BT-Drucksache 16/7317

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/6000, 16/6002, 16/6411, 16/6423 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) hier: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Vom 27. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7317
16. Wahlperiode 27. 11. 2007

Änderungsantrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina Bunge,
Roland Claus, Diana Golze, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katrin Kunert, Michael
Leutert, Dorothee Menzner, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/6000, 16/6002, 16/6411, 16/6423 –

Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans
für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008)

hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Bundestag wolle beschließen,

1. die Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II ab
dem 1. Januar 2008 auf 435 Euro zu erhöhen und dazu im Kapitel 11 12 Titel-
gruppe 01 den Titel 681 12 – Arbeitslosengeld II – um 7 Mrd. Euro zu
erhöhen;

2. die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung
auf dem Stand von 2007 zu belassen und dazu im Kapitel 11 12 Titel-
gruppe 01 den Titel 632 11 um 400 Mio. Euro zu erhöhen;

3. unabhängige Sozialberatungsstellen finanziell zu unterstützen. Hierzu ist in
Kapitel 11 02 bei Zuweisungen und Zuschüssen ein zusätzlicher Titel aufzu-
nehmen und mit 44 Mio. Euro auszustatten;

4. die Titel 681 12 (Arbeitslosengeld II) und 632 11 (Beteiligung des Bundes an
den Leistungen für Unterkunft und Heizung) für einseitig deckungsfähig mit
dem Titel 685 11 (Leistungen zur Eingliederung in Arbeit) zu erklären;

5. den Titel 216 02 (Eingliederungsbeitrag der Bundesagentur für Arbeit) er-

satzlos zu streichen und auf Einnahmen über einen Eingliederungsbeitrag der
Bundesagentur für Arbeit zu verzichten.

Berlin, den 27. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/7317 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Zu Nummer 1

Die Regelleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sind ebenso wie die des SGB XII zu niedrig an-
gesetzt, um das soziokulturelle Existenzminimum und die gesellschaftliche Teil-
habe zu gewährleisten. Wie der Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner Exper-
tise „Zum Leben zu wenig … Für eine offene Diskussion um das Existenz-
minimum beim Arbeitslosengeld II und in der Sozialhilfe“ nachgewiesen hat,
sind die Ansprüche von Beziehenden von Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II und SGB XII bei der Neubestimmung der Regelsätze im Jahr 2004
gezielt klein gerechnet worden und decken selbst nach der Logik des Statistik-
modells das soziokulturelle Existenzminimum nicht ausreichend ab. Betrachtet
man einzelne statistische Posten, so wird deutlich, dass eine ausgewogene und
gesundheitsbewusste Ernährung nicht möglich ist, die Mittel für die Mobilität
nicht ausreichen, die Anteile für Arzneien und Medikamente ebenso wenig wie
für die Finanzierung von Verhütungsmittel zur Gewährleistung von selbstbe-
stimmter und risikoloser Sexualität hinreichend sind. Die spezifischen Bedarfe
von Kindern werden überhaupt nicht sachgerecht abgebildet, sondern schlicht
als Anteil des Erwachsenenbedarfs kalkuliert. Die ermittelten Sätze für Kinder
decken daher auch nicht die spezifischen Bedarfe wie beispielsweise für Lern-
und Schulmittel oder Fahrkosten zur Schule.

Nach den Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtverbandes liegen die Re-
gelsätze insgesamt um 19 Prozent zu niedrig und müssten mindestens auf
415 Euro erhöht werden. Berücksichtigt man zusätzliche jüngere Preiserhöhun-
gen, wäre eine Anhebung auf mittlerweile etwa 435 Euro geboten. Diese Erhö-
hung muss als erster Schritt auf dem Weg zu einer an der Armutsrisikogrenze
orientierten sozialen Grundsicherung unternommen werden, um Beziehenden
der Grundsicherungsleistungen nach SGB II ein Leben in Würde und Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Die Anhebung der Regelsätze muss zeitgleich im SGB XII erfolgen. Zudem ist
die Absonderung von Asylsuchenden, geduldeten und Bürgerkriegsflüchtlingen
in eigenen, residualen Leistungssystemen mit repressiven Bedingungen und
schlechterem Leistungsniveau abzuschaffen. Asylsuchende müssen in die regu-
lären Grundsicherungssysteme integriert werden. Um zusätzliche Belastungen
der Kommunen zu kompensieren, ist der Bund aufgefordert entsprechende Mit-
tel zur Verfügung zu stellen.

Zu Nummer 2

§ 46 SGB II koppelt die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unter-
kunft und Heizung an die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften. Diese Verkopp-
lung ist nicht sachgerecht, da die Entwicklung der Anzahl der Bedarfsgemein-
schaften keine zuverlässige Auskunft über die Kosten für Unterkunft und
Heizung erlaubt. Dies bestätigt auch das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales in seinem Schreiben vom 28. September 2007 an die Abgeordneten
im Haushaltsausschuss. Hier heißt es: „Die Zahlen machen deutlich, dass sich
die durchschnittlichen Leistungen für Unterkunft und die Zahl der Bedarfs-
gemeinschaften in den letzten Jahren unterschiedlich entwickelt haben.“
Gleichzeitig heißt es in dem Schreiben, dass für 2008 lediglich ein leichter
Rückgang der Gesamtausgaben gegenüber dem Ist-Zustand 2007 (geschätzt
13,8 bis 14,2 Mrd. Euro) angenommen wird. Eine Reduktion des Bundes-
anteils um 400 Mio. Euro würde die entsprechenden Kosten auf die Kommu-
nen abwälzen. Der Titel 632 11 ist daher um 400 Mio. Euro zu erhöhen und
der einschlägige § 46 SGB II entsprechend zu modifizieren.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7317

Zu Nummer 3

Die Beratungssituation durch die zuständigen Ämter ist durch eine asymmet-
rische Beziehung gekennzeichnet. Der Hilfe Suchende begehrt Leistungen wäh-
rend die Vertreter der Behörde – im Rahmen des Gesetzes – gewähren müssen.
Gleichzeitig sind die Vertreter der Behörde gegenüber den Hilfe beantragenden
und erhaltenden Personen mit Sanktionsmacht ausgestattet. Die soziale Bezie-
hung wird zusätzlich erschwert durch die Tatsache, dass die Leistung bewilli-
gende Instanz gleichzeitig die Kostenträgerin der Entscheidungen ist. Unter die-
sen Bedingungen lassen sich vertrauensvolle Beziehungen, die für eine ange-
messene Beratung notwendig sind, nicht aufbauen oder erhalten. Aus diesem
Grund sowie für eine effektive Kontrolle der zuständigen Behörden ist die Exis-
tenz guter unabhängiger Beratungsstellen notwendig.

Langzeitarbeitslosigkeit und längerfristig geringe Einkommen führen zudem zu
vielfältigen sozialen Problemen bei den Betroffenen und ihren Familien. Zur
Unterstützung der Bewältigung dieser Probleme und zur Stärkung des Selbst-
hilfepotenzials ist eine umfassende Sozialberatung notwendig. Zur Wahrung der
sozialpädagogischen Qualität der Beratung (z. B. Anonymität, Orientierung an
den vielfältigen Problemlagen, Sanktionsfreiheit) ist diese von unabhängigen
Beratungsstellen, insbesondere Beratungsstellen der Betroffeneninitiativen, zu
übernehmen. Erwerbslosigkeit und Niedrigeinkommen haben gesamtgesell-
schaftliche Ursachen, daher bedürfen diese Beratungsstellen einer finanziellen
Unterstützung durch den Bund.

Zu Nummer 4

Die Deckungsfähigkeit des Arbeitslosengeldes II und des Anteils der Unter-
kunftskosten, die durch den Bund erbracht werden, mit dem Eingliederungstitel
ermöglicht, dass die passiven in aktive Leistungen umgewandelt werden kön-
nen. So können die passiven Leistungen zur Finanzierung voll sozialversiche-
rungspflichtiger, öffentlicher Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden. Vor
allem für Langzeiterwerbslose kann durch öffentlich finanzierte Beschäftigung
eine neue Perspektive eröffnet werden. Zugleich können gesellschaftlich not-
wendige, bisher allerdings brachliegende, Aufgaben erfüllt werden.

Zu Nummer 5

Der Bund darf sich nicht aus seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung
zur Bekämpfung der Langzeiterwerbslosigkeit zurückziehen. Daher darf er
auch nicht zu Lasten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler die vom Bund
geleisteten Finanzmittel reduzieren, indem nun die Bundesagentur für Arbeit
zur hälftigen Finanzierung der Wiedereingliederungs- und Verwaltungskosten
für den SGB-II- Bereich herangezogen wird. Vielmehr müssen Beitragsmittel
bereits verstärkt präventiv zur Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit ein-
gesetzt und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert werden.

Die Trennung der Erwerbslosen in zwei Regelkreise ist eine maßgebliche Ur-
sache sowohl für die ungleichgewichtige Finanzsituation in den beiden Regel-
kreisen als auch für fehlende langfristige Eingliederungs- und Weiterbildungs-
strategien. Die Lösung dieses Problems wird allerdings nicht durch eine finan-
zielle Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit an den Kosten des SGB-II-
Bereiches herbeigeführt, da die Trennung der Erwerbslosen auf diesem Wege
nicht aufgehoben wird. Hierfür wären vielmehr einheitliche Anlaufstellen für
alle Erwerbslosen sowie gleiche Rechtsansprüche auf arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen entsprechend den Standards des SGB III erste Schritte.

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