudem der Umsatz im Bereich der Energie bei weitem höher
liegt als der des Wassers. Auch der Beschluss des Binnenmarktausschusses des
Europäischen Parlaments vom 24. Januar 2013 über eine Ausnahme derjenigen
Mehrspartenstadtwerke aus dem Anwendungsbereich, die nur für die eigenen
Bürger, also auf einem räumlich begrenzten Gebiet der Kommune, tätig werden,
ist nicht ausreichend, da die Ausnahme mit einer Übergangsregelung versehen
ist und spätestens 2020 enden soll.

Sowohl der federführende Ausschuss im EU-Parlament als auch der Ministerrat
sprechen sich dafür aus, keine privaten Beteiligungen an der kontrollierten
juristischen Person zuzulassen. Ausnahmen kann sich das Parlament lediglich
bei gesetzlich vorgeschriebenen privaten Beteiligungen vorstellen, die zudem
keinerlei Einfluss auf die Entscheidungshoheit der juristischen Person haben
dürfen.

Bei der Interkommunalen Zusammenarbeit stellen sowohl Ministerrat als auch
der Binnenmarktausschuss auf eine „echte Zusammenarbeit“ zwischen den be-
teiligten öffentlichen Auftraggebern ab mit dem Ziel, ihre öffentlichen Auf-
gaben gemeinsam wahrzunehmen, und verweisen auf wechselseitige Rechte
und Pflichten der Parteien sowie die Notwendigkeit, dass die Vereinbarung nur
durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse be-
stimmt wird. Zudem dürften keine privaten Beteiligungen an den involvierten
öffentlichen Auftraggebern bestehen mit Ausnahme von gesetzlich vorge-
schriebenen.

Der Ministerrat fordert derzeit außerdem, dass die beteiligten öffentlichen Auf-

traggeber, gemessen am Umsatz, nicht mehr als 20 Prozent ihrer Tätigkeiten,
die im Zusammenhang mit der Vereinbarung relevant sind, auf dem offenen

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Markt ausüben. Er fordert außerdem, dass die Vereinbarung keine anderen
Finanztransfers zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern als jene
betrifft, die die Rückzahlung der tatsächlichen Kosten der Bauarbeiten, Dienst-
leistungen oder Lieferungen betreffen und keine private Beteiligung an den in-
volvierten öffentlichen Auftraggebern besteht.

Die Vorgaben zur Inhouse-Vergabe und zur Interkommunalen Kooperation ma-
chen die Bereitstellung von Dienstleistungen durch öffentliche Betriebe in der
Praxis fast unmöglich. Bezogen auf die Trinkwasserversorgung betrifft dies
nach Angaben der kommunalen Spitzenverbände und des Verbandes kommuna-
ler Unternehmen rund 800 Stadtwerke, die 50 Prozent der Bevölkerung derzeit
mit Wasser versorgen. Sollten die Weichen nicht noch anders gestellt werden,
müssten kommunale Unternehmen, wenn die Kommune nicht privatisieren will,
ihre Sparten künftig in Eigenbetriebe ausgliedern. Synergieeffekte würden dann
entfallen.

Ministerrat und Kommission schaffen durch die Verordnung eine komplexe und
unsichere Rechtslage für kommunale Unternehmen. Durch die Auflagen wird
Druck erzeugt. Im Ergebnis werden viele Kommunen erwägen, ihre Wasserkon-
zessionen zukünftig europaweit auszuschreiben, um rechtlich auf der sicheren
Seite zu sein und keinen langwierigen Rechtsstreit zu provozieren. Dann können
sich zwar auch Stadtwerke bewerben, aber eben auch große, europaweit tätige
private Konzerne. Auf diese Weise betreibt die Kommission mit Unterstützung
der Bundesregierung eine Privatisierung auf indirektem Wege. Damit werden
die Vorgaben des Vertrags von Lissabon, der die kommunale Selbstverwaltung
und den weiten Ermessensspielraum der Kommunen bei ihrer Dienstleistungs-
erbringung ausdrücklich anerkennt, ad absurdum geführt.

Für die Bürgerinnen und Bürger wird sich die von der Europäischen Kommis-
sion mit Unterstützung der Bundesregierung im Ministerrat geplante Reform
des Vergaberechts vielerorts preiserhöhend auswirken. Mittelfristig sind auch
Qualitätsverluste zu erwarten.

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