BT-Drucksache 16/7137

Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7137
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Wolfgang Wieland, Marieluise
Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika
Lazar, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Rainder Steenblock, Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Informationsfluss zwischen der Bundesregierung, insbesondere den Aus-
landsvertretungen und den Grenzschutzbehörden, und der Generalbundes-
anwaltschaft über den Inlandsaufenthalt möglicher Straftäter nach dem Völ-
kerstrafgesetzbuch zu verbessern, um zu gewährleisten, dass die Generalbun-
desanwaltschaft gegebenenfalls rechtzeitig Haftbefehl beantragen oder an-
dere Ermittlungsmaßnahmen einleiten kann;

2. in der Generalbundesanwaltschaft eine eigene Einheit zur Bearbeitung von
Fällen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu schaffen, die sich in Umfang und
Ausstattung an dem niederländischen Modell der dortigen „war crimes unit“
orientiert. Zumindest sollte das für die Verfolgung von Menschenrechtsver-
brechen zuständige Personal im Ermittlungsreferat bei der Generalbundes-
anwaltschaft deutlich aufgestockt werden.

Berlin, den 14. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung
Das Völkerstrafgesetzbuch wurde im Jahr 2000 unter der damaligen rot-grünen
Bundesregierung verabschiedet und trat 2002 in Kraft. Mit diesem Gesetz sollte
der Rückzugsraum für Straftäter, die schwere Menschenrechtsrechtsverletzun-
gen begangen haben, eingegrenzt werden. Täter, deren Taten oder Aufenthalt
keinen Bezug zu Deutschland haben sollen nach den Vorschriften der Strafpro-
zessordnung jedoch nur nachrangig in der Bundesrepublik Deutschland, straf-

rechtlich verfolgt, angeklagt und verurteilt werden. Mit der Verabschiedung des
Völkerstrafgesetzbuches entschloss sich der 14. Deutsche Bundestag zur Veran-
kerung der Weltrechtspflege im reinen Sinne. Dies steht nicht nur im Einklang
mit dem Völkergewohnheitsrecht, es stellt auch eine bedeutende Hilfe für die
Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH) dar. Nur we-
nige Länder haben das Rom-Statut des IStGH bisher so weitreichend umgesetzt,
wie die Bundesrepublik Deutschland.

Drucksache 16/7137 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches besteht an seinen
rechtlichen Ausführungen kein grundlegender Reformbedarf. In seiner Anwen-
dung hat sich jedoch gezeigt, dass strukturelle und institutionelle Defizite die
Effektivität dieses Gesetzes durchaus beeinträchtigen. So bedarf es insbesondere
eines verbesserten Informationsflusses zwischen der Bundesregierung und der
Generalbundesanwältin über den Inlandsaufenthalt möglicher Völkerstraftäter.
Dies gilt umso mehr, als die Generalbundesanwältin in enger Auslegung des
§ 153f Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) ohne Anknüpfung von Tat
oder Täteraufenthalt an deutsches Territorium die Aufnahme von Ermittlungen
im Regelfall absieht. In diesem Zusammenhang prominentestes Beispiel eines
unzureichenden Informationsflusses ist der Fall Zokivjon Almatov. Der ehema-
lige usbekische Innenminister, der unter Verdachts der Mitverantwortung für
schwere Menschenrechtsverstöße in Usbekistan steht, war Ende 2005 trotz EU-
Reisebeschränkungen aus humanitären Gründen nach Deutschland ein- und
wieder abgereist. Der Generalbundesanwalt hatte in der Begründung über eine
Nichtaufnahme von Ermittlungen angegeben, erst über eine betreffende Anzeige
von Zokivjon Almatovs Aufenthalt erfahren zu haben. Damals war dieser bereits
wieder ausgereist.

Von entscheidender Bedeutung ist darüber hinaus die Ausstattung der Gene-
ralbundesanwaltschaft. Die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN ergab, dass der Generalbundesanwaltschaft nach Inkrafttreten des
Gesetzes am 30. Juni 2002 keinerlei zusätzliche Personal- oder sachmittel zuge-
wiesen wurden. Nach der Antwort der Bundesregierung auf die genannte An-
frage sind dort zurzeit innerhalb eines Referats mit weiteren Zuständigkeitsbe-
reichen lediglich drei Personen für die Verfolgung von Menschenrechtsverbre-
chen zuständig (Bundestagsdrucksache 16/4267, Antwort der Bundesregierung
zu den Fragen 1 und 2). Dies ist sowohl problematisch angesichts der generel-
len Komplexität der Fälle, als auch hinsichtlich der Ermessensausübung der
Generalbundesanwältin, Ermittlungen nach § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO nur dann
aufzunehmen, wenn eine Verurteilung in der Bundesrepublik Deutschland in
einem konkreten Fall möglich erscheint. Im Rahmen der Prüfung dieser Frage
ist nicht nur der Täteraufenthalt auf deutschem Territorium relevant, es bedarf
vielmehr auch umfangreicher Ermittlungen, um einen Verurteilungserfolg vor-
zubereiten. Drei Beschäftige bei der Generalbundesanwältin, die nicht einmal
ausschließlich für die nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu behandelnden Fälle
zuständig sind, sind entschieden zu wenig für eine effektive Anwendung des
Gesetzes und der dahinter stehenden gesetzgeberischen Ziele. Die Motivation
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Generalbundesanwältin ist zwei-
fellos hoch. Aber schon aus Kapazitäts- und Effektivitätsgründen werden Er-
mittlungen von Amts wegen kaum geführt werden. Bisher hat die Bundesan-
waltschaft lediglich in einem Fall ein Ermittlungsverfahren wegen des Ver-
dachts des Verstoßes gegen Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuches von
Amts wegen eingeleitet (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 16/4267,
Frage 5). Initiativermittlungen wie Beweissicherungen und Zeugenbefragungen
werden daher allenfalls von Nichtregierungsorganisationen wahrgenommen,
solange die Personalausstattung der Generalbundesanwaltschaft unverändert
bleibt. Im internationalen Vergleich zeigt sich die Unterausstattung der General-
bundesanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafge-
setzbuch in besonderer Weise. In den Niederlanden sind in einer eigenen „war
crimes unit“ 32 Expertinnen und Experten mit Ermittlungsmaßnahmen betraut.
Wegen der hohen Bedeutung der Straftaten und der notwendigen Hilfe für die
Opfer halten wir die Einrichtung einer vergleichbaren Einheit bei der General-
bundesanwältin für erforderlich.

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