BT-Drucksache 16/7922

Implikationen der neuen ALG-II-Verordnung

Vom 25. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7922
16. Wahlperiode 25. 01. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Lothar
Bisky, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Katrin Kunert, Kersten Naumann, Elke
Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth und der Fraktion DIE LINKE.

Implikationen der neuen ALG-II-Verordnung

Zum 1. Januar 2008 ist die neue Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung
von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld-II-Sozialgeld (Arbeits-
losengeld-II-Sozialgeldverordnung – ALG-II-V) in Kraft getreten. Entgegen
eines anderslautenden Votums des Petitionsausschusses (Bundestagsdrucksache
16/6618) und des Deutschen Bundestages vom 25. Oktober 2007 (Plenarproto-
koll 16/121 S. 12642) wird darin unter anderem geregelt, dass bereitgestellte
Vollverpflegung jenseits einer Bagatellgrenze pauschal in Höhe von 35 Prozent
der monatlichen Regelleistung auf die Grundsicherung angerechnet wird. Auch
für eine Reihe anderer umstrittener Tatbestände trifft die Verordnung neue An-
rechnungsregelungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass sie sich mit der in
Kraft gesetzten Verordnung über das einstimmige Votum des Petitionsaus-
schusses und den ebenfalls einstimmig erklärten Willen des Deutschen Bun-
destages hinwegsetzt?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Petitionsausschus-
ses, dass eine solche Leistungsabsenkung dem Prinzip der Pauschalisierung
der Regelleistung widerspricht?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Petitionsausschus-
ses und von Fachleuten, dass die Regelung einer teilweisen oder vollständi-
gen Anrechnung von Sachleistungen bei stationärer Unterbringung auf dem
Verordnungswege rechtswidrig ist bzw. materiell ins Leere greift, weil eine
solche Regelung nicht im Wege der Verordnung getroffen werden kann, son-
dern einer gesetzlichen Grundlage bedarf?

4. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der am 12. Dezember 2007 im Aus-
schuss für Arbeit und Soziales geäußerten Einschätzung der Bundesagentur
für Arbeit sowie anderer Experten, dass die neue Anrechnungsregelung mehr

Verwaltungskosten verursacht als sie an Einsparungen zu erbringen vermag?

5. Wie lässt sich aus Sicht der Bundesregierung die 35-prozentige Absenkung
der Regelleistung jenseits der Bagatellgrenze bei Verpflegung im Kranken-
haus vor dem Hintergrund des Umstands rechtfertigen, dass Menschen bei
Krankenhausaufenthalten Mehrkosten (etwa für Telefon, Kleidung, Hygiene-
artikel) entstehen, die nicht durch staatliche Leistungen abgedeckt sind?

Drucksache 16/7922 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. Fällt das Begrüßungsgeld für Neugeborene, das in manchen Kommunen ge-
zahlt wird, unter die neu getroffene Regelung des § 1 Abs. 1 Punkt 1 der
ALG-II-V und wird damit auf die Grundsicherung angerechnet?

7. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Umstand vor dem Hin-
tergrund, dass sie an anderer Stelle für eine Nichtanrechnung des Begrü-
ßungsgeldes für Neugeborene plädiert hat (vgl. Antwort des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Soziales vom 20. Dezember 2007 auf die schriftliche
Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann – Frage 1 auf Bundestags-
drucksache 16/7639)?

8. Welche einmaligen Einnahmen und Einnahmen, die in größeren als monat-
lichen Zeitabständen anfallen und 50 Euro übersteigen, müssen nach
Ansicht der Bundesregierung entsprechend dem § 1 Abs. 1 Punkt 1 der Ver-
ordnung von den Grundsicherungsträgern angerechnet werden (bitte voll-
ständig auflisten)?

9. Welche Zuwendungen Dritter, die einem anderen Zweck als die Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch dienen, soweit sie die Lage des
Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt wären, sind nach
Ansicht der Bundesregierung entsprechend dem § 1 Abs. 1 Punkt 2 der Ver-
ordnung von den Grundsicherungsträgern anzurechnen (bitte vollständig
auflisten)?

10. Welche Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege, die dem gleichen Zweck
wie die Leistungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch dienen, soweit sie
die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leis-
tungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch nicht gerechtfertigt
wären, müssen nach Ansicht der Bundesregierung entsprechend dem § 1
Abs. 1 Punkt 3 der Verordnung von den Grundsicherungsträgern angerech-
net werden (bitte vollständig auflisten)?

11. Wo bestehen nach Ansicht der Bundesregierung auf Seiten der Grundsiche-
rungsträger Ermessensspielräume bei der Anrechnung solcher Leistungen
bzw. Zuwendungen, wie sie in den Fragen 8, 9 und 10 aufgelistet wurden
(bitte konkret für jede Leistung ausführen)?

12. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die bisherige Häufig-
keit und Art der Nutzung von Ermessensspielräumen durch die Grundsiche-
rungsträger bezüglich der in den Antworten auf die Fragen 8, 9 und 10 auf-
gelisteten Zuwendungen und Leistungen?

13. Wie bewertet die Bundesregierung das Bestehen solcher Ermessensspiel-
räume vor dem Hintergrund des Gebots der Herstellung einheitlicher Le-
bensverhältnisse und der Gewährung einheitlicher Leistungen?

Berlin, den 23. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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