BT-Drucksache 17/11731

Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland - Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i.V.m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG)

Vom 29. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11731
17. Wahlperiode 29. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, Kerstin Andreae,
Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck (Bremen), Birgitt Bender, Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Katrin
Göring-Eckardt, Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Oliver Krischer,
Dr. Tobias Lindner, Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Lisa Paus,
Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
– Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11649, 17/11669 –

Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland –
Änderung der Garantieschlüssel;
Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungs-
mechanismusgesetzes (StabMechG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gewährung von Hilfskrediten an Griechenland war und ist richtig. Viel zu
lange haben sich führende Politiker der Eurozone – allen voran die Bundeskanz-
lerin Dr. Angela Merkel – nicht klar und deutlich zu dem Verbleib Griechenlands
in der Eurozone bekannt. Die ständige Androhung des Rauswurfs aus der Euro-
zone war für Griechenland fatal und hat jeglichen Anreiz für Investitionen ge-
nommen.

Inzwischen zeigt sich aber deutlich: Die Auswirkungen der radikalen Kürzungs-
maßnahmen auf die griechische Wirtschaft wurden seitens der Troika unter-
schätzt. Die derzeitige Strategie, die maßgeblich auf eine harte Sparpolitik setzt,
hat nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die Rezession in Griechenland fällt stär-

ker aus als befürchtet und die Arbeitslosigkeit höher als erwartet. Eine Anpas-
sung der Rettungsstrategie an die tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungen
ist unumgänglich. Es ist richtig, Griechenland mindestens zwei Jahre mehr Zeit
zu geben, um die Defizitziele zu erreichen. Das entspricht einer zentralen For-
derung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Griechenland muss jetzt auf
einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren und sich dauerhaft stabilisie-
ren. Hierfür braucht es ein Umsteuern und mehr ehrliche Analyse.

Drucksache 17/11731 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Den Bürgerinnen und Bürgern Griechenlands wird sehr viel abverlangt. Aber
nicht jede Sparmaßnahme ist auf Druck der Troika zustande gekommen. Viel-
fach ist auch die griechische Politik dafür verantwortlich. Die Jugendarbeits-
losigkeit ist unerträglich hoch, viele junge Menschen verlassen das Land, sie
sehen keine Zukunft mehr für sich. Entlassungen setzen tausende von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern auf die Straße. Junge Familien können sich die
Miete für eine eigene Wohnung nicht mehr leisten. Viele Ältere können nach den
Kürzungen kaum noch von ihren Renten leben. Es fehlt eine Mindestsicherung,
wenn das Arbeitslosengeld ausläuft. Die Konsequenzen des Spardrucks auf das
öffentliche Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung ist teilweise
verheerend.

Dieser erdrutschartige Abbau sozialer Sicherung und beruflicher Perspektiven
wird das Land für viele Jahre prägen. Die einseitige Sparpolitik hat die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon vor Gewährung des letzten Hilfspakets kri-
tisiert. Die Bundesregierung muss jetzt eingestehen: Die harschen Kürzungen
drosseln das Wachstum und senken die Einnahmen, der strenge Austeritätskurs
zwingt das Land weiter in die Knie. Gleichzeitig ist die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN davon überzeugt, dass die europäischen Partner weit über die
Zeit der Kreditprogramme hinaus, Griechenland politisch und finanziell unter-
stützen und auf dem schweren Weg der wirtschaftlichen Strukturreformen und
politischen Transformation des Staatswesens begleiten werden müssen. Der
Task Force der Europäischen Kommission für Griechenland kommt dabei eine
wichtige unterstützende Funktion zu, die weiter gestärkt werden muss.

Durch den Aufschub um zwei Jahre für die Erfüllung der Defizitziele entsteht
ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf Griechenlands in Höhe von ca. 32,6 Mrd.
Euro. Dieser muss gedeckt werden. Das Mantra der Bundesregierung lautete,
Griechenland bekommt weder mehr Zeit noch mehr Geld. Beides ist nicht auf-
rechtzuerhalten.

Der Deutsche Bundestag erwartet endlich Ehrlichkeit von der Bundeskanzlerin.
Sie muss den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland erklären, dass die Ret-
tung Griechenlands mehr Zeit braucht und nicht zum Nulltarif zu haben ist. Der
zusätzliche finanzielle Mehrbedarf muss mithilfe einer transparenten und nach-
haltigen Lösung gedeckt werden. Doch genau von dieser ehrlichen und transpa-
renten Lösung entfernt sich die Bundesregierung und mogelt sich an der Wahr-
heit vorbei: Lieber entscheidet sie sich für einen Flickenteppich aus verschie-
denen Einzelmaßnahmen und scheut sich nicht einmal davor, monetäre Staats-
finanzierung über die griechische Notenbank zuzulassen. Hier wird mit Blick
auf den Wahlkampfkalender erneut die schlechteste und teuerste Lösung ge-
wählt, statt auf ökonomische Vernunft zu achten.

Der gerade durch den Deutschen Bundestag verabschiedete Haushalt 2013 ist
damit in der Frage der Kosten der Eurokrise bereits vor Inkrafttreten Makulatur.
Über 700 Mio. Euro kostet allein das neue Maßnahmenpaket. Davon findet sich
im Haushalt 2013 nichts. An einem Nachtragshaushalt 2013 führt daher poli-
tisch kein Weg vorbei. Es dient der Haushaltsklarheit deutlich zu machen, was
dem Bund die aktuellen Beschlüsse kosten.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will einen anderen Weg gehen und
offen sagen, dass die Eurorettung uns Geld kosten wird, aber auch, warum sie
richtig ist. Wer Griechenland aufgibt, riskiert gefährliche Ansteckungseffekte und
die Instabilität der gesamten Eurozone. Ein Auseinanderbrechen der Eurozone
wäre für die europäische Einigung katastrophal und für Deutschland nicht nur
politisch, sondern auch wirtschaftlich ein Desaster.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat von Anfang an deutlich ge-
macht, dass die notwendigen Strukturreformen und Sparprogramme in Grie-

chenland unbedingt mit wachstumsfördernden Maßnahmen verbunden werden

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11731

müssen. In den Verhandlungen zum Fiskalpakt hat die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaftstätigkeit durchge-
setzt, die auf europäischer Ebene in den Pakt für Wachstum und Beschäftigung
aufgenommen wurden. Hier ist bislang zu wenig für die Umsetzung geschehen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass das Kooperationsabkommen für die EU-
Projektanleihen-Initiative unterzeichnet und auf den Weg gebracht worden ist.
Griechenland leidet unter einer verheerenden Kreditklemme, die das schwache
Wirtschaftstreiben zusätzlich belastet. Die EU-Projektanleihen sind für Grie-
chenland ein Schlüsselinstrument, um private Infrastrukturinvestitionen zu er-
schließen. Eine damit einhergehende verbesserte Kapitalmarktfinanzierung
kann transeuropäische Infrastrukturprojekte im Sinne eines Green New Deal er-
möglichen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass seit August 2012 die Bezieher höherer
Einkommensschichten wie Richter, Universitätsprofessoren und Militärs durch
Lohnkürzungen ihren Teil zu den Sparauflagen beitragen. Zwar müssen die im
europäischen Vergleich sehr hohen Ausgaben Griechenlands im öffentlichen
Sektor und der Verteidigung weiter gesenkt werden. Der Deutsche Bundestag
kritisiert jedoch, dass zu oft Einsparungen durch pauschale Kürzungen und
starre Ausgaberegeln erreicht wurden, anstatt differenziert und ausgewogen die
Besonderheiten der jeweiligen Sektoren zu beachten. Für qualitative Einsparun-
gen ist Transparenz in der Ausgabenpraxis unumgänglich. Auch müssen Ver-
waltungsstrukturen weiter modernisiert werden. Der Aufbau einer wirksamen
Grundsicherung sollte ebenfalls wichtiger Bestandteil von Strukturreformen
sein. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Militärausgaben gesenkt wur-
den. Bei den Militärausgaben pro Kopf liegt Griechenland damit aber immer
noch an dritter Stelle im EU-27-Vergleich. Das ist nicht zu rechtfertigen.

Griechenland hat inzwischen weniger ein Ausgabenproblem, sondern vor allem
ein Einnahmeproblem. Um die Einnahmesituation grundlegend zu verbessern,
ist eine neue Steuerpolitik – national und europäisch – notwendig. Es wurde
zwar eine nationale Steuerreform auf den Weg gebracht, welche die Steuerbasis
verbreitern soll. Trotzdem ist eine wesentliche Ursache für die hohe Verschul-
dung Griechenlands aber immer noch der anhaltend hohe Grad an Steuerflucht
und -vermeidung: Mit einer Steuerquote (Verhältnis von Steuerzahlungen zur
Wirtschaftsleistung) von nur 20 Prozent weist Griechenland den niedrigsten
Wert aller Euroländer auf. Der Umsatz der Schattenwirtschaft soll rund ein Vier-
tel der regulären Wirtschaftsleistung betragen. Zwingend erforderlich ist des-
halb der Aufbau einer effizienteren Steuerverwaltung in Griechenland.

Viele wohlhabende Griechen haben ihr Vermögen ins Ausland verschoben.
Griechenland allein ist politisch kaum in der Lage, effektive Steuerabkommen
mit Drittstaaten abzuschließen. Es muss das gemeinsame Anliegen der europäi-
schen Staaten sein, griechisches Fluchtkapital aufzuspüren und griechische
Steuerflüchtlinge an den Sanierungskosten Griechenlands zu beteiligen. Hier ist
die EU gefordert, und die Bundesregierung sollte vorangehen. Dabei geht es un-
ter anderem um die Einführung europäischer Mindeststandards bei der Besteu-
erung von Reedereien und eines automatischen Informationsaustausches zur Er-
mittlung von Kapitaleinkommen.

Der Erfolg von Privatisierungen in Kernbereichen der öffentlichen Daseinsvor-
sorge ist mehr als fraglich. In Zeiten, in denen die Preise im Keller liegen, ist
eine Maximierung einmaliger Verkaufserlöse im Tausch gegen zukünftige regel-
mäßige Einnahmen eine zweifelhafte Rechnung.

Die Entscheidung, Griechenland zwei Jahre mehr Zeit zu gewähren, ist richtig.
Es führt auch kein Weg daran vorbei, den finanziellen Mehrbedarf zu decken.
Doch der Deutsche Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung wieder ein-

mal die Chance verpasst, die Weichen für eine nachhaltige, solide und gerechte
Rettungsstrategie in Griechenland zu stellen. Anstatt für eine solide Finanzie-

Drucksache 17/11731 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
rung und eine ehrliche Nachjustierung zu sorgen, werden die Risiken verschlei-
ert und der demokratischen Kontrolle entzogen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Europäischen Rat, in der Eurogruppe und im Rat der Europäischen
Union einzusetzen für:

– eine transparente und nachhaltige Deckung der Finanzlücke, die die Risiken
minimiert, anstatt sie auf unabhängige und damit demokratisch nicht legiti-
mierte Institutionen, wie die Europäische Zentralbank, zu verschieben; eine
Abstimmung über ein drittes Hilfspaket ist dafür die bessere Option;

– eine langfristig realistische Perspektive der Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands zu entwickeln, die eine Rückzahlung unserer geleisteten Kredite durch
Griechenland ermöglicht. Dafür ist die Durchführung eines gestaffelten
Schuldenschnitts zu prüfen, der an die Erfüllung von Strukturreformen und
struktureller Ziele geknüpft ist und zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, so
dass er die Liquiditätslage der Euro-Staaten, die momentan selbst Schwierig-
keiten haben, nicht zusätzlich belastet;

– weitere Wachstumsimpulse durch Investitionen in zukunftsfähige Sektoren,
Infrastruktur und Energie sowie Beschäftigung, um der Rezession entgegen-
zuwirken und die Wirtschaft in Griechenland wieder anzukurbeln und dafür
die Maßnahmen aus dem Pakt für Wachstum und Beschäftigung zügig und
konsequent umzusetzen;

– mehr Anstrengungen, um die Einnahmeseite Griechenlands zu stabilisieren,
unter anderem durch einen Steuerpakt für Europa. Dieser Steuerpakt soll
Steueroasen, Steuerdumping oder unfairen Steuerwettbewerb beenden und
eine effektive Beteiligung insbesondere von Spitzenverdienenden und großen
Vermögen an der Bewältigung der Krise ermöglichen; es muss das gemein-
same Anliegen der europäischen Staaten sein, griechisches Fluchtkapital auf-
zuspüren und griechische Steuerflüchtlinge an den Sanierungskosten Grie-
chenlands zu beteiligen. Die Staaten der Eurozone müssen gemeinsam die
Schweiz und andere Steueroasen in Europa zur Kooperation und zu einem
automatischen Informationsaustausch bewegen;

– eine Beendigung der sozialen Schieflage im Rahmen der Ausgabenkürzun-
gen. Diese dürfen nicht weiter primär auf dem Rücken einiger Bevölkerungs-
teile ausgetragen werden; soziale Mindeststandards müssen auch europäisch
rechtlich abgesichert und die soziale Sicherung ausgebaut und nachhaltig
finanziert werden.

Berlin, den 29. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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