BT-Drucksache 17/10364

Finanzierung und Umfang des Forschungsprojekts zur NS-Vergangenheit im Bundesministerium der Justiz

Vom 20. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10364
17. Wahlperiode 20. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg),
Ingrid Hönlinger, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Memet Kilic,
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Finanzierung und Umfang des Forschungsprojekts zur NS-Vergangenheit
im Bundesministerium der Justiz

Die Bundesrepublik Deutschland begreift sich als Gemeinwesen, das aus der
menschenverachtenden und -vernichtenden Politik des Nationalsozialismus
(NS) gelernt hat und bis heute Konsequenzen aus der Vergangenheit zieht. Um
diesem Selbstverständnis gerecht zu werden, ist es notwendig, das Wissen über
die Zeit des Nationalsozialismus beständig zu erweitern. Personelle und institu-
tionelle Kontinuitäten und Brüche in den deutschen Ministerien der Nachkriegs-
zeit wurden bislang lediglich punktuell, nicht jedoch umfassend und systema-
tisch erforscht. Dieses Versäumnis zu beheben, gebietet der verantwortungsvolle
und reflektierte Umgang mit der deutschen Vergangenheit.

Mit Antrag vom 29. Juni 2011 (Bundestagsdrucksache 17/6318) hat die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits gefordert, personelle und institutionelle
Kontinuitäten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden der frühen
Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgängerinstitutionen systematisch zu untersu-
chen und hierzu ein Gesamtkonzept vorzulegen.

Mit Antrag vom 25. Juni 2012 (Bundestagsdrucksache 17/10068) hat die Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter anderem die Einrichtung eines Koor-
dinierungsgremiums bei der Bundesregierung gefordert, das die Erinnerungs-
und Weiterbildungsarbeit im Zusammenhang mit der NS-Geschichte von Bun-
desministerien und -behörden koordinieren soll.

Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat am
11. Januar 2012 die „Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bun-
desministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ eingesetzt.
Sie hat Prof. Manfred Görtemaker (Universität Potsdam) und Prof. Christoph
Safferling (Universität Marburg) mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im
Bundesministerium der Justiz (BMJ) beauftragt. Sie soll nach Darstellung auf
der Internetseite des BMJ (Stand: 11. Januar 2012) schwerpunktmäßig unter-

suchen, wie weit der Einfluss personeller NS-Kontinuität des BMJ in den 50er-
und 60er-Jahren ging. Als Fragestellungen werden hierbei benannt, welche Kri-
terien bei Einstellungen und Beförderungen eine Rolle spielten, wie es sich mit
Amnestieentscheidungen verhielt, inwieweit ideologisches Gedankengut bei der
Reform des Strafrechts und der Ausgestaltung des politischen Strafrechts fort-
wirkte. Beispielhaft werden die Namen Franz Maßfeller, Dr. Eduard Dreher,
Ernst Kanter, Josef Schafheutle, Walter Roemer und Heinrich Ebersberg hervor-

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gehoben. Angesprochen wird die Rolle des damaligen Ministerialdirigenten
Dr. Eduard Dreher im Rahmen einer zur „kalten Verjährung“ gravierender NS-
Taten führenden versteckten Regelung im Jahr 1969, die unter anderem jüngst in
dem Roman „Der Fall Collini“ von Ferdinand von Schirach thematisiert wird.
Mit dem Fall Franz Maßfeller, Mitkommentator des sogenannten Blutschutzge-
setzes in der NS-Zeit und als Vertreter des Reichsjustizministeriums Teilnehmer
an der „Wannseekonferenz“, der bis 1960 als Ministerialrat und Abteilungsleiter
für das Familienrecht zuständig war – einem Rechtsgebiet, in dem die Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern trotz Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes
lange Zeit blockiert wurde – wird auch die Relevanz in Rechtssetzungsgebieten
jenseits des Strafrechts angesprochen. Daneben wird darauf hingewiesen, dass
beim Bundesgerichtshof, der zum Geschäftsbereich des BMJ gehört, die Zahl
der Richterinnen und Richter, die vor 1945 in der NS-Justiz tätig waren, bis 1962
auf 77 Prozent stieg.

In ihrer Rede beim rechtspolitischen Neujahrsempfang am 8. Februar 2012 be-
zog die Bundesministerin der Justiz auch den Hinweis ein, dass Mitarbeiter des
Bundesministeriums in dem zu untersuchenden Zeitraum die Wiedereinführung
einer Wehrgesetzgebung geplant hatten.

Nach der Unterrichtung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages,
Ausschussdrucksache 17(6)187, erbrachte das vom BMJ im Rahmen des For-
schungsprojektes ausgerichtete Auftaktsymposion „Die Rosenburg – das Bun-
desministerium der Justiz und sein Umgang mit der NS-Vergangenheit“, das am
26. April 2012 im Plenarsaal des Kammergerichts in Berlin stattfand, laut dem zu-
sammenfassenden Bericht der Kommission, weitere Gesichtspunkte und Frage-
stellungen, die im Verlauf des Projekts besonders beachtet werden sollten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Gesamtbedarf für die Finanzie-
rung der Forschungsarbeit der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommis-
sion beim BMJ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im BMJ ein?

2. Auf wie viele Jahre sollen sich die Gesamtkosten erstrecken?

3. Ist die Finanzierung des Forschungsprojekts nachhaltig gesichert?

4. Ist eine (partielle) Drittfinanzierung vereinbart worden, und wenn ja, mit
welcher Institution?

5. Wie hoch wird der Anteil der Drittfinanzierung sein?

6. Wie schlüsseln sich die voraussichtlich zu verauslagenden Kosten auf?

7. Wie lautet der genaue Arbeitsauftrag an die Kommission?

8. Ist der Arbeitsauftrag der Kommission auf bestimmte thematische Bereiche
der NS-Vergangenheit des BMJ und auf Auswirkungen in bestimmten
thematischen Bereichen der Gesetzgebung der frühen Bundesrepublik
Deutschland beschränkt, oder kann die Kommission auch weitere, bisher
nicht explizit benannte Bereiche nach Ermessen mit einbeziehen?

9. Ist der Arbeitsauftrag in personeller Hinsicht auf die Erforschung des Ein-
flusses bestimmter, konkret benannter Personen beschränkt, oder umfasst er
alle Personen, die im relevanten Zeitraum in leitender oder sonst für die Ge-
setzgebung einflussreichen Funktionen im BMJ der frühen Bundesrepublik
Deutschland tätig waren?

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10. Erstreckt sich der Auftrag zur Erforschung des Einflusses personeller NS-
Kontinuität im BMJ über die 60er-Jahre hinaus, und wenn nein, warum
nicht?

Kann das Fortbestehen einer Forschungslücke ausgeschlossen werden?

11. Erstreckt sich der Forschungsauftrag auch auf Strukturen und Verhaltens-
weisen ehemaliger NSDAP-Mitglieder im BMJ, um andere Nationalsozia-
listen vor Strafverfolgung zu schützen, etwa im Rahmen der Bearbeitung
oder Nichtbearbeitung von Rechtshilfeersuchen, gegebenenfalls auch in
Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt?

12. Erstreckt sich der Forschungsauftrag auch auf den Einfluss von NS-belas-
teten Mitarbeitern des BMJ auf die rechtliche Diskriminierung und fortdau-
ernde strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen?

13. Ist der Abschlussbericht zur Veröffentlichung bestimmt?

14. Wann ist mit der Veröffentlichung des Tagungsbandes des Auftaktsympo-
sions „Die Rosenburg – das Bundesministerium der Justiz und sein Um-
gang mit der NS-Vergangenheit“, das am 26. April 2012 im Plenarsaal des
Kammergerichts in Berlin stattfand, zu rechnen?

15. Wann ist mit der Veröffentlichung weiterer Zwischenergebnisse zu rech-
nen, und ist hierzu eine Unterrichtung des Rechtsausschusses des Deut-
schen Bundestages vorgesehen?

16. Welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um eine öffent-
liche Debatte der Ergebnisse zu befördern, etwa eine Ausstellung analog
der Ausstellung „Im Namen des Deutschen Volkes – Justiz und National-
sozialismus“ von 1989?

17. Wird die Bundesregierung auch die in der Anhörung zum Antrag der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 17/6318 im
Ausschuss für Medien und Kultur des Deutschen Bundestages am 29. Fe-
bruar 2012 ausgesprochene Empfehlung der Expertinnen und Experten zum
Umgang mit den Forschungsergebnissen aufgreifen und zur „Vertiefung des
demokratischen Ethos der Beamten und Angestellten (…) die Ergebnisse
der Forschung den Mitarbeitern (…) in Form einer obligatorischen Fort-
und einer fakultativen Weiterbildung (…) vermitteln“ (so der Erziehungs-
wissenschaftler Prof. Dr. Micha Brumlik), und bestehen insoweit bereits
Vorstellungen und Konzepte?

18. Welche Maßnahmen zur Erinnerungsarbeit plant die Bundesregierung in
diesem thematischen Zusammenhang?

Berlin, den 20. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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