BT-Drucksache 17/1103

Haltung der Bundesregierung zu Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht

Vom 18. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1103
17. Wahlperiode 18. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Kerstin
Andreae, Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Memet Kilic,
Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn, Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Konstantin von Notz, Christine Scheel, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Dr. Harald Terpe, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und
Steuerflucht

Durch die Angebote von Steuerdaten aus der Schweiz und anderen Ländern, die
an die Steuerverwaltungen, Landes- und Bundesregierungen herangetragen
wurden, wurde die Diskussion um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung
neu belebt. Gleichzeitig kam es zum Einsatz neuer Instrumente in anderen euro-
päischen Ländern. So hat Frankreich eine Liste (alternativ zu den OECD – Or-
ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) von Steuer-
oasen vorgelegt und belegt Zahlungen in und aus diesen Ländern mit einer er-
höhten Quellensteuer von 50 Prozent. Die französische Regierung hat außerdem
mit den französischen Banken vereinbart, dass diese ihr Engagement in Steuer-
oasen einstellen, was diese Medienberichten zufolge, inzwischen weitgehend
umgesetzt haben. Die italienische Regierung hat eine neue Steueramnestie um-
gesetzt. Das Europäische Parlament hat am 10. Februar 2010 mit großer Mehr-
heit die Veränderung des sogenannten OECD-Standards, der einen Informa-
tionsaustausch auf Anfrage vorsieht, hin zu einem multilateralen automatischen
Informationstausch auf globaler Ebene gefordert.

Anders als ihre Vorgängerregierung, hat die Bundesregierung ihre Strategie im
Kampf gegen Steuerhinterziehung bisher nicht dargelegt und zu den aktuellen
Vorstößen auf internationaler Ebene nicht öffentlich Stellung genommen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung, angesichts des Streits bezüglich der Rechtmäßig-
keit des Erwerbs von Daten von Bankkunden, unter denen sich möglicher-
weise zahlreiche Steuerhinterzieher befinden, eine rechtliche Grundlage für
solche Vorgänge zu schaffen, und wie soll diese ausgestaltet sein?

Wenn nein, warum nicht?
2. Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Ankauf von illegal be-
schaffenen Steuerdaten durch die Finanzverwaltung gesetzlich zu verbieten
sei (vgl. Äußerungen der Abgeordneten Siegfried Kauder, CDU/CSU-Frak-
tion, und Christian Ahrendt, FDP-Fraktion, in der Neuen Osnabrücker
Zeitung vom 4. März 2010), und wie begründet die Bundesregierung ihre
Auffassung?

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3. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, dass im Falle eines Ab-
bruchs bzw. einer Verzögerung eines Abkommens zum Informationsaus-
tausch in Steuersachen – seitens eines Landes, welches dem derzeitigen
OECD-Standard gegenüber Deutschland nicht erfüllt – das Steuerhinterzie-
hungsbekämpfungsgesetz auf das betreffende Land anzuwenden wäre, und
wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit einer strafbefreienden
Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 der Abgabenordnung – AO)
im Allgemeinen und vor dem Hintergrund der aktuell gekauften und zum
Kauf anstehenden Steuerdaten, und welche Änderungen plant die Bundes-
regierung auf diesem Gebiet?

5. Wie bewertet die Bundesregierung, dass es bei der Aufdeckung von Steuer-
hinterziehung neben dem eventuellen Strafverfahren mitsamt von Geldauf-
lagen, Geldstrafen, Abschöpfung und Verfall, im Besteuerungsverfahren
nur zur verzinsten Rückzahlung der hinterzogenen Steuer kommt, und
erwägt sie, nach dem Vorbild anderer Staaten (z. B. USA, Frankreich und
einige mittel- und osteuropäische Länder) einen prozentualen Aufschlag auf
die hinterzogenen Steuern einzuführen?

6. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung (vgl. Äußerungen des
finanzpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Leo
Dautzenberg in der Frankfurter Rundschau am 23. Februar 2010), dass es
unverhältnismäßig ist, dass der Säumniszuschlag für nicht abgegebene
Steuererklärungen (§ 240 AO) mit 1 Prozent pro Monat höher ausfällt als
die Verzinsung von hinterzogenen Steuern (0,5 Prozent pro Monat, §§ 235
und 238 AO), und welche gesetzlichen Änderungen zieht sie in Betracht?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der
Pläne einer erhöhten Verzinsung von hinterzogenen Steuern (siehe Bundes-
tagsdrucksachen 16/11389 und 16/12826) vorzulegen, und bis wann will die
Bundesregierung tätig werden?

8. Welche Verhandlungen zu neuen und zu überarbeitenden Doppelbesteue-
rungsabkommen, Abkommen zu einem Informationsaustausch in Steuer-
sachen, Rechts- und Amtshilfeabkommen werden derzeit geführt oder vor-
bereitet, und bis wann strebt die Bundesregierung einen Abschluss der
Abkommen an?

9. Mit welcher Verhandlungsposition tritt die Bundesregierung in diesen Ver-
handlungen jeweils auf?

10. Inwieweit hält die Bundesregierung einen Informationsaustausch auf
Anfrage für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung für ausreichend bzw.
unter welchen Umständen hält sie einen automatischen Informationsaus-
gleich für die effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung für notwen-
dig?

11. Fordert die Bundesregierung in diesen Verhandlungen einen automatischen
Informationsaustausch, und akzeptiert sie bei Ablehnung dieser Forderung
durch den Vertragspartner auch die Festlegung eines Informationsaustau-
sches auf Anfrage?

12. Wird die Bundesregierung mit diesem Ziel auch bestehende Abkommen
neuverhandeln bzw. zunächst alte Abkommen, in denen kein automatischer
Informationsaustausch vereinbart wurde, aufkündigen, und falls nein,
warum nicht?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung gegenüber der von Schweizer
Seite wiederholt in die Diskussion gebrachten Forderung nach einer Abgel-

tungssteuer als Ersatz für einen automatischen Informationsaustausch?

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14. Wie gedenkt die Bundesregierung mit Staaten und Gebieten zu verfahren,
die trotz des Bekundens von Bereitschaft zu einem Informationsaustausch
nach OECD-Standard, bei den Verhandlungen zu einem solche Abkommen,
dieses hinauszögern oder die Verhandlungen unterbrechen bzw. die nach
Vertragsabschluss ein Abkommen nicht vollständig und zeitnah umsetzen?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung (vgl. u. a. Handelsblatt vom
26. Januar 2010), dass die jüngeren Gerichtsurteile in der Schweiz den Ab-
schluss von Abkommen nach OECD-Standard verbieten bzw. unwirksam
machen, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung im Falle einer
Nichtratifizierung bzw. Verzögerung eines Doppelbesteuerungsabkommens
bzw. Informationsaustauschabkommens durch das Schweizer Parlament
ergreifen, und würde sie in diesem Fall das Steuerhinterziehungsbekämp-
fungsgesetz auf die Schweiz anwenden, und wenn nein, warum nicht?

16. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung die Forderung des Europäischen
Parlaments, den sogenannten OECD-Standard zum Informationsaustausch,
der ein Ersuchen auf Anfrage vorsieht, durch einen globalen multilateralen
automatischen Informationsaustausch zu ersetzen?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die OECD-Listen (schwarze und graue)
der Steueroasen, insbesondere die Eignung der Kriterien „Bereitschaft zu
Kooperation“ und „Abschluss von mindestens 12 Abkommen zum Infor-
mationsaustausch“ für die Charakterisierung als Steueroase?

18. Welche Kriterien sind nach Auffassung der Bundesregierung besser geeig-
net bzw. wären für eine angemessene Beurteilung zusätzlich zu berücksich-
tigen?

19. Zieht die Bundesregierung ein Vorgehen analog zum französischen Vorge-
hen, aufgrund von Unzulänglichkeiten der OECD-Listen eine eigene Liste
der Steueroasen für die Anwendung von unilateralen französischen Maß-
nahmen gegen diese Staaten und Territorien vorzulegen, in Betracht, und in-
wiefern würde die Bundesregierung dabei vom französischen Vorgehen ab-
weichen?

20. Hält sie die französischen Kriterien, Abkommen nach OECD-Standard und
effektive Umsetzung dieses Abkommens, auch für Deutschland für geeig-
net, und plant die Bundesregierung eine entsprechende Überarbeitung des
Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes bzw. der Durchführungsverord-
nung?

21. Wie begründet die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung (vgl. Antwort-
schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der
Finanzen Hartmut Koschyk vom 9. März 2010 auf die Schriftliche Frage 39
des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick auf Bundestagsdrucksache 17/991),
dass europarechtliche und doppelbesteuerungsrechtliche Gründe gegen die
Anwendung einer erhöhten Quellensteuer auf Einkünfte, die von Deutsch-
land in Steueroasen und umgekehrt fließen, sprechen, und gegen welche
Vorschriften wird nach Auffassung der Bundesregierung konkret verstoßen?

22. Wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung (vgl. Antwortschrei-
ben des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finan-
zen Hartmut Koschyk vom 9. März 2010 auf die Schriftliche Frage 38 des
Abgeordneten Dr. Gerhard Schick auf Bundestagsdrucksache 17/991), dass
die Regelungen des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes eine höhere
Abschreckungswirkung haben, als das französische Vorgehen, obwohl in
Frankreich konkrete Veränderungen für die Steuerpflichtigen erfolgen
(18 betroffene Staaten und Gebiete), während in Deutschland derzeit das
Gesetz keinerlei Anwendungsfälle findet?

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23. Wie verhalten sich nach Auffassung der Bundesregierung die Anwendungs-
kriterien des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes zu den OECD-Lis-
ten der Steueroasen (schwarze und graue Liste), insbesondere in welchen
Fällen wäre nach Auffassung der Bundesregierung das Steuerhinterzie-
hungsbekämpfungsgesetz auch dann anzuwenden, wenn Staaten nicht auf
den OECD-Listen geführt werden, und auf welche Staaten und Territorien
trifft dies derzeit zu?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aufhebung der Steuerfreiheit von
Dividendenausschüttungen von Kapitalgesellschaften in Steueroasen an
deutsche Kapitalgesellschaften und umgekehrt, und plant sie ein solches
Vorgehen, wiederum analog zum Vorgehen Frankreichs, auch in Deutsch-
land, und wenn nein, warum nicht?

25. Welche anderen Maßnahmen, die über die jetzige Rechtslage und Verwal-
tungspraxis in Deutschland hinausgehen, hält die Bundesregierung in die-
sem Zusammenhang für geeignet, und welche rechtlichen Veränderungen
auf diesem Gebiet plant die Bundesregierung?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund der aktuellen
italienischen Erfahrungen sowie der Vereinbarungen zwischen Liechten-
stein und Großbritannien, Maßnahmen, die einen partiellen Erlass von
Steuerschulden bei freiwilliger Aufdeckung von Schwarzgeld beinhalten
(Steueramnestie)?

27. Hält die Bundesregierung das Vorgehen Italiens, die Grenzkontrollen zur
Schweiz zu intensivieren und dafür Kameras einzusetzen (vgl. u. a. Neue
Züricher Zeitung vom 5. März 2010) auch für Deutschland für geeignet, und
wenn nein, warum nicht?

28. Welche unilateralen und multilateralen weiteren Maßnahmen gegen nicht
kooperative Staaten und Territorien befürwortet die Bundesregierung, und
welche dieser Maßnahmen plant sie zu ergreifen bzw. auf europäischer
Ebene vorzuschlagen?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung einer Kontrollmittei-
lungspflicht der Banken für Überweisungen in Steueroasen bzw. nichtko-
operative Staaten, jeweils als unilaterale und als gemeinsame europäische
Maßnahme, und plant sie diesbezüglich tätig zu werden?

30. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich eines Verbots
von Devisentransfers in nichtkooperative Staaten und Territorien, jeweils
als unilaterale und als gemeinsame europäische Maßnahme, und plant sie
ein solches Vorgehen?

31. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfahrungen mit der EU-Zins-
steuerrichtlinie, und welchen Änderungsbedarf sieht sie?

32. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Erfahrungen mit der Son-
derregelung einer Quellensteuer für Belgien, Luxemburg und Österreich,
und welche Änderungen an der Richtlinie bzw. der Umsetzung der Richt-
linie hält sie für geboten?

33. Wie bewertet die Bundesregierung, dass Gebiete, die zu Zinsrichtlinien-
Ländern gehören noch immer nicht vollständig in die Zinsrichtlinie einge-
bunden sind, und welche Maßnahmen gedenkt sie zu ergreifen, um dies zu
ändern?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass Zinseinkünfte von
Ausländern bei deutschen Banken im Rahmen des automatischen Informa-
tionsaustausches der Zinsrichtlinie an deren Heimatländer gemeldet wer-

den, gleichzeitig aber die Zinseinkünfte von deutschen Steuerpflichtigen

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nicht automatisch (mittels Kontrollmitteillungen) an die deutschen Finanz-
ämter gemeldet werden, und plant die Bundesregierung diese unterschied-
liche Behandlung beizubehalten?

35. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den § 30a der
Abgabenordnung (steuerliches Bankgeheimnis) und dessen Konsequenzen
für die Ermittlungsbefugnisse einerseits sowie die tatsächliche Ermittlung
von Zinseinkünften in Deutschland andererseits, und strebt die Bundes-
regierung hier eine gesetzliche Veränderung an, und wenn ja, welche?

36. Welche Erweiterungen der Ermittlungsbefugnisse von Ermittlungs- und
Strafverfolgungsbehörden innerhalb der EU hält die Bundesregierung für
erstrebenswert und notwendig, und welche Initiativen hat sie auf europäi-
scher Ebene bereits ergriffen bzw. plant dies?

37. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung einer gemeinsamen Be-
messungsgrundlage für die Körperschaftsteuer auf europäischer Ebene, und
welche inhaltlichen Forderungen vertritt sie bei der Ausgestaltung und dem
Aufteilungsmaßstab für eine solche Bemessungsgrundlage?

38. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung nach Mindeststeuersätzen
der Unternehmenssteuern auf europäischer Ebene, und welche Höhe sollte
ein Mindeststeuersatz nach Auffassung der Bundesregierung haben?

39. Wie beurteilt die Bundesregierung die Effektivität und Effizienz von so-
genannten Thin-capitalization-Regelungen (z. B. in der deutschen Zins-
schranke) als Instrument gegen die Verlagerung von Steuersubstrat, und
welche Veränderungen plant die Bundesregierung auf diesem Gebiet bzw.
welche anderen Instrumente plant oder erwägt die Bundesregierung einzu-
setzen?

40. Wie beurteilt die Bundesregierung Hinzurechnungen von Fremdkapital-
erträgen (Fremdkapitalzinsen, Mieten und Pachten, Leasingraten, Lizenz-
gebühren etc.) als Instrument gegen die Verlagerung von Steuersubstrat,
welche Grenzen und Probleme sieht die Bundesregierung, und plant sie
diesbezüglich Veränderungen bei Einkommensteuer, Körperschaftsteuer
und/oder Gewerbesteuer?

Berlin, den 18. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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