BT-Drucksache 17/10778

Reichtum umFAIRteilen - in Deutschland und Europa

Vom 25. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10778
17. Wahlperiode 25. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Jan van Aken, Christine Buchholz, Roland Claus, Sevim Dag˘delen, Werner
Dreibus, Dr. Dagmar Enkelmann, Nicole Gohlke, Annette Groth, Dr. Gregor Gysi,
Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Barbara Höll, Andrej Hunko, Harald Koch,
Jutta Krellmann, Stefan Liebich, Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch, Ulrich Maurer,
Niema Movassat, Thomas Nord, Richard Pitterle, Paul Schäfer (Köln),
Michael Schlecht, Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Sahra Wagenknecht,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Reichtum umFAIRteilen – in Deutschland und Europa

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales dokumentiert aktuell eine sozial und ökonomisch
ruinöse Entwicklung: Die soziale Polarisierung in Deutschland nimmt rapide
zu. In dem Zeitraum von 1992 bis Anfang 2012 verdoppelte sich das Netto-
vermögen der privaten Haushalte. Nutznießer dieser Entwicklung ist aber
lediglich eine kleine Gruppe von Vermögenden, deren Anteil am Privatver-
mögen deutlich wächst. Die obersten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen
nach diesen Angaben über die Hälfte des Vermögens. Die untere Hälfte der
Vollzeitbeschäftigten hat in den zehn Jahren nach 2000 deutliche Reallohn-
verluste erleiden müssen, die untersten 10 Prozent in einer Größenordnung
von annähernd 9 Prozent. Die Mehrheit der Bevölkerung verliert daher den
Anschluss: Die untere Hälfte der Bevölkerung besitzt lediglich noch 1 Pro-
zent des Privatvermögens (Lebenslagen in Deutschland. Entwurf des Vierten
Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung).

2. Der hoch konzentrierte Reichtum einer kleinen Finanz- und Wirtschaftselite
ist zu einer Gefahr für Wirtschaft und Demokratie geworden. Je ungleicher
die Einkommens- und Vermögensverteilung, desto mehr Kapital fließt in Er-
wartung hoher Renditen auf die Finanzmärkte und trägt dort zur Entwicklung
spekulativer Blasen bei, die – wie 2007 die Immobilienblase in den USA –
irgendwann platzen müssen. Das ist eine zentrale Ursache der gegenwärtigen
Krise. Da extremer Reichtum mit politischer Macht verbunden ist, werden

die Kosten der Fehlspekulation anschließend auf die Allgemeinheit ab-
gewälzt. Um die Profitansprüche zu sichern, wurden und werden Rettungs-
pakete für die Banken geschnürt, was die Staatsverschuldung erhöht. Über
Sozialabbau und Lohnkürzungen soll die Verschuldung dann wieder ab-
gebaut werden. Zu dieser Verschärfung der wirtschaftlichen, sozialen und
demokratischen Krise in Europa gibt es nur eine Alternative: Der Reichtum
der Finanz- und Wirtschaftselite muss nach unten umverteilt werden.

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3. In Deutschland findet diese Erkenntnis immer größere gesellschaftliche Zu-
stimmung: Eine Vielzahl außerparlamentarischer Gruppen, darunter Attac,
Gewerkschaften, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtver-
band e. V. und 20 weitere Verbände, setzen sich gemeinsam im Bündnis
„umFAIRteilen“ für die Einführung einer Vermögensabgabe zur gerechten
Beteiligung großer Vermögen an der Finanzierung der Krisenlasten ein.
Diese Forderung wird laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
forsa (April 2012) von rund 77 Prozent der Deutschen unterstützt. Ein im
Auftrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Hans-Böckler-
Stiftung erstelltes Gutachten des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Joachim
Wieland (Universität Speyer, August 2012) belegt vor dem Hintergrund der
hohen Krisenkosten und des öffentlichen Finanzbedarfs zur Überwindung
der Krise die Verfassungskonformität einer einmaligen Vermögensabgabe
sowie einer dauerhaft angelegten Vermögenssteuer.

4. Die sich verschärfende Polarisierung in der Wohlstandsverteilung ist der
logische Ausdruck eines Wirtschaftssystems, in dem die Interessen einer
gesellschaftlichen Minderheit aus Finanz- und Wirtschaftseliten dominieren.
Jenen, die viel haben, werden zahlreiche Möglichkeiten eröffnet, ihre Vermö-
gen rasant weiter zu vermehren und sich der Finanzierung des Gemeinwohls
zu entziehen. Jene, die wenig haben, zahlen, beispielsweise durch die Priva-
tisierung öffentlichen Eigentums und den Rückbau sozialer Sicherungssys-
teme. Dieses System polarisiert die Wohlstandsverteilung: An der Spitze
konzentrieren sich gigantische Vermögenswerte. Diese Entwicklung wurde
und wird durch politische Entscheidungen und Weichenstellen – wie die
Agenda 2010 und die „Hartz-Reformen“ in Deutschland – forciert. In
Deutschland verfügt das reichste Prozent der Bevölkerung heute über
ca. 35 Prozent des Gesamtvermögens, die reichsten 10 Prozent verfügen über
ca. zwei Drittel. Europaweit ist die Lage ähnlich: Die 3,1 Millionen Dollar-
Millionäre verfügen laut dem World Wealth Report von Capgemini/Merrill
Lynch über 10,2 Bio. US-Dollar Netto-Vermögen. Diesem wachsenden
Reichtum an der Spitze steht eine stetig steigende Armutsquote gegenüber:
In der EU sind heute mehr als 16 Prozent der Menschen von Armut betroffen.

5. Die aktuellen Finanzprobleme in der Eurozone sind aber nicht nur Ausdruck
der globalen Krisendynamik seit 2007. Hinzu kommt, dass die Eurozone über
keine Ausgleichmechanismen für interne Ungleichgewichte verfügt. In einer
derart gestalteten Währungsunion führen Unterschiede in der Wettbewerbs-
fähigkeit systematisch zu immer größeren Ungleichgewichten. So stieg der
Handelsüberschuss von Deutschland, dem exportstärksten Land in der EU,
von 2002 bis 2007 um 77,2 Prozent, während etwa das Defizit Griechenlands
im selben Zeitraum um 41,4 Prozent wuchs. Für die wachsenden Ungleich-
gewichte in Europa ist deshalb auch die Wirtschaftspolitik Deutschlands ver-
antwortlich. Primär, weil die Löhne in Deutschland nicht hinreichend mit der
Produktivität gestiegen sind: Während die deutschen Reallöhne vor allem
infolge der Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010, die zur Zunahme pre-
kärer Beschäftigung und der Ausweitung des Niedriglohnsektors und der
Leiharbeit führten, von 2000 bis 2010 um fast 5 Prozent sanken, sind sie im
Schnitt der Eurozone um 6 Prozent gestiegen.

6. Die Fehlkonstruktion der Europäischen Zentralbank (EZB) und die völlig
unzureichende Finanzmarktregulierung in Europa haben ihrerseits zur dra-
matischen Zuspitzung der Eurokrise beigetragen. Da die Euroländer ihre
Staatsanleihen auf dem privaten Kapitalmarkt refinanzieren müssen und
institutionelle Anleger sich mehr und mehr aus dem Geschäft mit Staatsan-
leihen der südeuropäischen „Krisenstaaten“ zurückziehen, haben sich deren
Finanzierungsbedingungen stetig verschlechtert. Immer größere Anteile der

öffentlichen Einnahmen müssen für Zinszahlungen verwendet werden.

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Allein diese Entwicklung treibt immer mehr Länder unter den europäischen
„Rettungsschirm“.

7. Die Krise soll nun durch eine Umverteilung der Lasten nach unten überwun-
den werden, indem etwa private Schulden durch Bankenrettungsaktionen so-
zialisiert werden. Die dadurch gestiegene öffentliche Verschuldung – allein
in Deutschland beziffert sich der Schuldenanstieg durch Bankenrettungsmaß-
nahmen auf rund 400 Mrd. Euro – soll durch Ausgabenkürzungen gegen-
finanziert werden. Diese Politik verschärft die Krise nur weiter. Besonders
drastisch zeigt sich das in jenen Ländern, die ohnehin kaum wettbewerbs-
fähig sind, da dort unter den Bedingungen des europäischen Binnenmarktes
und der Währungsunion über Jahrzehnte eine flächendeckende Deindustria-
lisierung stattfand. Durch Lohn- und Ausgabenkürzungen sinken dann zwar
die Importe, aber die Volkswirtschaften werden insgesamt in eine Rezession
geführt. Dadurch sinken die Steuereinnahmen und die Schulden steigen wei-
ter an.

8. Die bisherige Krisenpolitik verwechselt Ursache und Wirkung. Mit dem Fis-
kalpakt und dem Economic-Governance-Paket werden neue Vorschriften zur
zulässigen Verschuldung und Neuverschuldung sowie schärfere Sanktionen
im Falle des Verstoßes dagegen festgelegt. Nun sind die hohen Staatsschul-
den aber nicht Folge staatlicher Verschwendung, sondern Folge der Rezes-
sion, kostspieliger Bankenrettungsaktionen und einer fehlerhaften Konstruk-
tion der Währungsunion. Diese Probleme werden durch noch so strenge
Schuldenregeln und schärfere Sanktionen nie gelöst. Im Gegenteil: Finan-
zielle Sanktionen und Kürzungsmaßnahmen vertiefen die alten Probleme und
schaffen neue. So ist etwa die Verschuldung Griechenlands seit 2010 trotz der
diktierten massiven Ausgabenkürzungen – und trotz des Teilschuldenschnitts
im Frühjahr 2012 – von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (2010)
auf aktuell über 150 Prozent angestiegen.

9. Überdies gibt es ein strukturelles Problem der öffentlichen Haushalte in der
EU, das auf der Einnahmeseite liegt. Das marktradikale, negative Integra-
tionsmodell der EU hat die Steuerpolitik zu einem wesentlichen Faktor der
Standortkonkurrenz gemacht. Mit der Einführung der Gemeinschaftswäh-
rung ohne Maßnahmen zur Verhinderung von Steuer- und Lohndumping hat
sich dieses Strukturproblem nochmal verschärft. Private Vermögen, Kapital-
erträge und Unternehmensgewinne wurden stetig entlastet. Der durchschnitt-
liche nominelle Unternehmensteuersatz in der EU wurde zwischen 2000 und
2011 um 9,1 Prozentpunkte auf 23,3 Prozent abgesenkt. In Deutschland sank
dieser Satz sogar um 21,8 Prozentpunkte auf nominell 29,8 Prozent. Bei Be-
rücksichtigung aller Abschreibungs- und Absetzungsmöglichkeiten liegt der
effektive deutsche Unternehmensteuersatz nach Angaben der EU-Kommis-
sion lediglich bei rund 22 Prozent. Der Spitzensatz der Einkommensteuer ist
in der EU zwischen 2000 und 2011 im EU-Durchschnitt um 7,3 Prozent-
punkte und in Deutschland um 6,3 Prozentpunkte – von 51 Prozent (2000)
auf 45 Prozent (2011) gesunken. Auch die vermögensbezogenen Steuern sind
immer weiter gesenkt worden. Heute beträgt ihr Aufkommen als Anteil am
BIP in der EU nur noch 2,1 Prozent, in Deutschland sogar nur 0,9 Prozent.
Die steuerreformbedingten Ausfälle der Staatseinnahmen belaufen sich allein
in Deutschland für die Jahre 2001 bis 2011 auf rund 380 Mrd. Euro. Zieht
man die Einnahmeausfälle hinzu, die der öffentlichen Hand durch die Aus-
setzung der Vermögensteuer 1997 bis 2001 entstanden, so erhöht sich diese
Summe um fast 100 Mrd. Euro.

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10. Durch eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe ist eine signifikante
Verringerung der öffentlichen Schulden möglich. Eine Konsolidierung
allein über die Ausgabenseite kann nicht funktionieren. Aus diesem Grund
empfiehlt auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates in ihrer
jüngsten Resolution zur Austeritätspolitik vom 26. Juni 2012 den Mitglied-
staaten „eine grundlegende Neuorientierung der gegenwärtigen Austeritäts-
programme, die ihre quasi-ausschließliche Fokussierung auf Ausgabenkür-
zungen im sozialen Bereich wie bei Renten, Gesundheitsdiensten und
Familienleistungen beendet“ sowie „Maßnahmen zur Steigerung der öffent-
lichen Einnahmen durch stärkere Besteuerung der höheren Einkommens-
gruppen und der Vermögen, durch Verbreiterung der Steuerbemessungs-
grundlage und Verbesserung des Steuereinzugs, der Effizienz der
Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung.“ Auch der Entwurf des
Armuts- und Reichtumsberichts weist darauf hin, dass „im Zuge der not-
wendigen Rettungsmaßnahmen anlässlich der Finanz- und Wirtschaftskrise
[…] eine Verschiebung privater Forderungen und Verbindlichkeiten in
staatlichen Bilanzen feststellbar [ist]. In der Folge ist der Schuldenstand der
staatlichen Haushalte im Jahr 2010 auf rund 83 Prozent des Bruttoinland-
produkts gestiegen. Ohne Krise hätte er bei rund 70 Prozent gelegen.“ Der
Bericht fordert daher zu prüfen „welche Rolle das Vermögen finanzpoli-
tisch für die Finanzierung der Staatsaufgaben spielen kann“ (Lebenslagen
in Deutschland, S: XXXVIII f).

11. Öffentliche Schulden und privater Reichtum hängen untrennbar zusammen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW Berlin) zeigte
2010, wie in Deutschland Vermögenswerte in den vergangenen beiden
Dekaden umverteilt wurden. Während das öffentliche Netto-Vermögen von
1991 bis 2010 von 52 Prozent auf 6 Prozent des BIP geschrumpft ist, ist das
private Netto-Vermögen um 99 Prozent auf 307 Prozent des BIP gestiegen.
Dieses Privatvermögen ist zudem hoch konzentriert. In anderen europä-
ischen Ländern sind Entwicklung und Zustand ähnlich. Eine weitreichende
Rückverteilung der existierenden Privatvermögen von der Spitze in den
öffentlichen Bereich hat folglich das Potenzial, das Schuldenproblem zu
lösen. Das DIW errechnete, dass eine Abgabe in Deutschland für Vermögen
ab 1 Mio. Euro und einem zusätzlichen Freibetrag von 250 000 Euro je
Kind eine Bemessungsgrundlage von 1,9 Bio. Euro ergäbe. Mit einer
Vermögensabgabe von 30 Prozent, von der nach diesem Modell lediglich
0,6 Prozent der steuerpflichtigen Bevölkerung betroffen wären, könnten die
deutschen Staatsschulden um ein Viertel bzw. 560 Mrd. Euro auf 60 Prozent
des BIP gesenkt werden.

12. Das Schuldenproblem über eine weitreichende Vermögensabgabe zu lösen,
ist gerecht und ökonomisch vernünftig. Gerecht, weil vor allem jene belas-
tet werden, bei denen sich der gesellschaftliche Reichtum konzentriert, und
die am stärksten von der krisenverschärfenden Deregulierung der Finanz-
märkte profitiert haben. Ökonomisch vernünftig ist der Ansatz, da er untere
und mittlere Einkommensgruppen ohne große Vermögen schont, deren
Konsumneigung am höchsten ist. Während die derzeitige Kürzungspolitik
unausweichlich in die Rezession führt, sind die Auswirkungen einer Ver-
mögensabgabe auf die wirtschaftliche Entwicklung überschaubar. Ökono-
misch vernünftig ist das Konzept zudem, weil es den Finanzmärkten insbe-
sondere im hochspekulativen Bereich Kapital entzieht, da die Vermögenden
einen immer größeren Teil ihrer Vermögen auf diesen Feldern anlegen.

13. Hoch verschuldete Staaten sollten neben der Vermögensabgabe auch den
Schuldenschnitt einsetzen, um die öffentliche Verschuldung auf ein nach-
haltiges Niveau zu senken. Zum einen ist so gewährleistet, dass eine trag-

fähige Staatsverschuldung auch bei einer fortgeschrittenen Kapitalflucht
und sehr hohen Staatsschulden (wie z. B. in Griechenland) erreicht werden

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10778

kann. Zum anderen kann so sichergestellt werden, dass die Profiteure der
Krise in Gestalt der Banken und anderer Gläubiger nicht ungeschoren
davonkommen. Natürlich muss jeder Schuldenschnitt so durchgeführt wer-
den, dass die Anlagen von Kleinsparern geschützt werden und nur die für
die Realwirtschaft überflüssigen Bereiche des Finanzsektors „geschrumpft“
werden. Zudem müssen die Banken, Versicherungen und Fonds die Gelder
zurückzahlen, die ihnen während der Krise von den Steuerzahlern und
Steuerzahlerinnen zur Stützung der Branche bereitgestellt wurden.

14. Eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe kann indes nur der erste
Schritt sein, um die Lasten der Krise gerecht und ökonomisch sinnvoll um-
zuverteilen. Darüber hinaus braucht es permanente Umverteilungsmecha-
nismen, um der Vermögenskonzentration künftig entgegenzuwirken. Daher
muss die Steuerpolitik nicht nur aus sozial- und wirtschaftspolitischen
Gründen in Europa stärker koordiniert werden. Ziel muss es sein, die Ge-
winne und Vermögen stärker als bisher an der Finanzierung öffentlicher
Aufgaben zu beteiligen. Die Vermögensabgabe soll deshalb um eine jähr-
lich erhobene Vermögensteuer zur Herstellung von Steuergerechtigkeit und
nachhaltiger Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums ergänzt wer-
den. Zudem soll es EU-weit koordinierte Mindeststeuersätze für Unter-
nehmensgewinne, eine stärkere Besteuerung von Spitzeneinkommen und
Kapitalerträgen und ein wirksames, gemeinsames Vorgehen der EU und
ihrer Mitgliedstaaten gegen Steuerflucht und -hinterziehung geben.

15. Um die Macht der Finanzakteure zu verringern, ist zudem eine effektive Re-
gulierung des Finanzsektors erforderlich. Die in den vergangenen Jahren
auf europäischer Ebene ergriffenen Maßnahmen zur Finanzmarktregulie-
rung haben sich als unzureichend erwiesen. Finanztransaktionen sind zu
besteuern und gesamtwirtschaftlich schädliche Spekulationsinstrumente
wie Leerverkäufe und ungedeckte Kreditausfallversicherungen (CDS) sind
genauso zu verbieten wie der unkontrollierte außerbörsliche Handel mit
Wertpapieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) sich auf der EU-Ebene zur Deckung des Finanzbedarfs der Staaten bei der
Bewältigung der Krisenfolgen für die Einführung einer europaweit koordi-
nierten Vermögensabgabe einzusetzen;

diese Abgabe soll sich auf die privaten Nettovermögen konzentrieren, die zu
einem festzulegenden Stichtag in der Vergangenheit größer als 1 Mio. Euro
waren und sich innerhalb der EU oder im Eigentum von in der EU unbe-
schränkt steuerpflichtigen Personen befinden. Die Abgabe soll sich sowohl
auf Geld- als auch Sachvermögen beziehen, wobei eine Zahlungsstaffelung
über mehrere Jahre vorzusehen ist. Für Betriebsvermögen sollen spezielle
Schonungsregelungen eingeführt werden, die sicherstellen, dass insbeson-
dere kleinere und mittlere Unternehmen nicht in Liquiditätsschwierigkeiten
kommen. Um auch Banken und Gläubiger zu beteiligen, soll die Abgabe im
Fall hoch verschuldeter Staaten um einen Schuldenschnitt ergänzt werden;

b) sich darüber hinaus auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass

1. die Austeritätspolitik von Europäischer Kommission, Europäischer Zen-
tralbank und Internationalem Währungsfonds beendet wird, und die Kür-
zungsmaßnahmen, die an Kredite der Europäischen Finanzstabilisierungs-
fazilität gekoppelt wurden, rückgängig gemacht werden;

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2. durch eine Koordination der Steuerpolitik Vermögen, Gewinne und hohe
Einkommen stärker an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben betei-
ligt werden. Das bedeutet beispielsweise die Einführung EU-weit koordi-
nierter Mindeststeuersätze für Unternehmen, eine koordinierte Vermögen-
steuer, eine koordinierte, stärkere Besteuerung von Spitzeneinkommen
und Kapitalerträgen sowie ein gemeinsames, entschiedenes Vorgehen ge-
gen Steuerflucht und -hinterziehung;

3. die Finanzmärkte streng reguliert und die Expansion des Finanzsektors
rückgängig gemacht werden. Das bedeutet beispielsweise die Vergesell-
schaftung privater Großbanken sowie ein Verbot von Leerverkäufen,
ungedeckten Kreditausfallversicherungen und außerbörslichem Wert-
papierhandel;

c) dem Deutschen Bundestag Gesetzentwürfe vorzulegen, um

1. eine Vermögensabgabe nach Artikel 106 Absatz 1 Nummer 5 des Grund-
gesetzes in Deutschland nach dem Vorbild des Lastenausgleichsgesetzes
von 1952 einzuführen und den Mittelfluss so zu organisieren, dass eine
Umverteilung von privatem zu öffentlichem Vermögen stattfindet;

2. die Vermögensteuer als Millionärsteuer von 5 Prozent auf das Vermögen
über 1 Mio. Euro wieder zu erheben sowie die Abgeltungsteuer abzu-
schaffen und private Kapitaleinkünfte wieder in die reguläre Einkom-
mensbesteuerung einzubeziehen;

3. den privaten Bankensektor zu vergesellschaften und mit unilateralen Maß-
nahmen auf dem Feld der Finanzmarktregulierung voranzugehen, bei-
spielsweise durch ein Verbot von Leerverkäufen und ungedeckten Kredit-
ausfallversicherungen.

Berlin, den 25. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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