BT-Drucksache 17/11124

Geschlechtersensible Haushaltspolitik (Gender Budgeting)

Vom 19. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11124
17. Wahlperiode 19. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Monika Lazar, Katja Dörner, Dr. Tobias
Lindner, Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann, Oliver Krischer, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Ulrich Schneider,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe, Arfst Wagner (Schleswig), Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geschlechtersensible Haushaltspolitik (Gender Budgeting)

Staatliches Handeln ist grundgesetzlich (Artikel 3 Absatz 2 des Grundgeset-
zes – GG) der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter ver-
pflichtet. Diese Verpflichtung findet neben dem Bundesgleichstellungsgesetz
ihren Niederschlag auch in § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bun-
desministerien (GGO), die die Gleichstellung von Mann und Frau als Leitprin-
zip politischen, normgebenden und verwaltenden Handelns der Bundesregie-
rung etabliert. Öffentliche Haushalte als finanzielles Fundament staatlichen
Handelns bilden die Verteilung von finanziellen Ressourcen ab, sie sind damit
Ausdruck von politischer Prioritätensetzung sowie von erheblicher Lenkungs-
wirkung. Die Haushaltsplanung stellt ein wichtiges politisches Steuerungs-
element und somit einen wichtigen Ansatzpunkt für die Herstellung von Ge-
schlechtergerechtigkeit dar.

Gender Budgeting setzt Gender Mainstreaming im Bereich der Haushaltspoli-
tik um. Mit dem Begriff ist die Analyse der gleichstellungspolitischen Wirkun-
gen der öffentlichen Haushalte, ihrer Einnahmen und Ausgaben, mit dem Ziel
einer geschlechtergerechteren Haushaltspolitik gemeint. Die geschlechtersen-
sible Analyse eines Haushalts macht deutlich, welche Auswirkungen die Ver-
wendung öffentlicher Mittel in ihrer Gesamtheit und in ihren einzelnen Teilen
kurz- und langfristig auf Frauen und Männer hat. Wie verteilen sich Ein- und
Ausnahmen auf die Geschlechter? Wie beeinflusst Haushaltspolitik Geschlech-
terrollen? Ziel ist ein geschlechtssensibler und damit gerechterer Haushalt.
Nach einer Analyse der Auswirkungen öffentlicher Ausgaben auf die Ge-
schlechterverhältnisse können Prioritäten verändert und Mittel neu verteilt wer-
den. Dabei müssen die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Lebens-
lagen verschiedener Gruppen von Frauen und Männern mit berücksichtigt wer-
den. Gender Budgeting kann mehr Gerechtigkeit und mehr Zielgenauigkeit
schaffen. Mit den gleichen Mitteln kann effizienter und transparenter gearbeitet

werden – darin liegt eine große Chance für unsere Gesellschaft. Hier steht
Deutschland international in der Pflicht. Der Bedeutung des Gender Budgeting
für die Gleichstellung der Geschlechter trug bereits das am 18. Dezember 1979
durch die UN-Generalversammlung verabschiedete Übereinkommen zur Besei-
tigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) Rechnung – dieses
wurde am 10. Juli 1984 durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Auf

Drucksache 17/11124 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einer High-Level Conference in Brüssel vereinbarten die EU-Finanzminister
2001 die Unterstützung der Umsetzung von Gender Budgeting bis 2015 in allen
EU-Ländern. 2003 verabschiedete das Europäische Parlament die Entschlie-
ßung „Gender Budgeting“ – Aufstellung öffentlicher Haushalte unter ge-
schlechtsspezifischen Gesichtspunkten (2002/2198 (INI)). Sie forderte die Ein-
beziehung der Geschlechterperspektive auf sämtlichen Ebenen des Haushalts-
verfahrens. 2005 legte eine Gruppe von Expertinnen und Experten beim Euro-
parat ihren Abschlussbericht zu Gender Budgeting vor. Der „Fahrplan für die
Gleichstellung von Frauen und Männern“ (Road Map) der Europäischen Kom-
mission von 2006 betonte, dass die Kommission Gender Budgeting auf lokaler,
regionaler und nationaler Ebene fördert und durch den Austausch von Good
Practice unterstützt. Dazu dient die Gründung des Europäischen Instituts für
Gleichstellungsfragen im Jahr 2007. Auch soll die Möglichkeit geprüft werden,
Gender Budgeting auf EU-Ebene zu entwickeln.

Eine noch von der rot-grünen Bundesregierung im April 2005 in Auftrag gege-
bene Machbarkeitsstudie zur Umsetzung von Gender Budgeting wurde mit
deutlicher Verspätung im Oktober 2007 durch die Bundesregierung veröffent-
licht. Aktuell werden die Erprobung und Weiterentwicklung des Gender Budge-
ting vor allem durch die Europäische Kommission, die die Implementierung
von Gender Budgeting in ihren Strukturfonds auch in Deutschland vorantreibt,
betrieben. In Deutschland arbeiteten und/oder arbeiten die Länder Berlin, Bre-
men und Baden-Württemberg daran, Gender Budgeting in Bewirtschaftung und
Erstellung der Landeshaushalte umzusetzen. Von wenigen Fachkonferenzen ab-
gesehen, wurde das Thema durch die Bundesregierung nicht weiter bearbeitet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen Instrumenten fördert die Bundesregierung das grundgesetzliche
Ziel der Gleichstellung der Geschlechter in ihrer Haushaltspolitik?

2. Welche Form von Wirkungsanalyse und Zielsteuerung verfolgt die Bundes-
regierung mit ihrem Etatentwurf sowie in der Haushaltsführung?

3. Evaluiert die Bundesregierung ihre Haushaltsführung in Hinblick darauf, ob
diese dem Leitprinzip der Gleichstellung der Geschlechter gemäß § 2 GGO
gerecht wird?

a) Wenn ja, wie oft, von wem und wie wird die Evaluation durchgeführt?

b) Wenn nicht, warum nicht?

4. Hält die Bundesregierung Gender Budgeting für ein geeignetes Instrument,
um

a) die Ausgaben des Bundes hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit/
-dimension zu analysieren,

b) zu steuern?

c) Wenn nein, warum nicht?

5. Welche Rolle spielte bei der Haushaltsaufstellung, insbesondere bei der Er-
stellung des Haushaltsentwurfs 2013, durch die Bundesregierung Gender
Budgeting oder spielten andere Maßnahmen, das bzw. die der Gleichstellung
der Geschlechter dient/dienen (bitte für die einzelnen Etats auflisten)?

In welchem Stadium des Haushaltsaufstellungsverfahrens haben Gleichstel-
lungsaspekte eine Rolle gespielt (bitte ggf. nach Etats aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11124

6. Gibt die Vorbemerkung der durch die damalige Bundesregierung 2006 pu-
blizierten Machbarkeitsstudie Gender Budgeting auf Bundesebene, in der
sie erklärte, „dass es zu der angesprochenen Thematik [Gender Budgeting]
noch der Klärung grundsätzlicher Fragen bedarf“, nach wie vor die Hal-
tung der Bundesregierung zu Gender Budgeting wieder?

a) Wenn ja, welche grundsätzlichen Fragen verhindern aus Sicht der Bun-
desregierung bislang die Einführung des Gender Budgeting für den
Bundeshaushalt oder für einzelne Ressorts, Teiletats oder Sachgebiete
(bitte ggf. spezifische Gründe nach Ressort aufschlüsseln)?

Welche Schritte unternimmt oder gedenkt die Bundesregierung zu un-
ternehmen, um diese „grundsätzlichen Fragen“ zu klären?

b) Wenn nicht, welche grundsätzlichen Fragen konnte die Bundesregie-
rung wie beantworten, und wieso sieht sie trotz deren Beantwortung
weiterhin von der Einführung des Gender Budgeting ab?

7. Erprobt die Bundesregierung Maßnahmen des Gender Budgeting für den
Bundeshaushalt in Einzeletats, Teiletats oder auf Sachgebieten?

a) Wenn ja, welche Maßnahmen wurden in welchen Teilen des Bundes-
haushaltes erprobt, und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus
den dadurch gemachten Erfahrungen für die Einführung des Gender
Budgeting für den Bundeshaushalt?

b) Wenn nein, warum unterlässt die Bundesregierung es, Maßnahmen des
Gender Budgeting im Bundeshaushalt zu erproben?

Gibt es konkrete Planungen, Gender Budgeting in naher Zukunft an
Einzel- oder Teiletats des Bundeshaushaltes zu erproben?

8. Welche Aktivitäten unternimmt die Bundesregierung, insbesondere das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, um die
fachliche und öffentliche Diskussion über Gender Budgeting zu fördern?

9. Bietet die Bundesregierung bzw. einzelne Bundesministerien Schulungen
für ihre Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen zum Gender Budgeting an?

a) Wie viele Schulungen wurden angeboten/haben stattgefunden (bitte
nach Ressorts seit 2009 aufschlüsseln)?

b) Wenn ja, wie viele Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen haben teilgenommen
(bitte nach Ressorts seit 2009 aufschlüsseln)?

c) Aus welchen Referaten haben Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen teilgenom-
men (bitte nach Haushaltsreferat/Sonstigem differenzieren)?

10. Fördert die Bundesregierung Forschungsprojekte zu geschlechtersensibler
Haushaltspolitik?

a) Wenn nicht, warum nicht?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung, hierfür in Zukunft Mittel aufzuwen-
den?

11. Evaluiert die Bundesregierung Erfahrungen mit Gender Budgeting in in-
und ausländischen Gebietskörperschaften, insbesondere der Bundesländer
Baden-Württemberg, Berlin und Bremen sowie der Europäischen Union
(bitte auflisten) im Hinblick auf die mögliche Verwendung des Gender
Budgeting im Bundeshaushalt?

Steht sie dazu im Austausch mit diesen?

Drucksache 17/11124 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Welche Verpflichtung sieht die Bundesregierung aus internationalen Ver-
einbarungen, insbesondere aus Artikel 2 CEDAW (Convention on the Eli-
mination of All Forms of Discrimination against Women) sowie der auf der
High-Level Conference „Strengthening economic and financial gover-
nance through gender responsive budgeting“ verabschiedeten Erklärung,
Gender Budgeting in der EU bis 2015 umzusetzen, erwachsen, Gender
Budgeting im Bundeshaushalt umzusetzen?

13. Wie setzt die Bundesregierung Gender Mainstreaming und speziell Gender
Budgeting bei aus dem Europäischen Sozialfonds geförderten Programmen
um?

Welche Möglichkeiten sieht sie, die dort gemachten Erfahrungen bei der
Bewirtschaftung von Bundesmitteln sowie in der Haushaltsaufstellung zu
nutzen?

Berlin, den 19. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.