BT-Drucksache 16/7139

Defizite bei der Umsetzung der Europa-Vereinbarung abstellen

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7139
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika Lazar, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg), Hans-Christian Ströbele,
Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Defizite bei der Umsetzung der Europa-Vereinbarung abstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 22. September 2006 ratifizierte der Deutsche Bundestag die Vereinbarung
zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusam-
menarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union (Bundestagsdrucksache
16/2620). Mit dieser Vereinbarung (abgekürzt: BBV) hat der Deutsche Bundes-
tag eine Reihe von neuen Entscheidungs-, Beteiligungs- und Informationsrech-
ten erhalten. Diese Stärkung der europabezogenen Arbeitsabläufe ist ein Mei-
lenstein in der Geschichte des Deutschen Bundestages. Sie ist die Voraussetzung
dafür, dass der Deutsche Bundestag an den Rechten und Pflichten, die der Bun-
desrepublik Deutschland aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Union er-
wachsen, mitentscheiden und mitgestalten kann

Ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung stellt der Deutsche Bundestag
eine deutliche Verbesserung der europabezogenen Arbeitsabläufe fest. Aller-
dings sind auch zahlreiche Mängel bei der Umsetzung der BBV zu vermerken,
die es so schnell wie möglich abzustellen gilt. Dem in Ziffer 1 Nr. 1 Satz 1 BBV
festgelegten Grundsatz, wonach der Deutsche Bundestag „frühzeitig, fortlau-
fend und in der Regel schriftlich über alle Vorhaben im Rahmen der Europäi-
schen Union unterrichtet wird“ wird nur teilweise entsprochen. Nur wenn der
Deutsche Bundestag aber gemäß diesem Grundsatz unterrichtet wird, kann er
seiner Rolle zur Mitentscheidung und Mitgestaltung in EU-Angelegenheiten ge-
recht werden und das Verhalten der Bundesregierung im Rat kontrollieren. Auch
das neue im EU-Reformvertrag enthaltene Recht auf Prüfung der Einhaltung des
Prinzips der Subsidiarität kann nur vollständig und fristgerecht erfolgen, wenn
der Deutsche Bundestag entsprechend unterrichtet wird.

Die Bundesregierung hat entgegen Ziffer VI der Vereinbarung kein Einverneh-
men mit den Fraktionen vor Eröffnung der Regierungskonferenz gesucht. Die

Regierungskonferenz zur Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäi-
schen Union wurde durch den Rat der Außenminister gemäß Artikel 48 EUV auf
seiner Sitzung am 23./24. Juli 2007 einberufen. Der Deutsche Bundestag wurde
hierüber lediglich in Kenntnis gesetzt, hätte jedoch vor der abschließenden Ent-
scheidung zur Eröffnung der Regierungskonferenz im Rat konsultiert werden
müssen. Eindeutige Klärungen dieses Artikels müssen dazu führen, dass künftig
die Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundestag klar definiert ist.

Drucksache 16/7139 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Deutliche Defizite ergeben sich dagegen in den Bereichen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), der Europäischen Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik (ESVP), in der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit
in Strafsachen (PJZS) sowie in der Handelspolitik. Gar nicht oder nur teilweise
werden EU-Dokumente aus diesen Bereichen dem Deutschen Bundestag förm-
lich zugeleitet. Und grundsätzlich erhält der Bundestag nur die Dokumente, die
in deutscher Sprache vorliegen. Die meisten der Dokumente im Bereich GASP
und ESVP werden jedoch in englisch oder französisch verfasst. Eine fortlau-
fende und in der Regel schriftliche Unterrichtung der Bundesregierung findet
nicht statt. Dies bedeutet, dass der Deutsche Bundestag nur mangelhaft über die
Entscheidungsprozesse in der so genannten 2. bzw. 3. Säule unterrichtet wird.

Die BBV bestimmt zudem, dass der Deutsche Bundestag Berichte über die
Arbeitsgruppen des Rates (RAG) erhält. Diese Berichte fallen jedoch lückenhaft
aus, da sie zunehmend im „Hauptstadtformat“ verfasst werden. Über das Haupt-
stadtformat findet keine regelmäßige Berichterstattung statt. Durch diese Praxis
kann sich der Deutsche Bundestag nicht ausreichend über den Verlauf der RAG-
Sitzungen informieren. Da in den RAG-Sitzungen bereits viele Ratsentschei-
dungen vorentschieden werden, ist eine zuverlässige Unterrichtung des Deut-
schen Bundestages unabdingbar.

Berechnungen haben ergeben, dass nur zu einem Viertel die zugeleiteten Recht-
setzungsvorschläge „Umfassende Bewertungen“ der Bundesregierung, die
neben der Prüfung der Rechtsgrundlage, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit,
eine Gesetzesfolgenabschätzung sowie Angaben zu Alternativen, Kosten, Ver-
waltungsaufwand und Umsetzungsbedarf beinhalten sollen, gefertigt wurden
und dass die Qualität der Bewertungen erheblich schwankt. Diese Berichte müs-
sen jedoch vollständig angefertigt werden, damit sich der Bundestag ein umfas-
sendes Bild über Rechtsetzungsvorschläge machen kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregie-
rung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union
vollständig umzusetzen;

2. mit dem Deutschen Bundestag eine Klärung zu Artikel VI der BBV herbei-
zuführen, mit der die Abläufe zur Herstellung des Einvernehmens der Bun-
desregierung mit dem Bundestag vor der Aufnahme von Verhandlungen zur
Vorbereitung von Beitritten zur Europäischen Union sowie zur Aufnahme
von Verhandlungen zur Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäi-
schen Union eindeutig festgelegt werden;

3. den Unterrichtungspflichten in den Bereichen GASP, ESVP, PJZS und Han-
delspolitik frühzeitig und umfassend nachzukommen;

4. die Dokumente zur Unterrichtung über die GASP, ESVP, PJZS und Handels-
politik dem Deutschen Bundestag künftig förmlich zuzuleiten;

5. den Deutschen Bundestag frühzeitig, fortlaufend und vollständig über die
Arbeitsgruppen des Rates zu unterrichten, unabhängig davon, ob an den
Arbeitsgruppen Mitarbeiter der Ständigen Vertretung oder der Fachministe-
rien teilnehmen;

6. mit dem Deutschen Bundestag eine Klärung zu Ziffer I Nr. 2 Buchstabe c
BBV herbeizuführen, dass die dort angesprochenen „Berichte der Ständigen
Vertretung“ als Berichte der Bundesregierung zu verstehen sind;

7. dafür Sorge zu tragen, dass „Umfassende Bewertungen“ zu allen beratungs-
relevanten Rechtsetzungsvorschlägen angefertigt werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7139

8. dem Deutschen Bundestag Zugang zum geplanten Restreint-Extranet einzu-
richten;

9. dem Deutschen Bundestag auch die inoffiziellen Dokumente der Europäi-
schen Kommission, also SEK- und C-Dokumente, working papers, Tisch-
vorlagen, Vor- und aktualisierte Entwürfe und Arbeitsversionen zu KOM-
Dokumenten, Sachstandsberichte der Direktionen, Entwürfe zu Ratsent-
scheidungen und Ratsschlussfolgerungen zur Verfügung zu stellen.

Berlin, den 14. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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