BT-Drucksache 16/6375

Der Umgang mit dem Instrument Praktikum im Rahmen von Hartz IV

Vom 14. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6375
16. Wahlperiode 14. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kornelia Möller, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina
Bunge, Werner Dreibus, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Katrin
Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Frank Spieth, Dr. Axel Troost, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Der Umgang mit dem Instrument Praktikum im Rahmen von Hartz IV

Die Träger der Leistungen nach dem SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch)
haben die Aufgabe, erwerbstätige Hilfsbedürftige umfassend mit dem Ziel der
Eingliederung in Arbeit zu unterstützen. Die Leistungsart der Durchführung
eines betrieblichen Praktikums soll dazu dienen, die betriebliche Eingliederung
von Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern zu fördern.

Offenbar werden aber Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger unter
Androhung der Leistungskürzung gezwungen, unentgeltlich Praktika zu absol-
vieren, bei denen es den Anschein hat, dass sie von vornherein nicht dazu ange-
legt sind, die Eingliederung in den Betrieb zu ermöglichen. Nach Recherchen
von REPORT MAINZ wurde festgestellt, dass Empfängerinnen und Empfänger
von Arbeitslosengeld II (ALG II) im Rahmen von Praktika zu kostenloser Ar-
beit gezwungen werden (http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/
did=2478130/lw30hp/index.html). Bezieherinnen und Bezieher von ALG II
müssten unter Androhung einer Kürzung ihrer Bezüge oft sogar monatelang auf
regulären Arbeitsplätzen arbeiten ohne dafür zusätzlich entlohnt zu werden.
Das berichtet das ARD-Politikmagazin in seiner Sendung am Montag, dem
27. August 2007. Praktikantinnen und Praktikanten wurden zum Beispiel neun
Monate als Autoputzer, sechs Monate als Lagerarbeiter oder vier Monate als
Gärtner beschäftigt. Ein „Praktikant“, der monatelang als Busfahrer unentgelt-
lich eingesetzt wurde, wurde – nachdem das Praktikum arbeitgeberseitig been-
det wurde – auch noch mit einer 30-Prozent-Kürzung seiner SGB-II-Leistung
sanktioniert. In einem Urteil des Sozialgerichts Aachen vom März dieses Jahres
(AZ: S 9 AS 32/07 ER) hieß es: „Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar“. Das
Busunternehmen, in dem ein Praktikant auf ALG-II-Basis vier Monate gearbei-
tet hatte, sei durch insgesamt 7 Praktikanten um 28 Busfahrer-Monatsgehälter
entlastet worden. Der Sozialrichter Michael-Wolf Dellen sagte im Interview mit
REPORT MAINZ: „Ein regulärer Arbeitsplatz fiel dadurch weg.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie sehen konkret die gesetzlichen Grundlagen für den Bereich des Leis-

tungsbezuges von ALG II aus, Leistungsempfängerinnen und Leistungsemp-
fänger ein Praktikum absolvieren zu lassen?

Unter welchen Bedingungen und für welchen Zeitraum ist eine solche Ver-
mittlung zulässig?

2. Wie viele Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger von Arbeits-
losengeld II befinden sich derzeit in einem Praktikum (Stand August 2007)?

Drucksache 16/6375 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Bitte nach Dauer des Praktikums, Bundesländern und Männern und Frauen
getrennt angeben.

3. Welche Unterschiede lassen sich bei der Praxis von Argen und Optionskom-
munen feststellen?

4. Auf welcher Basis erfolgt die Vergütung für die Praktika, und in welcher
Spanne liegt die dafür ausgereichte Mehraufwandsentschädigung (bitte
diese Angaben ebenfalls nach Dauer des Praktikums, Bundesländern und
Männern und Frauen getrennt angeben)?

5. Besteht eine in der Praxis zweckgebundene Unterscheidung in der Dauer
der Praktika und sind der Bundesregierung Unternehmungen bekannt, die
Praktikantinnen und Praktikanten länger als 12 Wochen beschäftigen?

6. Haben Unternehmen, die Praktikantinnen und Praktikanten von den örtli-
chen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zugewiesen bekom-
men haben, finanzielle Unterstützungen etwa in Form von Eingliederungs-
zuschüssen von Seiten des Grundsicherungsträgers erhalten?

7. In welche Branchen werden Praktikantinnen und Praktikanten vor allem
vermittelt?

Wurden und werden auch Praktikantinnen und Praktikanten in Zeit-
arbeitsfirmen vermittelt?

8. Wie viele Arbeitsplätze wurden durch die Schaffung von Praktika abgebaut
(Für den Fall, dass dazu keine Angaben gemacht werden können, wird Aus-
kunft darüber erbeten, welche Kontrollmechanismen die Bundesregierung
errichtet hat und zu errichten plant, um den Abbau regulärer Arbeitsplätze
zu verhindern bzw. welche Sanktionen vorgesehen sind, wenn dennoch
reguläre Arbeitsplätze abgebaut wurden)?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die im Report Mainz dargestellte Vorge-
hensweise zur Vermittlung von ALG-II-Bezieherinnen und -Beziehern in
Praktika?

Welche Maßnahmen plant sie, um eine solche Praxis durch die Leistungs-
träger zu verhindern?

10. Welche rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten sieht die Bundesregierung ge-
genüber Unternehmen, die die Form eines Praktikums zur unentgeltlichen
Ausbeutung von Arbeitskräften missbrauchen?

11. Falls es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wann gedenkt die Bundesregie-
rung eine derartige Regelung einzuführen?

12. Wie viele Sanktionen wurden bisher verhangen?

13. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass das fehlende Unrechtsbe-
wusstsein durch die regierungsoffizielle Rhetorik des „Forderns und För-
derns“ verstärkt bzw. zumindest nicht bekämpft wird?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des Sozialgerichts Aachen,
dass unentgeltliche Arbeit nicht zumutbar ist?

Welche Konsequenzen plant sie aus diesem Urteil zu ziehen?

Wird künftig im Zusammenhang mit der Vergabe von Praktika auf die Sank-
tionsandrohung verzichtet?

Berlin, den 14. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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